Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.08.2002. FAZ und SZ beschreiben die Flut als Rache der Natur. Die NZZ porträtiert Bogota. Und alle schimpfen über die selbstgerechte Musikindustrie auf der Popkomm

FAZ, 19.08.2002

Drei Texte zur Flut heute im FAZ-Feuilleton. Regina Mönch war in Fürstenberg und musste sich belehren lassen, warum man dort nicht spenden will: Wegen der Opfer der letzten Oderflut nämlich. "... viele, die sie verschonte, rechnen immer noch gern das, was sie selbst nie haben werden, gegen die Hilfe auf, die den Opfern zugute kam. Von Palästen ist die Rede, die sich da einige hätten hinstellen lassen, zehnmal soviel wert wie das, was die Flut zerstörte. Und von Geldbündeln, immer einige Tausender wert, die da ohne Quittung gleich über die Gartenzäune gereicht worden seien. Genaues weiß zwar niemand, aber es reicht, um die eigene Knausrigkeit damit zu begründen."

Der Schriftsteller Jörg Bernig sieht in der Flut die Rache der Elbe für Dreck und Gift, die Jahrzehnte in sie geleitet wurden. Und Eberhard Rathgeb hat den Pfarrer von Lenzen besucht, dessen Kirche ebenfalls überschwemmt zu werden droht.

Richard Kämmerlings kann die Klagen der Musikbranche auf der Popkomm nicht mehr hören. Seiner Ansicht nach ist die Krise hausgemacht: "Im Kern ist die Absatzkrise Folge verfehlter Schwerpunktsetzungen der Major Labels, die lieber in die aufwendige Klonierung von kurzweiligen und -lebigen Boy- und Girlgroups investieren, statt, wie Udo Lange von EMI richtig sah, mit langfristiger Betreuung von Künstlern mit Substanz einen werthaltigen Backkatalog aufzubauen."

Weitere Artikel: Verena Lueken hat amerikanische Zeitschriften gelesen, die sich mit dem drohenden Krieg gegen den Irak befassen. Und auf der letzten Seite porträtiert Dietmar Dath eine "vorbildliche Spionin, Intellektuelle und Dichterin des 17. Jahrhunderts": die Engländerin Aphra Behn (mehr hier, hier die Adresse der Aphra Behn Society und hier ein paar Gedichte). Behn schrieb unter anderem das Liebesgedicht "The Dream":

All trembling in my arms Aminta lay,
Defending of the bliss I strove to take;
Raising my rapture by her kind delay,
Her force so charming was and weak.
The soft resistance did betray the grant,
While I pressed on the heaven of my desires;
Her rising breasts with nimbler motions pant;
Her dying eyes assume new fires.
Now to the height of languishment she grows,
And still her looks new charms put on;
- Now the last mystery of Love she knows,
We sigh, and kiss: I waked, and all was done.

`Twas but a dream, yet by my heart I knew,
Which still was panting, part of it was true:
Oh how I strove the rest to have believed;
Ashamed and angry to be undeceived!


Besprechungen: Lorenz Jäger ärgert sich über das "schlechthin verkommene Deutsch" von Moritz Rinkes "Nibelungen", die Dieter Wedel in Worms inszeniert hat. Gerhard R. Koch hat sich die Uraufführungen von Hans Werner Henzes "Zehnter" und Frangis Ali-Sades "Märchen" in Luzern angehört und stellt wehmütig fest: "Selbst die Schweiz verjüngt sich." Weiter werden besprochen Genets "Les paravents" als Puppentheater in Salzburg, Joachim Schlörmers Tanzstück "Senza Fine" in Halle, das Rossini Opera Festival (hier die homepage) in Pesaro und Bücher, darunter Volker Perthes Studie über die neue arabische Welt (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 19.08.2002

Kaum sinken die Verkaufszahlen schreit der Pop nach der Politik: Gerrit Bartels notiert zur Kölner Popkomm: "Die Popindustrie benimmt sich in Zeiten der Rezession nicht anders als andere Wirtschaftszweige. Und die Politik fühlt sich auch in Sachen Pop aufgerufen, mitzureden und ökonomische Rahmenbedingungen genauso wie kulturelle zu diskutieren, wie ein Panel namens 'Pop und Politik' beweist. Bye-bye, Subversion, auch wenn das höchstens noch ein klitzekleiner Rest war. Pop braucht jetzt Hilfe von Politikern wie Steffen Kampeter (CDU) und Markus Engels (SPD), die sich als Little-Feat-Fans und HipHop-Kenner zu erkennen geben. So ist es kein Wunder, dass nach den gescheiterten Visonären Thomas Middelhoff (Bertelsmann) und Jean Marie Messier (Vivendi Universal), die in den Vorjahren die so genannten Keynotes hielten, in diesem Jahr Kulturminister Julian Nida-Rümelin bedächtige Worte an die Gemeinde richtet: zur Popmusik und Pop im Allgemeinen und der kulturellen Vielfalt des Marktes im speziellen."

Michael Nungesser widmet sich der deutsch-deutschen Ausstellung "Klopfzeichen" in Leipzig, Brigitte Werneburg denkt in der Reihe "das personal der wahl" über das "identitätspolitische Konzept" von Katherina Reiche nach.

Und schließlich Tom.

FR, 19.08.2002

Auch die Rundschau zieht eine Bilanz der Popkomm. Elke Buhr beklagt die fehlenden Visionen der selbstgerechten Popindustrie: "Die Herren waren sich einig: Die Tatsache, dass die Umsätze wieder um über zehn Prozent gesunken sind, der Absatz von Singles sogar um über 20 Prozent, habe einzig und allein mit der verbreiteten Praxis des CD-Brennens und der unbezahlten Downloads aus dem Internet zu tun. Man müsse den jugendlichen Musikpiraten endlich vermitteln, dass Kopieren Diebstahl sei. Man brauche technischen Kopierschutz und die gesetzliche Handhabe, um illegales Kopieren zu verfolgen - damit sei man mit der Novelle des Urheberrechts auf dem richtigen Weg. Schüchterne Fragen aus dem Publikum, ob man sich nicht auch an die eigene Nase fassen solle, wurden rigoros abgebügelt. An ihren zusammengecasteten Billigstars für eine Saison äußerten die Majors wenig Zweifel; schließlich habe auch Madonna bei ihrem gepiepsten 'Holiday'-Debüt wie eine Eintagsfliege ausgesehen."

Mit Blick auf die Flut fragt sich Christian Thomas, wie lange sich die Risikogesellschaft wohl mit der Havarie mit der Natur aufhalten wird. Die Kolumne times mager widmet sich der Angst, auf dem Anrufbeantworter keine Nachricht zu haben.

Besprochen
werden: Dieter Wedels Reanimationsversuch der "Nibelungen" in Worms. Und Politische Bücher: Etwa Elisabeth Niejahrs und Rainer Pörtners Anmerkungen zu "Joschka Fischers Pollenflug und andere Spiele der Macht", der Sammelband "Themen der Rechten. Themen der Mitte" oder Ralf Dahrendorf Analyse "Die Krisen der Demokratie".

NZZ, 19.08.2002

Das "Athen Mittelamerikas" wurde Bogota einst genannt. Das ist lange her, schreibt Knut Henkel in seinem Portrait der Stadt. Eine lebendige Kunstzene gebe es zwar immer noch, allerdings nur im Ostteil. Jenseits der 72. Straße dominieren Armut, Chaos und Kriminalität. "Die Demarkationslinie teilt die kolumbianische Hauptstadt in den reichen Osten und den armen Westen. Kaum jemand aus dem Ostteil überquert diese Grenze, denn der Westen steht für Armut und Kriminalität. Selbst für viele Taxifahrer sind deren wild wuchernde Stadtviertel unbekanntes Terrain."

In Österreichs Museenlandschaft, da tut sich was, berichtet uns Paul Jandl. Seit die Museen wirtschaftlich eigenständig sind, boomt das Gewerbe. So stark, dass Kritiker schon vor einem Crash warnen. "Sie glauben, dass sich, wie in der übrigen Wirtschaft auch, der Markt bereinige und es damit vielleicht manche der heutigen Museen und Ausstellungsorte bald nicht mehr geben werde. 'Wer will das alles sehen?', hat die ehemalige Kulturstadträtin den Wiener Hype mit einem Einwurf kurz gestört."

Besprechungen: Peter Hagmann schildert seine Eindrücke von einem Tag auf den Musikfestwochen in Luzern, wo auch Jürg Huber das Met Orchestra unter James Levine (hier mehr) genießen durfte. Henrike Thomsen hat die Nibelungen-Festspiele in Worms besucht, während es Walter Labhart nach Moskau in die Tretjakow-Galerie verschlagen hat. In Brünn hat sich Hubertus Adam eine Ausstellung über den tschechischen Maler Antonin Prochazka angesehen, Stefan Templ annonciert die Werkschau des Architekten Ernst-Epstein im Jüdischen Museum in Wien.

SZ, 19.08.2002

Angesichts des von Schlammfluten umspülten Dresdner Zwingers nimmt Gottfried Knapp die Gewalt des Wassers das große Ganze in den Blick: "Wer die Bilder der verheerenden Flut in sich aufgesogen hat und die Erinnerung an die Mechanik all der früheren Vernichtungswellen, die über Dresden und die Region hinweggingen, nicht verdrängen kann, für den schrumpft unsere Welt wieder einmal auf die vier rachsüchtigen Elemente zusammen, auf die vier Ur-Stoffe Erde, Wasser, Luft und Feuer, die sich, wenn sie gereizt werden, gerne als Naturgewalten gebärden und den Kosmos mit schwer berechenbaren ägyptischen Plagen überziehen." Jens Schneider begutachtet derweil die Schäden, die die zurückgehende Flut hinterlassen hat.

Franziska Augstein sinniert über Jorge Sempruns ungeschriebenes Buch über seine letzten vier Jahre in der spanischen KP. Darin lesen wir folgenden schönen Satz der Autorin: "Mit der Verbreitung der Gewissheit, dass der Kommunismus eine Art Denkfehler gewesen sei, kam der Gesellschaft die Hoffnung abhanden." Osteuropäer würden es möglicherweise anderherum sehen!

Weiteres: Der Zürcher Stadtplaner Vittorio Magnago Lampugnani (mehr hier) fordert einen neuen Architekten, den er sich als Techniker, Künstler und Intellektuellen wünscht.

Holger Liebs war auf einer Tagung in Basel, die die Malerei so lebendig wie eh und jeh sah. Christopher Schmidt berichtet vom Edinburgh Festival, bei dem Thomas Ostermeier Jon Fosses neues Stück "The Gril on the Sofa" auf die Bühne gebracht hat und Susan Sarandon und Tim Robbins Trauerarbeit leisten. Oliver Fuchs sieht die Popkomm auch in diesem Jahr ganz bei sich, als "Leistungsschau für aufstrebende junge Bands und eine hochsommerlich vergnügte Party".

Besprochen
werden: Dieter Wedels Freilichtspektakel "Die Nibelungen" mit Mario Adorf, Maria Schrader und Uwe Friedrichsen vor dem Wormser Dom, die Uraufführung von Hans Werner Henzes zehnter Sinfonie in Luzern (mehr hier), eine Imi-Knoebel-Ausstellung in Hannover, Ellory Elkayems Monsterspinnenfilm "Arac Attack".

Und Bücher: unter anderen Lea Ritter-Santinis Essay "Ganymed", Rene S. Bloch Studie "Antike Vorstellungen vom Judentum", Julia Leighs Erzählung "Der Jäger" und Werner Rügemers Untersuchung zum Kölner Klüngel "Colonia Corrupta".