Heute in den Feuilletons

Kicken und Denken, Schwitzen und Sprechen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.08.2011. Die Welt liebt Tiere, besonders, wenn sie von Hokusai gemalt sind. In Le Monde wirft Pascal Bruckner den amerikanischen Feministinnen vor, mit der religiösen Rechten zu paktieren. Günter Kunert und Ralph Giordano protestieren gegen eine Selbstfeier des deutschen PEN-Clubs. Reuters meldet: Nachfahren ehemaliger schwarzer Sklaven der Cherokee Nation dürfen sich nicht mehr als Angehörige des Stammes betrachten. In der NZZ bringt der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze Hintergründe zur Geschichte Libyens.

Aus den Blogs, 26.08.2011

In Slate pocht Christopher Hitchens trotz aller Euphorie darauf, die Verbrechen von Gaddafi, Assad und ihren Schergen ganz genau im Blick zu behalten: "They should be told that the names of their military and security officers have been taken down, as have the names of their victims, and that prosecutions are even now being readied for a range of serious crimes. The continuing slaughter of those who will be needed in the rebuilding of Libya and Syria will not be countenanced. This is no longer a matter of asset seizures or sanctions, or of statements saying that the Baath Party has lost its legitimacy. It is a matter of raising the cost of war crimes, and of doing so while there is still time."

Welt, 26.08.2011

Dem japanischen Künstler Hokusai wird im Berliner Gropius-Bau eine große Ausstellung gewidmet. Katrin Wittneven staunt vor der Vielfalt seines Werks und entwickelt ein paar klare Lieblinge: "Besonders berühren die sensiblen Tierdarstellungen, die das Wesen der Geschöpfe einzufangen scheinen - von einer zierlich-eleganten Languste bis zur unglaublich fein nuancierten Fischhaut eines Seeteufels und dem lebensecht eingefangenen Gefieder eines Kuckucks."



Weitere Artikel: Hannes Stein erzählt vom unvermuteten Erfolg des Films "The Help" (Trailer) in den USA über die Rassentrennung in den Südstaaten USA vor der Bürgerrechtsbewegung. Hans-Peter Schwarz schreibt zum Tod des Springer-Managers (und Vaters des Schriftstellers gleichen Namens) Christian Kracht.

Besprochen wird ein neues Album von den Fountains of Wayne (Musik).

NZZ, 26.08.2011

Tripolis und Bengasi - während der libyschen Revolution bildeten Gaddafis Hauptstadt und die Hochburg der Rebellen strategische Gegenpole. Der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze wirft einen Blick auf die Geschichte Libyens und zeigt, dass die Trennung des Landes in Ost und West bis in die Kolonialgeschichte des 19. Jahrhunderts reicht. "Verglichen mit dem Westen des Landes fehlten im Osten die moderne Bürokratie, moderne Technologien und Institutionen eines öffentlichen Sektors. So drifteten die zwei Landesteile der alten Qaramanli-Herrschaft mehr und mehr auseinander. In Tripolis entstand im Rahmen der osmanischen Bürokratie eine neue städtische Elite mit einer starken kommunalen Identität, die über Vorposten in Städten wie Misrata und Sirte verfügte. Zugleich konservierte sie im Westen und im Fezzan die Struktur der Stammesbünde, indem sie diese als lokale Machthaber gewähren ließ."

Weitere Artikel: Marguerite Menz hat sich im Genfer Musee d'art moderne et contemporain die Ausstellung "Croisement" des großen Schweizer Puristen Markus Raetz angesehen. "Never mind the bollocks!" - Sieglinde Geisel stöbert in einem Berliner Online-Archiv in der Geschichte der Ost-Punks. Michelle Ziegler staunte über Hanspeter Kyburzs elektronische Tanzexperimente, und Thomas Schacher vergaß auf dem Lucerne Festival bei Schuman fast zu atmen.

Besprochen werden DJ Shantels neues Album "Kosher Nostra" und der Comic "Hau die Bässe rein, Bruno!" des französischen Zeichners und Autors Herve Baru (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Weitere Medien, 26.08.2011

Der deutsche PEN-Club wird in einer Ausstellung ab 6. September seine Geschichte feiern, ohne den Exil-PEN einzuladen. Dagegen hat zuerst Günter Kunert protestiert (hier, und mehr in der Jüdischen Allgemeinen). Nun schließt sich Ralph Giordano (hier auf der Achse des Guten) an: "Dieses 'PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland', über Jahrzehnte geleitet von dem verdienten jüdischen Emigranten Fritz Beer, existiert immer noch, wird aber vom Deutschen PEN notorisch mißachtet. Kein Wunder, denn die im Exil-PEN zusammengeschlossenen Schriftsteller fordern eine tabulose Aufklärung über die Geschichte des 1948 neu gegründeten deutschen PEN. Eine Forderung, die sich nicht vereinbaren lässt mit der Schmerzlosigkeit, mit der der bundesdeutsche PEN-West und der Ulbricht- und Honecker-hörige PEN-Ost 1998 zusammengeführt worden sind. Eine Schmusekursphilosophie, die zu einem wahren Exodus bekannter Schriftsteller aus dem amalgamierten Deutschen PEN führte. Kein Wunder, dass er an Impetus und Gewicht verloren hat."

(Via FAZ) Sehr polemisch schreibt Pascal Bruckner in Le Monde nach der Wende im Fall DSK über die "schlüpfrige Prüderie" in der amerikanischen Sexualmoral. Und er wirft den amerikanischen Feministinnen vor, gemeinsame Sache mit der religiösen Rechten zu machen: "Warum handelt es sich? Es reicht nicht, die Lust zu verurteilen, besser noch, man kriminalisiert den heterosexuellen Akt: Jeder Mann ist ein potenzieller Vergewaltiger, jede Frau ein potenzielles Opfer. Das Kompliment ist die erste Etappe der Belästigung, der Flirt eine Vorstufe der Vegewaltigung, die Galanterie ein Euphemismus für Lust auf Gewalt. Fleisch ist verderblich, Lust gefährlich."

(Via Kenanmalik) Eine erstaunliche Meldung von Reuters: "The Cherokee nation voted after the Civil War to admit the slave descendants to the tribe. But on Monday, the Cherokee nation Supreme Court ruled that a 2007 tribal decision to kick the so-called 'Freedmen' out of the tribe was proper."

FR/Berliner, 26.08.2011

Peter Michalzik zeigt sich nicht sonderlich erschüttert von den Wutausbrüchen etlicher Regisseure in Theater Heute, bei denen es wohl wie immer bleiben wird: "Denn, ach, die Verhältnisse, sie sind immer noch nicht so beschissen, dass es krachen würde, wie ein anderer Theatermensch wusste." Die Kritikerumfrage zu den besten Häusern und Schaupielern nickt Michalzik dann aber ab.

Ingeborg Ruthe feiert die große Berliner Ausstellung zum Werk des japanischen Künstlers Hokusai: "Jene Blätter, die man mit unseren Maßstäben als Pornografie bezeichnen muss, sind allerdings nicht ausgestellt." Ulrike Simon befragt auf der Medienseite den ZDF-Chefredakteur Peter Frey, warum der Sender bei Monarchenhochzeiten ein internationaler Player sein will, nicht aber beim Sturz von Gaddafi.

Besprochen werden das Stück "Tomorrow?s Parties" der britischen Theatergruppe Forced Entertainment auf Kampnagel und Feridun Zaimoglus Roman "Ruß" (siehe auch unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

TAZ, 26.08.2011

Dass Firmengründer Steve Jobs Apple verlässt, ist der taz zwei Artikel wert. Frank Siebert beleuchtet den wirtschaftlichen Höhenflug des Unternehmens. Falk Lüke erklärt, dass Apple nicht bloß digitale Geräte geschaffen habe, und formuliert werbebroschürentauglich: "Apple heißt Schönheit. Apple heißt Fortschritt. Apple heißt: Das, was selten nervt. Und Apple heißt: Kult."

Weiteres: Andreas Rüttenauer kommentiert das reflexhafte Getöse aus den oberen Fußballetagen nach den vorabgedruckten Auszügen aus Philipp Lahms Buch "Es ist ein Spagat, den Lahm da macht: Anspruch und Bild-Zeitung, Kicken und Denken, Schwitzen und Sprechen. Wenn der Spagat gelingt, ist er ein echtes Kunstwerk." Joachim Lange bilanziert die Bayreuther Festspiele, die am Sonntag zu Ende gehen. Marlene Halser spricht mit dem Schauspieler Joe Manganiello, der in der amerikanischen TV-Serie "True Blood" den Werwolf spielt, über den weltweiten US-Serien-Boom und das Monster im Menschen.

Besprochen werden die Ausstellung "Stylectrical" im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, die das Design von Apple-Produkten seit 1997 untersucht, ein Berliner Konzert des Rappers Kool Keith.

Und Tom.

FAZ, 26.08.2011

Ein spätes, aber sehr beeindruckendes Romandebüt. Sandra Kegel besucht den fast sechzigjährigen Schriftsteller Eugen Ruge auf Rügen, dessen großer Roman seiner eigenen Familie "In Zeiten des abnehmenden Lichts" auf der Longlist des Buchpreises steht: "'Ich habe mein ganzes Leben geprobt für dieses Buch', sagt er bestimmt, und dass es sicherlich seine wichtigste Arbeit sei, vielleicht auch bleibe. Aber das macht ihm keine Angst. 'Irgendetwas ist immer das Wichtigste von dem, was man macht'."

Weitere Artikel: Der Rabbi und Rechtsgelehrte Tsvi Blanchard erzählt, wie es ihm als Professor für jüdisches Recht in Deutschland ergeht. In der Glosse berichtet Jürg Altwegg über heftige Ausfälle von Pascal Bruckner gegen den amerikanischen Puritanismus. Katharina Teutsch erlebt einen Auftritt des nunmehr als RAF-Traumprotokollant auf Arno Schmidts Spuren auftretenden Christof Wackernagel in Berlin. Über einen Streit im PEN um die eigene Geschichte (im Nationalsozialismus) informiert Andreas Kilb. Auf die Gefahr, in der das Weltkulturerbe Schlachthof Bad Kissingen schwebt, macht Nils Aschenbeck aufmerksam. Auf der Medienseite feiert Friederike Haupt die Film-Trilogie "Dreileben" (mehr), die am kommenden Montag läuft, als Großereignis in der ARD, die danach im Talkshow-Alltag versinkt. 

Besprochen werden ein Konzert der Band Mona in Köln, die Ausstellung "Der Raum der Linie" mit Werken aus der Sammlung Michalke in der Pinakothek der Moderne in München, Robert Thalheims Film "Westwind" (mehr) und Bücher, darunter Peter Handkes Erzählung "Die Geschichte des Dragoljub Milanovic" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 26.08.2011

Von einem Auftritt des fundamentalistischen Ex-Fox-News-Hetzers Glenn Beck in Jerusalem berichtet Peter Münch. Der Volkswirt Gerhard Scherhorn erwidert auf einen skeptischen Text von Till Briegleb, dass die Commons-Bewegung sehr wohl fundamental wirksam werden könne: "Die Summe aller Gemeingutprojekte kann der Gier durchaus die Nahrung entziehen." Eher enttäuscht bilanziert Dorion Weickmann das Berliner "Tanz im August"-Festival. Michael Stallknecht porträtiert den Komponisten Georg Friedrich Haas. Über die Ergebnisse der alljährlichen Kritikerumfrage in "Theater heute", bei der Karin Beier und Köln wieder weit vorne sind, informiert Christine Dössel. Auf der Medienseite resümiert Michael Moorstedt eine US-Debatte darüber, ob der Zeitungsartikel als abgeschlossene Form eine Zukunft hat - oder ob der Journalist der Zukunft vielleicht nur noch Tweets kuratiert. (Hier Bill Kellers Text, der die Debatte gestartet hat.)

Besprochen werden ein offenbar erschütternd schlechtes Beethoven-Konzert des Pianisten Maurizio Pollini in Salzburg, die große Hokusai-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau, Robert Thalheims Film "Westwind" (mehr), und Bücher, darunter - aufmachergroß - Melanie Mühls kritische Intervention "Die Patchwork-Lüge" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).