Vorgeblättert

Leseprobe zu Marcel Ophüls: Meines Vaters Sohn. Teil 3

28.01.2015.
Der Journalismus in Kriegszeiten


»Wir sind alle nichts anderes als Zuschauer, die im römischen Zirkus in der ersten Reihe sitzen.«
JOHN F. BURNS, PULITZER-PREISTRÄGER

»Alle Nachrichten, die es wert sind, gedruckt zu werden.«
THE NEW YORK TIMES

»Wenn die Legende die Realität überflügelt, dann druckt eben die Legende.«
»DER MANN, DER LIBERTY VALANCE ERSCHOSS« VON JOHN FORD

»Der einzige gerechtfertigte Krieg war der Zweite Weltkrieg.«
MARTHA GELLHORN

»Wenn Ihre Photos nicht gut genug sind, dann waren Sie einfach nicht nah genug dran.«
ROBERT CAPA


Schon seit Jahren, eigentlich bereits seit ich allmählich zum Journalisten geworden war, hatte ich Lust verspürt, einen Film über die Aristokraten unseres Metiers zu machen, über die Kriegsberichterstatter nämlich. Während des ersten Golfkrieges hatte ich versucht, diesbezüglich meine Kollegen von der BBC zu überzeugen, jedoch umsonst. Das war ziemlich schade, denn in Riad, in Saudi-Arabien, warteten rings um die Swimmingpools der großen Hotels alle Journalisten eigentlich nur darauf, dass der tapfere General Schwarzkopf sie nach Kuwait vordringen ließ.
     Einige Jahre später fand dann der Krieg im früheren Jugoslawien statt. Der Marschall Tito war gestorben, und es ergab sich plötzlich, dass Sarajevo zur bislang letzten belagerten Stadt in der modernen Geschichte wurde. In Paris versuchten mein sehr guter Freund und Gönner Bertrand Tavernier und ich einen Produzenten zu finden. Wie üblich war das vergebliche Liebesmüh. Bertrand hatte auch bereits zuvor versucht, einen Produzenten für »Hôtel Terminus« aufzutreiben. René Cleitman, glaube ich, hatte ihm zur Antwort gegeben: »Warum in aller Welt sollte ich mich für diesen kleinen Typen entscheiden, der sich offenbar für ein Genie hält, wo mir doch alle x-beliebigen Leute zur Verfügung stehen?« Nun musste es aber schnell gehen. Nachdem mehrere Wochen mit erfolglosen Bemühungen vergangen waren und wir uns förmlich im Kreis gedreht hatten, sagte Bertrand, recht entmutigt, schließlich zu mir: »Sei's drum, nicht zu ändern, Marcel. Dann werde ich den Film eben selbst produzieren.« Ich gab ihm zur Antwort: »Mach das nur nicht, bitte. Ich will nicht, dass du deinen eigenen Zaster investierst. Das ist viel zu riskant! Du weißt doch sehr gut, dass ich mich nie an irgendeinen Kostenvoranschlag halte und ebenso wenig an irgendeine Zeitvorgabe - dass ich also, wenn man so will, kein einziges Versprechen respektiere.« Er begnügte sich mit einem Schulterzucken. »Das werden wir ja sehen«, sagte er nur. Seine Firma Little Bear wurde somit die Produktionsfirma für »Veillées d'armes - Die Geschichte der Kriegsberichterstattung«.
     Der Vertrag, der schließlich zwischen Bertrand Tavernier und mir geschlossen wurde, sah einen Film von zwei Stunden Länge vor, was uns vernünftig und angemessen vorkam. Nach meiner zweiten Reise nach Sarajevo, während die Arbeiten am Schnitt mit Sophie Brunet bereits begonnen hatten, wurde mir allmählich bewusst, wie so oft leider erst spät, dass wir im Grunde mindestens die doppelte Dauer veranschlagen mussten. Ich setzte also gleich Frédéric Bourboulon davon in Kenntnis, den Koproduzenten von Bertrand. Tavernier war gerade in Rumänien, um »Hauptmann Conan und die Wölfe des Krieges« zu drehen, während Fred in Paris geblieben war. Ich mochte Bourboulon sehr, und ich schätze ihn auch heute noch.
     Little Bear erklärte sich sehr rasch einverstanden mit der neuen Länge, aber das reichte bedauerlicherweise nicht aus. Ich benötigte auch noch das Einverständnis des Fernsehsenders Canal Plus, wo ein gewisser René Bonnel einen großen Teil des Films mitfinanzierte. Für mich hatte es den Anschein, als kümmerten sich weder Bertrand noch Frédéric darum, Canal Plus und Bonnel von der Änderung der Gesamtspieldauer, die ich so dringend benötigte, zu überzeugen. Von diesem Moment an schrieb derjenige, den Bourboulon dann »Fax-Ophüls« nennen sollte, niederträchtige, diffamierende und grauenvolle Briefe an seine Produzenten. Bertrand hat mir das nie verziehen, aber man muss auch gleich hinzufügen, dass »Veillées d'armes - Die Geschichte der Kriegsberichterstattung « ein Flop war. Oftmals sollte er Sophie Brunet gegenüber erklären und auch überall in Paris verkünden: »Für mich ist Marcel tot.« Von Zeit zu Zeit schicke ich ihm deshalb ein kleines Fax: »Noch immer nicht tot!« Nein, noch immer nicht tot, Bertrand.
     Alles in allem unternahm ich insgesamt sieben Reisen nach Sarajevo. Der Flughafen, der sich seinerzeit unter der Kontrolle der UNPROFOR, das heißt der Blauhelme, befand, war oftmals geschlossen, weil die Serben ihn dauernd bombardierten. Die obersten Stockwerke des Holiday Inn waren bereits lange vor meiner Ankunft von der serbischen Armee zerstört worden, und es gab in diesem Hotel eine ganze Front, die es unbedingt zu meiden galt und in der man nicht wohnen konnte, weil sich serbische Heckenschützen direkt gegenüber verschanzt hatten. Die Bosnier, die die Leitung des Hotels übernommen hatten, akzeptierten als Zahlungsmittel ausschließlich D-Mark, und zwar bar. Sie waren die Könige des Schwarzmarktes. Das Hotel war verdreckt, die Teppichböden konnten nicht mehr gereinigt werden. Dort fing ich mir ein Quincke-Ödem ein, eine äußerst gefährliche Krankheit, die von einem kleinen Pilz ausgelöst wird und die ich dann zwei oder drei Jahre mit mir herumschleppen sollte. Oftmals führt sie dazu, dass einem die Kehle anschwillt und man Gefahr läuft zu ersticken, und sie kann Elefantenhoden hervorrufen. Während der dritten oder vierten Reise wachte ich gegen sechs Uhr morgens mit genau einer solchen Schwellung am Hals in meinem Holiday- Inn-Zimmer auf und stürmte zur Tür des Nachbarzimmers, um wie wild dagegenzuhämmern. Dort schlief Nigel Bateson, der Kameramann der BBC, und hatte ein Mädel aus der Gegend zu Besuch. »Gluckerglucker«, gelang es mir noch zu rufen, bevor er die Tür öffnete. Er bugsierte mich sofort in seinen gepanzerten BBC-Wagen, um mich bei den »french doctors« abzuliefern, die mir auf der Stelle zwei Kortisontabletten verabreichten und mich mit dem ersten verfügbaren Flugzeug nach Paris zurückschickten.
     In Sarajevo wurde die Bude von Paul Marchand geleitet, einem jungen libanesischen Abenteurer, der uns mit Hilfe der bosnischen Mafia Benzin beschaffte und dafür sorgte, dass die Stromaggregate liefen, wenn wir wieder einmal, denn das kam häufig vor, völlig im Dunkeln saßen. Paul empfand eine solche Solidarität mit der Bevölkerung der Stadt, dass er nie einen gepanzerten Wagen benutzen wollte, weder einen Helm aufsetzte noch eine kugelsichere Weste trug. Er wurde schwer verletzt, und sein linker Arm war daraufhin vollständig gelähmt. Auch er wollte, dass ich ihn in Paris im Krankenhaus besuchen kam. Und wie schon so oft zuvor tat ich es auch diesmal nicht. Ein Jahrzehnt später, genauer gesagt im Jahre 2009, hat er sich das Leben genommen.
     Im Laufe meiner zweiten Reise geschah es dann, dass wir gefakte Aufnahmen von einem Stromausfall in der Kantine machten. Ich vermute, dass Paul, nach seiner ersten Erklärung, Abenteurer zu sein - immerhin kletterte er, sobald er frei hatte, an den Außenwänden eines Gebäudes hoch, das direkt gegenüber vom Holiday Inn lag -, sich ein wenig mit seinen Kollegen verkracht hatte aufgrund seines Auftritts in meinem Film. Da erklärte er, warum man nicht in einem gepanzerten Wagen herumfahren, keinen Helm aufsetzen und noch weniger eine kugelsichere Weste tragen dürfe. Paul und Nicolas Poincaré, der für RTL arbeitete, waren es übrigens, die uns - Pierre Boffety, Michel Faure und mich - aus dem belagerten Sarajevo herausgeholt hatten, damit ich Milosevic in Belgrad, mit Zwischenstation in Budapest, interviewen konnte. In Sarajevo bewegten Pierre, Michel und ich uns die ganze Zeit über im Grunde nur per Anhalter!
     In dieser Sequenz, die Pierre Boffety, unser Kameramann, Sophie Brunet und ich untereinander das »Candlelight-Dinner« nannten, saß Paul am Ende einer langen Tafel und rauchte wie üblich eine dicke Zigarre. Boffety und ich filmten ihn über die Schulter, während er gerade dabei war, uns zu erzählen: »Unlängst, als du gerade nicht da warst, beerdigte eine junge Mutter auf dem Friedhof gegenüber ihr Baby. Da haben die Snipers auf sie geschossen und sie schwer verletzt. Wir alle hier haben einfach mit unserem Job weitergemacht, außer Kurt, der losgeeilt ist, um diese Frau zu retten.« Kurt Schork war von der Agentur Reuters und wahrhaftig der »Doyen« im Holiday Inn. Er ist am 24. Mai 2000 in Sierra Leone gefallen. Pierre Boffety und ich setzten unsere kleine Kamerafahrt den Tisch entlang fort, bis wir zu Kurt gelangten, der sich mit Engelsgeduld das Gefasel eines Italieners, einer echten Nervensäge, anhörte. Als der endlich schwieg, fragte ich Schork: »Sag mal, Kurt, Paul behauptet, dass du der Einzige warst, der dieser jungen Frau Hilfe leistete.« Da wandte sich Kurt zu mir um und sagte wortwörtlich: »Aber nicht doch, Marcel: Wir alle sind augenblicklich zu ihr geeilt.« Sobald ich dann wieder in Paris war, ließen Sophie und ich uns die entsprechenden Filmmeter von der BBC kommen. Und da konnten wir feststellen, dass Paul eben doch die Wahrheit gesagt hatte und dass Kurt tatsächlich der Einzige gewesen war, der sich aufgemacht hatte, um die junge Mutter aus der Schusslinie zu holen.
     Während der Dreharbeiten zu diesem Film und auch während des Schnitts flüchtete ich mich, um dem Kriegsgeschehen zu entgehen, wie so oft wieder nach Adelboden in der Schweiz. Eine junge Darstellerin, der der Unterschied zwischen Fiktion und Dokumentarfilm wohl nicht ganz klar war, hatte mir ihr Photo geschickt. Sie war sehr hübsch. Und so sagte ich mir, warum sollte ich stets nur mit einer Cutterin auf Reisen gehen? Warum nicht mit dieser jungen Frau? Dieses Vorhaben wurde dann sehr rasch in die Tat umgesetzt. Ich fuhr also mit dem Auto los, um sie in einer kleinen Stadt in der Nähe von Lyon abzuholen. Dort lag in einem Krankenhaus ihr Vater im Sterben, und wir statteten ihm einen Besuch ab. Gleich darauf brachen wir zur Bettmeralp auf, zum Skifahren. Zu jenem Zeitpunkt waren wir gerade unterwegs nach Bukarest, und ich versuchte, in Österreich einen Konsul aufzutreiben, der sich bereit erklären würde, uns bei der Einreise nach Rumänien behilflich zu sein. Oben am Bettmerhorn-Gipfel gibt es eine blaue Piste, die eine sehr leichte Abfahrt zur Riederalp ermöglicht. Es war herrlichstes Wetter, und auf dieser Piste umfäht man eine alte Villa, in der Winston Churchill mehrmals hintereinander die Sommerfrische verbracht hatte. Ich sagte: »Schau mal, da unten hat Churchill gewohnt.« Und sie antwortete mir: »Churchill, wer ist das denn?« Ich glaube behaupten zu können, dass unsere Liaison damit beendet war. Dennoch sind wir befreundet geblieben. Wie so zahlreiche andere junge und hübsche Frauen träumte sie ständig davon, einen Millionär zu ehelichen. Mir ist nicht bekannt, ob es ihr inzwischen gelungen ist.
     Als dieser Film, mein vorletzter, dann endlich fertig geworden war, gab es, einmal mehr, begeisterte Besprechungen. Die Kritik, die mir von allen am liebsten ist, war ein Brief, den mir Bertrand Tavernier geschrieben hatte, kaum dass der Film in die Kinos gekommen war. Daraufhin verlangte ich, dass man ihn den Kinozuschauern als Aushang gleich am Kinoeingang zugänglich machte.


Mit freundlicher Genehmigung des Ullstein Verlags

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