Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
14.02.2005. Die FAZ jubelt: "Sophie Scholl - Die letzten Tage" ist der Film der Julia Jentsch. Andere Zeitungen sind weniger begeistert von dem Film. Die NZZ trauert um Kulturgüter, die im Tsunami verloren gingen. Die Ansichten zu Christos Installation "The Gates" sind gespalten: Manche finden sie diskret, andere zu diskret und dritte gerade aufdringlich.

FAZ, 14.02.2005

Der an sich recht konventionell gemachte Film "Sophie Scholl - Die letzten Tage" ist der Film der Julia Jentsch, (Bilder) schreibt Andreas Kilb: "Sie verleiht dem Ruck, der durch Sophie geht, als sie ihr Todesurteil unterschreibt, den bebenden Schmerz einer Liebeserklärung. Sophie liebt die Wahrheit mehr als ihr Leben, deshalb leuchtet ihr Gesicht auf, als sie zugibt, sich gegen Nazideutschland verschworen zu haben. Wenn man wissen will, was es bedeutet, sich für eine Idee zu opfern, muss man Julia Jentsch in diesem Film zuschauen und zuhören, dem Glissando ihres Mienenspiels, den leisen Akzenten ihrer Körpersprache. Ihr Spiel ist mehr als eine virtuos beherrschte Filmrolle, es ist ein Stück visuelle Erkenntnis, wie man sie im Kino selten findet."

Weitere Artikel: Im Aufmacher besingt Jordan Mejias die Tore der Christo-Installation "The Gates", die sich so überzeugend der Natur anschmiegten: "Nirgendwo überwältigen sie den Park." Andreas Rossmann fürchtet um den Oberhausener Gasometer, der als Veranstaltungsort in Schwierigkeiten ist. Andreas Platthaus hat der Rede Klaus von Dohnanyis zum Jahrestag der Bombardierung in Dresden zugehört. Stefan Klöckner beklagt, dass immer weniger Kinder singen und erinnert daran, dass die Erziehungsarbeit früh einsetzen sollte ("Der natürliche Kontakt mit dem Singen soll möglichst früh (am besten schon pränatal) beginnen"). Verena Lueken schreibt zum Tod Arthur Millers. Eva-Maria Magel preist die Hauslesungen des Suhrkamp-Archivs, in denen sie jüngst einiges über die Entstehung von "Stiller" lernte. Jürg Altwegg berichtet, dass die Schweizer Freisinnige Partei mit Mitteln der Kulturpolitik Terrain gegenüber der populistischen Schweizerischen Volkspartei zurückerobern will. Alexandra Kemmerer hat einem Vortrag des spanischen Völkerrechtlers Gil Carlos Rodriguez Iglesias über die Konkurrenz der europäischen Richter zugehört.

Auf der Berlinale-Seite werden neben "Sophie Scholl" neue Wettbewerbsfilme und ein Dokumentarfilm über die Entstehung des Pornoklassikers "Deep Throat" besprochen. Auf der Sachbuchseite freut sich Dietmar Dath über die Wiederkehr Hegels in der amerikanischen Philosophie.

Auf der Medienseite zitiert Gina Thomas aus britischen Reportagen über Dresden, dessen Bombardierung schon deshalb gerechtfertigt wird, weil es dort bis heute Neonazis gibt ("Und doch scheint hier unter der Oberfläche etwas Finsteres, Bösartiges zu geschehen", zitiert Thomas aus einer leider nicht online stehenden Reportage der angesehen Ann Leslie in Daily Mail). Volker Lilienthal schildert, wie die "FettWegShow" im NDR zu einer Reklameaktion für die AOK wird.

Auf der letzten Seite erzählt Eric Hilgendorf, was es mit der "Planke des Karneades" auf sich hat, und schildert weitere klassische Fälle der Abwägung von Leben gegen Leben. Dieter Bartetzko schreibt über die letzten Züge des Wiederaufbaus der Frauenkirche. Und Eva-Maria Magel porträtiert Daniela Seel, die Verlegerin des Berliner Kookbooks-Verlags.

Besprochen werden eine Dramatisierung des "Werther" in Frankfurt, eine Ausstellung von Franz Anton Busellis anämischen Porzellanfiguren in München, ein Konzert der dänischen Band Saybia in Heidelberg und Sachbücher, darunter ein Büchlein von Sonja Margolina über Wodka im neuen kleinen Wolf Jobst Sieder jr. Verlag.

NZZ, 14.02.2005

Der indische Kunstkritiker und Lyriker Ranjit Hoskote (mehr) macht eine Bestandsaufnahme der durch den Tsunami zerstörten Kulturgüter und fragt, ob es angesichts des Leids hunderttausender Menschen verwerflich ist, gleichzeitig einer weggeschwemmten Skulptur nachzutrauern. Nein, findet er, denn der Verlust kulturellen Erbes sei ebenfalls ein psychischer Schaden, den die Opfer zu überwinden hätten. "Es ist bekannt, dass unser Selbstgefühl eng und unmittelbar mit der Wahrnehmung unserer Lebenswelt verbunden ist, mit der sinnlichen Vertrautheit von Wohnort und alltäglichem Umfeld wie auch mit der Präsenz von Symbolen, an denen sich unsere Erfahrungen und unser Sinnbedürfnis orientieren. Wenn nun diese richtunggebenden Elemente fortgeschwemmt, aus dem Erleben und der Erinnerung gerissen werden - wie viel bleibt dann noch von uns übrig?"

Weiteres: Andrea Köhler musste im frühmorgendlichen Central Park frieren, um als eine der ersten durch Christos und Jeanne-Claudes "Gates" schlendern zu können. Gemeldet werden die diesjährigen Grammy-Gewinner (neben der posthumen Ehrung von Ray Charles bekam Britney Spears ihren ersten), und Martin Krumbholz bespricht Jon Fosses "Todesvariationen" in Bochum.

FR, 14.02.2005

Aus touristischer Perspektive sind The Gates von Christo und Jeanne Claude im New Yorker Central Park ein voller Erfolg, weiß Sebastian Moll. 80 Millionen Dollar Mehreinnahmen werden erwartet. Persönlich dagegen spürt Moll wenig. "Aus der Nähe wirken die Materialien kalt, aus der Distanz dominieren die Farbbänder die sklerotische Februar-Landschaft zu wenig, um sie zu transformieren und zu beleben. Die Prophezeihung eines Kunstwerks hat sich in der Reliquie nicht bewahrheitet."

Weitere Artikel: Daniel Kothenschulte kann in Enno Patalas' restaurierter Fassung von Sergej Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" wenig Neues erspähen. Peter Michalzik preist Florian Fiedlers Version der "Leiden des jungen Werther" am Frankfurter Schauspiel. Fiedler habe eine "betörende Art, Theater zu machen. Er fasst die großen Stoffe direkt an, wie wenn sie durch keine Vorgeschichte belastet wären." Sylvia Staude sinniert über Arthur Miller und dessen Frauen. Jan Freitag lässt sich von Schauspieler und Wahlvenetianer Ulrich Tukur auf der Medienseite erzählen, wie die Italiener mit Fremden umgehen: "Wie Kinder haben sie ein untrügliches Gespür dafür, wer gerade ist und wer ein 'falscher Fuffziger'. Und dann wird man mit so viel Liebe, Zuneigung und Sympathie überhäuft, dass einem die Luft wegbleibt."

TAZ, 14.02.2005

Auf den Berlinaleseiten spricht Heinz Emigholz im Interview über seinen Film "D'Annunzios Höhle": "Eine Computerstimme zitiert zu Anfang des Films Adolf Loos: 'Wenn wir im Walde einen Hügel finden, sechs Schuh lang und drei Schuh breit, mit der Schaufel pyramidenförmig aufgerichtet, dann werden wir ernst, und es sagt etwas in uns: Hier liegt jemand begraben. Das ist Architektur.' Das ist natürlich eine ironische Finesse, zu der d'Annunzio gar nicht fähig wäre. Der meinte tatsächlich, dass er die Bedeutung behält, die er sich selbst zugeschrieben hatte. Auch diesen Irrtum teilt die 'moderne' Kunst mit ihm. Wie schön, dass die Flick-Ausstellung jetzt zur Aufklärung dieses Sachverhalts beigetragen hat."

Weitere Berlinaleartikel: Stefan Reinecke lobt Marc Rothemunds "Sophie Scholl" ("gerade durch das Zurückgenommene, Reduzierte, erzählt er am Schluss eine Passionsgeschichte"). Diedrich Diederichsen verliert sich in den Wassern und Wolken von James Benning (mehr dazu auch hier). Und im Star-Album der Berlinale stellt Susanne Lang die Paraderentnerin Luidmila Tsvetkova vor.

Im Kulturteil klagt Sebastian Moll über Christo und Jeanne Claudes "The Gates" im New Yorker Central Park. "Zu massiv und industriell wirken Tore und Tücher." Die einzige Besprechung widmet sich Schorsch Kameruns "entregelter" Show "Spezialmensch" am Hamburger Schauspielhaus.

Auf der Tagesthemenseite verabschiedet Jürgen Busche den "Autor der Lebenslügen" Arthur Miller, bekannt als Mann Marilyn Monroes. "Miller hätte der erste Schriftsteller sein müssen, der stärker war als ein Mythos. Und das war er nicht." Auf der Medienseite berichtet Thilo Knott, dass die bisher im Kollektiv betriebene Schweizer Wochenzeitung"(WOZ) nun eine Chefredakteurin installiert hat. Reinhard Wolff würdigt die Gratiszeitungsgruppe Metro als schwedischen Exportschlager. Nun will man zur Verbesserung der journalistischen Qualität mit CNN und BBC zusammenarbeiten.

Schließlich Tom.

Weitere Medien, 14.02.2005

Berlinale-Seiten. Im Tagesspiegel stellt Christina Tillmann chinesische Filme im Forum vor. In der Berliner Zeitung schildert Christina Bylow die Verdienste der Bundeskulturstiftung, die unter anderem die Restauration des "Panzerkreuzer Potemkin" förderte.

SZ, 14.02.2005

Willi Winkler hängt in seinem Nachruf auf den Mann Marilyns (und Autor), Arthur Miller, Anekdote an Anekdote. "Er hatte eine Frau gefunden, die unbedingt selber kochen wollte und dann die Spaghetti über die Stuhllehne hängte, um sie mit dem Föhn zu trocknen." Sie hätte ihn sogar vor McCarthy retten können. "Als Miller schließlich doch vorgeladen wurde, ließ ihn der Ausschuss-Vorsitzende wissen, dass er ihm den Auftritt ersparen werde, wenn sich Marilyn Monroe mit ihm fotografieren lasse."

Ein hübsches Spektakel nennt Andrian Kreye The Gates von Christo und Jeanne Claude im New Yorker Central Park. "Auf der einen Seite demokratisieren die beiden eine der unzugänglichsten Kunstformen. Auf der anderen Seite reduziert sich ihr avantgardistischer Gestus zur Rechtfertigung einer schmerzfreien Inhaltslosigkeit."

Weitere Artikel: Die Bundesverantwortung der Berliner Akademie der Künste wird ab heute vor dem Vermittlungsausschuss behandelt, berichtet "Imue". Auf der Medienseite besucht Stefan Fischer den Verleger und Hörspielautor Michael Farin. Und im Literaturteil stellt Alexander Menden ehrfürchtig staunend ein "Riesenwerk" vor, das neue Oxford Dictionary of National Biography.

Auf den Berlinaleseiten zweifelt Fritz Göttler an Marc Rothemunds moderner "Sophie Scholl", den er offensichtlich ästhetisch etwas bedenkenlos angesichts des schweren Themas findet: "Cool wirkt auch Sophie in manchen Momenten des langen Verhörs mit dem Gestapomann Robert Mohr (Alexander Held), einem Katz-und-Maus- und Licht-und-Schatten-Spiel um politische und moralische Grundwerte - und man spürt, dass man diese eben nie abstrakt verhandeln kann, und gewiss nicht im Kino. Lassen die Phantome der Vergangenheit sich bannen mit einer heldenhaftenLichtfigur?" Martina Knoben sieht in der Reihe "Perspektive Deutsches Kino" das gesellschaftliche Scheitern behandelt.

Besprochen werden die Uraufführung von Martin Heckmanns Stück "Das wundervolle Zwischending" in Hannover, zwei Bühnenbearbeitungen von Stanislaw Lems Science-Fiction-Klassiker "Solaris" in Düsseldorf und Nürnberg, das Album "Sokut" des Beatmusikers Saam Schlamminger ("Man staunt nur über die seltene Schönheit dieser Musik, die einem ansatzlos das Herz brechen kann", seufzt Tobias Kniebe), ein durchwachsenes "musica viva"-Programm in München, und Bücher, darunter Marisa Madieris Erinnerungsbuch "Wassergrün", die Neuauflage von Peter Pulzers Standardwerk über den deutschen Antisemitismus sowie Elizabeth Bowens Roman "Kalte Herzen" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).