Vorgeblättert

Leseprobe zu John Stuart Mill: Ausgewählte Werke Bd.1, Teil 1

04.10.2012.
Aus: Einleitung zu Band I
Ulrike Ackermann


"Die Emanzipation der Frauen und die Zusammenarbeit der Geschlechter sind die zwei großen Veränderungen, die die Gesellschaft erneuern werden", schrieb John Stuart Mill im Jahr 1869. Zu diesem Zeitpunkt war seine Ehefrau, Seelenfreundin und Koautorin Harriet Taylor (1807-1858) bereits gestorben. Achtundzwanzig Jahre hatten die beiden aufs Engste zusammengearbeitet, debattiert, Ideen ausgetauscht und weiterentwickelt, sich gestritten und um ihre Liebe gekämpft. Gemeinsam haben sie Politik, Gesellschaft, die Wertvorstellungen und den Zeitgeist nicht nur des viktorianischen England, sondern auch der europäischen Nachbarländer analysiert und aus dieser Analyse neue Ideen und Denkansätze entwickelt. Mit seinen journalistischen Artikeln, den Essays und Büchern sorgte das Paar für erhebliche Aufregung im zeitgenössischen Diskurs und im öffentlichen Leben. Sahen doch beide in der Gleichberechtigung der Geschlechter die Voraussetzung für Wahlfreiheit und Selbstbestimmung der Individuen. Die Frauenemanzipation war für sie gleichermaßen Bedingung und Resultat allgemeiner liberaler Prinzipien - ein Gedanke, den beide schon verfolgten, bevor sie zusammenarbeiteten. 1830 lernte John Stuart Mill die schöne, kluge und wortgewandte Harriet Taylor in einem liberalen Salon kennen. […]

Aus ihrer Bekanntschaft entwickelte sich alsbald eine intensive Arbeitsbeziehung, Freundschaft und Liebe, was im viktorianischen England einen Skandal auslöste. […]

Die Freundschaft - bei formeller Aufrechterhaltung der Taylor'schen Ehe - war in den Augen der Zeitgenossen indes nicht allein wegen der Verletzung der ehelichen Treue skandalös. Als fast noch schlimmer galt ihnen ein Verhältnis zwischen Mann und Frau auf der Basis gemeinsamer intellektueller und politischer Arbeit, wie sie diese freundschaftliche und leidenschaftliche Liebesbeziehung prägte. […]

Der Briefwechsel von Harriet Taylor und John Stuart Mill, den Friedrich August von Hayek im Original und mit Kommentaren versehen 1951 herausgebracht hatte, erscheint in dieser Ausgabe erstmals in deutscher Übersetzung. Er eröffnet den ersten Band, weil er einen sehr guten Einblick vor allem in das Leben, aber auch die Arbeit des Paares erlaubt. Wie seinen Kommentierungen zu entnehmen ist, kämpfte F. A. Hayek, in dessen Nachlass sich ein Porträt der schönen Harriet Taylor Mill befand, heftig mit seinen Ambivalenzen gegenüber diesem besonderen Paar. Obwohl fasziniert von der leidenschaftlichen Beziehung und intellektuellen Zusammenarbeit, sah er zum Beispiel in dem Buch Über die Freiheit einen "gefährlichen Individualismus" am Werke und Mill von seinem eigentlichen Weg abgekommen. Wie bereits Mills Zeitgenossen und spätere Rezipienten mutmaßte auch Hayek, Mill sei von einer starken Frau dominiert und bevormundet worden, die er zudem auch noch in einer Art Selbsttäuschung unablässig auf ein Podest gehoben und künstlich überhöht habe. Auf jeden Fall ist es dem Paar gelungen, seine Privatsphäre bestens zu schützen. […]

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Aus: Die Jahre der Freundschaft
(1834-1847)


[…] H. T. an J. S. Mill, 20. Februar 1834: Glück ist für mich ein bedeutungsloses Wort geworden - oder vielmehr existiert die Bedeutung des Wortes nicht in meiner Anschauung. Unter Glück verstehe ich den Zustand, in dem gewesen zu sein ich mich erinnern kann, als ich das Wort bewusst benutzte - ein Zustand der Erfüllung, wobei Erfüllung nicht nur bedeutet, zu einer Entscheidung gekommen zu sein, nicht nur eine Art Gewissheit zu haben hinsichtlich einer jeden bedeutsamen Frage, sondern frohes, hoffnungsvolles Vertrauen allem gegenüber, worüber ich nachdenken und was ich nicht verstehen konnte, & dies zusammen mit der großen & bewussten Freude an meinen eigenen Gefühlen und Sinneseindrücken -, dieses Glück empfand ich oft vor einem Jahr - wäre die Welt so gut gelenkt, wie Menschen sie lenken könnten & man es vielleicht von ihnen erwarten kann, dann, glaube ich, könnten alle Glücklich sein im Verhältnis zu ihrer Fähigkeit, glücklich zu sein, & dass die mit großer Glücksfähigkeit tatsächlich glücklich sein könnten - in einem erfüllten Zustand lebend, ohne Bedürfnis nach mehr, aber mit, für ihren in die Zukunft gerichteten Blick, einer gelassenen Erwägung der Wahrscheinlichkeit noch größerer Fähigkeit in einem anderen Leben - ich glaube nicht, dass ich das jemals wieder fühlen werde - das Beste, was die Welt für mich tun kann, wäre, mir gegenwärtige Freude zu gewähren, genug, um mich vergessen zu lassen, dass es nichts anderes gibt, was zu erstreben sich lohnte - für die breite Masse der Menschen, denke ich, bestünde Weisheit darin, aus der Sinneswahrnehmung das Höchste zu machen, solange sie noch jung genug sind, & dann zu sterben - denn für die sehr wenigen, die eine angeborene unbegreifliche Fähigkeit zu Gefühlen haben, erfreulicher als jede Sinneswahrnehmung, aber vereinbar mit (?) allen angenehmen Sinneswahrnehmungen und sie verstärkend, für solche Menschen, falls es solche Menschen gibt, was ich ernsthaft bezweifle, bestünde ihre Weisheit darin, wie die anderen für ihre Freuden zu leben & zu sterben - jetzt, ich glaube, dass ein solches Wesen diese Freuden nicht leben wollte oder könnte, aber der Grund dafür liegt meiner Ansicht nach darin, dass sie im Allgemeinen spät zu ihnen kommen und durch Anstrengung und Leiden, was ihren Gefühlen eine künstliche Tiefe und Beharrlichkeit verleiht, denn diejenigen, die überhaupt zu solchen Gefühlen kommen, sind die mit der höchsten Einbildungskraft - & halten folglich am hartnäckigsten daran fest. Ich glaube nicht, dass Liebe den Menschen angeboren ist - sie ist ein Instinkt der niederen Tiere für ihre Jungen - bei Menschen aber handelt es sich um eine künstliche Verbindung von Gefühlen & Gedankenassoziationen, die sich auflösen werden, sobald die Künstlichkeit sich auflöst. Nur die Leidenschaft ist natürlich, die eine vorübergehende Liebe ist - aber was wir Liebe nennen, wird weiterbestehen, solange es Abhängigkeit gibt. […]

J. S. M. an H. T.: Dein lieber Brief, so nett & liebevoll er auch war, Liebste, hat mich den ganzen Tag höchst unbehaglich gestimmt - weil Du diese Schmerzen erlitten hast - & weil ich Dir Schmerzen bereitet habe. Du kannst Dir nicht vorstellen, Liebste, wie sehr es mich jetzt quält, wenn auch nur eine Kleinigkeit misslingt, jetzt, wo dies, dem Himmel sei Dank, nicht oft passiert & deshalb immer unerwartet passiert. Ich erinnere mich überhaupt nicht, "lass uns jetzt nicht darüber reden" gesagt zu haben, oder was es war, worüber ich nicht reden wollte - aber ich bin sicher, dass es etwas war, was ich als seit langem erledigt & vorbei betrachtete & worüber es sich deshalb nicht mehr zu reden lohnte, ein Argument, das Du selber immer wieder dafür vorbringst, mir nicht Deine Gedanken zu erklären oder mitzuteilen, und die Ungewissheit über deren Inhalt peinigt mich - & ich habe letzthin genügend Selbstaufopferung gelernt, manchmal um diesem Gefühl nachzugeben, & ich unterlasse es, Dir Fragen zu stellen, von denen Du mir sagst, dass es Dir unangenehm sei, sie zu beantworten. Aber gleichgültig, worüber wir auf dem Gemeindeland redeten, ich bin sicher, wenn ich gedacht hätte, dass irgendetwas darüber zu sagen gewesen wäre, und mehr noch, wenn ich gedacht hätte, dass eine Frage wie die, ob wir vollkommen übereinstimmen können oder konnten, von dem abgehangen hätte, was ungesagt blieb, wäre ich erheblich mehr darum bemüht gewesen, alles gesagt zu bekommen, als Du es zu sagen bereit gewesen wärest. O meine große Liebe, wenn Du begonnen hättest, etwas zu sagen, worüber Du tage- oder wochenlang nachgedacht hattest, warum hast Du mir das nicht gesagt? Warum ließest Du mich nicht wissen, dass Du im Begriff warst, etwas zu sagen, was Dir wichtig war & was nicht gesagt oder nicht erschöpfend behandelt worden war? Ich schreibe Dir in völliger Unkenntnis dessen, was es war - aber ich bin sicher, dass ich Dich genug & lange genug durch meine Weigerung gequält habe, Deinem anscheinend festen Entschluss zuzustimmen, dass es gewisse tiefgreifende Unterschiede in manchen unserer Gefühlen geben konnte, und nachdem ich nun entdeckt (?) & Dich überzeugt habe, dass es keine gibt, die uns unglücklich machen müssten, erfahre ich von Dir, dass Du zu ertragen fähig wärst, dass es welche geben könnte - die hauptsächlich darin bestehen, dass es mir an manchen Gefühlen mangelt, die Du hegst. Ich glaubte aber, dass wir durchaus wussten & verstanden, welche das waren & dass keiner von uns irgendeinen Sinn darin sah, sie weiter zu diskutieren - und wenn ich Dir Fragen stelle, die Du nicht beantworten magst, tue ich das nur deshalb, weil ich wissen möchte, was Dich zu dem Zeitpunkt quält - und ich habe dabei nicht vor, weiterhin über Gefühle zu diskutieren, wenn es Gefühle und nicht Fakten sind, die Dich verdrießen. Ich weiß, Liebling, dass es fraglich ist, ob Du diesen Brief erhältst, bevor ich Dich treffe - aber ich kann nicht umhin, ihn zu schreiben, & vielleicht fühle ich mich danach erleichtert. Im Augenblick fühle ich mich vollkommen geschwächt und gänzlich unfähig zum Denken oder Schreiben oder irgendeiner geschäftlichen Tätigkeit - aber mir wird es bald besser gehen & lass Dich nicht davon beunruhigen - o Du meine Liebe. […]

H. T. an J. S. M.: Mittwoch/Lieber - wenn der Ton dieses Briefes von Dir Ausdruck eines allgemeinen oder auch nur häufigen Gemütszustands wäre, wäre dies sehr beklagenswert für - darf ich sagen uns - für mich jedenfalls. Nichts, glaube ich, könnte mich dazu bringen, Dich weniger zu lieben, aber ich würde sicher nicht jemanden bewundern, der so fühlen kann, es sei denn, dies geschähe aus einer Laune heraus. Lieber Himmel, bist Du schließlich so weit gekommen, dass Du befürchtest, unbekannt & unbedeutend zu sein! Was soll ich dazu anderes sagen als "verfolge unter allen Umständen Deine brillante und bedeutende Laufbahn". Bin ich jemand, der der Grund dafür sein will, dass der Mensch, den ich liebe, sich zu einem "unbekannten & unbedeutenden" herabgesetzt fühlt! Guter Gott, was hat die Liebe von zwei Gleichen mit unbekannt & unbedeutend zu tun. Falls Du jemals unbekannt & unbedeutend sein konntest, dann bist Du es, egal was passiert, & gewiss ist ein Mensch, der nicht schon bei der Vorstellung, den diese Worte hervorrufen, Verachtung empfindet, keiner, der die Welt herausfordert. Ich wusste (jahrelang) nicht, dass Du eines mesquin Gefühls fähig bist. Es besteht ein schrecklicher Mangel an Einmütigkeit zwischen uns - ich kenne die Wurzel (?) davon, ich verspüre nicht den geringsten Wunsch, dem zu trotzen oder es zu umwerben - unter keinen möglichen Umständen würde ich das eine oder das andere tun - beides setzt ein Zusammengehörigkeitsgefühl damit voraus, & das habe ich nur dann, wenn ich dem oder einem Einzelfall davon einen Dienst erweisen könnte - dann wäre ich erst einmal glücklich, eins damit zu sein - aber es ist für mich, als ob es nicht existierte, was seine Fähigkeit, mich zu verletzen, betrifft - das könnte es nicht, & ich könnte mich niemals im Widerspruch dazu empfinden. Wie sehne ich mich danach, am Meer mit Dir spazieren zu gehen & zu hören, wie Du mir die ganze Wahrheit über Deine Gefühle dieser Art sagst. Es scheint einen Anflug von banaler Selbstgefälligkeit in dieser Furcht vor dem Unbekannt- & Unbedeutend- Sein zu geben - Du wirst es niemals sein - & noch gewisser ist, dass ich kein Mensch bin, der Dir jemals Anlass geben könnte, zu denken, dass ich Dich dazu gemacht habe Was Du auch denken magst, ich könnte nie eines der beiden Wörter sein. Ich fühle mich auch nicht übermäßig verletzt dadurch, dass Du sagst, ich sei wesensmäßig ängstlich und besorgt. Ich weiß, dass das nicht stimmt, und ich werde Dich bedauern, wenn… […]

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Aus: Griechenland
(1855)


Nachdem er achtundvierzig Stunden ohne zu essen und auf dem Rücken liegend in seiner Kabine verbracht hatte, kam Mill in recht guter Verfassung am 6. April in Korfu an - am Karfreitag des Jahres 1855 sowohl nach dem westlichen wie nach dem griechisch-orthodoxen Kalender. Die Ionischen Inseln waren damals noch britische Besitzungen, und Mill fand bald angenehme Gesellschaft und erkundete mit einem irischen Botaniker und einem jungen Mann aus Oxford acht Tage lang Korfu, das er für "ganz entschieden das schönste & angenehmste Stückchen unseres Planeten"hält, "das ich jemals gesehen habe, & ich erwarte keineswegs, in Griechenland etwas Besseres anzutreffen". Er begann bald, den dortigen High Commissioner um sein Amt zu beneiden, als ein unerwartetes Angebot seitens des Colonial Secretary Bowen fast die perfekte Lösung für seine Suche nach einem neuen Wohnort zu bieten schien.

Korfu, 8. April 1855:
Ich frühstückte mit ihm [Bowen] in seinen sehr hübschen Räumen & ergriff die Gelegenheit, ihn zu fragen, ob sich der Ort dafür eigne, sich hier niederzulassen, und erklärte ihm den Grund, warum ich mich dafür interessiere - dass entweder die Gesundheit meiner Frau oder meine eigene oder beider es höchstwahrscheinlich wünschenswert für mich machen werde, meinen Wohnsitz an einem Ort mit südlichem Klima zu nehmen. Er ermutigte mich sehr nachdrücklich - er sagte, er habe sich oft gewundert, warum so wenige Engländer sich hier niederlassen, und dass das nur daran liegen könne, dass die Vorzüge dieses Ortes unbekannt seien. Er sagte, die Engländer hier teilten im Allgemeinen die Ansicht, dass man hier mit £ 600 im Jahr ebenso gut leben könne wie mit £ 1200 in England, ruhige und sparsame Menschen aber kämen noch viel besser zurecht: Sein Vorgänger als Colonial Secretary habe ihm gesagt, nie mehr als £ 500 ausgegeben zu haben, obwohl er mehrere Kinder hatte & sich eine Kutsche & zwei oder drei Pferde hielt. Er fragte mich, ob ich gern als Resident Vertreter der britischen Regierung auf einer der Inseln wäre - die Arbeit nehme für eine tatkräftige Person nicht mehr als zwei Stunden am Tag in Anspruch, da er nicht regieren, sondern nur die Verordnungen der einheimischen Regierung überprüfen müsse, die ihm alle schriftlich zur Genehmigung vorgelegt werden müssten - dass das Gehalt £ 500 betrage & ein Haus oder vielmehr zwei Häuser, in der Stadt & auf dem Land, da die Ernennung nicht durch das Colonial Office erfolgt, sondern durch den Lord High Commissioner für die Ionischen Inseln, der stets darauf bedacht ist, bessere Leute zu finden als die Offiziere, die zufällig die Truppen kommandieren und die er im Allgemeinen in Ermangelung eines Besseren ernennen muss & deren Inkompetenz & Unbesonnenheit ihn zuweilen fast zum Wahnsinn treiben - dass die Stelle entweder in Kefalonia oder Zakynthos innerhalb eines Jahres frei wird; dass sie keine Repräsentationspflichten haben, außer einmal im Jahr am Geburtstag der Queen einen Ball für die wichtigsten Leute der Insel zu geben & etwa zweimal im Jahr ein Festessen für die Mitglieder der einheimischen Regierung. Das ist verlockend, jetzt, wo ich sehe, um wie viel zumindest Korfu angenehmer ist als die meisten anderen Orte, die für uns in Frage kämen: Wenn Ward geblieben wäre, wäre die Stelle wohl mühelos für mich zu haben. Der Neue ist der Sohn eines Direktors vom East India House, aber dass ich diesen kannte, da er in Verruf geraten starb, dürfte mich dem Sohn wohl kaum empfehlen. Bowen stellte mich in der Garnisonsbibliothek vor, dem einzigen Ort, wo man englische Zeitungen & Zeitschriften finden kann - dort erfuhr ich zum ersten Mal von Humes Tod: wenn alle so viel Gutes im Verhältnis zu ihren Talenten tun würden wie er, was für eine Welt könnte das sein! Auch dass Lewis Finanzminister ist & Vernon Smith im India Board: Letzteres wird mir dort erheblichen Einfluss verschaffen.

Gegen Ende seines Aufenthalts in Korfu und nach einer langen und sorgenvollen Unterbrechung hörte Mill endlich wieder von seiner Frau. Ihre Gesundheit war offenbar durch den strengen Winter erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden.

Korfu, 14. April: Dem Himmel sei Dank, dass es vorbei ist - die Krankheit & auch der Winter, & obwohl Du in Deinem letzten Brief nicht schreibst, wie es Dir geht, sind doch die Handschrift & der Umstand, dass er mit Tinte geschrieben wurde, ermutigend. Was die Gefahren des Reisens in Griechenland betrifft, wird mein Schatz meinem letzten Brief entnommen haben, dass ich durchaus darauf achte & keine ernsthaften Risiken eingehen werde. Ich werde mich an Wyse orientieren, der die Zustände im Lande kennen müsste. Du kannst ruhig sagen, dass das savoir faire eines anderen "zusätzlich zu" meinem erforderlich sei - ich musste lachen, als ich das las, als ob ich überhaupt über ein savoir faire verfügte.… Bowen kam später auf das Thema der Residentschaft zurück, sagte, dass die Stelle auf Zakynthos dieses Jahr vakant wird, dass sie Wodehouse angeboten wird & falls er sie annimmt, wird die in Kefalonia vakant & dass er fast sicher sei, dass Sir J. Young niemanden hat, dem er sie geben will, & er wünschte anscheinend sehr, dass ich ernsthaft darüber nachdenke. Ich sagte ihm, dass ich mich noch nicht entschlossen hätte, das India House zu verlassen, aber sehr wahrscheinlich dazu gezwungen wäre, & dass diese frei werdende Stelle einen starken zusätzlichen Anreiz dafür bedeute. Wie nun eine Diniererei zur nächsten führte, fand ich mich gestern wiederum zum Diner bei Sir J. Young ein: Die einzigen anderen Anwesenden waren der Regent von Korfu (ein Graf Soundso) & Oberst Butler. Ich - wie auch der Gouverneur - erfuhren vom Regenten viel über die Statistik der Inseln, & ich führte einige Gespräche mit Sir J. Y. über die Steuern. Ich war froh, ihn so oft getroffen zu haben, falls wir ernsthaft daran denken sollten, hierher zu ziehen - ich glaube nicht, dass es einen schöneren Ort auf der Welt gibt & nur wenige angenehmere - zur Last fallen würde uns hier, dass wir (mit der Residentschaft) nicht das vollkommen ruhige Leben führen könnten, allein mit uns selbst & unseren eigenen Gedanken, das wir jedem anderen vorziehen, aber wenn wir leidlich gesund sind, gäbe es nicht mehr an gesellschaftlichem Umgang, als erträglich wäre, & andernfalls würde unser Fernbleiben entschuldigt. Heute Morgen hätte ich nach Athen abreisen sollen, aber der Dampfer ist nicht eingetroffen, & ich kann nicht sagen, wann wir fortkommen… Ich brenne darauf, endlich nach Griechenland zu kommen, nachdem ich diese Insel gründlich erkundet habe & so, dass ich sie nie wieder vergessen werde: & sie erschien mir immer bezaubernder. Es sagen jedoch alle, dass das Klima hier extrem unbeständig ist, viel Regen, viel Kälte & drei Monate lang starke Hitze. … Bowen teilte mir mit, dass Reeve Herausgeber der Edinburgh Review ist! Sie liegt nun endgültig darnieder. Wer wäre denn bereit, seine Artikel von Reeve beurteilen & kürzen & zerlegen zu lassen? Für uns bedeutet das wiederum die vollständige Ausschließung.

Die Residentschaft wird in den folgenden Briefen Mills nicht mehr erwähnt, aber einem Brief, den Mrs. Mill etwa zu dieser Zeit an ihren Bruder in Australien schrieb, lässt sich entnehmen, dass er das Angebot wahrscheinlich auf ihren Wunsch hin ablehnte.

Mrs. Mill an Arthur Hardy, etwa April 1855:
Mr. Mill wurde eine sehr schöne Stelle im Staatsdienst auf einer der griechischen Inseln angeboten, wobei davon ausgegangen wurde, dass das Klima sowohl seiner wie meiner Gesundheit zuträglich sein würde, aber so verlockend das Angebot ist, ich glaube nicht, dass wir es annehmen werden, uns graut vor der Hitze dort, die im Sommer sehr stark sein soll.

Nachdem er Korfu am Morgen des 15. April verlassen hatte und zunächst auf seinem Dampfer langsam an den Ionischen Inseln vorbei- und den Golf von Korinth hochgefahren war, erreichte Mill nach einer Kutschfahrt über den Isthmus am Abend des 17. Athen.

Athen, 19. April: Ich habe die zwei bislang hier verbrachten Tage gut zu nutzen gewusst: Gestern sah ich fast alle Altertümer & fuhr heute nach Eleusis. Ich habe schon ein Gefühl für den Ort bekommen - was die Landschaft betrifft, bleibt er bislang eher hinter meinen Erwartungen zurück, weit unter Korfu & dem Golf von Korinth, die Berge sind zwar eigentlich schön, aber ausgedörrt & kahl & ähneln sehr denen in Südfrankreich, während ich die eigentümliche Schönheit dieses Ortes, die leuchtende & reine Atmosphäre, nicht erleben durfte - die beiden Tage hier waren zwar sonnig, aber äußerst diesig, so dass ich die Berge nicht halb so gut sah wie an dem regnerischen Tag meiner Ankunft hier. Wyse sagt, dass Lord Carlisle auch kein Glück hatte & erst vor seiner Abreise einige wenige Tage mit herrlichem Wetter erlebte. Gleichwohl war der Blick von der Akropolis großartig. Die Tempel übertrafen meine Erwartung, statt hinter ihr zurückzubleiben, auch wenn ich nicht gedacht hätte, dass so viel vom Parthenon zerstört worden ist. Von seiner Schönheit vermögen Stiche jedoch keine angemessene Vorstellung zu vermitteln, ganz unabhängig davon, was alle Gebäude hier dem über alle Maßen schönen pentelischen Marmor verdanken, aus dem sie gebaut sind. Der Tempel des Theseus war mir seit meiner Kindheit durch einen Druck vertraut: Ich wurde nie müde, ihn zu betrachten. Das Innere ist nun ein Museum für die Skulpturen, die gelegentlich ausgegraben werden, & ich war in keiner Weise vorbereitet auf ihre außergewöhnliche Schönheit; dort ist auch eine Statue, die dem Merkur oder Antinous in den Vatikanischen Museen sehr ähnlich &, wie ich meine, ebenbürtig ist, & daneben eine Reihe von Gruppen Trauernder, bei denen Anmut & Würde der Haltung & der Ausdruck verhaltener Trauer in den Gesichtern & Gesten so weit entwickelt sind, wie es meines Erachtens der Kunst Sterblicher überhaupt möglich ist.

20. April: Die Akropolis mit ihren vier Tempeln (obwohl die Propyläen eigentlich kein Tempel sind) verbindet sich herrlich mit den umliegenden Hügeln - & von den fernen Bergen sind Pentelikus & die Insel Ägina [?] die schönsten, mit Ausnahme der Gebirgsgruppe am Isthmus, die prachtvoll ist. Welches Licht es auf die griechische Geschichte wirft, wenn man weiß, dass Akrokorinth als ein großes Objekt von allen diesen Höhen aus sichtbar ist - viel größer & näher erscheinend als die Knockholt Beeches bei uns in der Heimat. Ich glaube, dass diese Gegend der Morea absolut himmlisch sein muss. Der Golf oder die enge Wasserstraße zwischen Salamis & dem Festland, wo die Schlacht stattfand, liegt genau unter unseren Füßen, aber ich kann mir die Geschichte des Ortes nicht vergegenwärtigen, während ich ihn betrachte - alle alentours sind so anders. Ich werde das auf unserer Zufahrtsstraße im lieben Blackheath besser können.

Am folgenden vollkommen wolkenlosen, aber dennoch etwas diesigen Tag bestieg Mill den Pentelikus und wurde mit einer perfekten Aussicht belohnt.

21. April: Ich habe nie eine Kombination von Landschaften gesehen, die so vollkommen schön & so großartig war - & der Sonnenuntergang & das Abendlicht auf den zahllosen Bergen vor uns auf unserem Rückweg waren von erlesener Schönheit. Der Dunst beeinträchtigt die Schönheit des Abendlichts nicht, wenn die Sonne so tief steht. Die mehr als irdische Schönheit dieses Landes nimmt allen Kummer oder Gefühle wegen der historischen Erinnerungen von mir, die ich in Syrakus so stark empfunden hatte. Die werde ich haben, wenn ich wieder über griechische Geschichte lese, nachdem ich mit den Örtlichkeiten vertraut geworden bin. Ich war überhaupt nicht ermüdet, mit Ausnahme der Hand, die die Pflanzen trug, denn die Last, die Perry & ich einbrachten, war sehr schmerzhaft für Körper & Geist. Ich empfand noch nie so sehr den embarras des richesses. Die Pflanzen mit lückenhaften Büchern zu bestimmen nimmt mehrere von den 24 Stunden des Tages in Anspruch: Es ist jetzt nach 12, & ich habe erst etwa ein Drittel bestimmt, der Rest muss bis morgen im Wasser bleiben & in der Blechkiste - um bei Tageslicht bestimmt zu werden -, und ich war auch nicht in der Lage, auch nur eine einzige Veröffentlichung zu ändern. Ich bin hier in der Jahreszeit der Blumen sowie aller anderen Schönheit. Es stimmt durchaus, dass nichts, nicht einmal die Schweiz, von vergleichbarer Schönheit ist wie dies Land hier - aber wie in allen anderen Fällen wird andere, geringere Schönheit deshalb mehr, nicht weniger erfreulich sein. Wenn mein Liebling in seiner Schönheit das doch nur sehen könnte! Selbst Sizilien rückt ziemlich in den Hintergrund. Und es ist erst zwei Wochen her, dass ich dachte, nichts könne schöner sein als Messina!

zu Teil 2