Vorgeblättert

Leseprobe zu Zsófia Bán: Als nur die Tiere lebten. Teil 1

10.03.2014.
Armani und die Liebe


Was sollte das heißen, ihre Niere sei nicht gut genug. Oder ihre Leber. Sie hätte den schleimigen kleinen Doktor am liebsten getreten. Wenn es überhaupt ein Doktor war und nicht nur so ein gelackter Salonbube. Ein Wurmfortsatz. Was weiß der schon?! Er hat sie ja nicht einmal untersucht! Wie kommt der dazu, ihr einfach so, vom Hinsehen, zu sagen, sie sei nicht geeignet. Nicht gut genug. Der würde sich freuen, wenn er in ihrem Alter noch so ein Herz, Niere, Leber hätte. Alle zehn Metzgerfinger würde er sich danach lecken, soviel ist fix. Wenn er dann mit vierzig einen Herzinfarkt kriegt und ins Gras beißt, würde er sich freuen, wenn er so ein Herz bekommen könnte, ein achtundsiebzig Jahre altes Herz, das weiß, was es zu tun hat, weiß, was es warum macht. Wohin der Weg geht. Verlässlich, wie ein Schweizer Uhrwerk. Wie kann einer so unverschämt sein?!Wie kann er den Leidenden, die sich Hoffnungen machen, so eine gute Niere, so ein gutes Herz, so eine gute Leber vorenthalten. Sie hat nie im Leben einen Schluck Alkohol getrunken, ihre Leber ist wie der Schmetterlingsstaub der Jungfrauen. Na gut, manchmal, bei größeren Betriebsfeierlichkeiten, aber nur symbolisch, sozusagen nur für den Moment des Anstoßens. Von der Lunge ganz zu schweigen, nicht eine einzige Zigarette, es hat völlig ausgereicht, das einzuatmen, was der Ernő von sich gegeben hat. Wie ein Fabrikschlot, diese kleinen Zigarren, wie hießen die noch gleich, ach so, ja, Parsifal, was juckt die die Kunst, denen war doch nichts heilig. Na, man hat sie dann auch ins Nirvana hinüberkomplimentiert. Obwohl, die Bagage, die jetzt dran ist, ist auch keinen Deut besser, aber jetzt kann man wenigstens auf BBC umschalten, wenn man sie nicht hören will, wenn's nichts nützt, schadet's wenigstens nicht. Und dann kommt so ein kleiner Niemand, so ein entsprungener Jungkommunist, der mit Schaum vorm Mund Kommunist und Jude schreit, sonst darf er gar nicht ins Krankenhausbuffet rein, und sagt einfach so, vom Hinschauen, Sie sind zu alt. Und dass sie sowieso nicht dafür zahlen würden. Aber sie hat sehr wohl gelesen in so einer Frauenzeitschrift, oder war's das Story Magazin, egal, dass es sehr wohl Tarife dafür gibt und dass man für Organe von guter Qualität zahlt, und zwar im voraus. Kann sein, im Artikel ging es nicht direkt um hier, aber wenn sie das woanders machen, dann machen sie's auch hier bei uns, warum auch nicht, jetzt, da wir zur Eurounion gehören, wozu sonst das Ganze, wenn die Dinge trotzdem nicht überall gleich klappen. Und mit einem Mal kam sie dahinter, dass das die Lösung war. Dass sie davon leben wird. Weil, von der Rente geht das nicht, die reicht von Haus aus nicht einmal für die Medikamente. Ganz abgesehen davon, dachte sie, dass in dem gottverdammten Haus, in dem sie jetzt wohnt, geklaut wird, man kann nichts so verstecken, dass sie's nicht finden. Besonders die Gréti und ihre Bande. Sie selbst weiß gar nicht mehr, was sie wohin versteckt hat, aber dass die es finden, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Wohin sonst verschwindet denn immer ihre eiserne Reserve. Und dann kommt dieser kleine Gesichtsmösenträger daher und sagt ihr, dass sie nicht zahlen. Und, überhaupt, dass ihre Organe zu nichts mehr gut sind. Fast hätte sie ihrerseits dem Arschgesicht mitgeteilt, welches seiner Organe zu nichts gut ist, obwohl, wenn sie's recht bedenkt, hat sie es doch mitgeteilt. Und deswegen bekam der so einen lila Kopf. Allein schon dafür hat es sich gelohnt. Zu sehen, wie ihm seine pomadige Birne weggeflogen ist. Er hat sie sogar angebrüllt, sie, eine weißhaarige alte Dame. Ja, woher hat man den denn entkommen lassen, von der Weide?
     Hier erst merkte sie, dass sie sich irgendwie zu leicht fühlte, dass jenes gewohnte, beruhigende Gewicht nicht mehr da war, das immer dafür gesorgt hatte, dass sie spürte, sie war noch am Leben, dass sie wusste, sie hielt sich immer noch im Reich der Schwerkraft auf. Ihr kleiner fleckiger Foxterrier mit dem glatten Fell schlief immer bei ihren Füßen, sie erwachte stets von den Bewegungen des Hundes, doch nun war er nirgends. Kann es sein, dass nicht nur ich gestorben bin, sondern auch die Jolie? Kann es sein, dass man uns um die Ecke gebracht hat? Oder nur ich bin um die Ecke gebracht, und die Jolie haben sie mitgenommen, sie zu sich gelockt, bestimmt war es wieder die verdammte Gréti, die war doch schon seit einer ganzen Weile scharf auf den Hund, ich hab's doch gesehen, dachte sie, wie sie ihn immer angeglotzt hat im Gemeinschaftsraum, mit ihren sehnsüchtigen Glotzaugen, ich hab auch zu ihr gesagt, neulich, warum schaffst du dir keinen Hund an, Gréti, worauf die, mit ihrer zitternden, speicheltropfenden Stimme, dass sie so einen Süßen wie die Jolie sowieso nicht finden würde, nicht wahr, meine kleine Jolie, meine süße kleine Maus, ich dachte, ich kotze gleich, was muss sie ständig an meinem Hund herumfummeln, sie soll ihre Griffel von ihr lassen, ich kenne ihre Sorte, macht einen auf süßlich, schleimt herum, hechelt dir lauter Komplimente ins Ohr, und dann fällt sie dir bei der ersten Gelegenheit in den Rücken, spannt dir den Mann aus, kauft sich den Hut, den sie in der Oper an dir gesehen hat, schwärzt dich bei der Gestapo an, verbreitet über dich, du hättest Tripper, egal, Hauptsache, sie kann schaden. Ganz sicher, dass es die Gréti war, dachte sie, sie hat die arme Jolie um die Ecke gebracht, nur, um mir zu schaden, aber ich werde das nicht auf sich beruhen lassen, ich werde sie aus dieser miesen Absteige rausschmeißen lassen, dass ihr furunkeliger Rücken nur so auf den Asphalt kracht, was bildet die sich ein, dass immer noch die Kommunisten grassieren und sie als Personalobertante herumschlaumeiern kann, na, hier ist sie weder Obertante noch Personal, sie ist nicht einmal eine Person. Eine Null! Ein Nonentiti! Sie hat sogar das ßänkju von uns Schreibkräften tippen lassen, damit sie's nicht falsch macht, ein Wurm ist sie, den ich zertreten werde, wenn ich erst meine Pantoffeln gefunden habe, und damit setzte sie sich im Bett auf und ließ die Füße über dem kalten Fußboden baumeln. Es war kalt, hundekalt. Apropos Hund. Scholiiiiiiiiiie, schrie sie mit ihrer trommelfellzersetzend scharfen Stimme, von der selbst die härtesten Telefonsachbearbeiter sofort Gewehr bei Fuß standen und sie weitervermittelten, wohin sie auch wollte. Aber das war schon lange her, sie telefonierte nicht mehr viel, wen hätte sie auch anrufen sollen. Nur die Auskunft, um gewisse Adressen herauszufinden. Zum Beispiel die Adressen der Kliniken, denn ihr Telefonbuch hatte die Jolie zerkaut, war eh von 1987. Wo mag dieser gottverdammte Köter sein!
     Bekleidet mit einem Nachthemd von zweifelhafter Sauberkeit bahnte sie sich ihren Weg durch das Gerümpel und den Abfall, der ihre Wohneinheit gleichmäßig überwucherte, Richtung Eingangstür. Sie warf nichts weg, alles bewahrte sie auf, sammelte, es könnte noch gut sein für etwas, vielleicht kann man es zu Geld machen, alte Zeitungen, leere Kefirbecher, Bücher, Postkarten, Drehverschlüsse, leere Batterien, Fotos, Briefe, zerfetzte, abgetragene Kleidung, Wörterbücher, Bierdeckel, Restaurantspeisekarten, alte Programmhefte und leere Hundefutterkonserven bildeten große Haufen - Schwemmgut eines nicht wiederverwertbaren Lebens. Dennoch war die Wiederverwertung ihr Steckenpferd. Sie konnte sich nicht mit der Tatsache abfinden, dass die Dinge einmal aufhören zu existieren, genauer gesagt, zu funktionieren, auf irgendeine Weise nützlich zu sein, denn das kann nicht sein, dass man etwas, egal was, irgendeine Kleinigkeit, nicht in irgendeiner Form wieder verwenden könnte, dachte sie, denn dann müsste man doch tatsächlich alles vernichten. Und nun, da sie schon alles verkauft, zu Geld gemacht und das Geld ausgegeben hatte, war dieser Gedanke ihre letzte Zuflucht, ihre Hoffnung, es könnte sich alles noch zum Guten wenden oder wenigstens zum Besseren. Denn eines Morgens war ihr endlich die Lösung eingefallen, eine prächtige Idee, die ihr ganzes Leben in Ordnung gebracht hätte, und dann scheucht sie so ein kleiner Popelfresser einfach davon. Sie wird das nicht auf sich beruhen lassen. Sie wird heute zu einer anderen Klinik gehen, wenn nur der gottverdammte Hund sich wieder anfände. Sie brüllte in den Hausflur, Scholiiiiiiie, woraufhin alle erschrocken die Köpfe aus ihren Höhlen steckten, das ist auch so lächerlich, dachte sie, sie sind wie die Exemplare im Zoo, alle sitzen in ihren Käfigen herum und kommen nur zur Fütterung hervor. Auf das Gebrüll hin steckte auch die diensthabende Schwester den Kopf heraus.
     Was ist los, Margólein? Sie wissen doch, dass wir ihn zu dieser Zeit immer schon rauslassen in den Garten, sonst pieselt er Ihnen da drin doch alles voll.
     Wieso, wie spät ist es?
     Gleich halb elf.
     Warum sagen Sie das nicht gleich, lassen mich hier herumbrüllen, könnten Sie mir nicht ein anständiges Schlafmittel geben, von dem ich auch wieder wach werde und mich nicht so fühle, als wäre die Matthiaskirche auf mich draufgefallen?! Ich hätte heute was Wichtiges erledigen müssen, und da, der halbe Tag ist schon wieder vorbei, aber was interessiert Sie das schon.
     Sie schlurfte in ihr Zimmer zurück, um sich anzuziehen.
     Freiwillig hatte sie die Wohnung in der Budaer Villa, wo sie zweiundvierzig Jahre verbracht hat, sicher nicht aufgegeben, aber ihre Rente war so niedrig, dass sie kaum für das Essen für die Jolie reichte, geschweige denn, dass man die Nebenkosten hätte bezahlen können. Vom Fleischer erbettelte sie manchmal ein bisschen Hühnerklein zum Anschreiben, aber vergebens winkte der Herr Tibi ab, sie müsse es nicht bezahlen, sie bestand darauf, ihre Rechnung jedes Mal am Monatsanfang zu begleichen. Und dann kam ein Winter, als die Straßen so zugefroren waren, dass sie es kaum schaffte, bis zur Bushaltestelle zu eiern, und als sie dann einsteigen wollte, rutschte sie aus. Margólein, Sie sind besser als der Schwarzenegger, sagte der Arzt zwei Monate später schulterklopfend, als er ihre Entlassungspapiere unterschrieb, aber Margó wusste, wenn sie nach einem Oberschenkelhalsbruch mit achtundsiebzig Jahren auch mehr oder weniger wieder hergestellt war, dies war das Ende. Sie wird die Wohnung in Buda aufgeben müssen und in das gottverdammte Heim ziehen.

zu Teil 2
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