Vorgeblättert

Leseprobe zu Tidiane N'Diaye: Der verschleierte Völkermord. Teil 1

15.02.2010.
Kapitel IV

Nach der Eroberung Afrikas : Islamisierung und afrikanische Mittäterschaft

Wenn meine Berichte über den fürchterlichen Sklavenhandel in Oujiji zur Abschaffung des Menschenhandels führen können, wäre dies für mich ein weit aus wichtigeres Ergebnis als die Entdeckung aller Nilquellen. David Livingstone

Zu Beginn des islamischen Zeitalters beschränkten sich die Araber zunächst auf die Bekehrung der Bevölkerungsgruppen auf der Arabischen Halbinsel, annektierten dann aber nach und nach die südliche und östliche Küste des Mittelmeeres. Infolge der zahlreichen Eroberungskriege führten sie in diesen Regionen auch die Sklaverei ein und unterwarfen, wie bereits erwähnt, den gesamten Norden des afrikanischen Kontinents. Zunächst dehnten sie im Jahre 711 unter dem Kommando von Tarik ibn Ziyad ihren Herrschaftsbereich auf die von den Westgoten besiedelte Iberische Halbinsel aus. Auf ihrem Rückzug islamisierten sie die afrikanischen Völker. Der lange und schmerzvolle Handel mit den Eingeborenen, der Afrika bis ins 20. Jahrhundert hin ein ausbluten sollte, nahm hier seinen Ausgangspunkt.
     Im Grunde ist die muslimische Welt seit dem frühen Mittelalter zu einem riesigen Sklavenimporteur geworden. Da das islamische Gesetz die Versklavung von Gläubigen verbietet, mussten nach der massenweisen Bekehrung weißer Sklaven Afrikaner aus den subsaharischen Regionen geholt werden. Die Entstehung des Islam als Bindeglied zwischen den Kontinenten Afrika, Asien und Europa ist zweifellos eines der wichtigsten Ereignisse der Menschheitsgeschichte. Durch seine rasante Expansion wurden zahlreiche geographisch weit von ein an der entfernt liegende Regionen zum Bestandteil der muslimischen Welt. In Spanien schufen die Araber eine glanzvolle Kultur, die in den Emiraten und Kalifaten von Cordoba ihren Ausdruck fand. Ihre Präsenz in Afrika wurde hingegen zum Verhängnis für die schwarzafrikanischen Völker. Von ihren Stützpunkten an der Ostküste und im Norden brachten sie immer neue Gefangene an den Arabischen Golf und in den asiatischen Teil der Türkei, um sie dort wie Vieh zu verkaufen.
     Vor der Ankunft organisierter und siegessicherer Truppen agierten die ersten arabomuslimischen Sklavenhändler zunächst ohne die Unterstützung der schwarzen Eliten. Sie bedrohten, plünderten und entführten in abgelegenen Ortschaften lebende Bevölkerungsgruppen. Dabei vermieden sie das Landesinnere und konzentrierten ihre Angriffe auf die Küstengebiete, wie dies vom portugiesischen Historiker Gomes Eannes de Azurara (1410 - 1474) in seiner Mitte des 15. Jahrhunderts verfassten Chronik über die Eroberung Guineas bestätigt wird.
     Dem Chronisten Idrisi (1100 - 1165) war die Durchtriebenheit der arabomuslimischen Sklavenhändler aufgefallen. Die Zanj, hatte er beobachtet, fürchteten die Araber so sehr, dass sie sich vor jedem Händler oder Reisenden tief verneigten, ihn mit großer Achtung behandelten und wie folgt begrüßten : "Sei gegrüßt, o Volk aus dem Lande der Datteln !" Denn die ersten Araber, die sich in Ostafrika herumtrieben, hatten deren Kinder mit süßen Datteln aus dem Dorf gelockt, sie gefangen genommen und verschleppt.
Bereits vor der arabischen Kolonisierung von Sansibar entsandte das Oberhaupt der im Golf von Oman gelegenen Insel Kisch seine Schiffe ins Land der Zanj, um Sklaven zu holen. Ferraghit, ein ehemaliger Sklave, der von den Weißen Vätern der katholischen Kongregation freigekauft wurde und später als Sekretär der Anti- Slavery International arbeitete, schilderte die Umstände seiner Entführung durch Araber und Tuareg : "Eines Tages ging ich mit meiner Mutter, meiner Schwester und eini gen Leuten unseres Stammes in ein Nachbardorf von Kaffouan, als wir plötzlich von Tuareg-Händlern umringt wurden, die uns mit ihren Dolchen und Stöcken Angst einjagten. Ein Neger, der mit uns war, schrie plötzlich um Hilfe. Er wurde sofort zu Boden geworfen und durch einen kräftigen Stockschlag getötet. Ein alter Schwarzer, den wir mitgenommen hatten, wollte sich verteidigen, schoss einen Pfeil auf die Tuareg, aber die Waffe verfehlte ihr Ziel und stachelte die Wut der Händler nur noch mehr an, sie schlugen mit dem Dolch auf den alten Neger ein und überließen ihn seinem Schicksal. Nachdem sie all jene getötet haben, die schrien oder sich verteidigen wollten, brachten uns diese fürchterlichen Schurken zum Stamm der Bamba. Arabische Händler suchten sich die Stärksten von uns aus. Meine Mutter, für arbeitstauglich und kräftig befunden, wurde sofort vermittelt. Ein grausamer Araber trennte uns von unserer Mutter, ohne dass wir ihr Lebwohl sagen konnten."
     Bald schon gingen die Araber zu einem systematischen, dem sogenannten "fliegenden" oder "Routen"-Handel über, das heißt Menschenjagd durch Waffengewalt. Bereits im 9. Jahrhundert war es ihren Missionaren gelungen, in kurzer Zeit zahlreichen afrikanischen Stammesführern den Islam aufzuzwingen, sie zu unterwerfen oder zu bestechen. Dar auf wird an späterer Stelle noch einmal eingegangen, denn die Herrscher des einen oder anderen Königreiches, doch längst nicht alle, waren ohne jeden Zweifel am arabomuslimischen Sklavenhandel aktiv beteiligt. Der senegalesische Historiker und Autor Boubacar Barry (geb. 1943) schrieb übrigens in seinem Werk La Senegambie du VIe au XIXe siecle 6 : "So nehmen die muslimischen Theokratien ebenso wie die Ceddo-Regime am Sklavenhandel teil, dessen Einfluss in allen Bereichen die wirtschaftliche Stagnation und die sozialen Konflikte in Senegambia verschärft. [. . .] Der Sklavenhandel blieb über Jahrhunderte hinweg das Monopol der machthabenden Aristokratien, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu den Ceddo-Regimen oder den Theokratien. Der Handel mit den Sklaven ist insofern ein königliches Monopol, als nur die Aristokratie über das militärische Potenzial verfügt, mit dem sie gegen die Nachbarn Krieg führen kann, um sich Sklaven zu beschaffen oder deren Untertanen zu unterwerfen. Nur die Aristokratie vermag es, Sklavenkarawanen aus dem Landesinnern sicher an die Küste zu bringen, um sie den Sklavenhändlern zu verkaufen."
     Diese arabischen, berberischen oder maurischen Räuber hatten nicht nur die Ära der Menschenjagden eingeleitet, sondern wurden auch deren entschiedenste Vollstrecker.
     Mit steigender Nachfrage an Sklaven nahmen die von den Arabern geschürten Konflikte zwischen den Stämmen und die Überfälle auf die Dörfer zu, die, ebenso wie die Islamisierungswelle, erst mit der Ankunft der europäischen Sklavenhändler ein Ende fanden. Die europäischen Menschenhändler folgten dem Beispiel ihrer orientalischen Vorgänger und schlossen ihrer seits einen dauerhaften Vertrag mit denselben doppelzüngigen Stammesführern, vor allem aus den Königreichen der Küste von Dahomey (dem heutigen Benin) und der Ethnie der Fon, die durch Plünderungen in Yoruba- oder Mahi-Dörfern und den Verkauf unzähliger Kinder, Frauen und Männer dem Sklavenhandel den Weg ebneten.

Zwischen dem Golf von Guinea und dem unteren Niger erwiesen sich die Fulbe und Tukulor, ein ihnen verwandter Stamm, nach dem Abzug der Almoraviden als wertvolle Gehilfen der Mauren und führten das Islamisierungswerk fort. Diese Pulaar-Stämme unterwanderten das Gebiet entlang des Niger und gründeten mit Eisen und Blut große proselytische Staaten. Dank der aloufa (oder Marabouts) setzten sie ihre Missionierungstätigkeit bei den Bevölkerungsgruppen mit "friedlichen" Mitteln fort.

Teil 2