Vorgeblättert

Leseprobe zu Georg Kreisler: Letzte Lieder. Teil 3

10.08.2009.
New York war damals eine Männerwelt, Frauen zählten nur, wenn sie einen großen Busen hatten. Auch ich schloss mich dieser Männerwelt an, hatte einige Freundinnen, weil ich jung und neugierig war, aber sie interessierten mich nicht sonderlich. Zum Teil war das ein Rest meiner Erziehung, denn meine Mutter wurde zwar von meinem Vater vergöttert, aber zu sagen hatte sie nichts. Auch die Kommunisten in New York, mit denen ich lange in Kontakt stand, bis sie mich als hoffnungslos aufgaben, waren da keine Ausnahme, man nahm Frauen nicht ernst, man ließ sie mitdiskutieren und ignorierte sie. Frauen waren die Juden, die man im Bett brauchte.
     Ich empfand mich als Misserfolg und schrieb einen Roman und ein paar Kurzgeschichten, um mich künstlerisch über Wasser zu halten, denn meine Lieder mussten kommerziell sein und wurden daher von meinem Agenten und meinen jeweiligen Chefs gnadenlos zensiert. Lieder sollten komisch, aber harmlos sein. Einer meiner Chefs in Florida wurde wütend, als er mein Lied vom Antiseptic Life hörte, eine Glosse über zwanghaft übertriebene Reinlichkeit und unsinnige Werbeslogans. "In meinem Lokal will ich nichts von Händewaschen und Zähneputzen hören", schrie er mich an. Er war keine Ausnahme. Auch das Publikum reagierte zeitweise empört und befremdet. "That?s not funny", musste ich mir sagen lassen. Ich versuchte, mir ein Beispiel an anderen Komikern zu nehmen, aber was denen einfiel, fiel mir nicht ein.
     New York war ein Gefängnis mit netten Wärtern, wobei das Essen karg und miserabel war. Die amerikanische Unbarmherzigkeit des zuversichtlichen Alltags, die Worte meines Vater - "Wo du dein Auskommen hast, bist du zu Hause" - wurden immer deutlicher. Einmal nahm mich jemand mit seinem Auto aufs Land. Ich starrte auf Wiesen, Wälder, Berge, Seen und hatte vergessen, dass es sie gab.
     Nun ist der Glaube an den American Way of Life, dem kein Glaube an einen European Way of Life entgegengesetzt werden kann, auf den ersten Blick durchaus positiv. Er ist zwar so irrational wie der Glaube an eine unbefleckte Empfängnis oder einen brennenden Dornbusch, aber er bedeutet Gemeinsamkeit, also Kraft. Er hilft, sich seinem Schicksal zu ergeben oder seinem Schicksal zu trotzen. Es ist schwierig, in Amerika zu leben und sich gleichzeitig diesem Glauben, oder Aberglauben, zu entziehen. Wer ihn infrage stellt, wird nicht verstanden, der Glaube gilt als Tatsache.
     Es gibt die Geschichte von dem Rabbiner, der behauptet, Gott persönlich habe mit ihm gesprochen. "Unmöglich! Du lügst", wird ihm vorgeworfen, worauf er erwidert: "Glaubst du denn, Gott würde mit einem Lügner sprechen?" So ähnlich wird der Glaube an den American Way of Life von seinen Jüngern bewiesen. Er steht auf zwei Säulen: Ein Teil ist das Häuschen mit Garten, einem Mann, einer Frau und zwei bis drei Kindern, ohne Krankheit, ohne Arbeitslosigkeit, ohne Sex. Der zweite Teil ist die Lüge, dass jeder Amerikaner Präsident oder reich oder zumindest glücklich werden kann. An diesem Way of Life und dessen Verzweigungen durfte ich in meinen Liedern nicht rütteln, ohne das Publikum zu verärgern. Natürlich gibt es in Amerika jede Menge Kritiker dieses Glaubens, aber die arbeiten an Universitäten oder in sozialen Vereinen, nicht in Nachtlokalen. Alles muss hübsch seinen Platz haben.
     Aufgrund dieser Überzeugung haben Amerikaner auf dem Gebiet der Naturwissenschaft und Technik mehr geleistet als auf dem der Kunst. Kunst ist da der Versuch, die Wirklichkeit darzustellen, und Wissenschaft der Versuch, der Wirklichkeit nachzustellen, was letztlich zum Irrtum führt, man hätte sie erwischt. In den Augen der Amerikaner ist Wissenschaft dazu da, das amerikanische Paradies zu vervollkommnen, daher ist Wissenschaftler nicht nur ein höchst ehrbarer Beruf, sondern auch einer, mit dem man viel Geld verdienen kann. Kunst ist aufgerufen, das Paradies zu bestätigen, und wer das am wirksamsten und unterhaltsamsten tut, kann auch viel Geld verdienen. Würden sich alle Menschen diesem Paradies, dem American Way of Life, anschließen, gäbe es keinen Krieg, keine Ungerechtigkeit, kein Böses, meint man.
     Übrigens sind betrügerische Geschäftsleute ein Teil des Paradieses, denn sie versuchen ja nur, Geld zu verdienen. In der Bibel steht "Du sollst nicht stehlen", aber nirgends steht, du sollst kein Geld verdienen. Die Heilige Schrift wird in Amerika hoch geachtet, aber staatliche Gesetze beschränken die Freiheit und sollten daher nur erlassen werden, wenn es nicht anders geht. Wichtig ist, das Paradies zu erhalten, denn dann verschwinden Leute, die es infrage stellen, wie Senator McCarthy oder Präsident Bush, auf magische Weise von selbst. Überdies sind alle amerikanischen Kriege Verteidigungskriege.
     Dieser Traum verhärtet sich in europäischen Augen immer mehr, auch in meinen. Es nützt nichts, darauf hinzuweisen, dass schon Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden, weil ein Paradies kein geeigneter Aufenthaltsort für Menschen ist. Die Kunst, die unablässig darauf hinweist, hat in Amerika wenige Chancen, daher wird es auch die Kunst sein, die Amerika in eine Ecke treiben wird. Es war der Gedanke an die Kunst, der mich schließlich veranlasste, Amerika den Rücken zu kehren.

Mit freundlicher Genehmigung des Arche Literatur Verlages

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