Magazinrundschau
Herr Kafka war nie zu spät
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
01.07.2008. Im American Scholar erkennt Yaleprofessor William Deresiewicz die Nachteile einer Elite-Erziehung, als er seinem Klempner gegenübersteht. Al Ahram beschreibt die Scharlatanerie postmoderner Literaturkritik. Tygodnik Powszechny besucht die "Sacroexpo". In der New York Review of Books analysiert Zadie Smith den Supra-Kafka. Im Espresso erklärt Umberto Eco italienischen Ministerialbeamten den Vokativ. Im Merkur empfiehlt Heinz Schlaffer Kunstkritikern die Lektüre von Theokrits Idyllen. Die New York Times sucht Kinder in Europa.
American Scholar (USA), 01.07.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q161/A20975/americanscholar_neu.jpg)
Al Ahram Weekly (Ägypten), 26.06.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q73/A20988/ahram.jpg)
Weitere Artikel: Hani Mustafa fragt nach den Chancen eines unabhängigen ägyptischen Kinos auf dem Weltkino- und internationalen Festival-Markt. Samir Farid stellt den jungen ägyptischen Regisseur Ibrahim El-Batout vor, der als Gewinner in Taormina und Rotterdam ein Musterbeispiel eines solchen Erfolgs wäre - hätte er nicht in Ägypten Schwierigkeiten mit der Zensur.
New York Review of Books (USA), 17.07.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q20/A20977/nyrb_neu.jpg)
Aktuell widmet sich Thomas Powers der amerikanischen Politik, deren konfrontativer Kurs gegenüber dem Iran zum Scheitern verurteilt sei: "Glaubt irgendjemand außerhalb der amerikanischen Regierung, dass es sinnvoll wäre, sich Probleme in diesem Ausmaß aufzuladen?" Besprochen werden - von Stephen Greenblatt - zwei New Yorker "Macbeth"-Inszenierungen und Bücher über Witze, die klar machen, dass Lachen zwar ein universellen menschliches Phänomen ist, aber extrem kulturell bedingt. Gern gelesen hätten wir noch Deborah Eisenbergs Artikel über "Das Genie von Peter Nadas", aber den gibt's nur im Print.
Tygodnik Powszechny (Polen), 29.06.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q98/A20987/tygodnik_neu.jpg)
Eines der außergewöhnlichsten Fotografieprojekte der polnischen Nachkriegsgeschichte konnte man während des Festivals "Photomonth" in Krakau kennen lernen. "Zofia Rydets 'Soziologische Aufzeichnung' war einer der gewaltigsten Bilderzyklen mit einigen zigtausend Fotos - die genaue Anzahl kennt niemand. Im Alter von 68 begann die Arbeit daran, doch zu einer Publikation oder Ausstellung kam es nicht mehr." Fachkollegen waren dem Werk gegenüber etwas skeptisch, wegen seiner ausufernden Dimensionen und der kargen Ästhetik, schreibt Wojciech Nowicki. Gerade aber diese emotionale Ungezähmtheit und der titelgebende dokumentarische Charakter verleihen der Sammlung etwas Überzeitliches, so der Autor. (Einen deutschen Text zur polnischen Fotografie kann man hier nachlesen, einige Bilder von Rydet findet man hier).
New Yorker (USA), 14.07.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q19/A20982/ny.jpg)
Weiteres: Elizabeth Kolbert schildert den Sieg einer Gemeinde auf der dänischen Insel Samso über den CO2-Ausstoß. Alex Ross berichtet über die boomende chinesische Musikszene. Adam Kirsch rezensiert die Studie "Posthumous Keats" (Norton) von Stanley Plumly über John Keats. Und David Denby sah im Kino die Action-Komödie "Hancock" von Peter Berg und den französischen Thriller "Ne le dis a personne" ("Tell No One") von Guillaume Canet. Zu lesen sind außerdem die Erzählung "Thirteen Hundred Rats" von T. Coraghessan Boyle und Lyrik von Jack Gilbert und Maureen N. McLane. Leider nur im Print würdigt Adam Gopnik das Genie von G.K. Chesterton.
Literaturen (Deutschland), 01.07.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q21/A20956/literaturen.jpg)
Aus Paris berichtet Martina Meister über Lucie Ceccaldis Buch, in dem Sohn Michel Houellebecq kaum vorkommt, und über den neuen Roman von Anna Gavalda, in dem es wie üblich im Grunde um gar nichts geht. Franz Schuh informiert im "Kriminal" über seine Lektüre des wenig Österreich-freundlichen Romans "Heldensterben" Christine Grän. Sibylle Berg befasst sich in ihrer Kolumne mit neuesten Resultaten der Glücksforschung. Mit seiner Mircea-Eliade-Verfilmung "Jugend gegen Jugend" hat Daniel Kothenschulte den großen Francis Ford Coppola dialogreich scheitern sehen. In der "Was liest...?"-Rubrik schreibt Gila Lustiger über Euripides, den sie gleichzeitig mit ihrer ersten Liebe kennenlernte. Unfreundliche Worte und freundliche findet Frauke Meyer-Gosau für Ulla Berkewiczs Buch "Überlebnis". Besprochen werden außerdem Bücher über Italien und neue Hörbücher.
Nicht online sind leider der Schwerpunkt über Margaret Atwood und der Rest vom Heft, in dem es unter anderem um Georg Simmel, Paul Veyne und Annemarie Schwarzenbach geht.
London Review of Books (UK), 03.07.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q10/A20955/lrb.jpg)
Weitere Artikel: Die Schrifstellerin Jenny Diski macht in einem Bericht restlos klar, warum sie das Südafrika der Gegenwart auf ihrer Reise als zerrissenen und furchtbaren Ort erlebt hat. Ross McKibbin erzählt die Geschichte des britischen Schulsystems und macht Vorschläge zu seiner Verbesserung. Von einer Londoner David-Lean-Retrospektive erstattet Michael Wood beeindruckt Bericht.
Babelia (Spanien), 28.06.2008
"Der Kapitalismus hat uns zerstört, man sieht es bloß noch nicht." Miguel Mora interviewt den Nestor der italienischen Kommunisten, Pietro Ingrao, geboren 1915, zeitweilig Vorsitzender des PCI, Parlamentspräsident, leitender Redakteur von L'Unita: "Bedeutet Berlusconis dritter Sieg für Italiens Kommunisten die völlige Niederlage? Nein, das hieße ja, das Spiel ist zuende, und das möchte ich nicht sagen. Der Leninismus, an den ich geglaubt habe, ist allerdings gescheitert. Wir haben verloren. Dass die Spielregeln so komplex sind, damit haben wir nicht gerechnet. Wir haben uns, zum Beispiel, zu sehr um Westeuropa gekümmert, und zu wenig um den Osten. Aber wir haben auch Großartiges zustande gebracht, Stadtregierungen erobert, eine einfallsreiche Gewerkschaft aufgebaut, sogar einen Dialog mit der Religion geführt. Aber wir haben das Land nicht verändert, nicht die Macht errungen, unser Angriff ist fehlgeschlagen. Trotzdem, verglichen mit der Niederträchtigkeit Berlusconis waren wir großartig."
Prospect (UK), 01.07.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q22/A20974/prospect.jpg)
Ehsan Masood porträtiert Fethullah Gülen: "Vom Krankenbett in der Nähe Philadelphias aus führt er eine globale Bewegung, die von Sufi-Ideen inspiriert ist. Er vertritt einen offenen Islam und beschäftigt sich ... mit der modernen Naturwissenschaft... Ungewöhnlich für einen frommen Intellektuellen ist die Vertrautheit, die er und seine Bewegung im Umgang mit Technologien, Märkten und multinationalen Geschäften an den Tag legen. Sehr gekonnt gehen sie mit modernen Kommunikationsformen und PR um, die sie wie moderne Fernseh-Evangelisten nutzen, um Konvertiten für sich zu gewinnen. Das Öffentlichkeitsmanagement gleicht dem einer westlichen Celebrity-Größe - Interviews gibt Gülen nur, wem er vertraut."
Weitere Artikel: Tom Chatfield bespricht Ma Jians großen Tiananmen-Roman "Beijing Coma", an dem ihn "eine fast orchestral zu nennende Aufmerksamkeit fürs Detail, einer verblüffende Kakophonie der Stimmen und Taten" fasziniert - Chatfield hat sich auch mit dem in London lebenden Autor unterhalten. In einem Roundtable-Gespräch diskutieren Wirtschaftsexperten, darunter der Milliardär George Soros, über die Finanzmarktkrise. Alun Anderson hat den Ökonomen und Klimawandelaktivisten Lord Nicholas Stern auf ein Gespräch getroffen.
Espresso (Italien), 27.06.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q17/A20971/espresso.jpg)
Wired (USA), 01.07.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q137/A20985/wired.jpg)
Diese zentrale These wird dann auf den unterschiedlichsten Feldern durchdekliniert, von der Bedeutung des Data Mining im Recht, für die Vorhersage von Aufständen, für Meinungsumfragen, das Versicherungswesen (insbesondere Versicherungen gegen Anschläge) und vieles andere.
La vie des idees (Frankreich), 26.06.2008
Ethnische Kategorien sind in französischen Statistiken tabu. Denn die Republik ist "une et undivisible", eins und unteilbar. Mirna Safi stellt die erste Ausgabe 2008 der Revue Francaise de Sociologie vor, die in einem Dossier die Verwendung ethnischer und rassischer Kategorien als wissenschaftliche demografische Werkzeuge diskutiert. Auch wenn die Beiträge im Ergebnis letztlich eher Konvergenz statt Opposition zeigten, bestehe diese Übereinstimmung doch in der Einsicht in deren unumgängliche Notwendigkeit. Die Soziologin Dominique Schnapper jedenfalls konstatiert: "Die schrittweise Einführung ethnischer Statistiken ist Teil der demokratischen Dynamik." Safi schließt: "Letzten Endes sollte man aber, wenn dieses Dossier von manchen vielleicht als eine offene Tribüne für die Verteidiger ethnischer Statistiken wahrgenommen wird, daran erinnern, dass der Koordinator Georges Felouzis den Rahmen eingangs genau abgesteckt hat: Es geht nicht um eine 'Bilanz der Streitpositionen, die die Disziplin spalten', sondern vielmehr darum, gemeinsam über die Praktiken und Anwendungen ethnischer Kategorien in einem Kontext nachzudenken und zu diskutieren, in dem deren Legitimitätszuwachs in den wissenschaftlichen und politischen Kreisen Frankreichs schwerlich zu bestreiten ist."
Economist (UK), 28.06.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q14/A20979/economist.jpg)
Weitere Artikel: Was immer sich gegen Bill Gates, der jetzt Abschied von seinem Lebenswerk Microsoft nimmt, sagen lässt - er war der richtige Mann zur richtigen Zeit, findet der Economist. Besprochen werden unter anderem Bücher über die vom Aussterben bedrohten Mustangs der amerikanischen Steppe, der Memoirenband "Fischen in Utopia" des Briten Andrew Brown über sein Leben in Schweden und die große Cy-Twombly-Retrospektive in London.
Merkur (Deutschland), 01.07.2008
Heinz Schlaffer plädiert dafür, den Blick auf die Kunst nicht zu verklären, und Theokrit zu lesen, der bereits in seinem fünfzehnten Idyll so lebensklug über den Kunstgenuss im ptolemäischen Alexandrien zu dichten wusste: "Kunstwissenschaftliche Abhandlungen setzen, ohne dies auszusprechen, den idealen, also wirklichkeitsfernen Fall voraus, dass ein Betrachter von eherner Konstitution sich unbegrenzt lange vor einem Kunstwerk aufhalte, um unbegrenzt viele Erkenntnisse darüber zu sammeln. Beschreibungen und Reflexionen über das wirkliche Verhalten wirklicher Betrachter finden sich kaum. Daher ist Theokrits Dichtung aufschlussreich, die ausführlich sogar die Umstände vor und nach dem Besichtigen des Bildes, vor und nach dem Anhören des Gesangs zur Sprache bringt. Gorgo erwägt bereits, ehe sie mit ihrer Freundin zum Ausstellungsort aufbricht, welchen Vorteil sie später von der Teilnahme am Fest haben werden: 'Wer was geseh'n, kann Dem und Jenem erzählen, der nichts sah.' Schon damals war es der sozialen Distinktion förderlich, bei der Präsentation von Kunst dabei gewesen zu sein."
Weiteres: Von Claudio Magris ist als Vorabdruck eines Essaybandes eine Reiseerzählung aus dem Iran zu lesen. Cord Riechelmann stellt klar, dass es in Mitteleuropa eigentlich keinen Wald mehr gibt, nur noch Forst. Bodo Mrozek widmet sich den Halbstarken der 50er Jahre. Und Dennis Dutton erklärt, warum seit dem Pleistozän Hierarchien gut für uns sind (hier der Text im englischen Original).
Weiteres: Von Claudio Magris ist als Vorabdruck eines Essaybandes eine Reiseerzählung aus dem Iran zu lesen. Cord Riechelmann stellt klar, dass es in Mitteleuropa eigentlich keinen Wald mehr gibt, nur noch Forst. Bodo Mrozek widmet sich den Halbstarken der 50er Jahre. Und Dennis Dutton erklärt, warum seit dem Pleistozän Hierarchien gut für uns sind (hier der Text im englischen Original).
Figaro (Frankreich), 26.06.2008
In einem kleinen Essay fragt sich Jean-Luc Marion, Philosophieprofessor in Paris und Chicago, ob auch der Sport ebenso wie Kulturen sterblich sei. Seine in Teilen durchaus nachvollziehbare These kündet vom Ende des Sports und vom Ende des Helden in der Arena. Nicht nur Kommerz sowie ökonomische und politische Aspekte hätten den Sport verzerrt, auch der zentrale Begriff der Identifikation sei ins Wanken geraten. Die Entwicklung seiner modernen Gestalt Ende des 19. Jahrhunderts beruhe auf dem Paradox, dass er aus "körperlicher Anstrengung zum Vergnügen, vor allem dem der Zuschauer" bestehe. "Alles hängt daher an dieser Identifikation. Und diese Identifikation ist heutzutage radikal gefährdet durch die zunehmende Internationalisierung der Sportler: die Bosman-Entscheidung, Mannschaften quasi ohne nationale Spieler (Chelsea etwa hat fast keine englischen Spieler mehr), missbräuchliche Einbürgerungen et cetera machen diese Übertragung immer schwieriger." Seine Prophezeiung: "Wir werden zu Sportliebhabern ohne Sport. Endlich frei." Das hätte man mal den 600.000 auf der Berliner Fanmeile mitteilen sollen!
HVG (Ungarn), 26.06.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q111/A20981/hvg.jpg)
Wall Street Journal (USA), 25.06.2008
Kommt nach der yellow press jetzt die yellow science? Wenn er die Diskussionen über die Klimaerwärmung hört, möchte der Unternehmer und Maschinenbauingenieur James Kerian das sofort bejahen. Der Zusammenhang zwischen dem Verbrennen fossiler Brennstoffe und der Erwärmung des Klimas wurde nie bewiesen. Schlimmer: Ein Beweis ist nicht mal mehr gefragt. Warum ist das so? "Die erste und offensichtlichste Verlockung für diese absichtliche Blindheit ist finanzieller Art. Randolph Hearst hat nur einen Teil seines Nettovermögens von 140 Millionen Dollar mit der yellow press gemacht. Die globale Erwärmung andererseits hat diejenigen, die bereit sind, yellow science zu praktizieren, mit geschätzten 50 Milliarden Dollar Forschungsmitteln versorgt."
Polityka (Polen), 26.06.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q95/A20997/polityka.jpg)
New York Times (USA), 29.06.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q12/A20976/nyt.jpg)
Die theoretische Grundlegung des Begriffs der "lowest-low fertility" lässt sich im Netz als pdf nachlesen. Russell Shorto, Autor eines spannenden Buchs über die Frühgeschichte New Yorks, bringt demnächst ein Buch über "Descartes' Knochen" heraus.
In der Sunday Book Review erinnert Rachel Donadio an den israelischen Autor S. Yizhar, der schon 1958 in einer Novelle die Vertreibung von Palästinensern zehn Jahre zuvor anprangerte und gerade wieder entdeckt wird.