Vorgeblättert

Leseprobe zu Hans-Martin Tillack: Die korrupte Republik. Teil 3

07.05.2009.
Viel Geld für die Familie

Zuvor hatte schon Chichesters Parteifreund Den Dover seinen Job als Geschäftsführer der EU-Torys verloren. Er hatte im Laufe von sieben Jahren 758 000 Pfund an eine Firma namens MP Holdings überwiesen, die seine Frau und seine Tochter führten. Zusammen hatten beide von ihr 272 000 Pfund erhalten.
"Ich habe die Regeln vollständig beachtet", versicherte Dover. Er selbst habe keine Anteile an der Firma, sei nicht für sie tätig und habe von ihr kein Geld bekommen, anders als Ehefrau Kathleen und Tochter Amanda. Die wiederum arbeiteten für ihn als Sekretärinnen.
 Auch Sir Robert Atkins, ein anderer prominenter britischer Konservativer, beschäftigte schon im Jahr 2002 seine Gattin auf EU-Kosten als Sekretärin. Laut einer offiziellen, internen Liste bekam sie bereits damals ritterliche 8332 Euro im Monat - eine Summe, die Atkins bestreitet. Sein Sohn James kassierte dieser Liste zufolge zeitweise 3180 Euro, als Assistent des Vaters. Und auch als der Filius im November 2006 in den USA heiratete, musste der stolze Dad nicht allzu tief in die Privatschatulle greifen. Die Hochzeit ließ sich glänzend mit einem Parteitermin bei den US-Republikanern verbinden, und so zahlte das Parlament 2500 britische Pfund für Flug und Hotelrechnungen. Laut Atkins stand das vollkommen im Einklang mit den Regeln.
Auch ein weiterer britischer Konservativer geriet in die Schlagzeilen. Er heißt David Sumberg und galt manchen Landsleuten als Großbritanniens faulster Europaabgeordneter. Zwischen den Europawahlen im Juni 2004 und Mai 2008 hatte er nur zwei Reden im Parlament zuwege gebracht. Laut der internen Parlamentsaufstellung ließ er seiner Frau Carolyn Ann Rae schon 2002 monatlich astronomische 11 724,90 Euro als Assistentinnengehalt überweisen. Das ist weit mehr als das, was Sumberg selbst an Diäten erhält. Er bestritt den Betrag, räumte aber im April 2008 ein, der Gattin ein Jahresgehalt von damals immer noch beeindruckenden 54 000 britischen Pfund zu zahlen.

Der Mafia-Anwalt und das Geld

 Auch der italienische Abgeordnete Francesco Musotto geriet in ein schiefes Licht. Er ist ein Parteifreund von Premier Silvio Berlusconi und war seit April 2007 der offiziell vom Haushaltskontrollausschuss benannte Berichterstatter für den alljährlichen Betrugsreport, der sich mit der Unterschlagung von EU-Geldern und der Frage beschäftigt, wie man sie wirksamer bekämpft. Musotto selbst überwies zumindest im Jahr 2002 regelmäßig die komplette Mitarbeiterpauschale von damals 12 052 Euro an eine Firma namens Euro Mediterranean Services Ltd. Bei einer Datenbankrecherche im März 2008 war dieses Unternehmen europaweit nicht in den Registern auffindbar. Fragen dazu ließ der Italiener unbeantwortet.
Dass Musotto es überhaupt auf den Posten des Betrugsberichterstatters gebracht hat, darf als erstaunlich gelten. Als Präsident der Provinz Palermo auf Sizilien hatte Musotto laut Weltwoche auf sich aufmerksam gemacht, indem er eine Zivilklage gegen die Attentäter ablehnte, die 1992 den Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone in die Luft gesprengt hatten. Musottos Zurückhaltung bei der Mafia-Bekämpfung kam nicht vollkommen überraschend, denn im Zivilberuf hatte er Mafia-Verdächtige als Anwalt vertreten. Im November 1995 war er sogar selbst in Handschellen abgeführt worden, weil er in Verdacht gestanden hatte, einem Mafia-Boss in der eigenen Villa Unterschlupf gewährt zu haben - keinem Geringeren als dem Schwager des Cosa-Nostra-Paten Toto Riina.
Aber Musotto kam wieder frei, da man ihm nicht nachweisen konnte, was ihm zur Last gelegt worden war. Im Jahr 2007 schlug ihn seine deutsche Fraktionskollegin Grässle als Berichterstatter für die Betrugsbekämpfung vor. Sie könne sich ihre Fraktionskollegen "nicht schnitzen ", rechtfertigte sich die CDU-Abgeordnete. Weil der Italiener "seine Region" gut kenne, erwarte sie von Musotto "besonders ausgefeilte Vorschläge" zur besseren Korruptionsbekämpfung.
Im Sommer 2008 forderte die Parlamentsbürokratie auch Musotto -- auf, sich zu der Verwendung seiner Mitarbeiterpauschale zu äußern. Kurz darauf legte er sein EU-Mandat nieder.
Vor der Verwaltung der Volksvertretung mussten sich unehrliche EU-Abgeordneten bis dahin kaum fürchten. Schon im Februar 2001 hatte der damalige EP-Generalsekretär Julian Priestley seine Beamten angewiesen, sich auf eine rein "formale" Kontrolle der Zahlungen an die Abgeordneten zu beschränken. Aber selbst die wurde offenkundig nicht ernst genommen. Die Beamten glichen nicht einmal ab, ob die von den Parlamentariern genannten Mehrwertsteuernummern ihrer angeblichen Dienstleistungsfirmen überhaupt existierten - was oft nicht der Fall war, wie der interne Prüfer des Parlaments nun beklagte.
Eigentlich sahen die Regeln auch vor, dass das Parlament die Zahlungen an Abgeordnete suspendiert, wenn diese keine formelle Bescheinigung über die Sozialversicherung vorlegen. Öffentlich hatte ein Parlamentssprecher noch im Mai 2007 behauptet, "alle Mitglieder" erfüllten diese Bedingung. Doch das stimmte nicht. Noch 24 Monate nach Vertragsbeginn, so der Innenrevisor im Januar 2008, fehlten die Zertifikate zur Sozialversicherung in "26 Prozent aller Fälle". Das stelle einen "ernsthaften Verstoß" gegen die Regeln dar. Die Parlamentsbeamten hatten die Gelder offenkundig trotzdem freigegeben.
Im Mai 2008 beschloss das Parlament eine Reform der Mitarbeiterbesoldung, und im September 2008 einigte sich das Präsidium der Volksvertretung auf das "Prinzip", künftig zumindest durch Stichproben zu prüfen, ob die Abgeordneten ihre Ausgaben ordnungsgemäß belegen können. Der Grüne Gerard Onesta scheiterte mit einem weiter gehenden Antrag. Sein Vorschlag, auch rückwirkend Ausgaben seit Anfang 2007 kontrollieren zu lassen, fand keine Mehrheit. Die meisten Präsidiumsmitglieder schienen die Sünden der Vergangenheit ruhen lassen zu wollen.

Jekyll und Hyde

Offenkundig hatten die laxen Auszahlungspraktiken zum Missbrauch regelrecht eingeladen. "Viele Europaabgeordnete arbeiten hart", analysierte der britische Parlamentarier Chris Davies im Juni 2008 in der Daily Mail. "Aber wenn es um ihre Zulagen geht, werden sie wie Jekyll -- und Hyde. Die Versuchung ist einfach zu groß, es wie alle anderen zu tun und mit den Kostenerstattungen zu schummeln."
Wie alle anderen? Im Juli 2008 sprach Parlamentsvize Ingo Friedrich von immerhin 20 Abgeordnetenkollegen, für die es nun "kein Pardon" geben dürfe. Da sei sich das Parlament mit dem EU-Betrugsbekämpfungsamt Olaf einig.
Hatte Olaf also gegen 20 EU-Abgeordnete Untersuchungen eingeleitet? Offensichtlich nicht. Noch im Januar 2009 hieß es in einem offiziellen Bericht der Parlamentsverwaltung, nach ihrer Kenntnis habe das Betrugsbekämpfungsamt bisher keinerlei "formellen Untersuchungen " gegen einzelne Abgeordnete eingeleitet.
Lag wirklich kein ernsthafter Betrugsverdacht vor? Hielt Olaf-Chef Franz-Hermann Brüner seine Ermittler womöglich zurück? Immerhin hatte er schon in der Vergangenheit Spesenskandale der Volksvertreter heruntergespielt. "Im Parlament wurde teilweise extensiv von den legalen Möglichkeiten Gebrauch gemacht, aber es wurde kein Missbrauch und damit Rechtsbruch begangen", versicherte er etwa im September 2006 öffentlich.
Brüner, ein ehemaliger Münchner Oberstaatsanwalt, steht bei einigen schon lange im Verdacht, Untersuchungen je nach politischer Wetterlage zu forcieren - oder schleifen zu lassen. Er selbst bestreitet das. Doch seine Wiederernennung im Februar 2006 war hoch umstritten. Damals nannte der für die Betrugsbekämpfung zuständige EUKommissar Siim Kallas öffentlich zwei Männer, die besonders energisch auf die erneute Berufung des deutschen Chefermittlers gedrängt hätten: die beiden mächtigen deutschen Europaabgeordneten Hans- Gert Pöttering und Martin Schulz.

Der Chefermittler und der Betrug

Brüner ist eine Zentralfigur im Brüsseler Politdschungel. Denn Korruption und Betrug sind Reizwörter in der EU-Hauptstadt. Eine Serie von Betrugs- und Korruptionsskandalen hatte im März 1999 den Rücktritt einer kompletten zwanzigköpfigen Kommission unter dem damaligen Präsidenten Jacques Santer ausgelöst. Es war ein bis dahin unerhörter Vorgang für die machtgewohnte europäische Exekutive.
Das Betrugsbekämpfungsamt, dem Brüner seit März 2000 vorsteht, -- ist eine Antwort auf diese Krise. Nicht zuletzt auf Druck der Bundesregierung wurde es im Sommer 1999 geschaffen. Das deutsche Interesse schien eindeutig. Als größter Financier der Europäischen Union musste die Bundesrepublik besonders daran interessiert sein, Verschwendung und Misswirtschaft zu stoppen.
Olaf folgte der diskreditierten Vorgängerorganisation Uclaf nach, die allzu häufig Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten nicht nachgegangen war. Anders als Uclaf sollte die neue Behörde nun in voller Unabhängigkeit ermitteln, auch wenn sie organisatorisch weiter in die EU-Kommission eingebunden ist. Ein sogenannter Überwachungsausschuss aus Betrugs- und Ermittlungsexperten wachte seit 1999 über die Unabhängigkeit von Olaf, darunter der ehemalige Generalsekretär von Interpol, der erfahrene britische Kriminalbeamte Raymond Kendall.
Auch der neue Chefermittler Brüner sollte diese Unabhängigkeit garantieren. Unter 449 Bewerbern hatte sich der bärtige Jurist durchgesetzt. Die Kommission setzte ihn früh auf eine "short list" von vier aus ihrer Sicht besonders geeigneten Kandidaten. Als einziger Deutscher auf der Liste hatte Brüner leichtes Spiel, als im stark von Deutschen dominierten Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments über die Kandidaten abgestimmt wurde.
Viele in Deutschland glaubten, Brüners Ernennung sei eine gute Nachricht. Korruption in den Brüsseler Behörden gilt vielen in der Bundesrepublik als Folge des südländisch-romanischen Einflusses. Wer könnte also besser gegen verdächtige Franzosen oder Italiener vorgehen als ein Deutscher?
Brüner jedenfalls beteuerte, seine Unabhängigkeit sei schon deshalb gesichert, weil er vermögend sei. Der Zögling des vornehmen Bodensee- Internats Salem, am 14. September 1945 als Sohn eines Professors für Luftfahrtmedizin in Bad Nauheim geboren, konnte einen beeindruckenden Lebenslauf vorweisen. Er hatte schon in Sachen DDRRegierungskriminalität und gegen Erich Honecker ermittelt, die Korruptionsabteilung der Münchner Staatsanwaltschaft geleitet sowie zuletzt in Bosnien einer kleinen internationalen Antikorruptionseinheit vorgestanden. Erfahrung beim Führen großer Behörden hatte er allerdings nicht.

Ein Mörder kommt davon

1989 stellte Brüner als Staatsanwalt in München ein Ermittlungsverfahren gegen einen mordverdächtigen Arzt ein. Der Mediziner hatte zwei Jahre zuvor einen Konventsbruder aus seiner schlagenden Verbindung umgebracht, offenbar um auf dessen Namen abgeschlossene Lebensversicherungen zu kassieren. Aber für den damaligen Mittvierziger Brüner war das "Motiv für die Tat nicht ersichtlich". Vier Jahre später erstickte der Arzt eine 71-Jährige, um auch an deren Vermögen zu kommen. Wegen Doppelmordes verurteilte ihn ein Gericht 1996 zu lebenslanger Haft. Dass ihn die Ermittler nach der ersten Tat hatten laufenlassen, war nun für den Richter "nicht nachvollziehbar".
Ob man in der EU-Kommission von dieser aus Presseberichten bekannten Vorgeschichte wusste? Öffentlich diskutiert wurde sie bei Brüners Amtsantritt im März 2000 nicht. Nun gelobte der ehemalige Oberstaatsanwalt, "nichts" zu beschönigen und zu verschweigen. Schon nach hundert Tagen Einarbeitungszeit wollte er richtig durchstarten. "Der Kater Olaf wird Mäuse fangen", versprach Brüner, "er stellt nicht auf Kitkat um."
Dumm nur, dass viele in den EU-Institutionen das Mausen partout nicht lassen mochten - und den Kater lieber draußen vor der Tür auf Mäusefang gehen sahen. "98 Prozent" der Olaf-Arbeit werde außerhalb Brüssels in den Mitgliedsstaaten stattfinden, verkündete eine Vertraute des Kommissionspräsidenten Romano Prodi offen. Olaf dürfe "keine Skandalgenerierungsmaschine" werden, hieß es unter mächtigen Europaabgeordneten. Ihr Motto: Betrugsermittlungen ja, aber nicht bei uns.
Das passte zu dem heimlichen Konsens, der in Brüssel regiert: Über Europas Missstände öffentlich zu reden schade der Völkerverständigung und dem historischen Einigungsprojekt. Diese Überzeugung teilen in der EU-Hauptstadt Beamte wie Abgeordnete und sogar viele Journalisten.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Hoffmann und Campe

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