Vorgeblättert

Leseprobe zu Rodney Bolt: Lorenzo Da Ponte. Teil 3

10.10.2011.
Einige Jahre zuvor hatte sich Wolfgang in Constanzes ältere Schwester Aloysia mit ihrer schönen Stimme verliebt, die ihn dann allerdings verschmäht hatte. Cäcilia Weber, die Mutter der Mädchen, war eine Intrigantin und alte Säuferin, wie Mozart in einem Brief an seinen Vater zugeben musste, auch wenn er darauf bestand, dass er sie nie wirklich "besoffen" gesehen habe. Nach dem Tode ihres Gatten im Jahre 1779 war Witwe Weber mit ihrer heiratsfähigen Brut in ein Haus namens "Auge Gottes" am Petersplatz umgezogen, und dort vermietete sie Zimmer an geeignete junge Männer. Aloysia war die erste der vier Schwestern, die sich einen Gatten gefangen hatte, keinen Untermieter, sondern den wohlhabenden Hofschauspieler Joseph Lange, der seiner Schwiegermutter für dieses Privileg lebenslänglich 700 Gulden jährlich zahlen musste. Mozart kam als Nächster. Im Frühsommer 1781 war er im Zuge eines erbitterten (und, wie sich herausstellte, abschließenden) Streits mit seinem Schirmherrn, dem Erzbischof, als Untermieter zu den Webers gezogen. Nachdem ihn ein Lakai aufgefordert hatte, die Unterkunft im Haus des Deutschen Ordens zu räumen, in dem er zusammen mit den übrigen Bediensteten des Erzbischofs wohnte, schrieb er an seinen Vater: "Die alte Mad:me Weber war so gütig mir ihr haus zu offriren - da habe ich mein hüpsches Zimmer; bin bey dienstfertigen leuten, die mir in allen, was man oft geschwind braucht, und |: wenn man allein ist nicht haben kann:| an die Hand gehen."
Mutter Weber ließ es nicht dabei bewenden, an die Hand zu gehen. Zusätzlichen Reiz erhielt die Verfügbarkeit des hübschen Zimmers durch die Anwesenheit einer leidlich hübschen Tochter. (Auf einem Gemälde, das ihr Schwager Joseph Lange 1782 geschaffen hat, wirkt Constanze kess und ziemlich schmollend, aber man erkennt gut die "zwey kleinen schwarzen augen", die, wie Mozart schrieb, zusammen mit einem "schönen Wachsthum" ihre "ganze schönheit" ausmachten.) Wolfgang verliebte sich in Constanze. Sie hingegen sagte später einmal, dass sie "vielleicht mehr für sein Talent, als für seine Person fühlte". Es kam zu einer Verwicklung, die einer komischen Oper würdig gewesen wäre. Hinterhältig ließ Madame Weber zu, dass Mozart weiterhin im Haus wohnte. Sobald das Paar durch den Klatsch genügend kompromittiert war, verabredete sie sich mit Johann Thorwart, dem Vormund des Mädchens und Faktotum des Grafen Rosenberg, des Direktors des Hoftheaters. Thorwart sollte Mozart eine Absichtserklärung entlocken. Wolfgang, der aus seinem hübschen Zimmer bereits in eine neue Unterkunft am Graben gezogen war, unterzeichnete einen Brief, in dem er versprach, Constanze binnen drei Jahren zu heiraten oder aber, falls er sich die Sache anders überlegte, ihr jährlich 300 Gulden zu zahlen. Mit dramatischer Geste zerriss Constanze den Kontrakt und erklärte, sie vertraue Wolfgang. Als ihre Mutter anfing, ihr das Leben schwerzumachen, verließ sie das Haus und fand Zuflucht bei einer von Mozarts Beschützerinnen, der Baronin von Waldstätten (die allerdings selbst leider keinen hinreichend untadeligen Ruf genoss, um dem Klatsch Einhalt zu gebieten).
Während der ganzen Zeit ging eine wütende Korrespondenz zwischen Wolfgang in Wien und Leopold Mozart in Salzburg hin und her. Leopold war von dem Gedanken an eine Eheschließung entsetzt und schrieb, Mutter Weber habe Mozart ihr Haus geöffnet, um ihn in eine Falle zu locken, und sie und Thorwart sollten "in Eysen geschlagen Gassen kehren und am Halse eine Tafel tragen ?, mit den Worten; verführer der Jugend". Weiter erklärte er, er habe die zuverlässige Information erhalten, Constanze sei wenig besser als eine Schlampe. Als das nichts fruchtete, verlegte er sich auf Drohungen und Forderungen voller Selbstmitleid (das war in der Beziehung zu seinem Sohn schon ein feststehendes Muster), um über Schuldgefühle seinen Willen durchzusetzen. Wolfgang war 25 Jahre alt, aber für sein Alter unerfahren. Als Wunderkind war er jahrelang von seinem Vater dominiert worden, während sie die Herrscherhöfe Europas bereist hatten, und seine Auflehnung gegen den Erzbischof von Salzburg, seine Entschlossenheit, sich in Wien ein eigenes Leben einzurichten, und jetzt sein Entschluss zur Heirat waren alle Teil eines tapferen und unsicheren Bemühens um Unabhängigkeit. Die Ereignisse entwickelten ihre eigene Dynamik und trieben ihn die Zielgerade entlang.
Etwa um die Zeit, als sich Da Ponte fortstahl, um in der Vorstadt zu leben, erfuhr Wolfgang Mozart, dass Madame Weber die Absicht hatte, die Polizei zu rufen, um ihre Tochter aus dem Haus der Baronin von Waldstätten abholen zu lassen. Der Skandal, zu dem dies geführt hätte, wäre unerträglich gewesen. Eine schnelle Heirat war die einzige Lösung, und am 4. August 1782, einen Tag bevor der Brief mit Leopolds widerwilliger Zustimmung eintraf, wurde das Paar getraut. Constanze zog zu Wolfgang in seine Räume im Haus "Zum roten Säbel", aber einige Monate darauf bezog das Paar eine passendere Unterkunft ein Stück weiter an der Hohen Brücke.
In Mozarts beruflichem Leben war ebenfalls ein Drama ausgebrochen. Der soeben vermählte Musiker befand sich in einer misslichen Lage, die er mit anderen jungen Männern seines Standes und seiner Zeit teilte, die den Versuch unternahmen, mit ihrer Kunst Geld zu verdienen - wie das auch der mittellose Lorenzo Da Ponte tat, der über einer Schneiderwerkstatt in Wieden darbte. In den Wochen, nachdem Mozart zu den Webers gezogen war, hatte er endgültig mit dem Erzbischof von Salzburg gebrochen und war nun sich selbst überlassen. Einige Monate vor seiner Hochzeit hatte er an seinen Vater geschrieben:

Es ist nichts unangenehmers als wenn man so in ungewisheit, ohne zu wissen was geschieht, leben muß ? Nun will ich ihnen wegen dem wenigen gewissen meine Meynung sagen. - Ich habe hier auf dreyerley sachen mein augenmerk. - das Erste [eine Kompositionstätigkeit für Fürst Alois Joseph Liechtensteins geplante Blaskapelle] ist nicht gewis, und wenn auch - vermuthlich nicht viel - das zweyte [eine Anstellung bei Kaiser Joseph II.] wäre das beste - - aber gott weis ob es geschieht - und das dritte [eine Beschäftigung bei Erzherzog Maximilian] wäre nicht zu verrachten - nur schade daß es nur das futurum und nicht das Praesens seyn könnte ? Nur schade das solche herrn nichts im voraus thun wollen ? liebster, bester vatter! - wenn ich von unsern lieben gott schriftlich haben könnte, daß ich gesund bleiben, und nicht krank seyn werde - O so wollt? ich mein liebes, treues Mädchen noch heute heyrathen. - ich habe nun 3 Scolarinen. - da komm ich das Monath auf 18 duckaten. - denn ich mache es nicht mehr mit 12 lectionen, sondern Monathlich. - ich habe mit schaden erfahren, daß sie oft ganze Wochen ausgesezt - Nun aber mögen sie lernen oder nicht, so muß mir Jede 6 dugaten geben. auf diese art will ich noch mehrere bekommen - doch brauch ich nur noch eine, mit viern habe ich genug, das macht 24 dugaten, das sind; 102 fl: und 24 kr: - mit diesem kann man hier mit einer frau |: still und ruhig wie wir zu leben wünschen:| schon auskommen. - allein wenn ich krank werde - so haben wir keinen kreutzer einzunehmen. - ich kann freylich das Jahr wenigstens eine oper schreiben. ich kann alle Jahr eine accademie geben. - ich kann sachen stechen lassen. - sachen auf suscription herausgeben - es giebt auch andere bezahlte accademien.

Mozart musste zu einer Art künstlerischem Unternehmer werden. Es ging darum, die Münzen zusammenzukratzen, ein Konzert hier, ein Schüler da, eine Oper, eine Sonate, etwas aus Veröffentlichungen, und währenddessen musste man die Augen offen halten, ob sich ein möglicher Schirmherr zeigte. Die Ungewissheit, das Haschen nach Geld, die Katastrophe, wenn Vereinbarungen abgesagt wurden, und die Bedrohung durch gesundheitliche Probleme, welche die Einnahmen zunichtemachten, all das sind Züge einer Karriere, die man dann ein Jahrhundert später als freiberuflich bezeichnete. Männer wie Mozart und Da Ponte wurden von dem Sog mitgerissen, als sich die Künste vom Hof entfernten und an die Öffentlichkeit traten; als die Oper aufhörte, ein höfisches Spektakel zu sein und in Theater übersiedelte, in denen die Besucher für den Eintritt zahlen mussten (zu denen aber jeder Zutritt hatte); als mehr Menschen lesen und schreiben konnten, Romane eine breite Leserschaft erreichten und Schriftsteller dazu übergingen, in einer wachsenden Zahl von Zeitungen und Zeitschriften Arbeiten zu veröffentlichen. Das war kein völlig neues Phänomen: Zuschauer hatten dafür bezahlt, die Stücke Shakespeares im Globe zu sehen, Mozart und Da Ponte hatten Vorläufer in Männern wie dem Dichter Alexander Pope in England, der sich als einer der Ersten mit seiner Kunst (insbesondere mit Übersetzungen) einen auskömmlichen Lebensunterhalt sichern konnte. Der Komponist und Operndirektor Georg Friedrich Händel verdiente an dem zahlenden Publikum ein Vermögen, und Voltaire hatte eine Zeitlang von den Erträgen seines epischen Gedichts Henriade recht gut gelebt, aber das späte 18. Jahrhundert erlebte eine stärkere Kommerzialisierung der Kultur in quantitativer wie qualitativer Hinsicht. Was nicht hieß, dass es jetzt sehr viel leichter wurde, sich mit Kunst seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das Rollenmodell für literarische Aktivität begünstigte immer noch finanziell unabhängige Schriftsteller, die es eher verachteten, mit ihren Bemühungen Geld zu verdienen. Sobald man sich über einen anfänglichen Kaufpreis geeinigt hatte, lag das Eigentum an Werken überwiegend bei den Buchhändlern und nicht bei den Autoren. Der Begriff Copyright hatte seinen Ursprung in einem britischen Gesetz aus dem Jahre 1709, aber der Gedanke verbreitete sich nur langsam, und erst gegen Ende des Jahrhunderts kam es dazu, dass sogar englische Schriftsteller allmählich Tantiemen erhielten. Der Journalismus florierte, vor allem in England, Frankreich und Italien, wurde aber von vielen vornehmen Literaten von oben herab betrachtet. Zeitschriften und Zeitungen schufen neue Rollen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten, aber sie waren im Allgemeinen Eigentum von Buchhändlern, die ihre Autoren in Armut hielten.
Als jedoch die Einkommensquellen vielfältiger wurden, als sich die Kunst vom Hof entfernte und in andere Sphären drang, kam es parallel dazu zu einem Wandel in der Ausrichtung der Kunstschaffenden. Metastasio hatte sich damit begnügt, ein Vogel des Hofes zu sein, auch wenn sein gesellschaftlicher Status niedrig war. Mozart und Da Ponte mussten immer noch die Augen nach adligen Schirmherren offen halten, aber die Verschiebung bei den Verdienstmöglichkeiten trug zu einem Gefühl der Unabhängigkeit bei, und Unabhängigkeit bedeutete größere Selbstachtung und ein wenig mehr aufgeklärte Würde, selbst wenn das Leben ein Kampf sein konnte. Zu einem Teil hatte Mozarts Konflikt mit dem Erzbischof von Salzburg in seinem Widerstand gegen die Erniedrigung bestanden, als Diener behandelt zu werden. Die Musiker eines Adligen hatten ihren Platz neben seinen anderen Lakaien. Joseph Haydn, der seit Jahren mit der Familie Esterhazy verbunden war, trug bei seinen Auftritten immer die weiße Hose und die gepuderte Perücke der Livree seines Herrn. Manche Musiker spielten sogar eine Doppelrolle: Als der Geiger und Komponist Karl Ditters 1765 in den Dienst des Bischofs von Großwardein trat, war eines der Orchestermitglieder der Konditor des Bischofs, ein anderes ein Kammerdiener, und einer der Sänger war Koch.
Mozart war in gewisser Hinsicht ein Sonderfall. Als Wunderkind hatten ihn Gräfinnen verhätschelt und Königinnen geküsst, und so fand er als Erwachsener die Dienerrolle abscheulich. Am 17. März 1781, als er gerade in Wien eingetroffen war, um zum Gefolge des Erzbischofs von Salzburg zu stoßen, schrieb er einen sarkastischen Brief an seinen Vater, der ganz deutlich zeigt, dass er sich der Gesellschaft, in der er sich zwangsweise bewegte, überlegen fühlte:

um 12 uhr zu Mittage - leider für mich ein bischen zu frühe - gehen wir schon zu tische - da speisen die 2 Herrn leib und Seel kammerdiener, H: Controleur, H. Zetti, der zuckerbacker, 2 herrn köche, Ceccarelli, Brunetti und - meine Wenigkeit - NB: die 2 herrn leibkammerdiener sitzen oben an - Ich habe doch wenigstens die Ehre vor den köchen zu sitzen ? bey tische werden einfältige grobe spasse gemacht; mit mir macht keiner spasse, weil ich kein Wort rede, und wenn ich was reden muß, so ist es allzeit mit der grösten seriositet - so wie ich abgespeist habe so gehe ich meines Weegs.

Mozarts Abscheu war nicht einfach das Ergebnis einer Kindheit, die ihm ein über seinen Stand hinausreichendes Selbstbild vermittelt hatte, und er war auch nicht der Einzige, der etwas Derartiges empfand. Seine vergangene Erfahrung schärfte einfach eine Wahrnehmung, wie sie jetzt allmählich auch andere Menschen in schöpferischen Berufen teilten, die sich mit den Ambitionen der aufstrebenden Mittelklasse identifizierten und deren Einkommensquellen vielgestaltiger wurden. Die Sicherheit, die ein Schirmherr bot, war auch weiterhin eine sehr attraktive Aussicht. Mozart hatte immer noch den Wunsch, sich dem Kaiser vorzustellen - "mit schöner Manier ?, denn ich will absolument, daß er mich kennen lernen soll" -, aber Patronage schränkte die Unabhängigkeit ein. Ebenso stark wie sein Widerwille gegen eine Dienerrolle im Gefolge des Erzbischofs war Mozarts Überzeugung, dass die Einschränkungen durch den ständigen Zwang, auf Verlangen zu spielen, seine Ambitionen als Musiker vereitelte. Mit der Emanzipation von der Patronage kam die Freiheit, sich eine autonome künstlerische (und gesellschaftliche) Existenz aufzubauen - wenn da nicht das kleine Problem gewesen wäre, dass man sich seinen Lebensunterhalt zusammenkratzen musste. Die Vorstellung von dem einsamen, unkonventionellen Künstler, der in einer Dachkammer verhungert - weitgehend ein Produkt der Romantik -, war nicht mehr weit. In gewisser Hinsicht hatten sowohl Da Ponte als auch Mozart bereits einen Schritt in diese Richtung unternommen.
Das ancien regime hatte Wolfgang Mozart ganz buchstäblich mit Füßen getreten. Graf Arco, der Oberhofmeister des Erzbischofs, hatte dem Streit des jungen Musikers mit seinem Herrn ein Ende gemacht und zugleich seine Anstellung mit einem Tritt in den Hintern beendet, mit dem er ihn aus dem Zimmer beförderte. Mozart tobte über solchen "Stolz und [solche] Grobheit", und in seinen Briefen malte er sich aus, wie er die Geste mit gleicher Münze erwidern würde. Die Wahrheit war jedoch, dass ein tätlicher Angriff auf einen Adligen ein ernstes Vergehen war, wie immer er seinen eigenen Wert einschätzte. Stattdessen musste er darangehen, sich aus den rentablen Elementen, die ihm zur Verfügung standen, ein neues Leben zusammenzusetzen. Lorenzo Da Ponte hatte weniger Glück, so dass sein Trübsinn und seine Bitterkeit vielleicht verständlich sind. Im Frühjahr 1783 ereignete sich jedoch etwas, das Da Pontes Leben verwandeln und zu einigen der erhabensten Kompositionen führen sollte, die Mozart je schrieb.
Kaiser Joseph II. gründete in Wien eine italienische Operntruppe.

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Mit freundlicher Genehmigung des Berlin Verlages
(Copyright Berlin Verlag)


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