Vorgeblättert

Vorgeblättert: Leseprobe "Victor Auburtin: Der Feuilletonist greift in die Politik"

16.06.2020.
Feuilleton!

Als Herr Rathenau im Reichstag einen besonders schön gerundeten und klar verständlichen Satz beendet hatte, wurde ihm das Wort Feuilleton zugerufen. Der Zuruf kam von den Bänken der Rechten und ist deshalb als ein Schimpfwort aufzufassen gewesen.

Versuchen wir uns darüber einig zu werden, was gemeint ist.

Ein Feuilletonist ist ein Mann, der sich mit vielen Sachen – nicht nur mit einer – beschäftigt, der kurz schreibt oder spricht und der ein verständliches Deutsch schreibt oder spricht. All das ist den Deutschen sehr verdächtig und wird deshalb mit dem unerfreulichen Fremdwort Feuilletonismus bezeichnet; das übrigens gar kein rechtes Wort ist, denn bei den Franzosen selbst ist es ziemlich ungebräuchlich.

Eine ernste Sache unterhaltend und in guten Formen darzustellen, das ist etwas, was man Feuilletonismus nennt; das ist es, was ein strebsamer Schriftsteller und Politiker in erster Linie und auf das sorgfältigste zu vermeiden hat.

Wer auf das deutsche Publikum wirken will, der beschränke sich auf nur ein Gebiet, zum Beispiel die römische Literatur nach Augustus, und schreibe hierüber ein Werk, das auf drei Quartbände berechnet ist. Es sei ihm empfohlen, mit dem zweiten Bande zu beginnen, das zeugt von einer besonders tiefen Gründlichkeit. Im Fortlauf wird der Verfasser merken, daß sein Stoff wächst, so daß die Bände geteilt werden müssen, und gleichzeitig wird sich herausstellen, daß der bereits herausgegebene zweite Band überholt ist; eine neue Auflage wird also notwendig. Demnach kommen die Bände in folgender Reihenfolge heraus: II (Erste Auflage), III A, III Ba, II (Zweite Auflage), III b 2. Bei III b 2 pflegt der Verfasser zu sterben. Sein Werk bleibt unvollständig, aber er kann sich mit dem Gedanken zur Ruhe legen, daß ihm niemals von der Rechten das Schimpfwort Feuilleton zugeworfen worden ist.

Sätze von fünfundzwanzig Zeilen Länge, Fußnoten bis zur Spitze der Seite hinauf, so schreibt der Fachmann, der sich darauf versteht. Und so spricht er auch.

Die Phänomene Luther und Bismarck stehen einsam da. Sonst hat sich das deutsche Volk immer von Büchern leiten lassen, die es nicht verdauen konnte, und von Rednern, bei deren Worten es einschlief. Das Krause und Langsame seiner Geschichte kommt daher.

In alldeutschen Schriften nennt man es den furor teutonicus.



Das Ende des Wohnungsamtes

Die Nachricht, daß einige Berliner Wohnungsämter bis zum September schließen wollen, hat unter uns Heimatlosen lebhafteste Bestürzung erweckt.

Wie, so fragen wir uns, wie kommt es, daß die Wohnungsämter nur bis zum September geschlossen werden, anstatt daß man sie alle und für immer an die Luft befördert, welches die einfachste Lösung der Berliner Wohnungsnot wäre?

Der Zweck oder das Ziel eines Wohnungsamtes ist offenbar so: deutschen Leuten, die im Kriege ihr Heim verloren haben, ein anderes mit Beschleunigung zu verschaffen. Wie vorzüglich dieser Zweck erreicht wird, sehe ich an einem mir bekannten Beispiel, nämlich an mir: im März 1920 habe ich mich gemeldet, und es hat sich für mich noch kein Heim gefunden. Hingegen war der Korrespondent einer Schweizer Zeitung glücklicher: er brauchte nur mit dem Finger zu winken, und gleichhatte er eines weg.

»Warum«, so sagte mir Herr Dr. Delaporte, der Direktor des Wohnungsamtes, »warum haben Sie kein Mittel, mich ein wenig zu erpressen? Der französische Botschafter hat mir gedroht, daß kein Deutscher mehr nach Frankreich gelassen würde, wenn ich ihm nicht sofort für einen seiner Landsleute eine Wohnung beschaffe. Nun, da habe ich ihm eine beschafft.« Herr Dr. Delaporte ist der geistreichste Direktor, dem ich je in meinem Leben begegnet bin; er hat mir sogar erlaubt, diese
Geschichte öffentlich zu erzählen.

Aus solchen Fällen erklärt sich dann das Gerede, das umgeht, nämlich, daß jedermann eine Wohnung findet, der es versteht, die Sache richtig anzufassen. Oder, daß wir alle schon fertig werden würden, wenn die Wohnungsämter allesamt weggeschickt werden. Einmal muß es ja doch sein.

Schön; aber dann haben wir eine neue Schwierigkeit: was tun wir mit all den Herren und Damen, die in den Wohnungsämtern eine so angenehme Existenz gefunden haben und die unser gutes Steuergeld verzehren? Was sollen zum Beispiel die jungen Herren des Wilmersdorfer Wohnungsamtes anstellen, die es so trefflich heraushaben, heimatlose Bittsteller von oben
herab zu behandeln?

Auch dafür ist Rat: die Landwirtschaft braucht Arme, die Ernte steht bevor; viele ackerbautreibende Gemeinden haben um Arbeitskräfte gebeten. Mögen die Beamten der Wohnungsämter sich ein Herz fassen und endlich einen Beruf ergreifen, der den Menschen nützt: den Acker bestellen, die fromme
Herde auf die Weide führen.

Allerdings müßten die Herrschaften sich für diese Beschäftigung andere Umgangsformen angewöhnen. Das Rindvieh ist nicht so geduldig wie das Berliner Publikum.



Vom Gelde

Die Handelskammern im Lande haben jetzt an die Bevölkerung die Bitte gerichtet, man möchte doch mit dem Papiergeld vorsichtiger umgehen und es etwas mehr schonen.

Sonst ginge es nämlich entzwei, und wohin würde das führen, wenn wir kein Papiergeld mehr hätten und uns auch das im Stiche ließe! Ferner dürfe nicht vergessen werden, daß ein Zehntausendmarkschein einen gewissen Sachwert darstelle, wenn auch nur einen sehr geringfügigen. Deshalb soll man ihn schonend behandeln.

Schonend behandeln? Das Geld schonend behandeln? Fällt mir nicht im Schlaf ein. Wenn ich ein literarisches Kunstwerk angefertigt habe, ein wohlausgewogenes Geschmeide, ebenmäßig und von fehlerloser Form (wozu große Liebe gehört und viel mehr Verstand, als man gemeinhin vermutet), wenn ich also ein solches Meisterwerk anbringe und erhalte dann als Preis dafür ein Paket Zehntausendmarkscheine, so kann ich das Gefühl, das meine Brust bewegt, nur dadurch ausdrücken, daß ich diese Zehntausendmarkscheine so obenhin wie möglich in meine Westentasche stecke und so bald als möglich wieder herausreiße, in der Bar bei dem Fräulein.

Etwas anderes wäre es, wenn man mich mit rohen Eiern bezahlen wollte, wie das in verschiedenen Berufen Gebrauch ist, die dem literarischen nahe verwandt sind, zum Beispiel auf der Rutschbahn in Halle an der Saale. Dort werden zwei rohe Eier für eine Fahrt bezahlt, und man kann versichert sein, daß dieses Zahlungsmittel sowohl von dem Rutschbahnentrepreneur wie von den Rutschbahnkunden mit äußerster Schonung behandelt wird.

Am liebsten sähe ich es, wenn man mir meine Werke mit Büchsen Ölsardinen bezahlte. Solche Büchsen sind von fast unbegrenzter Haltbarkeit und haben den Vorzug, daß sie bei fortschreitender allgemeiner Misere immer mehr an Wert gewinnen.

Und ist einmal der große Bankrott da, kann man sie aufmachen und die darin befindlichen Sardinen verzehren.

Aber wenn einmal der Bankrott da ist, wozu wird dann ein Zehntausendmarkschein noch gut sein? Jeder Leser und sogar jede Leserin hat in diesem Augenblick denselben unanständigen Gedanken gehabt wie ich.

Also in der Tat, man sollte diese Scheine in Rollen herausgeben und perforiert.



Eine Enttäuschung

Als in der Zeitung ein Vortrag des Herrn Marinetti über Bruitismus und Futurismus angekündigt wurde, habe ich mir ein Billett gekauft in der Hoffnung, einmal etwas recht Spaßhaftes mitzumachen.

Man weiß ja, wie das mit Herrn Marinetti zu verlaufen pflegt.

Er stellt sich auf das Podium, fordert die Leute auf, alle Museen zu verbrennen und ahmt Tierstimmen nach; und das Publikum seinerseits antwortet, indem es Äpfel, Eier und andere Nahrungsmittel wirft. Weil ich so etwas auch einmal mitmachen wollte, deshalb bin ich in den Vortrag gegangen.

Ich muß gestehen, daß die Sache nicht ganz meinen Erwartungen entsprochen hat. Herr Marinetti begann mit einem begeisterten Loblied auf Michelangelo und auf die ganze alte Kunst. Und was er über den Futurismus sagte, das klang auch peinlich gemäßigt und verständig; er meinte beispielsweise: gerade weil Italien von einer solchen Überlast gewaltigster alter Kunst bedrückt sei, mußte dort die Explosion alles Exzentrischen erfolgen; weil die jungen Temperamente sich nicht in der Nachahmung Raffaels und Giorgiones erschöpfen wollten, deshalb zerstörten sie alle gezeichnete Form, deshalb kamen jene farbenchaotischen Bilder, vor denen das Publikum weniger lachen würde, wenn es wüßte, wieviel menschlicher Kampf und wieviel Verzweiflung darinnen stecken.

Herr Marinetti sieht übrigens aus wie Caillaux, glatzköpfig und elegant, und er hat auch dieselbe nervöse, krächzende Sprechart wie jener berühmte Finanzminister. Nur was die beiden Männer sprechen, klingt voneinander sehr verschieden.

Caillaux redet immer von Einkommensteuern und kurzfristigen Schatzbons; Marinetti spricht Sätze wie: »Ohne Kunst könnte ich keinen Tag leben« oder: »Entwickeln wir unser Taktgefühl, damit wir den Lyrismus der Materie mit allen Sinnen aufnehmen.« Die Künstler sind eben angenehmere Leute als die Finanzminister.

Dann las uns Herr Marinetti ein bruitistisches Gedicht vor. Das sind, wie man weiß, Gedichte, die mit abgerissenen, grammatiklosen Worten und einfachen Geräuschen irgendeinen Zustand oder Vorgang schildern wollen. Sieht man solche Werke im Buch gedruckt, so machen sie sich sehr komisch, und deshalb hatten wir alle gerade von dieser Vorlesung den eigentlichen Hauptspaß erwartet.

Das Gedicht des Herrn Marinetti hieß: »Der Kampf in neunStockwerken« und schildert ein Gefecht auf den Bergabhängen am Gardasee. Tausende von Metern hoch hängen die Soldaten, und es ist bald eine Schießerei, bald die Stille der Bergwelt; und alles das macht Herr Marinetti mit Worten und Geräuschen nach.

Dieser glatzköpfige Herr (der aussieht wie ein Finanzminister) breitet die Arme aus und macht wrwrwrwrwr, und das ist ein Aeroplan, der hinter dem Berge hervorkommt; er gibt das Geschwätz der Soldaten, die in der Sonne liegen und sich langweilen, und das Gepiepe der Meisen, die zum Worte kommen, wenn die Kanonen schweigen. Und nun duckt er sich zusammen und macht (pianissimo) pau pau pau pau ..., und dieses pau pau, das ist da ganz unten in der Tiefe ein Motorboot, das langsam über den Spiegel des Gardasees hinzieht.

Keiner von uns hat gelacht, keiner hat gelächelt, und zum Schluß gab es einen gewaltigen Beifall. Und doch bin ich überzeugt, daß die Mehrzahl der Zuhörer ebenso wie ich mit der Hoffnung hergekommen war, einmal einen rechten Ulk zu erleben.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Das Arsenal

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