Vorgeblättert

Leseprobe zu Elisabeth Badinter: Der Konflikt. Teil 2

23.08.2010.
(S. 68 ff)

Die 180-Grad-Wende des Feminismus


In weniger als zehn Jahren (zwischen dem Ende der siebziger und dem Beginn der achtziger Jahre) vollführte die feministische Theorie eine Wende um 180 Grad. Man kehrte dem kulturalistischen Ansatz von Simone de Beauvoir den Rücken, die mit Verweis auf die Ähnlichkeit der Geschlechter für Gleichberechtigung der Koedukation eingetreten war - was die Geschlechter einte, war ihr wichtiger als das, was sie voneinander unterschied. Die zweite Welle des Feminismus entdeckte hingegen, dass die Weiblichkeit nicht nur eine Essenz, sondern auch eine Tugend ist, deren Kern die Mutterschaft bilde. Die Gleichheit, so die Argumentation, ist noch immer eine Illusion, solange man nicht diesen essentiellen, alles andere beherrschenden Unterschied anerkannt hat. Im Gegensatz zu Beauvoir, die in der Mutterschaft nur eine Begleiterscheinung im Leben der Frauen sah und sie als Ursache von deren jahrtausendelanger Unterdrückung betrachtete, begriff eine neue Generation von Feministinnen die Mutterschaft als die zentrale Erfahrung der Weiblichkeit, auf deren Grundlage eine neue, menschlichere und gerechtere Welt entstehen könne. Dafür bedürfe es jedoch einer Rückkehr zu Mutter Natur, die viel zu lange ignoriert worden sei: Man müsse den Blick wieder auf die physischen Unterschiede lenken, die die Unterschiede im Verhalten nach sich zögen; die Frauen müssten wieder stolz auf ihre Rolle als Ernährende sein, von denen Wohl und Schicksal der Menschheit abhänge. In vielerlei Hinsicht macht dieser differentialistische und naturalistische Feminismus gemeinsame Sache mit den beiden Diskuren, die hier zuvor behandelt wurden.


Vom Biologismus zum Maternalismus

Anfang der sechziger Jahre löste Alice Rossi, eine junge Akademikerin, Soziologieprofessorin und Mutter von drei Kindern, einen kleinen Skandal aus. Während die Ideologie der guten Mutter die Frau ans Haus fesselte, wagte sie herauszustreichen, wie absurd es sei, aus der Mutterschaft eine Vollzeitbeschäftigung zu machen. Fast 15 Jahre später veröffentlichte dieselbe Autorin einen Artikel, der erneut einschlägig wurde - aber in die umgekehrte Richtung wies: A Biosocial Perspective on Parenting. Nun vertrat sie die Ansicht, die Frauen hätten sich durch ihre ablehnende Haltung zu weit von ihrer Rolle als Nährende entfernt. Sie gab sich überzeugt von der Theorie des Bonding, nahm eine soziobiologische Perspektive ein und behauptete, dass die Biologie die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern steuere. Der Mutterinstinkt (den sie schamhaft als "nicht erlernte Reaktionen" bezeichnet) sei seit den Zeiten der Jäger und Sammler für unser Überleben notwendig gewesen; er habe sich daher in unsere Gene eingeschrieben, und noch heute seien wir durch das alte Erbe aus der Primatenzeit genetisch bestimmt. Deshalb sei die Hinwendung der Mutter zum Kind unendlich viel größer als die des Vaters. Der größere Einsatz der Mutter beginne mit der Geburt, setze sich in den späteren Entwicklungsstadien des Kindes fort und rechtfertige den gegenwärtigen Status quo.
     Auf diese Weise brach Alice Rossi als eine der Ersten mit dem egalitären Feminismus - obwohl sie eine der Gründerinnen der einflußreichen Bewegung NOW (National Organization for Women) war. Rossis Artikel, der die Biologie und damit die Mutterschaft wieder ins Zentrum der Frauenfrage stellte, kam genau zur rechten Zeit. Der Feminismus konnte damals kaum mehr neue Erfolge vorweisen und mußte sich sogar vorwerfen lassen, das zentrale Problem der Ungleichheit der Geschlechter überhaupt nicht gelöst zu haben. Manche Feministinnen schlossen daraus, sie befänden sich auf dem Holzweg. Wenn die Gleichheit nur eine Illusion sei, sagten sie, dann liege das daran, dass die Unterschiede weder erkannt noch berücksichtigt worden seien. Um den Männern gleichgestellt zu sein, hätten die Frauen ihr weibliches Wesen verleugnet und hätten es nur zu einer schwachen Nachahmung ihrer Meister gebracht. Im Gegensatz dazu müßten wir Frauen uns zu unserem Anderssein bekennen und daraus eine politische und moralische Waffe machen. Es war die Geburtsstunde eines neuen Feminismus, der die biologischen Erfahrungen der Frauen in den Vordergrund stellte. Er verherrlichte den weiblichen Zyklus, die Schwangerschaft sowie die Geburt, und die Vulva wurde zur Metonymie der Frau. Ganz selbstverständlich verehrte man die Mutterschaft nun wieder als etwas Erhabenes. Hier war das wahre Schicksal der Frauen zu finden, die Grundlage ihres Glücks und ihrer Macht und das Versprechen einer Erneuerung der Welt, die von den Männern so sehr mißhandelt worden war. Auf beiden Seiten des Atlantiks begeisterten sich viele für diesen neuen Essentialismus, der den Primat der Natur und die weiblichen Eigenschaften feierte, die sich aus der Erfahrung des Mutterseins herleiteten. Dieser Maternalismus, aus dem sich eine neue Moral entwickelte, bildete die Basis für ein alternatives Konzept der Macht und der Zivilgesellschaft. Es erlaubte nebenbei, das Problem des Instinkts zu umgehen, das immer heftigen Widerspruch provoziert.

Teil 3