Vorgeblättert

Leseprobe zu Gottfried Wagner: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Teil 3

08.04.2013.
In vielerlei Hinsicht war Cosima die Ehefrau, die Wagner sich erträumt hatte. Ihre Bereitschaft zur Anbetung des Gatten war grenzenlos. Dies geht nicht zuletzt aus ihren Tagebüchern hervor, die sie vom 1. Januar 1869 an bis zum Tod Wagners im Februar 1883 führte. Über vierzehn Jahre hinweg protokollierte sie tagein, tagaus ihr Leben mit dem angebeteten Meister. "Jedes Wort von ihm ist mir ein Glaubenssatz",(217) bekannte sie und zeichnete getreulich alles auf, was Wagner sagte und tat. Einundzwanzig Hefte mit insgesamt über 5000 Seiten füllen die Aufzeichnungen, eine Suada der fortwährenden Anbetung und Bewunderung, die bis zur Reliquienverehrung ging. "R. schlief gut!", notierte sie im Juli 1878. "In der Frühe gibt er mir die lang gewordenen einzelnen Augenbrauen von seinem teuren linken Auge, die ich trage. Daß er so gut wie keine Augenbrauen hat, erscheint mir wie die gänzliche Abwesenheit des Tierischen in seinem Wesen."(218)
     Sie lebte für Wagner, sie litt für Wagner - und sie zelebrierte ihre Unterordnung mit einer geradezu masochistischen Lust. "Je tiefer ich leide, je stärker bildet sich in mir diese seltsame Wollust des Leidens aus", schrieb sie im Februar 1876. "Gern würde ich annehmen, daß, wie die Dünste der Erde zum befruchtenden Regen werden, auch die Seufzer und Tränen, die mir entspringen, als Segen für die Kinder herniedertauten."(219) Am Tag, an dem Wagner den Ring des Nibelungen vollendete, notierte sie: "Ich kann nur in mich versinken, beten, anbeten! Wie könnte ich weihevoller diesen Tag begehen! Wie könnte ich anders danken als durch Vernichtung einer jeden Regung zum persönlichen Sein: Sei mir gegrüßt, Tag des Ereignisses, sei mir gegrüßt, Tag der Erfüllung, sollte der Genius so hoch seinen Flug vollenden, was durfte das arme Weib? In Liebe und Begeisterung leiden."(220)
     Dankbar nahm sie die Opferrolle an, auf die sie in ihrer Kindheit eingeschworen worden war: "Mein einziges Gebet: mit Richard in derselben Stunde dereinst sterben. Mein höchster Stolz, alles von mir gewiesen zu haben, um ihm zu leben. Mein schönstes Glück: seine Freude. - Ohne ihn ist die Welt mir ein Viehstall, wie Cleopatra sagt."(221) Für ihren göttlich verehrten Meister wollte sie ihre Persönlichkeit ganz und gar aufgeben: "Daß das Glück in dem Verhältnis zum Genie eben das sei, es ganz nach seiner Art erblühen zu sehen, scheint vielen Frauen nicht aufgegangen zu sein, sie wollen beatricieren, ich will dantisieren, von ihm ganz geschaffen werden, mein Ich zertrümmert er nur in mir."(222) Und Wagner, der "Zertrümmerer", genoss die Macht, die er über Cosima hatte. Als sie sich selbst dafür anklagte, "daß ich meinen moralischen Mut von ehemals ganz verloren" habe, entspann sich der folgende Dialog: "'So', sagt R., 'ich habe dich also ganz zertrümmert, ganz umgeknetet?' Ich: 'Ichhoffe es.'"(223)
     Mit einiger Berechtigung kann man, wie dies Oliver Hilmes
getan hat, von einer "masochistischen Persönlichkeitsstörung" sprechen.(224) Kritische Einlassungen, wie wir sie von Minna kennen, waren aus Cosimas Mund ganz sicher nicht zu erwarten. Dank ihrer aristokratischen Erziehung konnte sie auch die gesellschaftliche Rolle spielen, die Wagner von ihr verlangte. Und in ihrem fanatischen Antisemitismus und Hass auf Frankreich war sie ihrem Gatten absolut ebenbürtig.
     Gegenüber Cosima setzte Wagner einmal Minna mit der nörgelnden Wotan-Gattin Fricka gleich und sie selbst mit der leidenschaftlich-glühenden Siegfried-Geliebten Brünnhilde.(225) Das ist aber nicht die ganze Wahrheit. Cosima entzog Wagner ihre sexuelle Gunst, bald nachdem sie ihm 1869 den Sohn Siegfried geboren hatte, wie aus verschiedenen Tagebucheinträgen hervorgeht. Sie entbehrte lieber, als sie genoss.(226) Sie war nicht nur die ergebene Ehefrau, sondern ebenso sehr ein Machtmensch mit subtilen Fähigkeiten zur Manipulation. Innerhalb von wenigen Monaten hatte sie sich im Sommer 1865 in München die Rolle der Sekretärin und Managerin Wagners erkämpft. Sie regelte seinen Tagesablauf, kümmerte sich um die Finanzen, organisierte seine Konzertreisen und handelte die Honorare aus. Auch zur Verwalterinseiner Affären wurde sie schließlich: Wenn eine seiner Geliebten ihm zu nahe zu kommen drohte, wie im Falle der Schriftstellerin Judith Gautier, sorgte sie für das Ende der Beziehung.(227)
     Aber vor allem verstand sich Cosima als das Sprachrohr ihres Meisters. Wagner diktierte ihr seine Autobiographie Mein Leben, und so wurde sie zur Mitverfälscherin seiner Lebensgeschichte. Ihre Tagebücher mit der eigentümlichen Mischung aus banalen Alltagsbeschreibungen, servilen Huldigungen und chauvinistisch-antisemitischen Ressentiments sind Ausfluss sowohl ihrer eigenen Weltanschauung als auch derjenigen Wagners. Sie wurden, wie sie zu Beginn der Aufzeichnungen erklärte, als Zeugnis der Rechtfertigung für ihre Kinder verfasst, vor allem für Siegfried. Dass sie dann bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts in den Giftschrank verbannt wurden, ist ihrer Tochter Eva zu verdanken, die sich gegen eine Veröffentlichung wehrte. Als sie schließlich 1976/77 publiziert wurden, offenbarten sie das Weltbild von Richard und Cosima Wagner in aller Deutlichkeit.(228) Sie sind damit Teil der bis heute nicht verarbeiteten deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

Nach Wagners Tod schwang sich Cosima zu seiner "Gralshüterin" auf, die mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln um ihren Alleinvertretungsanspruch kämpfte. Briefe, Quellen und Dokumente, die ihr nicht passten, verschwanden in Giftschränken oder wurden von ihr vernichtet. Sie erwies sich als eine tyrannische Festspielleiterin, die mit ihrem Bayreuther Kreis das geistige Klima für den Nationalsozialismus vorbereitete. Als Mutter gab sie die Prägung, die sie in der Kindheit erhielt, an ihre Kinder weiter; auch sie wurden zum Leiden erzogen. "Die Kinder werden sehr ernstlich vorgenommen", notierte sie im Dezember 1871, "mit ihnen geweint, gebetet, sie so weit gebracht, daß sie mich um Strafe bitten."(229) Siegfried war zum Stammhalter bestimmt, die Töchter hatten ihm gegenüber zurückzustehen. Das Erlernen eines Berufs oder eine künstlerische Ausbildung war fürsie nicht vorgesehen. "Ich halte es nicht für möglich für eine Frau, der Öffentlichkeit anzugehören und zugleich ihren weiblichen Beruf zu erfüllen", schrieb sie ins Tagebuch.(230) In der Familie säte sie Hass und spaltete den Wagner-Clan durch ihre Intrigen. Damit gab sie ein Muster vor, das in der Nachkommenschaft der Familie bis heute eine verheerende Wirkung zeigt.


Erlösung durch Selbstvernichtung: Wagners Frauenfiguren


"Was ist der Unterschied zwischen Wotan und Siegfried", fragte Wagner am 1. März 1872 seine Frau Cosima, um gleich darauf selbst die Antwort zu geben: "Wotan heiratete Minna und Siegfried Cosima."(231) Dass er die Frauen in seinem Leben beständig mit denen in seinen Bühnenwerken verglich, ist kein Zufall: Zwischen Werk und Biographie besteht ein enger Zusammenhang. Den Frauen in seinen Opern ist durchweg kein freundliches Schicksal beschieden, sie sind Verfügungsobjekte in den Händen der Männer.(232)
     Im Fliegenden Holländer bietet der norwegische Seefahrer
Daland, beeindruckt von den Schätzen des fremden Holländers, diesem, ohne zu zögern, seine Tochter an. Im Lohengrin wird die somnambule Elsa einem unbekannten Ritter zur Frau gegeben - Fragen nach seiner Herkunft und seinem Vorleben sind ihr verboten. Die Göttin Freia im Rheingold wird von ihrem Schwager, dem Göttervater Wotan, den Baumeistern Fasolt und Fafner als menschliches Pfand zur freien sexuellen Verfügung ausgeliefert, weil er sie nicht bezahlen kann. Seine Lieblingstochter Brünnhilde bestraft Wotan in der Walküre dadurch, dass er sie, in Schlaf versetzt, dem erstbesten Mann, der sich ihr nähert, ausliefern will (nur durch die flehenden Bitten der Verstoßenen lässt er sich von seinem Vorhaben abbringen). In der Götterdämmerung vergewaltigt der strahlende Held Siegfried die von ihm eroberte Brünnhilde in der Gestalt Gunthers. In den Meistersingern wird Eva von ihrem Vater in einem Gesangswettbewerb als Preis ausgesetzt. Tristan entführt Isolde aus ihrer Heimat als Brautgeschenk für den ihr unbekannten König Marke. Kundry im Parsifal ist Prostituierte in Diensten ihres Zuhälters, des Zauberers Klingsor.
     Wagners Werk kennt keine glücklichen Ehepaare, "dafür aber eine Unmenge von Witwern oder aus sonstigen unausweichlichen oder unerklärten Gründen frauenlose Männer aller Altersklassen, während männerlose Frauen vorwiegend als alte Vetteln, unerweckte Jungfrauen oder Huren erscheinen ".(233) Seine Bühnenfrauen werden "verkauft, verhandelt, vergewaltigt und sogar prostituiert".(234) Ihren Wert erhalten sie allein aus der ihnen immer wieder aufs Neue auferlegten Bestimmung, für den Mann in den Tod zu gehen - und im Akt ihrer Selbstvernichtung den Mann zu erlösen.
     Bereits in Wagners Frühwerk, der "großen komischen Oper" Das Liebesverbot, findet sich eine solche opferbereite Frau. Es ist die Klosternovizin Isabella, die bereitsteht, ihr Leben für den inhaftierten Bruder Claudio hinzugeben:

Wohlan, so rett' ich gern dein Leben,
für deine Freiheit stürbe ich;
für dieses männlich schöne Streben
erwartet Glück und Freude dich!
(235)

Treue bis in den Tod verlangt der selbst den Tod herbeisehnende Fliegende Holländer von seiner Senta und wird von ihr nicht enttäuscht. In ihrer dramatischen Ballade im zweiten Aufzug erklärt sie sich vor den versammelten Mädchen am Spinnrad zu ihrer Bestimmung bereit:

Ich sei's, die dich durch ihre Treu' erlöse!
Mög' Gottes Engel mich dir zeigen!
Durch mich sollst du das Heil erreichen!(
236)

Man solle sich die Senta nicht als sentimentales, träumerisches Wesen vorstellen, schrieb Wagner in seinen Bemerkungen zur Aufführung der Oper "Der Fliegende Holländer", sondern als ein ganz "kerniges nordisches Mädchen". Nur ein solches sei in der Lage, einen "so wunderstarken Hang wie den Trieb zur Erlösung des Verdammten" hervorzubringen: "Es ist beobachtet worden, wie norwegische Mädchen mit so starker Gewalt empfanden, daß der Tod durch plötzliche Erstarrung des Herzens bei ihnen vorkam."(237) Sentas Erlösungstod tritt zwar nicht durch "plötzliche Erstarrung des Herzens" ein, doch sie stürzt sich vor den Augen ihres geliebten Holländers vom Felsenriff in die Meerestiefe mit den Worten: Preis' deinen Engel und sein Gebot!/Hier steh' ich - treu dir bis zum Tod!(238)
     Ihr Todessprung ist die Voraussetzung, dass der Fliegende
Holländer von seinem Fluch erlöst werden kann. Am Schluss der Oper steht die Regieanweisung: "Sie stürzt sich in das Meer; in demselben Augenblicke versinkt das Schiff des Holländers und verschwindet schnell in Trümmern. In weiter Ferne entsteigen dem Wasser der Holländer und Senta, beide in verklärter Gestalt; er hält sie umschlungen."(239) In der Mittheilung an meine Freunde erläutert Wagner die Szene so: "Mein Fliegender Holländer hatte allerdings noch nicht die neue Welt entdeckt: sein Weib konnte ihn nur durch ihren und seinen Untergang erlösen."(240)
     Im Tannhäuser wiederum spaltete Wagner sein fragwürdiges Frauenbild in zwei Figuren auf: die Hure und die Heilige. Auf der einen Seite steht das sündige Reich der Venus, angereichert mit allen erdenkbaren männlichen Sexualphantasien und dirty dreams, auf der anderen die keusche heilige Elisabeth. Im Venusberg darf sich der deutsche Junker Tannhäuser austoben bis zum Überdruss, um dann die deutsche Adelsfrau Elisabeth, die er einst ob ihrer Keuschheit abserviert hatte, um Hilfe anzuflehen. Eine Madonnendarstellung des italienischen Barockmalers Carlo Dolci soll für die Figur der Elisabeth Pate gestanden haben, bemerkte Wagner in einem Brief vom September 1842: "In der Stadtkirche von Aussig ließ ich mir die Madonna von Carlo Dolci zeigen: das Bild hat mich außerordentlich entzückt, u. hätte es Tannhäuser gesehen, so könnte ich mir vollends ganz erklären, wie es kam, daß er sich von Venus zu Maria wandte, ohne dabei zu sehr von Frömmigkeit hingerissen zu sein. - Jedenfalls steht nun die Heilige Elisabeth bei mir fest."(241)
     Dabei ging es hier ebenso sehr um ihn selbst wie um den
Tannhäuser. In der Mittheilung an meine Freunde schrieb Wagner von der "Sehnsucht nach Befriedigung in einem höheren, edleren Elemente, das, in seinem Gegensatze zu der einzig unmittelbar erkennbaren Genußsinnlichkeit der mich weithin umgebenden modernen Gegenwart in Leben und Kunst, mir als ein reines, keusches, jungfräuliches, unnahbar und ungreifbar liebendes erscheinen mußte".(242) Eine Sehnsucht, die - wie er betonte - eng verbunden ist mit dem "Verlangen nach dem Hinschwinden aus der Gegenwart, nach dem Ersterben in einem Elemente unendlicher, irdisch unvorhandener Liebe, wie es nur mit dem Tode erreichbar schien".(243) Und er berichtet von einer "verzehrend üppigen Erregtheit" beim Komponieren der Tannhäuser-Musik, die ihm "Blut und Nerven in fiebernder Wallung erhielt": "Meine wahre Natur, die mir im Ekel vor der modernen Welt und im Drange nach einem Edleren und Edelsten ganz wiedergekehrt war, umfing wie mit einer heftigen und brünstigen Umarmung die äußersten Gestalten meines Wesens, die beide in einen Strom: höchstes Liebesverlangen, mündeten."(244)
     Die männliche Unfähigkeit zu lieben und die Todessehnsucht nach Erlösung durch den Opfertod der Frau - das sind die ewig wiederkehrenden Themen Wagners. Auch für den Tannhäuser gilt: Die Möglichkeit einer diesseitigen Verwirklichung der Liebe ist ausgeschlossen. Am Ende der Oper wird der Sarg Elisabeths auf die Bühne gefahren, über dem dann auch Tannhäuser zusammenbricht. Der Sieg des keuschen Glaubens über die schwüle Sexualität wird als großes Opernfinale inszeniert und Elisabeth als "Heilige" und "Reine" verklärt:

Heilig die Reine, die nun vereint
göttlicher Schaar vor dem Ewigen steht!
Selig der Sünder, dem sie geweint,
dem sie des Himmels Heil erfleht!
(245)

Zum Schluss stimmt der Pilgerchor das Halleluja an: Heil! Heil! Der Gnade Wunder Heil!/Erlösung ward der Welt zu Theil! […] Halleluja! Halleluja! (246)
     So wird es vom Chor, begleitet von einem gewaltigen Orchesterausbruch, in die nun wieder heile Welt hinausgebrüllt. Es ist ein unglaubwürdiger, pathetisch-greller Schluss und zugleich ein opportunistischer Kompromiss, mit dem Wagner sich des Erfolgs seiner Oper versichern wollte. Die Männer im Saal dürfen aufatmen: Ihre heimlichen sexuellen Wünsche nach einem Ausbruch aus dem Ehealltag ins Venusberg-Bordell werden mit musikalischem Pathos zugedeckt.
     Was für das "folgsame Weib" in Gestalt der Elisabeth gilt, gilt erst recht für das "unfolgsame Weib" in Gestalt der Elsa - die es wagt, das ihr von ihrem Schwanenritter auferlegte Frageverbot zu missachten. So nimmt auch im Lohengrin das unvermeidliche Schicksal seinen Lauf: Während Lohengrin "mit gesenktem Haupte traurig auf seinen Schild gelehnt im Nachen" entschwindet, wie es in der abschließenden Regieanweisung der Oper heißt, gleitet Elsa "entseelt" zu Boden.
     Aber die wohl markanteste von Wagners Frauengestalten ist die Kundry im Parsifal, von diesem "Verderberin" und "Frevlerin" genannt. Dabei ist es, wie die Wagner-Forscherin Eva Rieger erklärte, "nicht nur ihre Sexualität, die ihn gefährdet, sondern sie ist als Wesen selbst sündig und muss 'erlöst' werden".(247) In ihr vereint sich die Femme fatale, die die Männer in den Abgrund zieht, mit der Figur des Andersrassigen: des ewigen Juden. "Sie ist Ausgestoßene von Anfang an, die in jedem Aufzug erfolglos versucht, in das Zentrum der Handlung und Aufmerksamkeit vorzustoßen", so die Frankfurter Dramaturgin Heike Oehlschlägel. Aus der der Keuschheit geweihten Gralsgemeinschaft sind die Frauen ausgeschlossen, es gibt sie nur noch als die "sich krümmende, windende und kriechende" Kundry, "deren Wunsch der eigene Tod ist, ihre Opferung".(248) "Dienen … dienen",(249) mehr kann sie nicht mehr hervorbringen, bevor ihr schließlich in Form der Taufe durch den neuen Gralskönig Parsifal der "Gnadenstoß" zuteilwird - und auch sie den Weg aller Wagner'schen Protagonistinnen geht und langsam "entseelt zu Boden"(250) sinkt.
     Simone de Beauvoir schrieb in ihrem bahnbrechenden Werk Das andere Geschlecht 1949 zur Darstellung der Frau in Kunst und Literatur: "Der Zug nach unten, der von der Frau ausging, scheint jetzt als umgekehrte Bewegung; sie führt den Mann nicht mehr ins Herz der Erde zurück, sondern zum Himmel hinauf. Das Ewigweibliche zieht uns hinan, verkündet Goethe am Ende vom 2. Teil des Faust."(251) Ebenso verfährt Wagner in seinen Opern, die die weibliche Keuschheit und Treue bis in den Tod feiern. Die Erfüllung der Lust wird im Namen einer höheren Instanz verweigert und als Krankheit denunziert. Wie schon Adorno bemerkte: "Die Erfahrung der Lust als Krankheit durchdringt das gesamte Wagnersche OEuvre."(252)
     Der Parsifal mit seiner offen zutage liegenden Misogynie war aber nicht das letzte Wort des Frauenverächters Wagner. In den späten Lebensjahren, als er die Rassentheorie des Grafen Gobineau für sich entdeckte, grübelte er über Das Männliche und das Weibliche bei der Vermischung der Rassen. Der "Verfall der menschlichen Racen" war für ihn eine auf der Hand liegende Tatsache. Wer oder was aber mochte Schuld daran tragen? In den sogenannten Regenerationsschriften wälzte er diese Frage hin und her. Zuerst sollte es der Fleischkonsum sein, der für den Niedergang der arischen Rasse sorgte, dann die "jüdische Race".(253) Schließlich entdeckte er die Frau als Wurzel des Übels. "Bei der Vermischung der Racen verdirbt das Blut der edleren Männlichen durch das unedlere Weibliche ", schrieb er im Oktober 1881 in sein Braunes Buch. "Das Männliche leidet, Charakter geht unter, während die Weiber so viel gewinnen, um an die Stelle der Männer zu treten. (Renaissance) Das Weibliche bleibt somit die Erlösung schuldig: hier Kunst - wie dort in der Religion; die unbefleckte Jungfrau gebiert den Heiland."(254)
     Die Keuschheit sollte es richten, zumindest in der Theorie, denn im Leben blieb Wagner auch im Alter sinnlichen Genüssen durchaus zugetan. Im Februar 1883, kurz vor seinem Tod, brachte er in Venedig seine abschließenden Worte zum Thema "Weib" zu Papier. Der Fragment gebliebene Aufsatz Über das Weibliche im Menschlichen ist der letzte von
ihm überlieferte Text.(255) Wieder ging es um die verderbliche Rassenmischung und um die Frage, wie sich die Menschen von den "thierischen Geschlechtern" unterscheiden, die sich "in großer Reinheit" forterhalten. Letztere, so seine nunmehrige Antwort, würden keine "Konventions-Heirathen" und keine Ehe kennen. Der "Mißbrauch der Ehe zu gänzlich außer ihr liegenden Zwecken", zu der Überzeugung war Wagner am Ende seines Lebens gelangt, sei "der Grund unseres Verfalles bis unter die Thierwelt".(256) Der selbsternannte Rassenforscher mochte dabei an seine beiden Ehen denken - an die stets unfolgsame Minna und die sittenstrenge Cosima. Tat Letztere nicht gerade wieder einmal alles, um ihm den Spaß zu verderben? Ungnädig soll sie den angekündigten Venedigbesuch seiner jüngsten Eroberung, der jungen Sängerin Carrie Pringle durchkreuzt haben, die ihn auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses als Blumenmädchen im Parsifal becirct hatte.(257)
     Es schließen sich in Wagners letztem Aufsatz noch einige verschwommene Ausführungen über Monogamie und Polygamie an und über deren Vor- und Nachteile hinsichtlich der Veredelung der menschlichen Rasse. Dann war er wieder bei seinem großen Thema - die Verbindung von Liebe, Schmerz und Tod. Die letzten von ihm überlieferten schriftlichen Worte lauten: "Gleichwohl geht der Prozeß der Emanzipation des Weibes nur unter ekstatischen Zuckungen vor sich. Liebe - Tragik."(258)
     Wenige Augenblicke nachdem er dies geschrieben hatte, starb Richard Wagner. Doch das Gift seiner obsessiven Frauenverachtung wirkte weiter. In dem Wiener jüdischen Schriftsteller Otto Weininger fand er einen glühenden Adepten. Die Aufführung des Parsifal, die der zweiundzwanzigjährige Weininger 1902 in Bayreuth sah, geriet ihm zum Erweckungserlebnis. So machte er sich, ausgehend von Wagners "Bühnenweihfestspiel", seine eigenen Gedanken über die Kundry-Natur des Weibes und die Lösung der Frauenfrage: "Wagner, der größte Mensch seit Christus, hat auch dies am innerlichsten verstanden: bevor das Weib nicht aufhört, für den Mann als Weib zu existieren, kann es selbst nicht aufhören, Weib zu sein; Kundry kann nur von Parsifal, vom sündelosen, unbefleckten Manne aus Klingsors Banne wirklich befreit werden. So deckt sich diese psycholo gische mit der philosophischen Deduktion, wie sie hier mit Wagners Parsifal, der tiefsten Dichtung der Weltliteratur, in völliger Übereinstimmung sich weiß. Erst die Sexualität des Mannes gibt dem Weibe Existenz als Weib. Alle Materie hat nur so viel Existenz, als die Schuldsumme im Universum beträgt: auch das Weib wird nur so lange leben, bis der Mann seine Schuld gänzlich getilgt, bis er die eigene Sexualität wirklich überwunden hat. […] So nur, nicht anders, ist die Frauenfrage zu lösen, für den, der sie verstanden hat."(259)
     Dies schrieb Weininger in seinem Buch Geschlecht und Charakter, ein ätzender Cocktail aus Misogynie und jüdischem Selbsthass. Drei Monate nach Erscheinen des Buches nahm sich der Wagner-Enthusiast im Oktober 1903 das Leben; er erschoss sich vor den Augen der Öffentlichkeit in Beethovens Sterbehaus in Wien. Das tat dem Erfolg seines "Hausbuches des europäischen Antifeminismus und Antisemitismus" (Nike Wagner) in der Nachfolge Wagners keinen Abbruch, im Gegenteil. Bis zum Jahr 1932 erlebte es achtundzwanzig Auflagen.

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Auszug mit freundlicher Genehmigung des Propyläen Verlages
(Copyright Propyläen Verlag)


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