Heute in den Feuilletons

Mit Kindergeschrei beim Wippen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
06.05.2011. Jeremy Bernstein erinnert im Blog der NYRB an James Abbott, der Abbottabad nach sich selbst benannte und dann eines der schlechtesten Gedichte englischer Sprache dazu verfasste. Gawker rät ab von SaferHouse, der Wikileaks-Konkurrenz von Rupert Murdoch. Die Welt erklärt, warum die FAZ Osama Usama schreibt. Und: die niederländische Künstlerin Nadia Plesner darf jetzt hungernde Kinder mit Louis-Vuitton-Taschen malen.

Welt, 06.05.2011

Im Gespräch mit der Welt denken die Intendantin Amelie Niermeyer sowie die Schauspielerinnen Valery Tscheplanowa und Anna Bergmann über den größeren Erfolg von Männern im Theatersystem nach. Tscheplanowa erklärt sich diesen so: "Männer haben das Talent, Übersichtlichkeiten zu schaffen. Diese Fähigkeit, sich zurückzunehmen, auch emotional, gefällt mir als Spielerin sehr gut. Ich habe mich bei Jürgen Gosch unendlich wohlgefühlt, weil ich bei ihm keinerlei Anteilnahme gefühlt habe. Das gibt einem sehr viel Freiheit. Ich fühlte mich während der Proben allein, wie man sich auch bei der Aufführung allein fühlt. Weil Männer diese Distanz haben, ist das Inszenieren für sie vielleicht nicht so aufreibend."

Marc Reichwein kann erklären, warum die FAZ Osama bin Laden mit U und I schreibt, also, Usama bin Ladin. Die Transkriptionskommission der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft hat auf dem Orientalistenkongress in Rom 1935 eine entsprechende DIN-Norm vorgelegt, die für die hocharabische Vokalisation in der lateinischen Transkription nur drei Vokale vorsieht, nämlich A, I und U.

Weiteres: Hannes Stein erinnert anlässlich der CD "Koscher Nostra" an die große Zeit der jüdischen Gangster in den USA. Tilman Krause berichtet von der Tagung "Hamburger Begegnung", auf der über literarische Wirklichkeitsabbildungen diskutiert wurde. Gerhard Gnauck schreibt über die Partisanen in der Ukraine, die bis in die 50er Jahre hinein gegen die Sowjets kämpften. Stefan Koldehoff meldet, dass die Wiener Sammlung Leopold Egon Schieles "Häuser mit bunter Wäsche" verkaufen will.

Berliner Zeitung, 06.05.2011

Nikolaus Bernau kommentiert in einem kleinen Essay die deutsche Zerknirschung über den Tod Osama bin Ladens: "Bin Laden hätte vor Gericht gestellt und eingesperrt werden müssen, die 'Freude' von der christlichen Politikerin Angela Merkel über diesen Toten sei unangemessen. Auch er habe ein Recht auf Pietät. Alles richtig und wahr. Aber vor welches Gericht hätte man Bin Laden denn stellen können?"

FR, 06.05.2011

Nikolaus Bernau ist eigentlich ganz angetan von dem Entwurf für ein Einheitsdenkmals in Berlin, das Sasha Waltz mit Milla und Partnern entwickelt hat: "Es könnte mit Kindergeschrei beim Wippen und Skateboarden zum lebendigen Antipoden des sterbenslangweiligen Preußenkults werden." Der Politologe Matthias Sailer doziert über die angeblich bloß noch symbolische Funktion Osama bin Ladens in der Organisation Al Qaida (die durch jüngste Berichte in Frage gestellt wird, mehr etwa hier). Peer Schader berichtet auf der Medienseite, dass das ZDF auf der Suche nach einem Publikum außerhalb des Greisensegments die klassische Kultur aus dem bisherigen Theaterkanal entsorgt und diesen in ZDFKultur umbenennt.

Besprochen werden die große Max-Liebermann-Schau in der Bundeskunsthalle in Bonn, Christel Johannessens Tanzstück "Now She Knows" in Wolfsburg, Fabienne Berthauds Film "Barfuß auf Nacktschnecken" mit Ludivine Sagnier und Diane Kruger, Sasha Waltz' Inszenierung von Toshio Hosokawas Oper "Matsukaze"" in Brüssel.

TAZ, 06.05.2011

Trotz der Unterdrückungspolitik der iranischen Theokraten, die sich von den Aufständen in den Nachbarländern unbeeindruckt geben, blickt der Politikwissenschaftler Nader Hashemi optimistisch in die Zukunft: "Der Kampf der Ideen im Iran ist doch bereits entschieden. Liberale und demokratische Vorstellungen sind in der Zivilgesellschaft breit verankert. Und das Regime weiß das auch. Das Modell, an dem sich die Menschen orientieren, ist nicht Nordkorea, Birma oder der Sudan. Es sind die freien und demokratischen Gesellschaften des Westens."

Weiteres: Katrin Bettina Müller annonciert zu Beginn des Berliner Theatertreffens schon die Sieger: Shermin Langhoff und Herbert Fritsch. Besprochen wird eine DVD/CD mit kongolesischer Musik, "The Karindula Sessions". Hier gut sechs Minuten Hörprobe:



Und Tom.

Aus den Blogs, 06.05.2011

Das meistdiskutierte Ereignis der letzten Wochen war zweifellos der Hut, den Prinzessin Beatrice bei der Hochzeit von William und Kate trug. Er hat inzwischen eine riesige Fangemeinde im Netz, zum Beispiel auf dieser Facebook-Seite, die den Hut - übrigens von Philip Treacy - liebevoll umwandeln oder neu dekorieren. Inzwischen hat auch die amerikanische Regierung bei Treacy geordert:



Abbottabad ist nach einem Briten benannt, dem Major James Abbott. Und er hat ein Gedicht auf die nach ihm selbst benannte Stadt geschrieben, das als eines der schlechtesten englischen Gedichte gilt, schreibt Jeremy Bernstein im Blog der New York Review of Books: "Abbott had gone to India at age sixteen as a member of the Bengal artillery and made a name for himself on the northwest frontier, which borders Aghanistan. When the Hazra region in which Abbottabad resides became British Abbott was appointed deputy commissioner in 1849. He seems to have named Abbottabad, which he uses in the poem, after himself."

Rupert Murdochs Wall Street Journal gründet eine Wikileaks-Konkurrenz namens SafeHouse. Dort sollen Informanten Material hochladen. Aber so safe ist dieses House nicht, meint Gawker und zitiert aus den AGB des neuen Instituts: "Except when we have a separately negotiated confidentiality agreement? we reserve the right to disclose any information about you to law enforcement authorities or to a requesting third party, without notice, in order to comply with any applicable laws and/or requests under legal process..."

Die niederländische Künstlerin Nadia Plesner darf sich in ihrem Gemälden mit Louis-Vuitton-Taschen auseinandersetzen hat nach einer Meldung von mediareport.nl ein Gericht in Den Haag entschieden. Der Fall wurde international bekannt, weil der Konzern LVMH mit Copyright-Argumenten gegen die Bilder Plesners geklagt hatte.

NZZ, 06.05.2011

Hanne Weskott blickt zu ihrem 175-jährigen Bestehen auf die Geschichte der Alten Pinakothek in München zurück. Urs Hafner durfte an der Tagung "Verlangen nach Vollkommenheit" in der kultivierten Atmosphäre der Villa Vigoni am Comersee teilnehmen. Gabriele Detterer stellt ein neues Gebäudekonzept des Basler WohnWerks für geistig Beinderte vor. Jenny Berg porträtiert das L'Orfeo-Barockorchester aus Linz, Peter Hagmann hört Aufnahmen des Dirigenten Michel Plasson.
Stichwörter: Linz, München, Alte Pinakothek

SZ, 06.05.2011

In New York wurde Ai Weiweis Skulptur "Circle of Animals/Zodiac Heads" enthüllt. Unversehens war, wie Jörg Häntzschel berichtet, eine ziemlich politische Angelegenheit daraus geworden: "Bürgermeister Bloomberg, der sonst gerne vage bleibt, begann seine Rede: 'Es ist beunruhigend, dass wir nicht wissen, wo er ist und wann er freigelassen wird.' Und er verurteilte das chinesische Regime dafür, dass es 'Meinungsfreiheit nicht wertschätzt und nicht schützt'. New York sei schon immer eine Zuflucht gewesen für die, denen 'dieses elementarste Menschenrecht' anderswo nicht zugestanden werde. Kollegen wie Julian Schnabel, Brice Marden und Shirin Neshat verlasen dann Texte des Künstlers."



Weitere Artikel: Laura Weissmüller wünscht Daniel Libeskind und der liberalen jüdischen Gemeinde Beth Schalom in München viel Glück bei ihren Plänen, im Stadtteil Lehel eine neue Synagoge zu bauen. Die katholische Kirche hat massive Mitgliederverluste und greift, wie Rudolf Neumaier beklagt, zu evangelikalen Methoden bei ihren Missionierungsversuchen. Alexander Menden stellt die Kandidaten für den Turner-Preis knapp vor (mehr im Guardian). Über die endgültigen Pläne zur Schlingensief-Ausstellung bei der Biennale in Venedig informiert Catrin Lorch. Helmut Schödel berichtet über Wiener Überlegungen zur Reformierung des einst wichtigen "Nestroy"-Theaterpreises. Auf die Finanzprobleme, in die das online veröffentlichte Lexikon "Verfolgte Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit" geraten ist, macht Jens Malte Fischer aufmerksam. Martin Krumbholz kennt Staffan Holms Pläne für das Düsseldorfer Schauspielhaus.

Besprochen werden Sasha Waltz' Tanzchoreografie von Toshio Hosokawas Oper "Matsukaze" in Brüssel, der Stadttheateraustausch mit neuen Autostücken zwischen Barcelona und Stuttgart, Miklos Gimes Doku "Bad Boy Kummer" (mehr), Nicole Weegmanns Musikfilm "Schenk mir dein Herz" (mehr) und Bücher, darunter neue Taschenbücher und Jan Assmanns Studie "Religio duplex" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 06.05.2011

Vom New Yorker PEN-Treffen, das von Salman Rushdie organisiert war und die Frage nach der Rolle des öffentlichen Intellektuellen stellte, berichtet Jordan Mejias. Insgesamt war es nicht so aufregend, aber es wurden auch unangenehme Wahrheiten ausgesprochen: "Der chinesische Schriftsteller Yan Lianke scherzte nur allzu bitter: 'Wenn ich die Wahrheit sage, bringt mich mein Land um. Wenn ich sie nicht sage, bringt ihr mich hier in den Vereinigten Staaten um.' Aber dann sagte er doch, dass 99 Prozent seiner Landsleute mit dem reinen Überleben beschäftigt seien, aber nicht mit den Menschenrechten. Nur um sich gleich wieder über die Reaktionen zu Hause Sorgen zu machen. Es war bewegend, wie er bekannte: 'Ich bin eben ein Feigling.'" Der PEN hat die Veranstaltung übrigens ins Netz gestellt:



Jordan Mejias war auch bei der von Bürgermeister Bloomberg zu einer Solidaritätsadresse genutzten Enthüllung von Ai Weiweis Plastik "Circle of Animals/Zodiac Heads" in New York zugegen.

Weitere Artikel: Der amerikanische Physiker Michio Kaku zeigt sich als Atomkraft-Skeptiker und meint im Interview: "Wer Kernkraft will, muss Vorbereitungen für die angeblich unmögliche Jahrhundertkatastrophe treffen." Gar kein Verständnis hat Edo Reents für Innenminister Hans-Peter Friedrichs Rede von "Bestien", vor denen die Öffentlichkeit durch Sicherungsverwahrung geschützt werde. Eduard Beaucamp macht sich in seiner Kolumne Sorgen um den deutschen Museumsleiter-Nachwuchs. Auf der Medienseite fasst Aaron Y. Zelin (hier seine Website Jihadology) die Reaktionen der Islamistenszene im Internet auf den - dort teils angezweifelten - Tod Osama bin Ladens zusammen.

Besprochen werden der Auto-Theaterstück-Austausch zwischen Barcelona und Stuttgart, die Ausstellung zum "Schicksal" im Literaturmuseum Marbach, Fabienne Berthauds Film "Barfuß auf Nacktschnecken" (mehr) und Bücher, darunter allerlei, das zum 150. Geburtstag von Rabindranath Tagore erscheint (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).