Vorgeblättert

Leseprobe zu Milan Füst: Die Geschichte meiner Frau. Teil 1

19.11.2007.
Daß mich meine Frau betrog, vermutete ich längst. Aber daß sie es mit dem trieb ... Ich bin sechs Fuß und einen Daumen groß und wiege zweihundertzehn Pfund, bin also, wie man zu sagen pflegt, ein regelrechter Riese, den Knirps brauch ich nur anzuspucken, dann kippt er um.

So dachte ich anfangs über Monsieur Dedin. Aber eigentlich sollte ich nicht damit beginnen. Nur packt mich noch jetzt die Wut, sowie ich an ihn denke.

Ich weiß, es war nicht richtig, daß ich überhaupt geheiratet habe. Schon allein, weil ich viel zuwenig mit Frauen zu tun hatte, ich war von Natur kalt. Wenn ich auf meine frühe Jugend zurückblicke, zeigt sich mir an Erlebnissen auf dem Gebiet der Liebe kaum mehr als folgendes: Ich war vielleicht dreizehn Jahre alt, als ich einmal in der holländischen Stadt Sneek, nicht weit von Friesland - dort wohnten wir damals -, in einem Park herumstand. In dem Park saß eine Erzieherin mit einem kleinen Kind, und sie fuhr das Kind an: "Veux-tu obeir, veux-tu obeir?"

Das gefiel mir sehr. Und sie sagte auch noch zu ihm: "Vite, vite, depêche-toi donc."

Auch das fand ich sehr schön. Möglich, daß ich schon damals den Entschluß faßte, eine Französin zu heiraten. Kurz und gut, ich hörte diese süße Melodie mit Vergnügen und ging dann, gleichsam einer göttlichen Eingebung folgend, an den Rand des Parks, riß ein Blatt aus meinem Notizbuch und schrieb auf holländisch (denn französisch schreiben konnte ich noch nicht, auch sprechen nur schlecht, ich verstand gerade, was man sagte): Greppel, greppel - diese zwei Wörter schrieb ich auf das Blatt. Sie bedeuteten: Gehen wir ein bißchen in den Graben. Dort in der Nähe war nämlich ein ziemlich großer grasbewachsener Graben. Das Blatt in der Hand, ging ich zu der Gouvernante zurück, stand, wie wenn man mich als kleinen Jungen zum Kaufmann etwas holen geschickt hatte, sanft vor ihr und sah sie freundlich an. Ich hielt ihr das Papier hin.

Sie dachte, ich sei verrückt geworden.

Das Wort verstand sie, aber sie wurde nicht klug aus der Sache. Ich war sehr groß für mein Alter, man hätte mich für achtzehn Jahre halten können, aber ich trug kurze Hosen und Wadenstrümpfe, und ich hatte eine schöne blaue Matrosenbluse an, meine Mutter hatte mir am Morgen noch den Schlips gebunden. Damals hatte ich noch rote Wangen, allerdings waren auch meine Ohren rot; obendrein waren sie auch sehr groß, aber ich hatte weiße Zähne und mutige Augen - ich war ein Junge mit treuherzigem Blick. Und ich war auch gar nicht verdorben, wirklich nicht. Woher ich plötzlich den Mut genommen hatte, so etwas hinzuschreiben, weiß ich noch heute nicht.

Die Gouvernante starrte mich an und verschlang mich fast mit den Blicken.

"Que c?est-ce que tu veux?" fragte sie.

Und ich schämte mich auch da nicht. Ich stand freundlich vor ihr, dann lief ich fort. Und so machte ich es am nächsten und auch am dritten Tag.

Die Gouvernante bog sich schon vor Lachen, wenn sie mich von weitem mit meinem Notizbuch kommen sah. Sie hielt sich die schlanken Seiten, so mußte sie lachen. Und das kleine Kind, das sie bei sich hatte, lachte auch. Ich stand nur da, sah sie beharrlich an und wich nicht von der Stelle.

"Mon pauvre garçon", bedauerte sie mich, noch immer lachend, und dabei war sie flammend rot. "Eh bien, tu ne sais pas ce qu?il te faut", sagte sie mitleidig. Sie muß also eine erfahrene Frau gewesen sein. "Mein armer Junge", wiederholte sie, "du weißt nicht, was dir fehlt, nicht wahr?" Und staunend strahlte sie mir in die Augen wie die heiße Sonne, und sie kniff mich sogar in die Backe. Da lief ich wieder weg.

Endlich nahm sie doch Vernunft an. Warum nicht? wird sie sich wohl gefragt haben. Das kann keine Klatschgeschichte und auch sonst nichts Schlimmes nach sich ziehen. Und sie klügelte sich folgendes aus:
Der Graben - dieser Gedanke gefiel auch ihr. Nun war dort eine kleine Brücke, unter der wuchs Gesträuch und so allerlei; und da sie erfahren hatte, daß der Parkwächter nur zweimal am Tag vorbeiging, morgens um fünf und abends nach sieben Uhr - im übrigen war diese Gegend bei der großen Hitze meist menschenleer -, kam sie frühmorgens mit einem Korb oder einer Milchkanne in die Nähe des Brückchens zu mir gelaufen; noch so zerzaust und schlaftrunken kam sie, daß ich fast den Verstand darüber verlor. Man muß sich das vorstellen, ich war ein junger Bengel, und man spürte noch die Bettwärme an ihr.

Über mein Frühaufstehen log ich zu Hause etwas - meiner Mutter ging ich ohnehin nach Möglichkeit aus dem Weg, und so wandelte ich den ganzen Tag in der starken Sonne wie im Traum. Das dauerte einen ganzen Sommer lang. Damals bekam ich die Frauen satt.

Und doch ließ mir ein Jahr darauf mein Onkel, mein einziger lieber und aus der Art geschlagener Onkel, bei dem ich zu Besuch war, eine Hakenleiter machen, damit ich von meinem Zimmer in ein anderes, ein Stockwerk höheres Haus klettern konnte, wo jeden Tag eine wunderschöne Frau badete. Es war wieder Sommer, und sie ließ der großen Hitze wegen die Fenster ihrer Wohnung offen. Eines Tages stieg ich, zwischen Himmel und Erde schwebend, zu ihr hinauf aufs Fenstersims, und um ihr keinen Schreck einzujagen, flüsterte ich: "Ein kleiner Junge ist da."

Sie erschrak tatsächlich nicht, wurde nur sehr ernst in ihrem Bade. Sie kannte mich ja vom Sehen. Dann gab sie mir schweigend einen Wink, ich stieg vom Fensterbrett hinab, sie hatte verschleierte Augen und zog mich an sich.


In meiner Jugend hatte ich nur diese beiden erwähnenswerten, wenn auch, wie ich zugeben muß, recht plumpen Abenteuer mit Frauen. Was es sonst noch gab, darüber lohnt es nicht zu reden. Ich kümmerte mich nicht um Frauen und lachte alle aus, die nach ihnen lechzten ... Ich hatte allerlei ungestalte Gedanken über sie, beispielsweise dachte ich: Wie stolz sie da in den Restaurants sitzen, wie sie den Kopf hoch tragen, dabei weiß ich doch so manches von ihnen. Und dergleichen mehr. Meine Auffassung von dem, was ein Mann mit ihnen zu tun hat, war sehr einfach. (Wie ja manche junge Leute sich das sehr einfach denken.) Frauenangelegenheit, was ist das schon - dachte ich.

Dagegen interessierten mich die Speisen mehr und mehr, besonders als sich mir auf meinen Reisen immer neue Welten auftaten. Einer meiner Bekannten, General Piet Mengs, riskierte einmal vor meinen Ohren die Bemerkung, der Mensch sei das größte Schwein, weil er von allem fresse. Nun, ich bin ganz entgegengesetzter Meinung. Denn ebendadurch hat er ja jeglichen Geschmack und jeglichen Nutzen der Erde entdeckt; und ich bin auch überzeugt, daß man, wenn man die Seele der Völker kennenlernen will, vor allem von ihren Speisen essen muß.

Ich habe es so gemacht. Und es gibt kein gedörrtes Hammelfleisch, sollte es noch so gepfeffert sein und brennen wie der Sand der Sahara, das ich nicht gegessen hätte. Ganz zu schweigen von dem, was man alles aß, wenn man durch einen Basar ging, wo die offenen Herde der Volksküchen standen und alle möglichen Braten brutzelten, oder in Persien inmitten der quellenden Teige der Pastetenbäcker - die Mehlspeisen der Mohammedaner sind wirklich wirklich vorzüglich. Sie bereiten sie auch fein zu, schmackhaft und schier, in sauberen Schürzen und auf heißen Bronzeplatten - da saugt man sich ganz voll mit dem Duft, monatelang kann man ihn nicht vergessen. Ich war imstande, den lieben langen Tag dort zu sitzen, wenn ich nichts anderes zu tun hatte. Das war meine Erholung. Ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen als dieses Treiben, die fremde, bunte Bewegtheit, das Lachen und die Sprache dieser Leute, die ich nicht verstand. Wenn mich das alles schließlich verwirrte, ließ ich mir von ihren Speisen etwas holen, dann sah ich wieder versonnen zu.

Meine Kameraden nannten mich ein Ungeheuer, eben weil ich alles aß, aber auch noch aus einem anderen Grunde. Weil es keine Arbeit gab, die ich nicht übernahm. Ich machte alles.

Was machte es schon für mich aus, wenn ich mich drei oder vier Monate lang abrackern mußte. Und die Herren Schiffseigentümer wußten das.

"Büffel", sagte einer von mir, ein Kerl namens Ebertsma- Leiningen, über den ich mir oft eins gelacht habe, weil ich stets eine Stellung hatte, er aber nie.

Na schön, Büffel - dachte ich mir -, das ist eine sehr brauchbare Gattung. Und ich konnte noch etwas, was kein Büffel kann: nicht essen und nicht schlafen, wenn es darauf ankam. Kurz, mir war nichts zuviel, wenn es um Arbeiten oder Entbehren ging; hingegen war mir nichts genug, wenn ich mich einmal wohl fühlen wollte; ich überschritt alle Grenzen, die man nur überschreiten kann, in Ausschweifungen ebenso wie in Anstrengungen. Doch wie weit liegt diese Heldenzeit zurück! Als ob ich nicht derselbe wäre, höre ich mir dieses Märchen an. Ein wenig traurig auch, das leugne ich nicht.

Von meiner Seele dachte ich nur: "Eine schmerzliche Zugabe." Weiter nichts.

Dafür aber bin ich früh Schiffskapitän geworden. Mir waren noch kaum die Eckzähne gewachsen, als man mir schon Ladungen anvertraute, die ein Vermögen wert waren, allerlei. Zwischendurch machte ich auch auf eigene Hand Geschäfte, kleine Spekulationen und so weiter. Dazu hat man die Möglichkeit. Ich wurde ganz hübsch wohlhabend. Noch keine dreißig Jahre war ich alt und besaß schon ein ansehnliches Vermögen.

Da erlitt ich aber einen kleinen Unfall, nicht einmal einen kleinen, sondern einen großen. Auch mich ereilte das Schicksal der Seeleute: Ich wurde magenkrank. Mir war, als hätte ich einen Panzer um den Bauch - ich konnte nicht essen. Das kam so:
Wir lagen gerade in Neapel vor Anker, und ich kaufte dort in einer vorzüglichen Delikatessenhandlung ordentlich ein. In Italien ist mir das Einkaufen überhaupt ein Genuß, die Verkäufer haben immer gute Laune, und die Geschäfte sind gut ausgestattet. Auch in diesem Geschäft gab es allerlei Verlockendes: sehr feinen Schinken, die verschiedensten Geflügelsorten, von Lerchen, Amseln und Wachteln bis zu ansehnlichen Enten alles Erdenkliche, und zwar teils schön braun gebraten, teils roh; im letzteren Fall angenehm gelb, die Köpfe unter den Flügel gesteckt. Sie sahen aus, als wären sie dazu geschaffen, gemästet auf der Marmorplatte zu schlummern. Ich hätte sie mir stundenlang ansehen können, ebenso die vielerlei Kringel, Nüsse, Weintrauben, die Pyramiden von Äpfeln und Maronen, aber auch die Flaschen alter Ausbruchweine, die einen - wieso, das kann ich nicht sagen - immer an lustige alte Weiber erinnern.

Ich wählte also von dem etwas, von jenem etwas, stellte ein ordentliches Paket zusammen, ließ meine Banknoten knistern, und dann mochten die Paketchen flüstern. Es macht mir immer besonderen Spaß, wenn ich schon auf der Straße gehe und die Pakete an meiner Seite ihre vielfältigen Gespräche führen. So etwas habe ich gern. Damals aber überlegte ich es mir anders. Warum soll ich die Pakete schleppen? Ich lasse sie mir schicken. Ich habe sowieso noch in der Stadt zu tun, und unterwegs lade ich mir ein paar gute Bekannte aufs Schiff ein. So geschah es.

"Ah, ah, Jacopo, carissimo amico mio" und dergleichen riefen mir die Italiener überlaut zu, wo immer ich den Kopf durch ihre Bürotüren steckte, und sie breiteten sogar die Arme aus. Die Italiener lieben den Trubel, den sie selber machen, das ist ja bekannt - überdies wußten sie auch, daß es nicht zu verachten war, wenn ich jemanden zum Abendessen einlud.

Unterwegs kam mir aber ein Gedanke.

Ah, ich esse vorher noch etwas - dachte ich -, und da ich mich gerade in der Gegend des Posilippo befand, kehrte ich dort irgendwo ein. Dicht am Wasser gab es nämlich ein angenehmes kleines Gasthaus, schon ziemlich weit draußen auf dem Damm, wo um diese Zeit kein Mensch mehr hinkam. Es war still ringsum, ich fand das alles sehr verlockend. Und ich nahm dort mit italienischen Burschen zusammen eine tüchtige Vespermahlzeit ein. Sie aßen eine Sorte billige Muscheln, dazu ein wenig Weißbrot und tranken Wein dazu: Ich schloß mich ihnen sofort an. Und wir plauderten auch recht angenehm. Die Muscheln glucksten in den mit Wasser gefüllten Eimern, wenn wir sie abspülten, und alles rings um uns war so sauber: der Steindamm, auf dem wir saßen, das Meer und das Leben - und die Herzen waren so freundlich. Und obendrein ging bald darauf, dem Posilippo gegenüber, rot die Sonne unter.

Na, das hat mir gutgetan, und es war auch schön - dachte ich mir und reckte und streckte mich. Und da ich es von jeher liebte, mich ein wenig zu verstellen, bildete ich mir ein, ich sei nicht ich, sondern ein ermüdeter Weltumsegler, der seinem Herzen Rast gönnen will, und solches Zeug. Ich zahlte also auch den Verzehr der Burschen, worauf sie mir zu Ehren aufstanden. (Die Italiener machen gern Hokuspokus.)

Teil 2

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