Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
01.02.2003. Die NZZ schildert das Dilemma der amerikanischen Kriegsgegner. Man gewöhnt sich an alles, auch an den Krieg, behauptet Stewart O'Nan in der SZ. In der FR fordert Michael Walzer, die wichtigsten Handelspartner des Irak - Frankreich und Russland - sollten Saddam Hussein zur Räson bringen. In der taz informiert Berlinale-Chef Dieter Kosslick über den Umgang mit ehemaligen Geliebten.

SZ, 01.02.2003

Man gewöhnt sich an alles, auch an den Krieg, konstatiert der amerikanische Autor Stewart O' Nan (mehr hier) in seinem recht fatalistischen Kommentar zur geschickten Kriegs-PR der Bush-Regierung und der Gleichgültigkeit des Fernsehvolks. "Geschichte macht uns gefühllos. Jeder Krieg macht den nächsten plausibler. Derselbe Aufmarsch fand vor dem Afghanistankrieg statt, und davor beim ersten Golfkrieg. Wir kennen das Muster und erwarten, dass es auch diesmal nicht anders sein wird. Luftangriffe (und die sie begleitenden Verluste unter der Zivilbevölkerung), danach das vorsichtige Aufräumen der Bodentruppen. Zehn- oder hunderttausende irakische Tote; zwischen fünfzig und zweihundert amerikanische Opfer, ein Großteil durch Unfälle im Hinterland und 'friendly fire'."

Weitere Artikel: Reinhard J. Brembeck diagnostiziert bei der Berliner SPD und PDS eine starke Abneigung gegen die elitären Opernhäuser, deren Etat radikal zusammengestrichen wird. Jens Schneider berichtet von den Leipziger Ränkespielen um die Paulinerkirche und die Universität, die nun ihr erstes Opfer gefordert haben. Ira Mazzoni beneidet den neuen Präsidenten des Deutschen Archäologischen Instituts Herrmann Parzinger keineswegs - das DAI treiben finanzielle Sorgen. Detlef Esslinger erinnert sich wehmütig an das einstmals rote Hessen, in dem nun der "Bezwinger aller Roten" Roland Koch kurz vor der absoluten Mehrheit steht. Ijoma Mangold wundert sich über ein angeblich ein neues Buch von Stephen Hawking, das nahezu identisch mit seiner "Kurzen Geschichte der Zeit" ist.

Wolfgang Schreiber porträtiert den Komponisten Wolfgang Rihms (mehr hier), der gerade mit dem Siemens Musikpreis ausgezeichnet wurde. Lothar Müller schreibt zum Tod des umtriebigen amerikanischen Literaturkritikers Leslie A. Fiedler. Franziska Augstein gratuliert dem "stilistischen Könner" und Rechtshistoriker Uwe Wesel zum Siebzigsten. "Sw" meldet die Entdeckung eines bisher unbekannten Selbstporträts von Rembrandt, das unter einem anderen Bild zum Vorschein gekommen ist. Friedrich Wilhelm Graf stellt uns einen weiteren Brief aus dem 20. Jahrhundert vor: von Ernst Troeltsch an Heinrich Dietzel aus dem Jahr 1917. Auf der Literaturseite meldet sich Ulrich Baron vom gerade zu Ende gegangenen ersten europäischen Schriftstellertreffen in Berlin, das offensichtlich mit beeindruckenden Rednern glänzte.

Auf der Medienseite plaudert Moderator Kai Pflaume über sein astreines Verhältnis zu Endemol und seine Hoffnungen, dass SAT1 wieder auf die Beine kommt. Hans-Jürgen Jakobs und Klaus Ott bringen uns in der Suche nach dem verlorenen Schatz der Kirch-Gruppe auf den neuesten Stand; eine heiße Spur führt nach St. Moritz.

Besprochen werden Jochen Breitsteins mit beachtlichem Aufwand "on location" gedrehter Film "Der Ring des Buddha", zwei parallele Inszenierungen von Tom Lanoyes "Mamma Medea" in Hannover und Nürnberg, die Schau der phantasmagorischen Visionen von Jake und Dinos Chapman im Düsseldorfer Kunst Palast, zwei Ausstellungen mit Bauhaus-Möbeln in Berlin, und Bücher, darunter Graf Rumfords Darstellung des unangenehmsten Menschen in der Geschichte der Naturwissenschaften, Benjamin Thompson, sowie Carmen-Francesca Bancius Geschichten aus unserer Hauptstadt, ihrem Paris (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

In der SZ am Wochenende lesen wir eine Kurzgeschichte von Hans Christoph Buch (mehr hier), die in Chile beginnt, um sich bald darauf in die imposante Villa des Erich H. zu verlagern, der vom Klingeln des roten Telefons unsanft geweckt wird.

Herbert Riehl-Heyse weiß, woran es den heutigen Fürsten mangelt. An Erziehung. Aber das war schon immer eine schwierige Sache. "Seneca konnte Nero nicht zivilisieren, nicht einmal Voltaire machte auf Dauer aus dem Großen Fritz einen Friedensfürsten."

Weiteres: Holger Gertz hat einen misstrauischen Lothar Matthäus im Trainingslager von Partizan Belgrad besucht. Und Goldie Hawn erklärt Alexander Gorkow im Gespräch, warum die Deutschen so traurig sind: "Bei euch ist der Himmel oft sehr grau. Der Mensch aber braucht Licht."

NZZ, 01.02.2003

Andrea Köhler schildert das Dilemma, in dem sich Amerikas Intellektuelle zur Zeit befinden. Denn die Frage, ob es wichtiger sei, einen Krieg zu verhindern oder eine Diktatur zu beenden, führe ins Herz des amerikanischen Selbstverständnisses: "Die Vorstellung, dass God's own country seine militärische Macht zur Durchsetzung humanitärer Ziele nutzt, stammt aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs; ein Modell, das durch den Vietnamkrieg schwere Blessuren davontrug. Mit dem Jugoslawienkonflikt hat sich der Widerspruch zwischen den beiden Szenarien - der Befreiung vom Tyrannen und dem Vietnamkrieg -, die Leon Wieseltier, Literaturredaktor bei der Zeitschrift The New Republic, als die beiden primären Modelle militärischer Interventionen markiert, wieder zugunsten des 'Modells Zweiter Weltkrieg' verschoben. Im Fall des Iraks aber ist der 'Bosnien-Konsensus', sprich: die Einsicht in die Notwendigkeit, eine demokratische Ordnung notfalls auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen, zu einem Dilemma geworden, das viele Befürworter humanitärer Interventionen mit Zweifeln erfüllt. Zu groß ist die Angst, ein Präventivschlag könnte die Destabilisierung der Golfregion, eine Eskalation der Terroranschläge in der ganzen Welt und das Scheitern einer 'Revolution von oben' nach sich ziehen."

Weitere Artikel: Ernst-Otto Czempiel erinnert an den Publizisten Eugen Kogon (mehr hier), der heute hundert geworden wäre. Gemeldet wird, dass Wolfgang Rihm den Siemens-Musikpreis erhält. Besprochen werden Salman Rushdies "Midnight's Children" in London, eine Nurejew-Ausstellung im Wiener Theatermuseum, eine Aufführung des Tschaikowsky-Sinfonieorchester in der Zürcher Tonhalle

In der Beilage "Literatur und Kunst" ist die Dankesrede abgedruckt, die der Literaturwissenschafter und Essayist Peter von Matt zur Verleihung des Europäischen Essay-Preises Charles Veillon hielt. "Die Literatur, dieses Überbleibsel aus der vorwissenschaftlichen Welterklärung, hat deshalb überlebt, weil sie der wissenschaftlichen Welterklärung unverfroren die Grenzen ihrer trennscharfen Wahrheiten vor Augen rückt. 'Quod erat demonstrandum', sagt die Wissenschaft. 'Wer's glaubt, bezahlt einen Taler', antwortet die Literatur."

Weitere Artikel: Hansjörg Graf denkt über die lebensphilosophischen Essays von John Cowper Powys nach. Besprochen werden die Francis-Picabia-Ausstellung im Pariser Musee d'art moderne, die Ausstellung der Sammlung Adolf von Beckerath im Berliner Kupferstichkabinett, eine Ausstellung im Diözesanmuseum Freising zur Geschichte des Mohren in Europa, die Biennale in Schanghai und Bücher, darunter Djuna Barnes' Briefe an Emily Coleman und eine Anthologie britischer Gegenwartslyrik (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FR, 01.02.2003

Die FR steht ganz im Zeichen des Krieges: Der amerikanische Philosoph Michael Walzer (mehr hier) erklärt, warum es keinen Krieg gegen den Irak geben muss. "Das gegenwärtige System der Eindämmung und Kontrolle Saddam Husseins klappt und kann noch verbessert werden. Wir sollten uns klipp und klar eingestehen, dass das Regime in Bagdad entsetzlich ist und eine erhebliche Gefahr darstellt. Und dann sollten wir zusehen, dass wir diese Gefahren mittels Zwangsmaßnahmen im Griff behalten: allerdings ohne Krieg." Ein wenig mehr Engagement von Nicht-Amerikanern würde er sich in dieser Sache aber schon wünschen. "Einigen von uns US-Linken ist es peinlich, einsehen zu müssen, dass die von uns so heftig kritisierte Kriegsandrohung der Bush-Regierung der Hauptgrund dafür ist, dass es überhaupt ein nachdrückliches System von Waffeninspektionen gibt; und dass es das gibt, ist heute das beste Argument gegen den Krieg in Irak. Es wäre indes bei weitem besser, wenn diese Drohung der USA gar nicht erst nötig gewesen wäre und wenn diese Drohung etwa von den Franzosen oder den Russen, den wichtigsten Handelspartnern Iraks, gekommen wäre."

Der "Denker der Katastrophe", Paul Virilio (mehr hier), sieht im Interview den 11. September als eine historische Zäsur in der Größenordnung von Hiroshima und erklärt, warum den USA im Zeitalter der post-clausewitzschen Kriege auch ihre Flugzeugträger nicht mehr helfen können. "Die USA hinken einen ganzen Krieg hinterher. Und das auf Grund ihrer klassischen militärischen Stärke! Ich würde sogar sagen: Ihre Hypermacht ist ihre Hyperschwäche in dieser neuen Form des Krieges. Man kann einen Krieg, in dem man seinen Feind nicht mehr kennt, nicht gewinnen. Das ist die radikale Neuigkeit."

Ansonsten erwärmt uns Renee Zucker in Zimt mit ihren Frühlingsgefühlen - bei Lidl gibt es schon Erdbeeren. Rene Aguigah hat noch ein wenig in den neuen Ausgaben des Merkur, der Neuen Gesellschaft und der Neuen Rundschau geblättert.

Die Medienseite widmet sich ganz dem Irak: Dietmar Ostermann findet den Wildwest-Jargon, in dem die amerikanischen Medien über den bevorstehenden "Showdown am Golf" berichten, höchst bedenklich. Antje Kraschinski berichtet, wie sich die deutschen Sender auf den Krieg vorbereiten, und wie die Journalisten für den Ernstfall geschult werden.

Besprochen werden der Film über Christoph Schlingensiefs Ausländer-raus-Aktion in Wien, Jake und Dinos Chapmans erste deutsche Einzelschau "Enjoy More" im Kunst Palast Düsseldorf, und Bücher, darunter Siri Hustvedts Roman "Was ich liebte" aus dem Milieu der New Yorker Intellektuellen-Bourgeoisie, Jean-Claude Wolfs philosophische Studie über "Das Böse als ethische Kategorie" und Lars Müllers Hommage an die Schriftart Helvetica (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Im Magazin erzählt Jamie Patrick Shea recht locker von seiner Zeit als Sprecher der Nato während des Kosovo-Krieges. Er war das freundliche Gesicht der Nato, hat aber für seine Bemerkung zu den Kollateralschäden viel Prügel einstecken müssen. "An vielen Orten wurde ich mit Buh-Rufen am Reden gehindert. Ich war die personifizierte Nato, das Sinnbild für fast alles Böse, das es auf der Welt gab". Shea spricht auch über die Schwierigkeiten seines Jobs: "Information ist, wenn man die Wahrheit übermittelt. Die entscheidende Frage ist, ob man selbst weiß, was tatsächlich los ist. In Zeiten moderner Konflikte, in denen die Medien Nachrichten schneller verbreiten können, als sie ein Sprecher erklären kann, wird dies immer schwieriger."

Weiter mit Krieg: Mark Obert hat das 52. Jagdgeschwader der USA bei Bitburg in der Eifel besucht. Tobias Gerber stellt Akira vor, ein Kind des Krieges in Kambodscha, der jetzt Minen entschärft und sie in seinem Privat-Museum ausstellt. Tom Noga schließlich hat in Nashville und den Appalachen nach Spuren der Country-Legende Hank Williams (Hank mit Hut hier) gesucht.