Vorgeblättert

Leseprobe zum Buch von Thomas Lang: Unter Paaren. Teil 2

15.01.2007.
Als Per zurückkommt, kreuzt seine rot getigerte Katze die Einfahrt. Sie läuft über den frisch eingesäten Rasen zum Holzschuppen neben dem Haus. Rafa steht bei seinem Mercedes-Roadster und wischt mit einem Tuch eilig ein paar Pfotenspuren von der Motorhaube. Die Katze verschwindet durch eine Bretterlücke im Schuppen.
     "Hast du für den Mercedes schon einen Käufer?", ruft Rafa.
     "Ich habe noch nicht inseriert." Per spricht viel leiser als sie. "Wenn ich nächsten oder übernächsten Monat wieder Arbeit habe, kann ich den Wagen halten."
     "Warte nicht zu lange. Nachher musst du ihn unter Wert verkaufen. Oder er geht dir doch noch kaputt."
     "Er geht nicht kaputt." Per lässt die Münzen in seinen Hosentaschen klimpern. "Wenn du zu mir ziehen würdest, könnten wir ?ne Menge Kosten sparen. Du würdest mit dem Auto von hier zur Arbeit kaum länger brauchen als jetzt mit der Bahn."
     "Ich habe dir von vornherein gesagt, dass ich in Köln bleibe."
     "Denk noch mal drüber nach. Wir hätten hier -"
     "- das allgemein übliche Spießertum! ? Fang bitte nicht wieder damit an, nicht heute. Es war keine leichte Entscheidung, in dieser Projektphase einen halben Tag zu opfern, den möchte ich mir nicht versauen lassen."
     "Wenigstens dein Zimmer könntest du dir einrichten", beharrt Per. "Du weißt, ich habe es nur unrenoviert gelassen, um dir nicht meine Vorstellungen aufzudrängen. Sag mir, wie du es haben willst, und ich mache es für dich fertig."
     Unter dem Dach beginnen Vögel zu zwitschern. Das Rotschwänzchen ist zu seinem Nest geflogen. Seine Jungen
schreien gierig, aber schwach nach Futter.
     "Lass es, wie es ist." Rafa steht mit verschränkten Armen da. Als Per den Kopf hängen lässt, geht sie einen Schritt auf ihn zu. "Ok, ich erklär?s dir noch mal: Ich brauch kein eigenes Zimmer hier, Per. Wenn ich dich besuche, möchte ich Zeit mit dir verbringen. In deinen Räumen. Meine Räume, meine Vorstellungen, das hab ich in meiner Wohnung. Wir waren uns doch immer einig, dass wir uns nicht so voneinander abhängig machen wollen. Hey, ich bin gern bei dir. ? Aber ich zieh nicht hierher."
     Sie betont jedes Wort in dem letzten Satz. Per brummt etwas. Das Rotschwänzchen lässt ein lang gezogenes Huit hören. Es fliegt vom Nest zum Rand des Kieswegs und pickt zwischen den Steinen. Die Jungvögel schweigen jetzt. Rafa kreist mit den Schultern. Sie schaut auf ihr nacktes Handgelenk.
"Es ist bestimmt schon nach vier. Was ist mit deinem Handy? Hast du es dabei, oder liegt es wieder in irgendeinem Zimmer, wo niemand es hört?"
"Dabei und aufgeladen." Per zeigt auf seine Hosentasche.
"Ich finde es immer noch problematisch, dass du aufs Festnetz verzichtet hast. Es gibt zu wenig Antennen in der Gegend."
"Es gibt genügend."
     Als Per sieht, dass sie ihn nicht anschaut, äfft er Rafa mit ausgestülpten Lippen nach. Er betrachtet den Balkon. Der rechte Tragpfosten ist von Vogelkot verschmutzt. Tief im Wald lässt sich ein Kuckuck hören.

Per: "Streit? Nein, das kann man so nicht sagen. Es war unser Dauerthema. Ich meine: Wir haben zwar nie zusammengewohnt, aber in Köln lebten wir in demselben Haus, ich im ersten Stock, sie im vierten. Da haben wir auch alles voneinander mitbekommen." - "Ja, es ist schon merkwürdig, plötzlich 50 Kilometer Distanz zwischen sich zu wissen." - "Ich habe es immer als Angebot betrachtet, nicht als Verpflichtung. Allerdings hatte ich damit gerechnet, dass Rafa es aufgreifen würde. Warum will sie sich bei mir kein eigenes Zimmer einrichten, zumal sie keinen Finger krumm machen müsste? Das versteh ich bis heute nicht."



III
Was Ihnen gefällt, liefern wir postwendend direkt
ins Haus ... Und was Ihnen nicht gefällt,
nehmen wir problemlos wieder zurück.



Nah an der Straße, die zu Pers Haus führt, liegt ein Fahrrad im Straßengraben. Die Räder sind von einer Lehmkruste überzogen, der schwarze Reifengummi ist kaum noch sichtbar. Der Sattel steht niedrig. Oben im Baum sitzt ein Junge, ungefähr zwölf. Er trägt einen blauen Trainingsanzug und gelbe, von dunklen Striemen überzogene Gummistiefel. Die schlaksigen Beine baumeln von einem Ast herab. Den linken Arm hat er um den Stamm gelegt. Der rechte liegt am Körper. Die Hand spielt mit dem Reißverschluss der Trainingsjacke. Vorn auf der Jacke sitzen zwei hellblaue, schräg nach oben weisende Streifen. Auch die Hose hat an den Seiten breite hellblaue Streifen. Die Sonne scheint dem Jungen ins Gesicht. Er schaut auf Pers allein stehendes Haus.
     Die Nordseite des Hügels ist bewaldet, Birken, Hainbuchen, Eichen und vereinzelte wilde Kirschbäume wachsen hier. Dazwischen Parzellen mit Fichten. Die Birken sind schon grün und hell. Bei den größeren Bäumen ist das Laub noch nicht mehr als ein Schimmer; nackte Äste prägen ihre Gestalt. Zwischen den Bäumen führt die Straße den Hügel hinauf. Kurze Abschnitte verschwinden hinter Büschen und Gestrüpp, ohne dass der Eindruck eines grauen Asphaltbandes zerstört würde. In einer Kehre liegen noch nicht montierte Leitplanken, besetzt mit stumpenkurzen Begrenzungspfählen. An der Abzweigung steht ein Haltestellenhäuschen aus durchsichtigem Wellkunststoff mit grün veralgtem Dach. Von hier führt ein schmaler geteerter Weg direkt auf den Hügel, zu Per.
     Der weiße Kiesweg, der von dem Teerweg abzweigt, sticht herausfordernd von dem frischen Grün und welken Laub des Vorjahrs ab. Hinter ein paar Buchenstämmchen schimmert silbern der Mercedes. Auf dem Kies dicht beim Haus laufen die kleinen Gestalten Rafas und Pers. Der Wind trägt Rafas Stimme durchs Tal, wie sie "Miiie-zi, Miiie-zi" ruft. Per springt wiederholt mit gerecktem Arm am Balkon hoch; er hat einen gelben Lappen in der Hand. Auf dem Schuppendach läuft träge eine helle Katze die schwarzgrauen Ziegel entlang und verschwindet hinter dem First. Von links kommt ein schwarzer Geländewagen mit seidenweichem Motorklang den Weg herauf. Der Junge klettert vom Baum herunter.
     Das Motorgeräusch nähert sich schnell. Per wendet sich vom Balkon ab, um seinen Wischlappen in den Eimer zu legen; da knirscht schon der Kies in der Einfahrt. Der Wagen rollt aufs Haus zu; es geht leicht bergauf, aber er scheint keine Kraft zu benötigen. Als er hält, stoppt der Motor widerstandslos.
     Pascal springt vom Autositz. Er trägt eine lässige schwarze Hose mit geradem, weitem Bein, Tunnelzugbund und Stoppern in der Taille, dazu ein weißes Kurzarm-Hemd. Die nackten Füße stecken in schwarzen Mokassins. In seinem strähnigen blonden Haar sitzt eine Porsche-Design-Sonnenbrille. Pascal ist zierlich. Neben dem massigen Wagen wirkt er wie ein Heranwachsender. Er läuft ums Auto und öffnet Reginita die Beifahrertür. Zwei Schmetterlinge trudeln in den Wagen.
     Während Reginita sich losschnallt und aussteigt, tuschelt Per eilig mit Rafa. Die zieht kurz die Brauen zusammen und nickt. Reginita trägt kleine herzförmige Plastikspangen im blonden Haar. Die schwarze Ray Ban setzt sie ab und lässt sie zusammengeklappt in ihrer beigen Bowlingbag verschwinden. Sie hat helle, leuchtende Augen mit einem Stich ins Grüne. Kein Make-up, nur ihre Lippen sind kräftig rot. Sie trägt ein schwarzes Twintop, das über ihre Romy-Schneider-Brust nach unten fällt, und beige Bermudashorts. Wenn Inita, wie jetzt, mit geschlossenen Beinen dasteht, sehen sie aus wie ein Rock. Beine, Hände und Gesicht haben die gleiche frische Farbe. Schwarze Lackslipper, die Profilsohle an Ferse und Zehen hochgezogen. Sie ist knapp einen Kopf größer als Pascal.

Rafa: "Ich war eher positiv überrascht, als Inita aus dem Auto stieg. Sie war blond, kein südlicher Typ, auch wenn ihre Haut nicht ganz hell ist. Das hat mich irgendwie be ruhigt." - "Na, hätte ja auch sein können, dass sie eine Art Flamenco-Tänzerin ist." - "Wir durften sie nicht 'Inita' nennen. Vorher hat Per mir schon erzählt, dass sie aus ärmlichen Verhältnissen stammt. Eine typische Aufsteigerin. Mit 26
schon kurz vor der Promotion." - Rafa legt den Zeigefinger an den Mundwinkel. "Dass sie aus Barcelona kommt ... und jetzt in Köln an der Uni ist. Solche Sachen hat Per mir erzählt." - "Nein, mehr hat Pascal ihm sicher nicht erzählt. Ach, ja: Per wollte nicht glauben, dass die beiden kein Paar sind. Ich habe es geglaubt. Am Freitag habe ich noch gedacht, dass es das gibt ? normale Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau."


Inita bleibt lächelnd neben dem Geländewagen stehen; sie wartet. Irgendwoher kommt Pers Katze und versteckt sich unter dem Auto.
     Rafa und Pascal stürmen aufeinander zu und umarmen sich. Sie drehen sich mehrmals im Kreis, hüpfen von einem Bein aufs andere und lachen. Lange halten sie sich bei den Händen gefasst und strahlen sich an.
     "Du bist schon da", sagt Pascal, "das ist schön. Ich dachte, du kämst erst heute Abend."
     "Ich habe mir freigenommen", sagt Rafa weich.
     Per schaut zu, wie die beiden sich wispernd in ein Gespräch vertiefen. Er hat sich auf Pascal zu bewegt, jetzt wendet er sich an Inita. Er kratzt sich am Ellbogen. Inita hält mit beiden Händen die Griffe ihrer Handtasche fest. Per begrüßt sie mit Wangenküsschen, dabei legt er seine Hand vollflächig auf ihren Rücken und zieht sie an sich. Inita gibt dem Druck nach. Ihre Körper berühren sich für einen Moment, dann tritt die Spanierin einen halben Schritt zurück.
     "Ich danke Ihnen für die Einladung, Peter", sagt Inita.
Per verzieht das Gesicht.
"Bitte, Reginita." Er spricht den Namen mit einem kehligen Ch aus. Es klingt etwas mühevoll. "Sag Per und du zu mir. ? Perro, wenn du willst."
     Er fletscht grinsend die Zähne und knurrt.
     "Oder vielleicht pera?", fragt Inita und deutet spöttisch auf seine Brusttasche. Dort ist eine kleine Birne eingestickt.
     Pers Augenlider flattern, er schaut weg. Im Rückwärtsgehen stolpert er über die Katze. Sie läuft fauchend davon. Rafa und Pascal haben das mitgekriegt, sie lachen.
Per wird rot und schielt verlegen zu Inita, die auch kurz gelacht hat.
     "Jetzt lass mich mal", sagt er und drängt sich zwischen Pascal und Rafa, die ihm geschmeidig Platz macht und sich Inita zuwendet. Sie spricht den Namen der Spanierin französisch aus, wie 'Regie'.
     "Regienita! Willkommen! Ich freue mich sehr, dich kennen zu lernen."
     Per und Pascal begrüßen sich überschwänglich. Lachend fallen sie sich in die Arme und boxen sich freundschaftlich.
     "Na, Alter? Hast du es nicht länger ausgehalten im schönen Katalonien? - Aber das hier ist auch nicht zu verachten, oder?"
     Per zeigt mit der Hand auf sein Haus und die Umgebung. Pascal lacht.
     "Es ist umwerfend! Ich habe mich auf der Fahrt ein bisschen umgeschaut - warum waren wir früher nie hier?"
     "Wir waren hier. Erinnerst du dich nicht an den alten Steinbruch mit dem Weiher?"
     "Das war hier? - Zum Baden sind wir doch immer in die Eifel gefahren."
     Die vier stehen nun einander zugewandt in einem Kreis. Es entsteht eine kleine Pause, in der niemand spricht.

Leseprobe Teil 3

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