Vorgeblättert

Leseprobe zu Winfried Speitkamp: Ohrfeige, Duell und Ehrenmord. Teil 2

06.09.2010.
Die Prügelstrafe als Sinnbild der Klassen-, Geschlechter- und Generationendifferenz freilich blieb noch eine Weile bestehen. Beschränkungen der Prügelstrafe reichen zwar bis in ihre Frühgeschichte zurück, insbesondere die Zahl der Schläge wurde früh fixiert. Doch auch so blieb die Prügelstrafe in der Ausführung höchst brutal und konnte nicht selten zum Tode führen. Seit dem 17. Jahrhundert gewann die Kritik an Einfluss, und namentlich die Aufklärung monierte Unvernunft und Unmenschlichkeit der Prügel. Vermehrt wurde nun die Prügel durch Zuchthausstrafen ersetzt. Auch Friedrich II. von Preußen setzte sich abgesehen von der Abschaffung der Folter für die Eindämmung willkürlicher Prügelstrafen ein. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schaffte dann eine ganze Reihe von deutschen Staaten (Nassau 1809, Baden 1831, Braunschweig 1837, Hessen-Darmstadt 1841, Preußen und Österreich 1848, Bayern 1861) die Prügelstrafe formell ab. Im Grundrechtskatalog der Paulskirchenverfassung wurde sie ebenfalls untersagt, doch in der Reaktionszeit in einigen Staaten wieder eingeführt. Erst 1871 verkündete das Reichsstrafgesetzbuch für Deutschland die endgültige Beseitigung der Prügelstrafe. In anderen Staaten wie England oder Dänemark wurde sie aber noch praktiziert. Als Disziplinarstrafe blieb die Prügelstrafe im übrigen auch in Deutschland noch erhalten, so in Preußen für (männliche) Zuchthausgefangene, denen die Ehrenrechte aberkannt waren. Auch verlangten noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts manche Autoren, die Prügelstrafe wieder einzuführen. Nicht selten wurde sie zumindest als Disziplinarstrafe für Jugendliche gefordert, weil sie hohe Abschreckungswirkung habe und "das entsittlichende Gefängnis in vielen Fällen entbehrlich" mache. Dagegen wurde die "Gefahr einer Klassenjustiz" - bürgerliche Jugendliche wären kaum der Prügel unterworfen worden - angeführt sowie "die verrohende Wirkung auf die vollstreckenden Beamten", nicht aber die Verrohung und Demütigung der Opfer.
     Das Verbot der Prügelstrafe galt freilich ohnehin nur für das Reichsgebiet, denn wenig später wurde die Prügelstrafe in den seit 1884/85 erworbenen deutschen Kolonien noch einmal eingeführt. So wie im kolonialen Strafrecht für die deutschen "Schutzgebiete" überhaupt in Europa längst überwundene Rechtsprinzipien zugrunde gelegt wurden (etwa Aufhebung der Gleichheit vor dem Gesetz, Strafe ohne Gesetzesbasis, Verwandtenhaftung, Verbindung von Justiz und Verwaltung), so wurden auch Körperstrafen wieder eingeführt. Dies wurde mit der spezifischen Situation in den Kolonien und dem Charakter der unterworfenen indigenen Bevölkerung begründet. Das europäische Recht sei dafür nicht angemessen. Nicht nur müsse der Beamte vor Ort schnell und flexibel handeln können, ohne Rücksicht auf formale, dem jeweils ortsüblichen, zum Beispiel afrikanischen Rechtsdenken fremde Normen aus den fernen europäischen Metropolen. Vielmehr müsse das Recht auch pädagogische Funktionen übernehmen: "Die Eingeborenen sind Kinder - sie müssen erzogen werden durch Verbote und Strafen", formulierten deutsche Juristen im Blick auf die afrikanische Bevölkerung. Vorgeschlagen wurde sogar, "die Farbigen als Minderjährige unter 18 Jahren zu behandeln". Der Kolonisierende hatte in paternalistischer Manier zu erziehen, anzuleiten und zu züchtigen. Dafür schien die Prügelstrafe als unmittelbar wirksame und fühlbare Bestrafung höchst nützlich. Denn Afrikaner, so meinten die deutschen Kolonialherren, vergäßen sonst den Grund der Bestrafung, zumal nach monate- oder jahrelanger Haft.
     Derartige Vorstellungen führten in der Praxis allerdings bald zum Missbrauch. Die deutschen Amtleute konnten bei ihrer Tätigkeit kaum überwacht werden. Als in Kamerun Frauen afrikanischer Soldaten wegen Arbeitsverweigerung ausgepeitscht wurden und diese Demütigung eine Meuterei ihrer Männer provozierte, griff die Berliner Kolonialregierung ein. Die Regeln für die Anwendung der Prügelstrafe in den Kolonien wurden 1896 präzisiert. Inder, Araber, dann auch zum Teil "Häuptlinge" und Frauen wurden nun davon ausgenommen. Außerdem wurde das Höchstmaß auf 50 Schläge begrenzt, und nach Möglichkeit sollte ein Arzt bei der Vollstreckung anwesend sein. Auf die Praxis, die brutale und ausufernde Anwendung der Prügel, hatte das wenig Einfluss. Selbst nach der offiziellen Statistik nahmen die Verurteilungen zur Prügel zwischen 1900 und 1913 massiv zu, in Deutsch-Ostafrika beispielsweise von 3467 auf 8057, in Kamerun von 315 auf 4800. Dieser erstaunliche Befund ist nur erklärbar durch die Parallelen zum Jugendstrafrecht, das zur selben Zeit neu diskutiert wurde. Dort verlangte man vermehrt eine Differenzierung und Individualisierung der Strafe, die Einbeziehung der Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Täters bei der Bemessung auch der Art der Strafe. Was im Jugendstrafrecht modern erschien, war im kolonialen Kontext allerdings bloß noch rassistisch, etwa wenn man hier eine Differenzierung nach Kontext und Täter empfahl: "Nichts wäre thörichter, als den Neger nur nach Prinzipien zu bestrafen. Im Gegenteil, der Weisse muss von Fall zu Fall und je nach der Person überlegen, welche Strafe er gerade am zweckmässigsten zu verhängen hat." Denn das betraf immer nur die sogenannten "Schwarzen". Europäer in den Kolonien unterlagen einem anderen Recht und waren nicht der Prügel unterworfen. Die Prügel galt also erneut nicht nur den Unterschichten, sondern vor allem den nicht Satisfaktionsfähigen im kolonialen System, und hier zugleich den vermeintlich Erziehungsbedürftigen. Immerhin waren die Kolonialherren einst angetreten, ihnen die Zivilisation zu bringen. Stattdessen brachten sie die beständige Erniedrigung: durch das System kolonialer Herrschaft an sich, aber vor allem durch die Praxis der Prügelstrafe und der alltäglichen Gewalt, zum Beispiel die Schläge für unaufmerksame oder widerspenstige Dienstboten, von denen auch die koloniale Erinnerungsliteratur wie selbstverständlich berichtet. Gewalt bedeutete insofern auch im kolonialen Kontext Erniedrigung, Entehrung, und die beständige Gewalt demonstrierte vor allem scheinbar unabänderliche Statushierarchien.
     Gerade die Ohrfeige, die man als "kleine Gewalt" bezeichnet hat, hatte in diesem Kontext eine Schlüsselrolle. Sie konnte als Teil von Prügelstrafe und Züchtigung im Rahmen der Erziehung verstanden, aber auch als symbolische Strafe genutzt werden. Schon in der Vormoderne war die Ohrfeige dabei vor allem eine Demonstration von Statusdifferenz, nicht zuletzt von Geschlechter- und Generationendifferenz: Geohrfeigt wurde, wenn es galt, dem Gegenüber deutlich zu machen, dass es eben nicht auf gleichem Rang stand. Die frühneuzeitlichen Belege dafür sind zahlreich: Der Adlige ohrfeigte den Bürger, wenn der ihm, zum Beispiel als Jurist, Nachteile zugefügt hatte,24 der Handwerker den Lehrling, der Ehemann die Ehefrau, der Hausvater die Kinder und das Gesinde. Die Ohrfeige war in der Vormoderne Ausdruck der Hierarchie zwischen den Ständen und innerhalb der Stände, nicht zuletzt im "Ganzen Haus" und in der Familie. Das hat sich auch nach dem Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft gehalten. Einerseits galt es bis in die politischen Extreme hinein. Im "Dritten Reich" und besonders in Konzentrationslagern ohrfeigten Polizisten, Aufseher, Wärter die Entrechteten und Verfolgten, gerade Juden, die dem Nationalsozialismus als nicht ehrfähig galten, wie zum Beispiel an den Formulierungen der Nürnberger Gesetze von 1935 explizit ablesbar. Zahlreiche weitere Belege, bis hin zu Memoiren, zeigen Allgegenwärtigkeit und Bedeutung dieser beständigen Demütigung, Kränkung und Verletzung im doppelten Wortsinn, dieser eben keineswegs so "kleinen" Gewalt. Man konnte Juden ungestraft ohrfeigen, und man konnte auf diese Weise den eigenen Status demonstrieren. Die Ohrfeige war im "Dritten Reich" alltägliche Demonstration, wer zur "Volksgemeinschaft" gehörte und wer eben nicht.
     Aber die Ohrfeige hatte auch in der Alltagskommunikation eine besondere Stellung. In ihr bündelten sich geradezu die grundlegenden Vorstellungen von Gewalt und Ehre, auf denen die christlich-abendländische Kultur basierte. Die Ideengeschichte der Ohrfeige beginnt in der Bibel. Und am Anfang steht gewissermaßen ihre eigene Widerlegung. Zum Zeitpunkt der Abfassung der biblischen Texte war der Backenstreich, die Ohrfeige, als symbolische Bestrafung, die der Übergeordnete ausübt, offenbar bereits so geläufig, dass das Besondere der biblischen Geschichte und des Verhaltens Jesu daran deutlich gemacht werden konnte. Dafür legen die beiden zentralen Belege zur Ohrfeige in der Bibel Zeugnis ab. Der eine bezieht sich auf das Verhör Jesu durch den Hohepriester. Befragt über seine Lehre, antwortet Jesus:

Ich habe offen vor aller Welt gesprochen. Ich habe immer in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen. Nicht habe ich im Geheimen gesprochen. Warum fragst Du mich? Frag doch die, die mich gehört haben, was ich zu ihnen gesagt habe; sie wissen, was ich geredet habe.

"Auf diese Antwort hin", so heißt es im Johannes-Evangelium weiter, "schlug einer von den Knechten, der dabeistand, Jesus ins Gesicht und sagte: Redest du so mit dem Hohepriester?" Der Schlag ins Gesicht war hier die Strafe für das despektierliche, unangemessene Verhalten Jesu, der durch seine Redeweise, selbstbewusst, herausfordernd, die Hierarchie in Frage gestellt hatte. Die Ohrfeige bestrafte dies nicht nur, sondern stellte die Verhältnisse wieder richtig. Noch grundsätzlicher zeigte sich die Funktion der Ohrfeige, als Jesus beim Verhör durch den Hohepriester Kajaphas (Caiphas) auf die Frage, ob er der Sohn Gottes sei, antwortete: "Du hast es gesagt". Der Hohepriester beschuldigte ihn daraufhin der Gotteslästerung, und im Matthäus-Evangelium heißt es weiter: "Dann spuckten sie ihm ins Gesicht und schlugen ihn. Andere ohrfeigten ihn und riefen: Messias, du bist doch ein Prophet! Sag uns: Wer hat dich geschlagen?"26 Der Angriff auf das Gesicht sollte die Infragestellung der göttlichen Hierarchie wieder zurechtrücken, die Verhöhnung drückte Wut und Hilflosigkeit aus.
     Einen anderen Akzent zur Ohrfeige setzte Jesus in der Bergpredigt:

Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge, Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin [?].

Diese Passage gehört zu den bekanntesten der Bergpredigt. Die andere Wange hinhalten - dies ist nicht nur längst sprichwörtlich geworden, es ist auch zum Synonym für eine christliche Leidens- und Opferethik geworden. Noch 1930 hat Alfred Rosenberg, der Chefideologe der Nationalsozialisten, in seinem Mythus des 20. Jahrhunderts an dieser von ihm als jüdisch-christlich bezeichneten Ethik, die er für zutiefst feige, unehrenhaft und verwerflich hielt, ex negativo die aus seiner Sicht diametral entgegengesetzten "Rassen"-Eigenschaften des "nordischen" Menschen und dessen Ehrenkodex ableiten wollen. Darauf ist noch einzugehen. Bedeutsam ist hier allerdings zunächst die Beziehung von Vergeltung und Ehre. Denn der Verzicht auf das alttestamentliche "Auge um Auge, Zahn um Zahn" bedeutet einen bahnbrechenden Paradigmenwechsel: Er steht für den Abbruch von Blutrache und unendlicher Vergeltung, für die Abkehr von einem Ehrenkodex, der zum Handlungszwang geworden war, für einen Wiedergewinn an Freiheit durch Verzicht auf Rache. Konsequenterweise folgte in der Bergpredigt hier auch das Gebot der Feindesliebe.
     In der sozialen Praxis allerdings gehorchte die Ohrfeige anderen Regeln. Sie erscheint viel eher als Teil von Alltagskommunikation. Dabei konnte sie zur Zurechtrückung von Hierarchien, zur Beilegung von Konflikten ebenso wie zur Eskalation in Konflikten genutzt werden. Oft jedenfalls war eine Ohrfeige so brisant, dass sie zum Gerichtsverfahren oder zum Duell führte. Immer ging es dabei auch um die Ehre, dies freilich im je zeitspezifischen Gewand. In der Frühneuzeit waren es nicht selten Alltagsstreitigkeiten, die zu Wortgefechten führten und in Ohrfeigen kulminierten. Danach gab es nur noch den Weg zum Gericht. So gerieten im März 1667 auf dem Wismarer Marktplatz einige Bürger miteinander in Streit. Ein junger Mann namens Joachim Hansen beschimpfte dabei den Gutspächter Heinrich Krohn und gab ihm schließlich sogar eine Ohrfeige. Krohn ließ diese öffentliche Schande nicht auf sich sitzen. Er zog vor Gericht und verlangte, den Täter zu 1000 Reichstalern Strafe zu verurteilen, um seine Ehre wiederherzustellen. Die Juristische Fakultät in Rostock sprach schließlich das Urteil: 200 Reichstaler und die Gerichtskosten sollte der Beklagte zahlen. Schon das war ein enormer Betrag, er entsprach etwa dem Jahresgehalt eines leitenden Beamten. Die Ehre konnte man unter Stadtbürgern nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wer sie nicht vor Gericht verteidigte, gab sie leichtfertig vor seinen Standesgenossen preis.
     Eine Alternative gab es nur in der satisfaktionsfähigen Gesellschaft: Unter Adligen, unter Militärs, unter Studenten und spätestens im 19. Jahrhundert auch unter Bürgern konnte man zum Duell fordern, wenn man sich durch eine Ohrfeige öffentlich entehrt fühlte. Dabei war die Ohrfeige Teil eines negativen Gabentausches, der kalkuliert und geradezu ritualisiert ablief. Das war der Brauch der avantage, das heißt die gegenseitige langsame Steigerung der Beleidigungen, die schließlich in offene Gewalt umschlugen. Darüber berichtete der Schriftsteller Friedrich Christian Laukhard im Rückblick auf seine Studienzeit in Gießen in den 1770er Jahren. Es ging um einen Streit mit dem Kommilitonen v. Avemann: Der nannte Laukhard einen Fuchs, Laukhard verbat sich die Bezeichnung, v. Avemann lachte ihm ins Gesicht, darauf nannte Laukhard ihn einen "dummen Jungen", v. Avemann wollte ihm nun eine Ohrfeige geben, worauf als Steigerung nur noch mit einem Peitschenhieb hätte geantwortet werden können. Doch hielten Laukhards Freunde den Kontrahenten zurück, und statt der Ohrfeige erging nun gleich die Forderung zum Duell.
     Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die Regeln der avantage noch förmlich beachtet. In Jena waren unter Studenten bis 1809 sieben Stufen üblich: "Treten auf den Fuß, Schuppen [Stoßen], Ohrfeigen, Schlagen mit dem Ziegenhainer, Spucken unter den Zopf, Angriff mit der Hetzpeitsche und das Zerschlagen des gefüllten Nachtgeschirrs auf dem Schädel des Gegners". In Halle lief noch 1805 die Eskalation "vom Dummenjungen auf Ohrfeigen, Stockschläge und Hetzpeitsche". Die Ohrfeige hatte jeweils eine Schlüsselfunktion, sie signalisierte den Umschlag zur offenen, körperlich verletzenden Gewalt. Im 19. Jahrhundert dann führte die angedrohte und ausgeführte Ohrfeige fast immer zum Duell - ebenso übrigens wie die Bezeichnung "Hundsfott". Wenn ein Gegner sich nicht duellbereit zeigte oder die Satisfaktionsfähigkeit bestritt, reichten ein paar Ohrfeigen aus, um das Erwünschte zu erzielen. Denn die Ohrfeige galt als tiefste Demütigung. Sie traf das Gesicht, ließ den Gegner für einen Moment schutz- und ehrlos, stellte ihn vor der Öffentlichkeit bloß. Ob die Ohrfeige im Vorfeld eines Duells aus emotionaler Erregung oder aus kaltem Kalkül verabreicht war, spielte keine Rolle. Beides war möglich und führte zum selben Resultat. Der soziale Sinn war der gleiche.
     Im 20. Jahrhundert trat das Duell zwar in der Öffentlichkeit zurück, die schmähende Wirkung der Ohrfeige aber blieb. Eine scheinbar harmlose Ohrfeige konnte vor allem dann ungeahnte Weiterungen nach sich ziehen, wenn politische Animositäten dahinter standen. Gerade in der nationalsozialistischen Zeit kam es mehrfach zu Prozessen um Ohrfeigen, bei denen ein Nationalsozialist sich besonders durch eine Ohrfeige beleidigt fühlte und seinen Gegner als Regimekritiker bloßstellen wollte. Im Januar 1942 zum Beispiel ohrfeigte in Petersberg bei Fulda der Kaplan Bernhard Opfermann einen Schüler, der den Unterricht gestört hatte. Die Eltern zeigten den Kaplan an, doch die Petersberger Polizei stellte die Ermittlungen wegen Geringfügigkeit ein. Daraufhin erstattete eine regimetreue Verwandte des Schülers Anzeige wegen Körperverletzung. Der Kaplan wurde verhaftet, verbrachte sieben Wochen in Untersuchungshaft und wurde dann in Fulda zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Anderthalb Monate davon musste er absitzen. Ganz offenkundig spielte die Haltung zum Nationalsozialismus eine entscheidende Rolle: Indem er einen Schüler aus einer nationalsozialistisch gesinnten Familie geschlagen hatte, hatte der Kaplan gewissermaßen die Ehre des "Dritten Reichs" gekränkt.
     Auch heute noch wird eine öffentliche Ohrfeige nicht nur als "kleine" Gewalt, sondern vor allem als große Beleidigung angesehen. In der Kultur des Kapitalismus und der Medien gibt dann freilich die monetäre Höhe der Strafe an, wie hoch die Ehre des Opfers in der Öffentlichkeit gehandelt wird. So musste ein jamaikanischer Fußballnationalspieler im Dezember 2008 20.500 Euro Strafe an seinen Verein zahlen, nachdem er seinem Mannschaftskapitän eine Ohrfeige gegeben hatte. Der in den USA spielende deutsche Basketballer Dirk Nowitzki musste 164.344 Dollar an seinen Verein Dallas Mavericks entrichten, weil er im Spiel bei den Utah Jazz seinen Gegenspieler geohrfeigt hatte. Ein Student, der 1974 dem deutschen Fernsehmoderator Gerhard Löwenthal eine Ohrfeige verabreicht hatte, wurde zu 150 DM Strafe verurteilt. Nicht nur die Ohrfeige attackiert über den Körper die Ehre des Gegenübers, vielmehr bestimmen die gesellschaftliche Reaktion und juristische Strafzumessung über den Status des Opfers.

Teil 3