Vorgeblättert

Leseprobe zu Laszlo Vegel: Bekenntnisse eines Zuhälters. Teil 1

07.03.2011.
1.
VIEL EIFER UM NICHTS


     MITTWOCH
Endlich nahm ich mir die Zeit, mich nach einem karierten Hemd umzusehen. Ich liebe es, nachmittags durch die Gegend zu streifen. Vor der katholischen Kirche lief ich Hajdu & Co. in die Arme. Hajdu grinste hämisch und ließ mich wissen, dass der alte Sik eine Aktennotiz gemacht habe, er sei sauer gewesen, dass ich eine wichtige Vorlesung geschwänzt hatte. Er solle mir mit der läppischen Universität nicht auf die Nerven gehen, antwortete ich. Ihm sei es egal, sagte er, er habe mich bloß vorgewarnt. Sik werde uns die Hölle heißmachen und uns beim Examen auflaufen lassen, immerhin sei es nicht irgendeine x-beliebige Universität. Solche Sachen. Das mit dem Examen befürchtete ich allerdings auch. Dann luden mich Hajdu & Co. - Hajdu und seine Frau - auf einen Drink zu sich ein. Nach ein paar Kognaks fing Hajdus Frau an, mit ihren frisch erworbenen Schallplatten zu prahlen. Ganz große Kunst, sagte sie. Irgendwie hatten wir dann aber vergessen, sie aufzulegen und uns die große Kunst anzuhören. Bei den Platten fiel mir Sylvie Vartan ein, ihre unglaubliche Beliebtheit. Wie im Chor antworteten sie, dass sie Schlager ablehnten und sich nur ernste Musik anhören würden. Dann kramte Hajdus Frau Gedichte aus einem schwarzen Pappkarton hervor und begann, sie laut aufzusagen. Hajdu & Co. machen beide Lyrik, sie laden ständig Leute ein und tragen ihnen ihre Elaborate vor. Das klinge alles ganz erträglich, sagte ich, als sie fertig war, und erzählte, was für schöne Hemden ich in der Stadt gesehen hätte. Hajdu meinte, es sei völlig absurd, wegen ein paar läppischer Hemden der Vorlesung fernzubleiben. Egal, sagte ich, ich würde versuchen, morgen wieder da zu sein. Da fiel mir ein, dass ich mit Tornadosz im Klub eine Verabredung hatte, er hatte versprochen, Geld zu organisieren, damit wir was trinken könnten.
     Ich sagte, es sei wirklich sehr angenehm bei ihnen, aber jetzt müsse ich gehen, ja. Vom Kognak beflügelt, baten sie mich zu bleiben. Ich dachte, wenn ich bliebe, würden sie mich bis zum jüngsten Tag mit ihren Gedichten traktieren. Ich sagte, ich käme lieber ein anderes Mal wieder.
     Vor dem Klub wurde mir übel. Das passiert mir oft, wenn ich reingehen will. Trotzdem drückte ich die Klinke hinunter, denn ich wusste nicht, wo ich sonst hätte hingehen können. Ich fragte Tornadosz, ob alles in Ordnung sei.
     Erst mal begleite ich die kleine Schwarze nach Hause, sagte er.
     Und dann?
     Dann gehen wir.
     Wohin?
     Ist doch egal, wir werden sehen.
     Hier im Klub kennen sich alle, wie die Nutten in einem Provinznest. Ich kann mich an jeden beliebigen Tisch setzen, überall kennt man mich. Ich suchte mir eine größere Runde aus, setzte mich ans Tischende und wartete auf Tornadosz. Branko hat Acesal geschluckt, sagte eines der Mädchen, von der ich nur wusste, dass sie einen schicken Wagen fuhr und ihre Mutter mit hohen Tieren verkehrte. Ich nickte und fragte, warum er es getan habe. Nur so, aus Sport, und um die Wirkung zu testen. Er renne schon den ganzen Abend hier herum und erzähle von dem großartigen Erlebnis. Olga, die neben mir saß, eine äußerst unberechenbare Person, blickte mich gereizt an. Es sei nicht aus Sport gewesen, sagte sie, er habe einen viel ernsteren Grund gehabt. Olga war sehr blass.
     Geht es dir nicht gut?
     Doch, sagte sie.
     Die Blässe machte sie schön, das war mir gleich aufgefallen. Ja. Ein schönes Kleid, das du da anhast, sagte ich.
     Warum kommst du mir immer mit solchen Albernheiten?, fragte sie.
     Irgendwas muss man ja sagen.
     Irgendwas muss man ja sagen ? ihr seid komplett degeneriert, sagte sie.
     Ich tat, als hätte ich es nicht gehört. Sie sagt immer das Gleiche. Sie rückte ein Stück näher an mich heran und begann, in ihrer Tasche, in der ein unbeschreibliches Chaos herrschte, herumzukramen, fand ein Stück Papier, zog es hervor, schrieb was darauf und drückte es mir in die Hand. "Ihr seid degeneriert", las ich. Ich steckte den Zettel in meine Hosentasche, vielleicht würde ich ihn noch brauchen, dachte ich. Das Getuschel der beiden ist sehr verdächtig, rief jemand in die Runde, da braut sich doch was zusammen. Die Leute am Tisch lachten. Olga sah wirklich besorgniserregend aus.
     Ist dir was zugestoßen?
     Ich war beim Arzt, aber es ist zu spät, sagte sie.
     Was?
     Von Heirat kann keine Rede sein. Er ist mitten im Studium, sein Vater würde ihn sofort aus dem Haus jagen.
     Ihr Gesicht war kreidebleich.
     Ich bring dich nach Hause. Unterwegs kannst du mir alles erzählen.
     Das ist nett, Blue, ich kann mich kaum auf den Beinen halten.
     Auf dem Weg zu ihr nach Hause wurde ich ziemlich ernst und sagte, auf mich könne sie immer zählen, ich sei ihr bester Freund. Ich war schon immer dein bester Freund, wiederholte ich. Dann schwiegen wir. Vor ihrer Haustür ermunterte ich sie, sich nach einem Anderen umzusehen, einem, der besser zu ihr passte.
     Unsinn.
     Wieso? Es dürfte doch nicht so schwer sein, es laufen genug Leute herum.
     Warum auch nicht, dachte ich bei mir. Ein Idiot von einem Ehemann ist allemal besser als zu verbluten. Ewig warten und sich stur stellen ist dumm. Wir treiben schon einen für dich auf, sagte ich.
     Man muss sich nicht gleich in die Hosen machen, sagte sie.
     Mir sei es eben nicht gleichgültig, was mit ihr passiere, sagte ich.
     Du bist ständig unter Druck, hast Angst, und deshalb willst du dauernd was Neues auftreiben. Irgendwas oder irgendjemand.
     Irgendwas muss man ja machen, sagte ich.
     Nervös suchte sie in ihrer Handtasche nach dem Haustürschlüssel. Sie solle den gesamten Inhalt auszukippen, schlug ich vor, dann finde sie ihn.
     Es müsste etwas Wichtiges passieren, etwas Entscheidendes, sagte sie.
     Plötzlich langweilte sie mich, ihre Sturheit, ich lasse besser die Finger von ihr, dachte ich. Es kommt, wie es kommt. Doch sie redete weiter.
     Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Wüsste ich es, dann traute ich mich nicht mehr, es zu tun. Es geschieht mir also recht. Mit der Abtreibung, meine ich.
     Wir sollten uns ein anderes Mal darüber unterhalten, wenn sie nicht mehr so aufgewühlt sei, sagte ich und ließ sie vor der Haustür stehen.
     Im Klub wartete Tornadosz schon. Lass uns gleich gehen, sagte ich. Immer wenn wir beschließen, uns anderswo zu betrinken, schleichen wir uns aus dem Klub wie Diebe. Wir gingen in ein Cafe. Nur wenige Tische waren besetzt. Ich bestellte mir einen Kognak. Ich berichtete Tornadosz von Olgas seltsamem Benehmen, sagte, dass es mich nicht wunderte, wenn sie eine Dummheit machen würde.
     Sie hat was vor, irgendwas, ich spüre es. Sie ist in einem komischen Zustand.
     Sie soll tun oder lassen, was sie für richtig hält. Misch du dich nicht ein, das macht es nur schlimmer, sagte Tornadosz.
     Wir tranken viel. Meine neue Freundin schwimmt in Geld, prahlte er. Warum besorgst du dir nicht auch eine Frau, die Geld hat? Seine Überheblichkeit ging mir auf die Nerven.
     Ich denke nicht daran, sagte ich. Dann fing er an, mich zu belehren.
     Du brauchst eine Frau mit Geld. Ohne kommst du heute nicht weiter. Alles andere ist vollkommen nutzlos.
     So hat er geredet. Er sei zu blauäugig, sagte ich. Warum sollte sich durch eine reiche Frau irgendwas ändern? Das ist absurd, der Gedanke dreht einem den Magen um. Tornadosz redete Unsinn. Glauben müsse man, man brauche nur einen starken Glauben, wiederholte er hartnäckig. Ich hielt dagegen, lachte über ihn, argumentierte, lachte ihn aus, aber er ließ sich nicht beirren. Er sagte, er würde sogar an Gott glauben, wenn das zu was nütze wäre, ja.

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