Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.07.2002. Die FAZ analysiert die missliche Lage des Buchhandels in Deutschland. Die taz verzweifelt an Japan, die FR an den schönen neuen Jazzfrauen. Die NZZ wohnte im Köln-Bonner Raum der Rückkehr des Politischen ins Theater bei. Die SZ meditiert über "Deutschland, Israel und die anderen".

FAZ, 08.07.2002

Vor ein paar Tagen analysierte die FAZ die Lage der deutschen Verlage (mehr hier). Heute ist der Buchhandel dran. Der Umsatz geht zurück. Hannes Hintermeier sieht die Probleme erstmals gerade bei den großen Ketten: "Selbst in den Jahren kontinuierlichen Umsatzwachstums haben viele Betriebe es nicht geschafft, eine Rendite zu erwirtschaften, die es ihnen erlaubt hätte, Speck anzusetzen. Wenn aber alle Investitionen auf Wachstum ausgelegt sind, kommt, wenn das Wachstum ausbleibt, das Liquiditätsproblem so sicher wie die Aufhebung des gebundenen Ladenpreises. Viel Geld, womöglich viel zu viel Geld, wurde und wird in diesem Wettlauf der Großen - heißen sie nun Hugendubel, Thalia, Mayersche, Bouvier-Gonski, Gondrom - für die Verteidigung der Standorte ausgegeben."

Weiteres: Der Schriftsteller Burkhard Spinnen (mehr hier) nimmt in einem Brief an den Bahn-Präsidenten Mehdorn Abschied vom Lehrter Stadtbahnhof, der nun zugunsten des neuen großen Berliner Zentralbahnhofs abgerissen wird. Kerstin Holm annonciert eine architektonische Katastrophe in Moskau - das Hotel Moskwa, ein "Klassiker des stalinistischen Neuklassizismus", wird abgerissen. Andreas Kilb schreibt zum Tod des amerikanischen Filmregisseurs John Frankenheimer. Christian Schwägerl kritisiert die "so unangemessenen wie unglaublichen" Attacken prominenter Biowissenschaftler gegen die Entscheidungen des Bundestags zur Stammzellforschung. Johan Schloemann resümiert eine Tagung über "Moral im Nationalsozialismus" im Hamburger Institut für Sozialforschung. Paul Ingendaay berichtet über neue Schwierigkeiten mit Umbau und Erweiterung des Prado. Verena Lueken stellt das Heft "New Writing in German" der Chicago Review vor. Jürg Altwegg erzählt in einer Zeitschriftenschau, wie die Franzosen das Debakel bei der Fußball-WM verarbeiteten.

Auf der letzten Seite porträtiert Andreas Rossmann die Zeithistorikerin Luisa Passerini (mehr hier), die den Kulturwissenschaftlichen Forschungspreis des Landes Nordrhein-Westfalen erhalten hat. Lorenz Jäger berichtet, dass jetzt auch die Amerikaner asiatischer Herkunft Political Correctness einfordern und die Abschaffung der "Orient" und "oriental" verlangen. Und Benedict Maria Mülder kommt auf einen der spektakulärsten Stasi-Aktionen zurück - vor fünfzig Jahren entführte sie den Juristen Walter Linse, der sich kritisch mit der Politik in der DDR auseinandersetzte. Auf der Medienseite kommentiert Patrick Bahners das Duell Schröder-Stoiber in der Bild-Zeitung. Und Michael Allmaier hat sich Wolfgang Menges und Tom Toelles Mediensatire "Das Millionenspiel" noch einmal angesehen - sie wird nach dreißig Jahren wieder gesendet.

Besprochen werden die französische Erstaufführung von Botho Strauß' Stück "Der Narr und seine Frau..." beim Festival in Avignon, die Uraufführung von Peter Eötvös' Oper "Le Balcon" beim Festival von Aix-en-Provence, die Foto-Ausstellung "Das zweite Gesicht" im Deutschen Museum München, eine Ausstellung über den italienischen Futurismus in Dortmund.

NZZ, 08.07.2002

In einem langen Bericht resümiert Marion Löhndorf die Bonner Theaterbiennale und das Theater der Welt-Festival in Köln und stellt eine Rückkehr des Politischen ins Theater fest: "Beide Festivals demonstrierten die Schwierigkeit, Politisches ästhetisch umzusetzen, ohne sich dabei auf hausbackenes Aufklärer- und Anklägertum oder auf gedanklich eingleisige Vergrößerungs- oder Verdopplungseffekte zu verlegen."

Weiteres: Christoph Egger schreibt zum Tod des Regisseurs John Frankenheimer. Besprochen werden die Aktion "Funbad" bei der der Arteplage Mobile du Jura, Rossinis "Guglielmo Tell" in Avenches, die ersten Tage des Jazzfestivals von Montreux, das siebte Literaturfestival Leukerbad (mehr hier), ein Schostakowitsch-Zyklus in der Zürcher Tonhalle und die Oper "Le Balcon" von Peter Eötvös beim Festival von Aix.

FR, 08.07.2002

Früher vertrugen Jazz und Mode sich nur schwer: die Damen trugen Rüschenhaftes, die Herren von der Stange. Nun haben die schönen neuen Jazzfrauen Adam Olschewski sichtlich aus der Fassung gebracht: "Sie heißen unterschiedlich, belegen aber nur um Nuancen differierende Rollen. Nämlich vor allem die der anrüchig-willfährig-verführerischen Schönheit. Natürlich werden Sie dorthin von den Imageplanern der Plattenfirmen gedrängt, andererseits lassen sie es auch zu. Um anzukommen werden sie fotografiert wie Anna Maria Jopek (mehr hier), eine Polin, die eine Handvoll renommierter Jazzmusiker wie den Pianisten Leszek Mozdzer oder den Trompeter Tomasz Stanko um sich geschart hat. Schon die Plattenhülle gleicht einer Anzeige für einen Wellness/Avaita-Tantra/Beauty-Farm, in der es heißt: Besuchen Sie uns und werden sie anschmiegsamer denn je ... Über das Produkt lässt sich das sagen: Nebenbeimusik für überdesignte Räume und Plätze und Sparkassenfilialleiter."

Über das Schöne, Wahre und Gute sinniert Christian Schlüter anlässlich der internationalen Tagung des Potsdamer Einstein-Forum zu Literatur und Moral. Besprochen werden Robert Carsens "märchenhaft opulente" Inszenierung von Dvoraks "Rusalka" an der Opera Bastille in Paris und politische Bücher, darunter zwei Bände zur österreichischen und deutschen Kolonialpolitik und eine Biografie des Konquistador Hernan Cortez von Bartolome Bennassar (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 08.07.2002

Martin Ebner räumt ziemlich endgültig mit dem Vorurteil auf, dass Japan ein schönes Land sei, in dem sich etwa elegantes Design mit geschmackvollen Gärten verbinde. Japan verbrauche jedes Jahr 30 mal so viel Beton wie die USA: "Nicht, dass man gleich hinter dem bombastischen, seltsam menschenleeren Kansai International Airport in Osaka Reisfelder und einen rauschenden Bergbach erwartet würde. Doch nach über einer Stunde rast der Flughafenexpress noch immer an Betonklötzen vorbei, denen man nicht ansieht, ob es Mietshäuser, Fabriken, Schulen, Kraftwerke, Einkaufszentren oder Müllverbrennungsanlagen sind. Zuweilen gibt eine Brücke den Blick frei - auf ein bis zum Horizont komplett zubetoniertes Flussbett ... Die nächsten acht Stunden könnte man so weiterfahren: Nach Osaka kommt eine Betonwüste, die genauso scheußlich ist und Nagoya heißt, irgendwann ihren Namen in Yokohama ändert, um schließlich nahtlos in Tokio überzugehen." Gründe für die Betoniererei? Gier der Bürokraten, der traditionelle Wunsch nach Kontrolle und der Versuch, sich gegen ausländische Einflüsse abzuschirmen und um jeden Preis Veränderungen zu vermeiden.

Nils Röller porträtiert in der neuen Reihe "Ökonomien des Dazwischen" den Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger vom Max-Planck-Institut, der in Forschungslabors das Wechselspiel von Prinzipienwahrung, individueller Freiheit und Zufall erkundet. Christian Rath berichtet vom Folkfestival in Rudolstadt, das in diesem Jahr schwerpunktmäßig der polnischen Musik gewidmet war. Und auf der Meinungseite liefert Stefan Reinecke den Kommenar zum Berliner Stadtschloss nach: "Die Entscheidung, die barocke Schlossfassade zu rekonstruieren, spiegelt das vermischte, uneindeutige Bild der Geschichtspolitik der rot-grünen Ära.

Besprochen werden der Dokumentarfilm "Soldatenglück und Gottes Segen" (mehr hier)" von Ulrike Franke und Michael Loeken über deutsche Auslandseinsätze und die neue Disney-Produktion "Lilo & Stitch" (mehr hier).

Schließlich Tom.

SZ, 08.07.2002

Petra Steinberger denkt über neue Mauern und alte Ängste nach, über Deutschland, Israel und die Anderen: "Angst vor den Anderen treibt die Menschen um - das gilt für Amerika, aber vor allem auch für Europa, das sich erst seit kurzen von der Vorstellung des ethnisch definierten, homogenen Nationalstaates befreit. Dies gilt zum einen für Deutschland, das sich erstmals offiziell mit seinem ethnisch orientierten Staatsbürgerschaftsrecht auseinander setzen musste wie auch mit der Tatsache, dass es real schon lange ein Einwanderungsland ist. Und andererseits gilt es für Israel, das sich fast ständig permanent hinterfragt, wie man es als 'jüdischer und demokratischer Staat' halten müsse mit den Rechten und Pflichten der nativen 'Anderen', der israelischen Palästinenser nämlich."

Arno Orzessek beschäftigt sich mit der Frage, wie grün die Braunen waren und ob der Naturschutz eine Erblast der Blut-Boden- und Schollen-Ideologie ist. Lothar Müller sieht auch nach einer entsprechenden Tagung des Einstein-Forums die Literatur in "scheuer Distanz" zur Moral. Fritz Göttler schreibt gleich zwei Nachrufe: einen auf den amerikanischen Filmemacher John Frankenheimer (mehr hier) und einen auf die Schauspielerin Katy Jurado ("die andere Frau in High Noon", mehr zu Jurado hier). Julia Encke berichtet von dem Wettstreit, den sich die Kunstwissenschaftler in der Vortragsreihe "Iconic Turn" in München liefern. Nico Bleutge war beim 25. Jubiläum des Literaturarchivs Sulzbach-Rosenberg. Und auf der Medien-Seite würdigt Hans Leyendecker den Coup von BamS und Bild, das erste Duell "Schröder gegen Stoiber" sekundiert zu haben.

Besprochen werden: Eric Lacascades Inszenierung von Tschechows "Platonov", mit dem das Theaterfestival von Aix-en-Provence eröffnet wurde, Eötvös' "Balkon" und Tschaikowskys "Eugen Onegin" beim Opernfestival ebenfalls in Aix-en-Provence, ein Berlioz-Konzert von James Levine und den Münchner Philharmonikern, die Ausstellung "Wege zur Backsteingotik" (mehr hier), die die fünf ehemaligen Hansestädte Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald gemeinsam organisiert haben, Umberto Ecos "Der Name der Rose" als Freiluft-Version in Heidelberg, Rachid Boucharebs Film "Little Senegal" (mehr hier) und Bücher, darunter Adornos Vorlesung "Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit" aus den Jahre 1964/65, Marcel Beyers Gedichtband "Erdkunde" und Susan Arndts Studie zu Rassismus in Deutschland "AfrikaBilder" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).