Vorgeblättert

Leseprobe zu Rainer Pöppinghege: Tiere im Ersten Weltkrieg.Teil 2

11.08.2014.
Hunde

Die Bedeutung von Hunden im Ersten Weltkrieg ist von späteren Generationen eher unterschätzt worden. Der 1929 vom Reichswehrministerium herausgegebene Kriegsveterinärbericht des deutschen Heeres widmete sich ihnen auf ganzen vier von über eintausend Seiten. Der große Rest war darin den Pferden vorbehalten, die natürlich rein quantitativ die größte Rolle spielten.
     Für das deutsche Heer, das sich - im Gegensatz zu Frankreich und England, wo führende Militärs anfangs gewisse Vorbehalte gegen den "Militärfaktor Hund" hegten - auf ein funktionierendes Militärhundewesen aus Friedenszeiten stützen konnte, standen bei Kriegsbeginn 6000 Hunde zur Verfügung. Ihre Zahl stieg im Kriegsverlauf auf den Höchstwert von 30 000 Tieren, die von ebenso vielen Soldaten betreut wurden.(99) Dabei wurden diese mitunter von zivilen Hundebetreuern und -führern unterstützt, die ihre Erfahrungen mit den Tieren einbrachten. Italien setzte 3500 Hunde an der Alpenfront ein, und zwar vorwiegend als Zugtiere, die bei Schnee Schlitten ziehen mussten. In besonders unwegsamem Gelände, das Mauleseln Schwierigkeiten bereitete, nutzte man sie auch wegen ihres geringeren Gewichts als Packtiere, die bis zu 30 Kilogramm, in ebenem Gelände auch 50 Kilogramm zu tragen vermochten.(100)
     Bei den Hunden beeindruckt ihre Vielseitigkeit, die keine andere Spezies im Ersten Weltkrieg aufweisen konnte. Sie versahen Aufgaben, die zum Teil aus zivilen Nutzungen bekannt waren, also beispielsweise als Wach- und Spürhunde. Zum anderen Teil kamen neue Aufgaben hinzu, wie jene der Meldehunde. Zumindest die mitteleuropäischen Armeen nutzten Hunde in dieser Weise. In Belgien waren Hunde auch schon in Vorkriegszeiten dazu gebraucht worden, Lasten auf kleineren Karren zu ziehen. Daher bedurfte es keines großen Trainingsaufwands, die Tiere für militärische Zwecke zu schulen. Statt den Bauern ihr Gemüse zum nächsten Markt zu ziehen, waren dann eben Maschinengewehre für die Soldaten zu transportieren. Lediglich in Sachen Ausdauer erhielten einige von ihnen ein spezielles Training. Ein Doppelgespann kräftiger belgischer Hunde konnte eine Last von 500 Kilogramm bewegen. Die belgische Armee verfügte über zwölf MG-Kompanien, in denen insgesamt 500 Tiere auf diese Weise tätig waren.(101)
     Zur Unterstützung erblindeter Soldaten fungierten speziell ausgebildete Blindenhunde, die vielfach selbst nicht mehr kriegseinsatzfähig waren. Selbstverständlich konnte man Hunde auch zur Bewachung militärischer Objekte wie Munitionsdepots und Kriegsgefangenenlager einsetzen. Durch ihre Schnelligkeit und Agilität erwiesen sie sich als besonders effizient, so dass demgegenüber die Zahl der Wachsoldaten verringert werden konnte.
     Die Heere beiderseits der Frontlinien nutzten sie darüber hinaus in ihrer Funktion als Spürhunde. Man griff gern auf tierische Dienste zurück, wenn es beispielsweise darum ging, Deserteure der eigenen Armee oder entwichene Kriegsgefangene zu ergreifen. Auch um feindliche Patrouillen frühzeitig zu identifizieren, erwiesen sich die Sinnesorgane der Hunde den menschlichen erwartungsgemäß als überlegen. Durch leises Knurren taten sie ihr Unbehagen kund und warnten damit die eigenen Soldaten vor dem herannahenden Gegner. Ein anderes Einsatzfeld bot sich im Sanitätsdienst, wo speziell ausgebildete Hunde Verwundete auf dem Schlachtfeld aufspürten und den Sanitätssoldaten dies durch ihr auffälliges Verhalten übermittelten.
     Die wohl wichtigste und prominenteste Aufgabe kam den Meldehunden an der Front zu. Dort transportierten sie verschiedenste Materialien in die vordersten Linien: Lebensmittel, Stacheldrahtrollen, Munition und Baumaterial wurde ihnen aufgeschnallt bzw. trugen sie einfach im Maul. Beliebt unter den Soldaten waren sie nicht zuletzt, wenn sie lang ersehnte Feldpostbriefe und -päckchen in die Schützengräben brachten. Sie unterstützten moderne Kommunikationstechnik, wenn sie losgeschickt wurden und Telefonleitungsdraht von einer Rolle abwickelten. Vielfach waren die technischen Kommunikationsmittel aber unzureichend bzw. durch den fortwährenden Artilleriebeschuss zerstört. Dann schlug die Stunde der eigens trainierten Meldehunde.
     Es liegen zahlreiche Berichte darüber vor, dass nur durch den Meldehund wichtige Informationen zwischen Kampfeinheiten der vordersten Linie und den Stäben im Etappengebiet ausgetauscht werden konnten. Bis zu acht Kilometer überwanden diese Hunde unter widrigsten Geländebedingungen, häufig während Artilleriebeschusses. Günstiger erschien es allerdings, die Hunde möglichst weniger als 2,5 Kilometer laufen zu lassen, da bei ihnen auf längeren Strecken die Konzentration nachzulassen drohte und der eine oder andere Vierbeiner dadurch abhandenkam.
     Beim Einsatz der Meldehunde sind zwei Arten der Kommunikation zu unterscheiden: Bei der einfachen Variante blieb der Hundeführer, auf den der Hund fixiert war, beispielsweise beim rückwärtigen Bataillonsstab zurück. Ein anderer Soldat nahm den Hund zur vordersten Linie mit, wobei dieser kein Futter, sondern lediglich etwas Wasser erhielt. Sollte eine Nachricht versandt werden, so steckte man diese in einen kleinen Lederbehälter am Halsband des Tieres und ließ dieses zu seinem Hundeführer zurücklaufen. Damit Meldehunde für die eigenen Soldaten zu identifizieren waren -, sie durften auf ihren Dienstläufen nicht behelligt werden - trugen sie neben der Meldebüchse am Halsband die Aufschrift "Diensthund" sowie eine Erkennungsmarke.
     Die etwas kompliziertere Variante der Nachrichtenübermittlung sah vor, dass der Hund zu gleichen Teilen auf zwei Bezugspersonen trainiert wurde, so dass er zwischen diesen hin- und herpendeln konnte. Daher waren bei den Nachrichtenabteilungen des deutschen Heeres für jeden Meldehund zwei Führer vorgesehen, wobei diese das Tier möglichst kontinuierlich und auf Dauer betreuen sollten. Der Chef des Generalstabs des Feldheeres verfügte am 24. August 1917: "Die Meldehunde treten als organische Bestandteile zu den Truppen-Nachrichten-Abteilungen der Infantrie." Bei den Armeeoberkommandos richteten die Militärbehörden Meldehundeschulen ein, in denen Hund und Führer gemeinsam ausgebildet wurden. Hatten sich einzelne Hunde an der Front nicht bewährt, so bestand in den Meldehundeschulen die Möglichkeit der Nachdressur.(102)
     Im Gegensatz zu den Pferden können Verlustzahlen der Kriegshunde nicht exakt ermittelt werden. Viele dürften trotz intensiven Trainings dem Stress der Schlachtfelder nicht gewachsen gewesen sein. So stellten deutsche Militärbehörden beispielsweise fest, Hektor sei am 1. August 1918 entlaufen und Marquisa "vom Meldegang nicht zurückgekehrt".(103) War sie - wie damals üblich - vom Feind mit Fischködern vom rechten Weg gelockt worden? Wir können diese Frage genauso wenig beantworten wie jene, ob es unter den Hunden ähnlich wie bei den Menschen sogenannte Kriegszitterer gab. Tiere eben, die wie ihre menschlichen Mitsoldaten unter dem Dauerbeschuss Nervenzusammenbrüche erlitten und krampfartig zu zucken begannen. Die solchermaßen erkrankten Soldaten wurden von den Militärpsychologen zwar misstrauisch beäugt, immerhin war der Krieg für sie beendet und sie fristeten ihr Dasein fortan in einem militärpsychiatrischen Lazarett. Solche Mühe dürfte man sich mit den Hunden nicht gemacht haben.


Tauben

Der wichtigste Einsatzzweck von Militärbrieftauben bestand darin, Nachrichten zu transportieren. Hier machte man sich Erfahrungen aus dem zivilen Alltag zunutze. Der Orientierungssinn und der Rückkehrinstinkt der Tiere veranlassten diese, auch über weite Strecken zuverlässig die ihnen bekannten Punkte anzufliegen. In der Regel wurden die Tauben von ihren Schlägen, die sich 15 bis 20 Kilometer hinter der ersten Frontlinie befinden konnten, dorthin transportiert und von den Kampfeinheiten mit entsprechenden Kassibern fliegen gelassen. Bei den Briten waren beispielsweise für jede Infanteriedivision jeweils ein mobiler Schlag, für jede Division zwei Taubenschläge vorgesehen. Der Umfang der Nachrichten konnte je nach Flugdistanz variieren. Einem englischen Bericht zufolge konnten Tauben zwei Nachrichtenbehälter an die Beine geschnallt werden, sofern die Flugentfernung nicht über 80 bis 100 Kilometer betrug.(104)
     Mit ein wenig Training schafften es die Tauben, sich an mobile Schläge zu gewöhnen. Schon nach wenigen Tagen kehrten sie an die neuen Standorte zurück. Nach den positiven Erfahrungen der Franzosen im Krieg von 1870/71 griffen auch andere Armeen auf die Dienste der "gefiederten Boten" zurück.
     Tauben wurden in allen erdenklichen Situationen vor Allem an der Westfront abgesandt: aus Panzern heraus abgeschickt, versinnbildlichten sie die Symbiose von moderner Kriegstechnik und archaischer Naturinstinkte. Üblicherweise verkehrten sie jedoch zwischen der vordersten Frontlinie und hinteren Einheiten. So dienten sie dazu, exakte Zielhinweise an die Artillerie oder auch Hilfeersuche eingeschlossener Truppenteile zu übermitteln. Spannung entstand immer dann, wenn eine Taube losgeschickt wurde. Würde sie ihr Ziel erreichen? Würde sie den feindlichen Scharfschützen entkommen? Notfalls sandte man deshalb zwei Tiere mit identischen Meldungen ab, um dieses Risiko zu verringern.
     Wie konnte eine solche Meldung aussehen? Hier gibt Hans Henning Freiherr von Grote den Wortlaut einer Meldung aus den Kämpfen am Chemin des Dames vom 21. Oktober 1917 wieder: "Feind hat rechts von uns den ganzen Chemin genommen, marschiert in das Ailettetal. Beauregard hält Abschnitt trotz Verlustes der rechten Flügelkompagnie, über welche Näheres noch ungewiß. Ohne Entsatz auf die Dauer Stellung unhaltbar, da Feind schon im Rücken. Mit zweitem Bataillon Anschluß nach links gesichert. Fort Malmaison unter Feuer nehmen."(105)
     Rückblickend wurde aus der Botschaft eine Erfolgsgeschichte, da die Artillerie umgehend reagierte und auch zusätzliche Unterstützungstruppen gesandt wurden. Man darf jedoch Zweifel haben, ob dies stets so reibungslos geklappt hat und die Reaktionen der Stabssoldaten schnell genug erfolgten. Vielfach dürften nicht immer genügend Ersatztruppen vorhanden gewesen sein, um die Kameraden in einer brenzligen Situation zu unterstützen.
     Auch aus Ballonen und von Schiffen setzte man mit Nachrichten bestückte Tauben ab. In Einzelfällen trugen sie kleine Kameras, die automatisch auslösten und bei ihrer Rückkehr Luftbilder des Frontverlaufs lieferten - eine absolute technische Neuerung! Auch die Spionagetätigkeit sollte von ihrer dezenten Form der Nachrichtenübermittlung profitieren. Bei all diesen Tätigkeiten waren die Tiere erheblichen Strapazen ausgesetzt, sei es durch ungünstige klimatische Verhältnisse, sei es durch Futtermangel in den Schützengräben. Und natürlich galt dies auch für die Kampfhandlungen selbst, die neben den üblichen Geschossen erstmals auch durch Gaseinsatz gekennzeichnet waren. Allein in einen engen Korb gesteckt und kilometerweit darin transportiert zu werden, stellte eine Stresssituation für die Tiere dar. Zumal es keineswegs gesichert war, dass jeder einzelne Soldat die Tauben artgerecht behandelte.
     Trotz der positiven Erfahrungen mit Brieftauben in vorherigen Kriegen favorisierten viele Militärangehörige die neuen technischen Möglichkeiten von Telegraphie und Telefon sowie "klassische Medien" wie Meldeläufer bzw. -reiter. Es zeigte sich aber bald, dass das Einsatzspektrum der Tauben doch einzigartig war. Zwar konnten sie bei Wind, starkem Regen und Nebel nur schwer ihr Ziel finden, doch überzeugten sie Skeptiker mit ihrer großen Übermittlungszuverlässigkeit: Ungefähr 95 Prozent aller versandten Nachrichten erreichten bei normalen äußeren Bedingungen ihren Empfänger, so eine englische Untersuchung.(106)
     Waren zu Beginn des Krieges nur Franzosen, Belgier und Deutsche mit nennenswerten Militärbrieftauben-Beständen ausgestattet, so griff bald auch die englische Armee auf ihre Dienste zurück. Im November 1914 formierte sich eine aus privaten Züchtern bestehende Freiwilligeneinheit bei der Marine. Zu jener Zeit verfügten die Deutschen schon über eine Ist-Stärke von 21 000 Brieftauben, die aber erst im statischen Stellungskrieg ihren Nutzen entfalten konnten.(107) Im Jahr 1917 gab es mehr als doppelt so viele Tauben auf deutscher Seite, 70 Prozent davon aus privaten Beständen.
     Insgesamt nutzten die Deutschen über die gesamte Kriegsdauer hinweg mehr als 120 000 Tauben. Diese wurden in 500, später sogar über 600 verschiedenen, teilweise mobilen Schlägen hinter der Front gehalten, versorgt und trainiert. Die mobilen Schläge, von denen das deutsche Heer bei Kriegsbeginn nur einen einzigen besaß, wanderten mit der Frontverschiebung und wurden entweder von Pferden gezogen oder auf Eisenbahnschienen gesetzt oder per Motorkraft bewegt.
     Die Franzosen setzten 1916 während der Schlacht an der Somme 5000 ihrer insgesamt 25 000 Tauben ein. Selbst die 1917 in den Krieg eintretenden Amerikaner errichteten Brieftaubeneinheiten, nachdem man zunächst auf französische Tauben und die entsprechende Infrastruktur zurückgegriffen hatte.(108) Mit 2350 Tauben aus den USA stellte man den 1st U. S. Army Pigeon Service in Dienst, der zunächst aus neun Offizieren und über 320 Soldaten bestand. In dessen 50 mobilen Schlägen waren 6000 Militärbrieftauben untergebracht. Die italienische Armee verfügte in ihren Alpenstellungen sogar über 50 000 Tiere.

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(99) Münch, S. 134 f.; Kriegsveterinärbericht, S. 871 f.; Richardson, S. 250.
(100) Baynes, S. 189.
(101) Baynes, S. 192-194.
(102) Württembergisches Hauptstaatsarchiv Stuttgart M 220-259.
(103) Württembergisches Hauptstaatsarchiv Stuttgart M 220-259.
(104) "Organisation of the Army Carrier Pigeon Service", 1918, RG 120 Entry 2051, WWI Organization Records - Signal Corps, National Archives and Records Administration (NARA).
(105) Theuerkauff, S. 221-230, hier S. 228 f.
(106) Baynes, S. 215.
(107) Pöppinghege/Proctor, S. 107 f.
(108) Baynes, S. 217 f.

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