Magazinrundschau - Archiv

New York Magazine

124 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 13

Magazinrundschau vom 07.02.2023 - New York Magazine

Hollywood und die Streaming-Dienste haben bemerkt, wie viel Geld sich mit Dokumentationen machen lässt und dem Genre einen ungeahnten Boom beschert. Doch für Reeves Wiedeman ist das kein Grund zur Freude. Denn die damit verbundene Gewinnerwartungen bedeuten für die Branche vor allem: True Crime, Celebrities-Biografien und strikte Vorgaben für Schnitt und Struktur. Aus dem Genre, das bisher sein Selbstverständnis aus Engagement und Aufklärung bezog, ist ein kommerzielles Produkt für ein Multimillionen-Publikum geworden, das ziemlich nah ans Reality-TV gerückt sei: "Dies hat der Welt des Dokumentarfilms eine Identitätskrise beschert. Was ist überhaupt noch ein Dokumentarfilm? Es gibt mehr Geld als je zuvor, aber es ist mit Erwartungen verknpüft, die es nicht gab, als die Branche in Bezug auf Ethik und Geschmack dem öffentlichen Rundfunk näher stand als Hollywood. Die Menschen, die sich bereit erklären, ihre Geschichten zu erzählen, verlangen jetzt Kontrolle oder Geld, so dass die Dokumentarfilmer jetzt zwischen der Verbindlichkeit gegenüber ihren Protagonisten, den Anforderungen des Algorithmus und ihrem Wunsch, gute Arbeit zu leisten, navigieren müssen. Für das Publikum ist es fast unmöglich geworden, künstlerische oder journalistische Werke von glorifiziertem Reality-TV oder Public-Relations-Übungen zu unterscheiden: Ein HBO-Max-Abonnent kann durch die Registerkarte Dokumentarfilme scrollen und zwei Filme über Lizzo finden, die sie selbst produziert hat, 41 Filme und Serien, die als True Crime firmieren, einen Oscar-nominierten Film über den russischen Dissidenten Alexej Nawalny und 'Wahl Street', 'einen Einblick in das Leben des Weltstars Mark Wahlberg, der mit den Anforderungen seiner privaten und beruflichen Welt jongliert und sich abmüht, sein expandierendes Geschäftsimperium auszubauen'." Gegen diesen Trend haben sich, wie Wiedeman berichtet, einige Filmemacher zur Documentary Accountability Working Group zusammengeschlossen, die Richtlinien fürs ethische Filmemachen erarbeitet.

Magazinrundschau vom 31.01.2023 - New York Magazine

Opposition, und dann noch in einem ziemlich hoffnungslosen Fall wie China, ist nicht nur mutig und kräftezehrend, es beschädigt die Menschen oft auch, muss Christopher Beam in seiner Reportage über den im amerikanischen Exil lebenden chinesischen Regimekritiker Wang Juntao feststellen. "Wie bei jedem guten Aktivisten war Juntaos Superkraft immer seine Fähigkeit zu sehen, was andere nicht sehen - sich die Welt anders vorzustellen, als sie ist. Aber diese Fähigkeit hat auch eine Kehrseite. An einem Punkt gab Juntao zu, dass er sich selbst einreden kann, was er für wahr hält. 'Manchmal verwechseln Leute wie ich den subjektiven Eindruck mit der objektiven Realität', sagte er. 'Wenn wir glauben, dass etwas wahr ist, beruht das in Wirklichkeit auf unserer Hoffnung und nicht auf der Realität.'" Das kann manchmal zu Verfolgungswahn führen, aber ohne diese Hoffnung geht es eben auch nicht: "Als er noch in China lebte, steckte ihn das kommunistische Regime zweimal ins Gefängnis, und seit Jahrzehnten hat er nur begrenzten Kontakt zu seiner Familie, um sie vor offiziellen Schikanen zu bewahren. 'Die chinesische Regierung nimmt deine Verwandten in Beschlag', sagt er. 'Wenn du sie liebst, musst du so tun, als würdest du sie nicht lieben.' In Flushing waren einige seiner Mitstreiter bereits über 70 und 80 Jahre alt, und jedes Mal, wenn sie sich versammelten, schien ein weiterer Platz leer zu bleiben. In der Zwischenzeit erinnern die Nachrichten aus China ständig an die zunehmend autoritäre Herrschaft der Kommunisten, von Internierungslagern in der Provinz Xinjiang bis hin zur Massenüberwachung mit Hilfe von Gesichtserkennungstechnologie. Fast drei Jahrzehnte lang hat Juntao im Exil den Traum von einer demokratischen Revolution in China aufrechterhalten, aber er ist der Verwirklichung dieses Traums nicht näher gekommen." Dann wurde sein engster Freund und Kollege im Minyun, Jim Li, ermordet und ein Bekannter der Spionage beschuldigt. Doch Wang Juntao blieb optimistisch. Und dann wurde "unglaublicherweise seine Vorhersage wahr. Nachdem im November zehn Bewohner eines Wohnhauses in Ürümqi bei einem Brand ums Leben gekommen waren, flammte das chinesische Internet mit Anschuldigungen auf, Xis strenge 'Null COVID'-Politik habe es ihnen schwer gemacht, dem Feuer zu entkommen. Demonstranten füllten die Straßen im ganzen Land, von der Industriestadt Zhengzhou bis zur Tsinghua-Eliteuniversität in Peking. Einige forderten den Rücktritt von Xi. Es war eine furchtlose Rhetorik, wie es sie seit Tiananmen nicht mehr gegeben hat, und schockierend für jeden, der beobachtet hat, wie China Wachstum über politische Freiheit stellt und abweichende Meinungen unterdrückt. Die Kundgebungen widerlegten alles, was die Zyniker zu wissen glaubten. ... Juntaos Plattitüden über die Aufrechterhaltung der demokratischen Flamme in den dunkelsten Stunden fühlten sich plötzlich wahr an. Und obwohl politische Analysten darauf hinwiesen, dass der zivile Ungehorsam nur von begrenzter Tragweite war, hatte eine neue Generation die Lektion gelernt, die Juntao sein Leben lang zu vermitteln versucht hatte: dass Veränderungen immer möglich sind."

Magazinrundschau vom 06.12.2022 - New York Magazine

Es gibt nichts Neues unter der Sonne, aber es gibt immer wieder neue Sonnen, lautete die Devise der Science-Fiction-Autorin Octavia Butler, die für ihre Weltraum-Utopien ebenso verehrt wurde wir für ihren Afrofuturismus. Alex Jung widmet der Schriftstellerin ein episches Porträt, das berührend auf Butlers Anfänge blickt, als sie arm, schwarz und unglaublich schüchtern war. Fünf Jahre lang schrieb sie Tag für Tag, ohne etwas zu verkaufen, kein Verlag interessierte sich für ihren ersten Roman "Psychogenese": "Sie versuchte, einen straffen Zeitplan einzuhalten. Jeden Morgen um 2 Uhr stand sie auf, um zu schreiben. Das war die beste Zeit, bevor sich der Tag mit anderen Menschen füllte und ihre Gedanken frei schweifen konnten. Der Sonnenaufgang brachte das Leben, das sie nicht gewollt hatte: die Arbeit in Fabriken, Büros und Lagerhäusern. Sie lebte von der Arbeit für eine Zeitarbeitsfirma, die sie 'den Sklavenmarkt' nannte. Ihre Mutter wünschte sich, dass sie eine Vollzeitstelle als Sekretärin bekäme, aber Butler bevorzugte körperliche Arbeit, weil sie nicht lächeln und so tun musste, als würde es ihr gefallen. Ihr Körper schmerzte; sie musste zum Zahnarzt. Sie nahm NoDoz, um wach zu bleiben. Sie rechnete ständig: wie teuer war Papier, wie weit konnte sie den zweiwöchentlichen Gehaltsscheck von 99,07 Dollar strecken. 'Armut ist eine ständige, bequeme und leider auch gültige Entschuldigung für Untätigkeit', schrieb sie in einem Tagebucheintrag. Die Welt der 'Psychogenese' hatte mit Psionik zu tun - Telepathie, Telekinese, Gedankenkontrolle -, die in der Science-Fiction, die sie las, sehr beliebt war. Die Möglichkeit, dass man die Umstände seines Lebens mit seinen Gedanken kontrollieren kann, übte auf Butler starken Reiz aus. Sie glaubte daran auch in der realen Welt. Besonders Napoleon Hills 'Think and Grow Rich' hatte es ihr angetan, ein Motivationsbuch, das die optimistische Autosuggestion des französischen Psychologen Émile Coué lehrte. Eine von Hills Übungen bestand darin, sich an einen ruhigen Ort zu begeben und eine Geldsumme aufzuschreiben, die man verdienen wollte und wie man sie bekommen würde. Man musste dies mit 'Überzeugung' tun. Während mehrerer Monate im Jahr 1970 befolgte Butler diese Anweisung morgens und abends. 'Ziel: 100.000 Dollar Gespartes in bar zu besitzen', schrieb sie."

Magazinrundschau vom 28.06.2022 - New York Magazine

In einer Reportage über "Teenager Gerechtigkeit" erzählt Elizabeth Weil anhand mehrerer Beispiele, wie eine gute Sache - sexuellen Missbrauch ernst zu nehmen - im hysterischen Klima einer Highschool völlig außer Kontrolle gerät: Schüler werden gecancelt, Schandlisten veröffentlicht, ohne Sachverhalte nachzuprüfen, Demos abgehalten und die Schulleitung angegriffen: "In der öffentlichen Vorstellung entwickelten sich die Verbrechen der Jungs schnell und steil. Aus 'Du bist ein Mistkerl' wurde 'Du bist ein Angreifer', was sich bald in 'Du bist ein Vergewaltiger' verwandelte. In Wahrheit, so [die Schülerin] Jenni, war es den meisten Menschen egal, was die Angeprangerten getan hatten. 'Jemand sagt: Oh mein Gott, ich habe gehört, dass er ein schlechter Mensch ist - sprich nicht mit ihm. Und dann haben die Leute Angst, auf der falschen Seite zu stehen. Also tun sie es einfach. Sie denken nicht darüber nach. Sie sagen einfach: Oh, ich kenne ihn nicht, also werde ich wohl nicht mit ihm reden.'" Der Gruppendruck ist enorm, und vergeben wird nicht. Eine dumme Handlung (betrunken auf einer Party ein Nacktfoto seiner Freundin zu zeigen) oder dumme Bemerkung (über die 'Affenohren' eines schwarzen Jungen zu spotten) reicht aus, jemand für den Rest der Highschool zu ächten, wie ein Mädchen erzählt. "Trotz aller öffentlichen und privaten Entschuldigungen, die sie abgegeben hatte, trotz all der Monate der Therapie und des Lesens war sie immer noch 'dieses rassistische Kind' und würde es wahrscheinlich auch bleiben, bis sie in zwei Jahren ihren Abschluss machte. 'Es gibt keinen Raum für Wachstum', sagte sie und aß die Quesadilla, die sie zum Mittagessen mitgebracht hatte. 'Wenn man etwas falsch macht, ist man ein schlechter Mensch.' Es gab keine Gemeinschaft, die, während sie einen zur Rechenschaft zog, Raum zum lernen gab; keine Annahme, dass man sich ändern kann - und wird. Wer könnte eine solche Adoleszenz überleben?"

In einem zweiten Artikel erklärt uns Brock Colyar, als non-binäre Person nicht mit dem falschen geschlechtsspezifischen Pronom angesprochen werden zu wollen. Leute sollen aber auch nicht fragen und überhaupt nerve es, dass jetzt alle so politisch korrekt sind, dass Non-Binäre plötzlich Teil einer Massenbewegung geworden sei.

Magazinrundschau vom 17.05.2022 - New York Magazine

Kerry Howley porträtiert die Abtreibungsgegnerin Marjorie Dannenfelser, die seit Jahrzehnten mit ihrer Organisation SBA wahre Terror-Kampagnen gegen Politikerinnen und Politiker anzettelt, wenn die sich nicht entschieden genug auf ihre Seite stellen. Dannenfelser ist eine konvertierte Katholikin, sie glaubt an den Teufel und an das Böse, doch ihr politisches Handwerk hat sie bei dem Demokraten Alan Mollohan gelernt: "1989 leitete er den Pro-Life-Caucus im Repräsentantenhaus. 'Er war gut zu mir', sagt Dannenfelser, 'wie ein Vater. Er kümmerte sich.' Er ließ zu, dass sie langweilige Aufgaben vernachlässigte, um sich ganz auf das zu konzentrieren, was ihr am Herzen lag. Von Mollohan lernte Dannenfelser eine ihrer wichtigsten politischen Lektionen: Beim Ausüben politischer Macht darf man nicht zögern. 'Wenn man auf einen Bären schießt', erklärte er ihr, 'muss man ihn töten'. Zwei Jahrzehnte später, im Jahr 2010, war Dannenfelser Kopf der Susan-B.-Anthony-Liste, eine Gruppe, die ausschließlich daran arbeitet, Abtreibungsgegner im Wahlkampf zu unterstützen. In dem Jahr votierte Mollohan, mittlerweile seit 14 Legislaturperioden Abgeordneter mit makellosem Abstimmungsverhalten, auf eine Art, mit der Dannenfelser nicht einverstanden war. Mollohan glaubte, dass Obamacare staatlich finanzierte Abtreibungen wirksam ausschloss, sie dagegen hielt das entsprechende Dekret von Barack Obama nicht für verlässlich. Nachdem Mollohan für das Gesetz gestimmt hatte, wies Dannenfelser ihr Spendenkomitee an, 78.000 Dollar gegen Mollohan einzusetzen, und ließ im Radio Werbespots senden, in denen es hieß: 'Alan Mollohan hat uns verraten und dafür gestimmt, staatliches Geld für Abtreibungen aufzuwenden', obwohl dies höchstens unklar war. Der Abgeordnete verlor seine Wiederwahl."

Magazinrundschau vom 16.11.2021 - New York Magazine

In einem lesenswerten Artikel erklärt David Wallace-Wells die durch den CO2-Ausstoß verursachte Klimakrise zu einem moralischen Skandal, "verursacht in der jüngsten Vergangenheit von den reichen Ländern des globalen Nordens, erlitten vom globalen Süden, der am wenigsten dafür verantwortlich und am wenigsten vorbereitet ist. Die Reichen sind heute reich aufgrund der Entwicklung, die von fossilen Brennstoffen angetrieben wird, die Ärmsten sind heute diejenigen, die praktisch keine dieser Verschmutzungen verursacht haben. Aber der Atmosphäre ist der Ursprung der Emissionen ebenso gleichgültig wie die Motive. Was zählt, ist die Schadenssumme. Die Klimapolitik beschäftigt sich vor allem mit zukünftigen Emissionsverläufen: Was kann getan werden? Aber wir haben heute eine Klimakrise in all ihrer Dringlichkeit und Brutalität, die auf Altemissionen zurückgeht: Was wurde getan? Folgendes wurde getan: 60 Prozent aller historischen Emissionen wurden zu Lebzeiten des durchschnittlichen Amerikaners produziert, der heute 38 Jahre alt ist. Fast 90 Prozent wurden zu Lebzeiten des amtierenden US-Präsidenten produziert. Das Pariser Abkommen von 2015 hat sich zum Ziel gesetzt, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Dieses Ziel impliziert ein CO2-Budget. 89 Prozent davon haben wir bereits ausgegeben. Heute, da im globalen Süden Hunderte Millionen Menschen keinen Strom haben, werden 80 Prozent der Treibhausgasemissionen von den G20-Ländern verursacht. Fast die Hälfte wird von den reichsten 10 Prozent der Welt verursacht. Ein einziger Transatlantik-Flug verursacht eine Tonne CO2, mehr als die jährlichen Emissionen eines durchschnittlichen Einwohners von Subsahara-Afrika. Eine neuere Studie ergibt, dass vier Amerikaner in ihrem Leben genug Kohlenstoff produzieren, um eine Person zu töten, die anderswo auf der Erde lebt. Reichtum kann Dekarbonisierung ermöglichen. Da saubere Energie für 90 Prozent der Welt billiger ist als schmutzige Energie, lassen erneuerbare Energien endlich tragfähige Visionen von einem globalen grünen Wohlstand entstehen. Doch die gesamte Industriegeschichte ist durch ein anderes Muster bestimmt: Wachstum bedeutet Emissionen und Emissionen bedeuten Wachstum. Die Klimakrise ist das Ergebnis dieser Geschichte, genau wie der Reichtum der Nationen."

Magazinrundschau vom 28.09.2021 - New York Magazine

Jasper Johns, "Flag", 1954-55. Museum of Modern Art, New York City


Im New York Magazine erinnert sich Jerry Saltz anlässlich der Ausstellung "Jasper Johns: Mind/Mirror" im New Yorker Whitney Museum an seine erste Begegnung mit dem Maler und an die Bedeutung, die Johns Kunst für ihn hatte und immer noch hat: "Johns hatte sich als echter Revolutionär einen Namen gemacht - einen der größten in der amerikanischen Kunstgeschichte. Ein ganzes Jahrhundert lang, von den Impressionisten über Picasso bis hin zu den Abstrakten Expressionisten, von denen die meisten ein paar Jahrzehnte älter waren als Johns, war die Kunstproduktion vom Prinzip der Reinheit und der Vision des Künstlers als geschichtsveränderndes schamanisches Genie bestimmt. Johns leitete ein neues, noch immer andauerndes Jahrhundert ein, in dem Werke absichtlich unrein, unvollkommen und mit den Dingen der Welt verbunden sein konnten, während sie gleichzeitig ernsthafte philosophische Maschinen waren. In dieser Hinsicht hatte er Vorgänger wie Marcel Duchamp und Yves Klein und Nachfolger wie Andy Warhol, Gerhard Richter und sogar Jean-Michel Basquiat. Aber der eigentliche Sprung in der Kunstgeschichte geschah oder begann mit Johns - zum Teil deshalb, weil er, indem er selbstbewusst ikonische Grandiosität ablehnte, ironischerweise Werke schuf, die zu den ikonischsten, wenn auch weitgehend unpersönlichen Werken der gesamten Kunstgeschichte gehören. Deshalb nannte Ed Ruscha ihn 'die Atombombe meiner Ausbildung'."

Magazinrundschau vom 21.09.2021 - New York Magazine



Von links oben im Uhrzeigersinn: Golgotha Chair aus mit Dacron gefülltem und mit Harz getränktem Glasfasergewebe, 1972. Senza Fine Unica, Sessel aus polychromem PVC, 2010. Die bemalte Harztür in Ruth Lande Shumans Apartment, das Pesce Ende der 80er überarbeitete. Das Selbstporträt-Regal aus Harz, 2019. Alles von Gaetano Pesce.


Modernes Design - da denkt man an kühle Stromlinienförmigkeit. "Das ist nicht die Moderne von Gaetano Pesce", schreibt Matthew Schneier in einer Hommage an den 1939 in Ligurien geborenen Industriedesigner-Künstler-Architekt-Prophet Pesce, der gerade ein neues Comeback erlebt, von dem zahlreiche Ausstellungen zeugen. Pesce hasst glattes, gesichtsloses Design - auch in der Architektur, er findet es totalitär. Für seine eigenen Möbel bevorzugt er organische Materialien wie Harz oder Filz. Und er hat Witz. Zeit für ein Gespräch in Pesces Studio im Brooklyn Navy Yard in New York, wo Pesce seit 1980 lebt: "Ein lippenstiftroter Polyurethanfuß in der Größe eines Motorrads oder ein Bücherregal aus Harz in Form des Gesichts seines Schöpfers können den Weg versperren. In einem Archiv im Obergeschoss stehen reihenweise Vasen aus lollipopartigem Harz Wache, Souvenirs und Satelliten der Pescewelt. Große Stücke, wie das Bücherregal mit dem Gesicht oder der Fuß, kosten 180.000 Dollar und mehr. Über all dem thront Pesce selbst, ein Kobold in Issey Miyake, der sich an seinen Kreationen erfreut, wonky (schrullig) und Wonka. Das lässt ihn etwas harmloser klingen, als er ist. Er ist ein Bombenwerfer, ein 'Fürst der Unordnung', wie Glenn Adamson, ein bekannter Pesce-Forscher, sagt. 'Gaetano ist auf Ärger aus', sagt sein Freund und Förderer Murray Moss, der mit seinem einflussreichen Designgeschäft Moss in Soho dazu beitrug, Pesces Werk in den USA bekannt zu machen. Wer sonst würde einem italienischen Unternehmen vorschlagen, Aschenbecher in Form der gekreuzigten Hand Christi herzustellen, damit man seine Asche direkt in seine blutigen Stigmata streuen kann? (Das war 1969; das Unternehmen lehnte ab.) Oder Modelle aus rohem Fleisch für eine Ausstellung im Louvre anfertigen und sie dann verwesen lassen, bis das Museum von dem Geruch überwältigt war? 'Es gibt viele meiner Kollegen, die Dekoration oder schöne Dinge machen', sagt er. 'Das interessiert mich nicht.'"

Magazinrundschau vom 27.07.2021 - New York Magazine

Kerry Howley porträtiert den 35-jährigen Whistleblower - und besten Tellerwäscher Nashvilles - Daniel Hale, dem eine lange Gefängnisstrafe blüht, weil er Dokumente über das Drohnen-Tötungs-Programm Barack Obamas veröffentlicht hat. Hale hatte für die Armee in Afghanistan per Handyortungen Personen ausfindig gemacht, die auf einer Tötungsliste standen: "Im Laufe des Krieges gegen den Terror, wie wir ihn früher nannten, bevor er einfach  amerikanische Außenpolitik wurde, überwachte das US-Militär weite Teile Pakistans und des Jemen rund um die Uhr per Drohne, was bedeutet, dass die Menschen, die heute in diesen Gebieten leben, nicht über die Straße gehen können, ohne zu wissen, dass sie aufgezeichnet werden. Das Material wird höchstwahrscheinlich nie gesichtet werden, weil es dafür nicht genug Analysten gibt; wo die Privatsphäre gewährt wird, wird sie nur durch die Gnade der Ineffizienz gewährt. ... Kurz bevor Daniel Hale in Afghanistan eintraf, setzte die Air Force das ein, was sie 'Gorgon Stare' nannte: ein Drohnen-Videosystem, bei dem 368 Kameras jeweils 40 Quadratmeilen abdecken. Früher litten wir beim Beobachten an einem 'Strohhalm'-Problem; man konnte wie durch eine Röhre beobachten, wie sich eine einzelne Figur ihren Weg durch eine Landschaft bahnte, ohne das umliegende Land zu sehen. Die großflächige Überwachung aus der Luft, wie man sie aus Filmen kennt, die von oben aufgenommen wurden, ist in der Tat neu; erst im letzten Jahrzehnt ist es möglich geworden, eine ganze Landschaft zu beobachten, ein ganzes Netzwerk von Menschen zu verfolgen, die sich an einem Ort treffen und jeden von ihnen auf seinem Heimweg beobachten. Ermöglicht wird dieser Blick durch eine sogenannte High-Altitude-Long-Endurance-Drohne, deren Akronym HALE lautet. In den Monaten, in denen er im Drohnenprogramm arbeitete, hat Daniel Hale nie eine Drohne angefasst, nie eine geflogen, nicht einmal auf einer Basis gearbeitet, von der aus sie in die Luft steigen. Die Vorstellung, dass seine eigene moralische Rechtschaffenheit den Krieg in irgendeiner Weise beeinflussen könnte, erschien ihm jetzt als absurd. Manchmal hieß die Maschine, für die er arbeitete, 'ein Sprengkopf, eine Stirn', weil jede Mission nur auf einen Mann zielte. Aber die Männer waren sehr oft von anderen Männern umgeben, wenn die Rakete sie fand. Das war es, was an ihm nagte. Er wusste nichts über diese Menschen; keiner von ihnen wäre das Ziel des Angriffs gewesen. Aber auch sie würden sterben. Und obwohl die Obama-Regierung dies leugnen würde, würden viele Männer Berichten zufolge nicht als Zivilisten, sondern als 'im Kampf getötete Feinde' gezählt werden. Daniel wusste, dass Handys von mutmaßlichen Terroristen an ganz andere Leute hätten weitergegeben werden können, und dass dann unschuldige Menschen und Menschen in der Nähe von unschuldigen Menschen getötet würden. Er wusste, dass niemand zu Hause an so etwas dachte. 'Es gab zwei Welten', sagte Chelsea Manning einmal. 'Die Welt in Amerika und die Welt, die ich gesehen habe.' Die Kluft zwischen dem, was Amerika tat, und dem, was die Amerikaner wussten, war ein Teil des Schreckens, und es war der Teil, der verbesserungswürdig erschien." Mehr zu Hales Verteidigung findet man in The Intercept.

Magazinrundschau vom 23.03.2021 - New York Magazine

In einem Beitrag für das Magazin stellt David Wallace-Wells noch einmal unmissverständlich klar, dass die Vorstellung von den reichen westlichen Staaten, die kein Virus umhaut, ein für alle Mal ins Märchenbuch gehört, wohingegen Staaten wie Südkorea, Neuseeland und auch China über Corona triumphierten. Aber warum? "Schon im vergangenen Frühjahr sprach der ehemalige portugiesische Diplomat Bruno Maçaes angesichts der Gleichgültigkeit in Europa und den USA von einem pandemischen Orientalismus. Als China über Wuhan den Lockdown verhängte, erklärt Maçaes, wurde das von den NATO-Staaten schändlich ignoriert. Corona wurde als Auswuchs archaischer Märkte und exotischer Küche betrachtet und der Lockdown nicht als Demonstration großer Ernsthaftigkeit, sondern als Reflex eines autoritären Regimes und seiner gehorsamen Bevölkerung. Tatsächlich war der Vorgang auch für China Neuland … Ein früher, globaler Reisestopp, so der Virologe Florian Krammer, hätte die Katastrophe womöglich verhindert und wäre moderat gewesen verglichen mit den teuren späteren Lockdowns … Aber es ging nicht nur um Sinophobie. Auch als das Virus in Europa angekommen war, spielte man Abwarten und Teetrinken und wollte lieber nicht in das Leben der Menschen und die Wirtschaft eingreifen. Der Ausbruch in Italien und Spanien führte nicht zu raschen Maßnahmen auf dem Kontinent, ebenso bewegte sich New York nicht, als es in Washington losging … Als die Maßnahmen kamen, waren sie nicht nur zu spät, sondern auch unpassend … In Ostasien wartete man nicht auf die Vorgaben der WHO, um Maskenpflicht, Social-distancing und Quarantäne anzuordnen … Wir dagegen sind davon ausgegangen, dass uns nichts Schlimmes passieren kann und es einen Ausweg gibt - nächsten Monat schon. Es war immer ein Monat, und solange die Lösung nur einen Monat entfernt ist, gibt es kein echtes Problem. Das scheint mir ein Symptom einiger Länder und Gesellschaften zu sein, die lange mit keiner Notlage umzugehen hatten. Wir fühlen uns unwohl mit den harten Entscheidungen, die es zu treffen gilt."