Vorgeblättert

Leseprobe Dennis Jelonnek: Fertigbilder Teil 1

19.05.2020.
Ein Ereignis, zwei Fotografien: Die Vorstellung des Sofortbildverfahrens

Am späten Nachmittag des 21. Februar 1947 trat das Polaroid Sofortbildverfahren im Konferenzraum des New Yorker Hotels Pennsylvania erstmals öffentlich in Erscheinung. Und als eine Erscheinung im Sinne eines überraschenden und überzeugenden Sichzeigens bot die fotografische Technik sich dem versammelten Publikum des Jahrestreffens der Optical Society of America und geladenen Pressevertretern tatsächlich dar. Schlichtestmöglich und sichtbar zu verfolgen lichtete sich der Erfinder und Polaroid-Unternehmensgründer Edwin Land per Fernauslöser und Blitzanlage vor aller Augen mithilfe einer altmodischen Deardorff Großformat-Balgenkamera ab, deren optische Ausrüstung zuvor mit der Mechanik, sowie dem Negativ- und Positivmaterial des neuartigen Sofortbildprozesses ausgerüstet worden war. Nach fünfzig Sekunden Wartezeit ließ sich der noch buchstäblich vom Blitz gerührte Land das so entstandene Bild reichen, dessen Positiv sich unter dem papierenen Abziehnegativ aller frühen Polaroid Trennbilder verbarg. Zum Publikum gewandt hielt er es nun ostentativ auf Brusthöhe, wartete einige Momente, steigerte so die Spannung und zog schließlich das Negativ mit einer ebenso raschen wie gleichmäßigen Bewegung von der fertig entwickelten Fotografie ab. In diesem Moment der Enthüllung und Präsentation seiner sofortbildfotografischen Repräsentation überschlugen und verschränkten sich die Ereignisse im Blitzlichtgewitter der anwesenden Pressefotografen: Das sichtbare Sofortbild zeigte Edwin Lands Porträt, Land zeigte dieses Porträt den Anwesenden und die daraufhin von den Fotografen geschossenen, allesamt ähnlichen Bilder zeigten Land, wie er das Sofortbild vorzeigte, das ihn selbst zeigte. Aus dieser Beschreibung der Geschehnisse wird bereits deutlich, dass sich hier Ereignisse des Erzeugens und des Zeigens von Bildern ineinander verschachtelten, aber, wie sich herausstellen wird, dass in gleichem Maße auch dem Nicht-Zeigen, dem Aussparen und dem Verweisen auf Abwesendes eine zentrale Bedeutung in dieser Inszenierung und ihrer medialen Verbreitung zukam.

Die vom Publikum mit Spannung verfolgte Her- und Vorstellung des unikalen Sofortbildporträts verfehlte ihre Wirkung ebenso wenig wie die Fotografien der anwesenden Pressevertreter, die das Resultat der Vorführung in den Händen Edwin Lands zeigten: Über die Begeisterung vor Ort hinaus transportierten ihre Bilder den Höhepunkt der theatralen Aufführung, von deren geglücktem Verlauf tags darauf Zeitungen und Zeitschriften landesweit berichteten und sich hierzu des vorhandenen Bildmaterials bedienten. Im Gegensatz zum euphorischen Optimismus, der die Berichterstattung angesichts der Erfindung einer gebrauchstüchtigen Sofortbildfotografie prägte, wohnte den Zeitungsfotos, die allesamt in ähnlicher Weise Land mit seinem Sofortbildporträt zeigten, jedoch eine subtile Spannung inne. Denn die Aufnahmen der Journalisten waren selbst Fotografien, die eine neue Form der Fotografie und ihren Erfinder abbildeten. Das Porträt, das sie zeigten, beruhte auf einer innovativen Technik, während sie selbst auf dem etablierten, aber viel langsameren und umständlicheren Negativ-Positiv-Prozess basierten. Hatte Land sein Porträt innerhalb von einer Minute in Händen gehalten, so musste beispielsweise der Fotograf Herb Nichols vom Christian Science Monitor seine Fotografie von diesem mit einer Graflex-Kamera auf Negativfilm aufnehmen, diesen Film nach dem Ende der Veranstaltung in seine Dunkelkammer befördern und die Fotografie dort eigenhändig entwickeln, um sich von ihrem Gelingen und ihrer Eignung für die nächste Ausgabe des Monitors zu überzeugen. Dort abgedruckt sollte sie dann derjenigen Technik und ihrem Erfinder, die sie gemeinsam abbildete, zu breiter Bekanntheit verhelfen.

Die Fotografie von Land und seinem Sofortbild würde so nolens volens dazu beitragen, dass das neue Verfahren der Polaroid Corporation ihr selbst und sämtlichen bislang verwendeten Apparaten und Filmen über kurz oder lang den Rang ablaufen würde. Die Pressebilder der Vorführung setzten also die Sofortbildtechnik und ihren bevorstehenden Siegeszug nicht nur ins Bild, sie setzten ihn auch erst in Gang und wurden so im schlimmsten Fall zum Fanal ihres bevorstehenden Verschwindens, indem sie als Beispiele einer künftig veralteten Technik ihre eigene Nachfolgetechnik präsentierten. Ein solcher Tod der bislang gebräuchlichen fotografischen Verfahren, wie er zuvor der Malerei im 19. Jahrhundert durch ihre Erfindung prophezeit worden war, wurde von Beobachtern im Anschluss an die Demonstration des Polaroid Verfahrens bereits in Betracht gezogen. So äußerte etwa der New York Times-Reporter William Laurence, dass es angesichts der Selbsttätigkeit dieser „One-step Photography“ nur noch eines „automatic caption-writer[s]“ bedürfe, um die Zeitungsindustrie nachhaltig zu revolutionieren.

Doch nicht erst die Verbreitung der Nachricht von der Erfindung der Sofortbildfotografie im von nun an zumindest unter Konkurrenzdruck geratenden Medium der herkömmlichen Fotografie verwies symbolisch auf einen Innovationsschub, der möglicherweise imstande war die bisherigen Verfahren vom Markt zu fegen. Bereits der Einsatz der handwerklich ebenso hochwertigen wie altmodischen Deardorff Balgenkamera für Edwin Lands Demonstration, welcher im Vorfeld des Ereignisses alle notwendigen Vorrichtungen für die Vorführung des Einstufen-Prozesses parasitär angehängt und eingesetzt worden waren, ließ sich als starkes Bild einer buchstäblichen Invasion der konventionellen Fotografie interpretieren, die sich hier ganz konkret in einem neuartigen Kamerahybrid manifestierte. Geradezu symptomatisch für die Strategie der Polaroid Corporation mit der „One-step Photography“ erscheint es, dass die äußere Erscheinung der traditionellen Kamera gewahrt blieb, während ihr Innenleben nun von ganz anderen physikalisch-chemischen Vorgängen als bisher bestimmt wurde, die ebenso andersartige, wenn auch auf den ersten Blick gewöhnlich aussehende fotografische Bilder erzeugten. Sowohl das Sofortbild, das im Medium der konventionellen Fotografie angekündigt wurde, als auch die altmodische Kamera, die mit einem innovativen Innenleben der Polaroid Corporation ausgestattet wurde, ließen sich entsprechend als feindliche Übernahmen der bislang gültigen technischen Standards interpretieren, die auf einen anstehenden fotografischen Paradigmenwechsel hindeuteten.

Vor Ort scheint die Umnutzung der Deardorff-Kamera für die Demonstration jedoch als harmlos wahrgenommen worden zu sein: sie wurde als notwendige Maßnahme zur Demonstration des Verfahrens nicht weiter thematisiert. Schließlich ließ sich die Vereinnahmung der Deardorff-Kamera auch als bereitwillige Appropriation der gängigen fotografischen Apparate und deren Gestaltung und Benutzung ansehen. Mit der Anpassung der neuen Technik an die bestehenden Konventionen der Fotografie würde es dem Unternehmen schließlich leichter fallen, das Vertrauen der Verbraucher für die innovative Einstufenfotografie zu gewinnen. In dieser Hinsicht würde die Nähe zur negativbasierten Fotografie als Maßnahme gelten können, um das Sofortbildverfahren harmonisch in eine bestehende teleologische Fortschrittsgeschichte der Fotografietechnik einzugliedern und so zugleich die fehlende Tradition des Unternehmens auf diesem Gebiet zu kompensieren. Die Betonung der Ähnlichkeit zu den bisherigen fotografischen Apparaten und Gewohnheiten ließ zugleich unwillkürlich die neuartige Geschwindigkeit des Sofortbildverfahrens und seine Bequemlichkeit besonders eindrücklich hervortreten. Ob die Erfindung der Sofortbildfotografie sich also als revolutionärer Bruch mit der bisherigen Technik vollziehen würde, oder aber als ein auf gestalterischer Ebene sanfter, wenn auch technisch deutlich spürbarer Fortschritt, war im Anschluss an deren erstmalige Vorführung im Februar 1947 für Beobachter noch nicht abzusehen. Der einmalige Hybrid einer Sofortbilder erzeugenden Großformat-Balgenkamera, in dem die optischen Elemente des Traditionsherstellers Deardorff durch die Mechanik und Chemie der Polaroid Corporation ergänzt, erweitert, oder auch ersetzt worden waren, impliziert allerdings den grundsätzlichen Anspruch der Polaroid Corporation, sich von nun an ebenso nachhaltig in der Geschichte der Fotografie zu verankern wie auf dem Feld der fotografischen Technik, der sie eine neue Richtung und Geschwindigkeit zu geben suchte.

(...)

Eine Bildtechnik zwischen Wunder und Magie
Die Urszene des Sofortbildverfahrens und die Rolle ihres Protagonisten Edwin Land bereitete Peter Wensberg entsprechend alles andere als subtil auf. Die Anfertigung und Präsentation des Sofortbildselbstporträts geraten bei ihm zu einer buchstäblich wunderbaren Begebenheit, welche, begleitet vom ungläubigen Staunen des Publikums, die vorbildlose Unmittelbarkeit der Entstehung und die Authentizität des Bildresultats betont: „Land hielt in seiner rechten Hand ein brillantes, sepiafarbenes Bild, das sein Gesicht fast in Lebensgröße abbildete. In seiner linken Hand, die auf dem Tisch lag, hielt er das Negativbild desselben nüchternen Gesichtes, das er durch das eigenhändige Betätigen des Selbstauslösers in dem Augenblick eingefangen hatte, als sein Lächeln verschwunden war. Das Tableau hatte für einen Moment Bestand [...]. Einen Augenblick später war Land von Fotografen und Reportern umringt, die nach Wiederholung und Erklärung schrien, ihn aufforderten für sie zu posieren, aufzustehen. [...] Als sich die Lage beruhigt hatte, wiederholte Land den Vorgang der Selbstporträt-Sofortbildfotografie.“

In dieser für die Literatur zur Geschichte des Polaroid-Verfahrens kanonischen Urszene versammelt der Autor auf nur zwei Seiten eine Anzahl von suggestiven Formulierungen, die den Moment der Präsentation des fertig ausentwickelten Bildes und die daraufhin einsetzende frenetische Reaktion der verblüfften Augenzeugen atmosphärisch in die Nähe der Erzeugung einer Art von magischer Repräsentation, oder gar eines nicht von Menschenhand gemachten Kultbildes rücken. So etwa, wenn in Wensbergs Formulierungen im Saal ein Gefühl von ungläubig anmutender „Verwirrung“ und „Skepsis“ im Angesicht des Sofortbildwunders vorherrschte und vernehmbar „nach Luft geschnappt“ wurde; wenn das erzeugte Bildnis beinahe „Lebensgröße“ aufwies und mit „unheimlicher Genauigkeit“ wiederholt aufgenommen wurde; oder wenn von einer der Erfindung zugrundeliegenden „Epiphanie“ Lands als „Manifestation einer intuitiven Erfahrung“ die Rede ist, die dem „jungen Zauberer“ der das „magische Bild“ hielt, dem „Schamanen, dessen Augen sich in die Kamera bohrten“, Jahre zuvor zuteil geworden war.

Diese sorglose Verflechtung einer magischen Terminologie und einer christlich gefärbten Beschreibung des Sofortbildes als eines nicht von Menschenhand gemachten Bildes ist in Wensbergs Text ebenso auffällig, wie sie sich angesichts des Phänomens auch geradezu aufzudrängen scheint. Der Autor bediente zugleich die beiden Register der paganen Magie und des christlichen Wunders, wohl da diese sich durch ihr seit jeher kaum sauber zu trennendes Verhältnis zueinander auszeichneten; ein Verhältnis von dem beide Bereiche – des Aberglaubens und der Gläubigkeit – zugleich profitierten. Die Versuchung für den Leser, den Lockungen dieser in beide Richtungen unscharfen Rhetorik Wensbergs zu folgen ist demzufolge groß, scheinen sich Ähnlichkeiten in Produktion und Rezeption zwischen den sogenannten Acheiropoietoi und Polaroids im Fall der Sofortbildporträterzeugung doch in gleichem Maße anzubieten wie die sympathetischen Gesetze, auf welche die Wirkung magischer Riten im Allgemeinen zurückgeführt wird: So ist die Nähe des Sofortbildes zu den historisch überlieferten Präsentations- und Gebrauchsweisen der christlichen, nicht von Menschenhand gemachten Bilder in der unauflöslichen Verbindung zur sich entziehenden Art und Weise ihrer Herstellung als einem augenscheinlich spontanen In-die-Welt-Kommen zu suchen. Zugleich stiftet die Übertragung des Gesichtes Lands in seine beinahe identische Fotografie, sowie die durch diese mimetische Ähnlichkeit hergestellte scheinbar anhaltende Berührung von Vorbild und Abbild in der vergleichenden Wahrnehmung der Betrachter den Eindruck von Magie. Die so erzeugte Faszination an einem buchstäblich unfassbaren Moment des Sofortbildverfahrens speiste sich zudem aus der Nähe zu den historischen Umständen der Erfindung der Fotografie und dem Versuch ihrer umgehenden Theoretisierung als einer Form von „Naturmagie“ durch William Henry Fox Talbot,  sowie der daraus erwachsenen Etablierung der Technik als einer Methode objektiver Bilderzeugung der sich ausdifferenzierenden Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert; war die ‚Erscheinung’ der Fotografie doch selbst aus einem den Berichten zufolge als magisch erlebten Wechselspiel kontingenter Zufälle der Entdeckung und deren systematischer naturwissenschaftlicher Erforschung hervorgegangen.

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