Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.09.2003. Die SZ erklärt, warum ein Feuilletonist grundsätzlich nicht berichtet. "Kapitalismus stiftet Freiheit" ruft die taz. Die NZZ würdigt Adornos elitären Konservatismus. Die FR geht mit der Angst und Christoph Schlingensief. Und die FAZ weiß, dass eh alles Fußball ist.

SZ, 13.09.2003

Im Leitartikel des Feuilletons stellt Thomas Steinfeld klar, dass die Deutschen keinen Grund haben, sich über den vermeintlichen schwedischen Provinzialismus erhaben zu fühlen: "Es gibt keinen Grund, die Schweden ob ihres spezifischen Typus von Zivilgesellschaft zu belächeln. Noch weniger Grund gibt es, sich etwas darauf einzubilden, dass wir uns in einem Kastenwesen eingerichtet haben, das sich politische Prominenz nur noch mit vier Leibwächtern, drei Limousinen und unter Ausschluss der Normalität vorstellen kann." Um Sinn und Unsinn des Euro geht's dann auch noch: "Sollte sich an diesem Sonntag eine Mehrheit der Schweden gegen den Euro entscheiden, so muss man diesen Beschluss nicht für einen Fall von besonderer skandinavischer Beschränktheit halten. Es könnte sich um einen Versuch handeln, von zwei schlechten Alternativen diejenige zu wählen, die einen nobleren Abgang verspricht."

Dazu passt ganz gut das Folgende: In einer Mixtur aus Lexikonartikel und feuilletonistischem Kurzessay werden bedeutende Elemente des Lebens in der Gegenwart glossiert, von "Die Gastronomie" bis "Die Szene" - interessant ist der Beitrag übers Feuilleton vom Kollegen Kurt Kister aus der Politik : "Wenn jemand berichtet, dann kann er kein Feuilletonist sein, weil ein Feuilletonist grundsätzlich nicht berichtet. Ein Feuilletonist hat in allererster Linie eine Meinung, und wenn er ein junger Feuilletonist ist, also unter 60, dann hat er eine Meinung zu allem, am entschiedensten zu jenen Dingen, die er interessant findet, ohne sich deswegen gleich intensiver mit ihnen beschäftigt zu haben. Die mangelnde Sachkenntnis gleicht der Feuilletonist in seinen Texten - der Feuilletonist schreibt immer Texte, weil er ja eigentlich ein Autor ist und Autoren schreiben ausschließlich Texte - gerne mit originellen Bildern und Analogien aus, die den Vorteil haben, dass man sie hinterher ganz lang erklären kann."

In den Briefen aus dem 20. Jahrhundert schreibt heute (genauer gesagt: am 18. März 1961) der Goethe-Forscher Erich Trunz an den Germanisten Richard Alewyn. Dorothee Müller gedenkt des 50. Gründungsjahrs der Ulmer Hochschule für Gestaltung und hat die dortige Ausstellung zum Thema besucht. Hermann Unterstöger begeht mit weisen Empfehlungen den Tag der deutschen Sprache ("Ein richtiger Dativ hat noch keinem geschadet"). Jens Bisky sieht die Schaubühneninszenierung von Brechts "Im Dickicht der Städte" scheitern - und zwar gleich zweifach. Kommentiert wird Matthias Hartmanns Entscheidung, als Intendant ans Zürcher Schauspielhaus zu gehen - und nicht nach Hamburg. Willi Winkler schreibt den Nachruf auf Johnny Cash. Im Interview erklärt die Jugendbuch-Autorin Cornelia Funke, dass sie niemals Mädchenbücher gelesen hat.

Besprochen werden unter anderem Stefan Menschings Roman "Jakobs Leiter", ein Safari-Fotoband und ein Sammelband über historische Wendeprozesse. (Mehr in der Bücherschau.)

In der SZ am Wochenende gewährt uns Martin Zips Einblicke in seine Kiste mit den gesammelten Autogrammen und erinnert sich: "Beim Schlussapplaus: 'Hallo Frau Meyseeeel?' Vorhang zu, Meysel weg. Kein Problem, denn: Autogrammwunsch steckte im Blumengrün. Vier Tage später schrieb Inge Meysel. Wünschte Glück für den Brecht im Schülertheater. Lionel Hampton in der Garderobe der Tonhalle Düsseldorf. Stephane Grappelli am Künstlereingang der Kölner Philharmonie. Wahnsinn. Wahnsinn." Gerhard Matzig verabschiedet den Sahara-Sommer. Ricarda Solms erinnert an den vor dreißig Jahren ermordeten chilenischen Sänger Victor Jara und Sven Siedenburg, wie soll man sagen, begrüßt, bespricht den neuen Ikea-Katalog.

In der Serie Deutsche Landschaften darf der Schriftsteller Ludwig Harig für die seine schwärmen, das Saarland: "Mein Lebensraum ist klein, einfach in seiner landschaftlichen Erscheinungsform, übersichtlich gegliedert und leicht erklärbar. Es ist eines der drei Kohlentäler rechts der Saar, die von langgestreckten bewaldeten Höhenrücken getrennt sind. Ein Querriegel aus Buntsandstein schließt die Täler ab. Sie seien mit dem Riegel wie die Zähne eines Kamms mit dem Kammbügel verwachsen, lernten wir in der Schule -, unser Sulzbachtal sei zwar nicht das schönste und auch nicht das fruchtbarste, aber das vollkommenste in seiner typischen Industriegestalt. Ich bin ein Kind des Sulzbachtals."

NZZ, 13.09.2003

Zu Adorno ist längst nicht alles gesagt. Die NZZ widmet Literatur und Kunst ganz seinem hundertstem Geburtstag. Martin Meyer etwa würdigt Adorno als Philosophen, der den Pessimismus zur Grundhaltung der Philosophie machte: "Adornos nachholender Konservatismus, zu dessen schwankendem Grund die Autorität aus elitärer Gesinnung gehörte, war das eine... Adornos negative Geschichtsphilosophie, zu deren Logik der Verfall von Humanität seit der Aufklärung zählte, war das andere; eine ungnädig-gequälte Abrechnung mit allem, was - nach Beethoven, Hegel und Goethe - schief gelaufen war. Hier stand nicht weniger an als die Totenklage zur misslungenen Geschichte der Menschheit."

Uwe Justus Wenzel beschäftigt sich mit Adornos Streben, seine Philosophie zu verwirklichen. Der Pianist und Musikkritiker Charles Rosen diskutiert ausführlich den polemischen Musikkritiker: "Adorno nimmt zwar die Bedeutung der Konvention im Werk älterer Künstler wie Beethoven und Goethe wahr, aber er sieht nicht die Macht der banalsten Aspekte der musikalischen und poetischen Sprachen und wird zudem gelähmt durch die romantische Anschauung, dass Genie hauptsächlich darin bestehe, die Regeln zu verletzen."

Der Philosoph Martin Seel (mehr hierversucht, zum positiven Kern von Adornos negativer Philosophie vorzustoßen. Georg Kohler widmet sich der Adorno'schen "Postmetaphysik als ästhetische Theorie" Rolf Urs Ringger erinnert sich an Adorno bei den Darmstädter Ferienkursen für neue Musik. Und Alexander Kluge (mehr hier) schließlich erzählt von Gefahrenmomenten "für die Letzten der Kritischen Theorie" bei Adornos Beerdigung.

Im Feuilleton: "I wear black for the poor and beaten down / Living in the hopeless, hungry side of town / I'll try to carry off a little darkness on my back / Till things look brighter / I'll be the man in black." Johnny Cash ist tot und Frank Schäfer schreibt den Nachruf. George Waser berichtet, dass die Briten dank einer Londoner Ausstellung allmählich Gefallen am "obskuren" Ernst Ludwig Kirchner finden. Hans Christian Kosler gratuliert dem siebenbürgischen Schriftsteller Eginald Schlattner zum Siebzigsten. Zu lesen ist außerdem Yoko Tawada Eröffnungsrede zu den Frauenfelder Lyriktagen "Spaziergang durch eine poetische Fläche".

Besprochen werden unter anderen Büchern Abraham B. Jehoschuas Roman "Die befreite Braut", ein Band zu "Geheimdiensten in der Weltgeschichte" sowie eine Untersuchung des Gehirns (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 13.09.2003

Nach ein bisschen Nachhilfeunterricht der Zeitschrift Merkur (mehr dazu in der Magazin-Rundschau) hat jetzt auch die taz entdeckt, eine wie großartige Einrichtung der Kapitalismus doch ist. Jan Feddersen jedenfalls ist Feuer und Flamme für die Thesen des diesjährigen Doppelhefts der "deutschen Zeitschrift für europäisches Denken" und schreibt Attac die folgenden Sätze ins Stammbuch: "Marx hätte sich über die Zwecke der Antiglobalisierungsguerilleros lustig gemacht. Etwa mit den Worten: viel Wind um Verhältnisse, an deren Tilgung gerade die Dritte, noch nicht kapitalistisch durchdrungene Welt heftiges Interesse haben müsste. Denn Kapitalismus stiftet Freiheit, ja begründet Wohlstand." Und wenn Feddersen Kritik äußert, dann klingt das so: "Manches fehlt in diesem Heft, leider. Gewiss ein Beitrag zur Genderfrage. Davon abgesehen, dass Kapitalismuserörterungen in der Judith-Butler-Gemeinde zu den allzu der Realität verhafteten Dingen gehören, wäre ein Autor, eine Autorin passend gewesen, die die immens gewachsenen Freiheitschancen von Frauen unter kapitalistischen Verhältnissen beschrieben hätte." Muss eine neue Abo-Kampagne sein: Wer die taz hat, kann auf die FAZ in Zukunft verzichten.

In einer neuen Serie mit dem Titel "Der Körper ist ein Phänomen" geht's erst mal um die Haut - und schon im ersten Satz werden wir mit nicht eben schmeichelhaften Wahrheiten konfrontiert: "Sieht man von Schnecken, Würmern, Grottenolmen und ekelhaften Nackthunden ab, sind wir die einzigen Lebewesen, die von bloßer Haut umschlossen sind." Darauf allerdings lässt Burkhard Brunn ein Sammelsurium von Einsichten dieses Kalibers folgen: "Falten wiederum zeigen das Altern an."

Außerdem: Ein ausführliches Interview hat Gerrit Bartels mit dem Schriftsteller Uwe Timm (mehr hier) über dessen jüngstes Buch "Am Beispiel meines Bruders" geführt. Kolja Mensing bespricht Jonathan Franzens (mehr hier) 1988 in den USA, nun auch bei uns erschienen Roman-Erstling "Die 27ste Stadt" und begleitet den viel gefragten Autor bei seinem aktuellen Deutschland-Besuch. Rezensiert wird Albrecht Balds und Jörg Skriebeleits Studie, die der Geschichte eines KZ-Außenlagers in Bayreuth und dessen Verbindung mit dem Wagner-Clan nachgeht (mehr in der Bücherschau ab 14 Uhr).

Im Magazin macht Martin Reichert nach dem Schill-Skandal in Hamburg ein paar weitere Proben aufs versuchte Outing-Exempel und kommt zu einem durchaus gemischten Ergebnis. Einerseits stellt er fest: "Was der rabiate Innensenator nicht kalkulierte, war, dass die Zeiten nicht mehr illiberal wie einst sind und ein Ole von Beust sich deshalb nicht beugen würde. Denn mindestens seit Klaus Wowereits öffentlichem Bekenntnis, schwul zu sein und dies auch noch gut zu finden, hat sich das Klima für Homoerpresser im politischen Raum (nicht nur in den rot-grünen Milieus) deutlich abgekühlt. Auch deshalb verkörpert Schill das Zwielicht, in das er Ole von Beust stellen wollte." Andererseits weiß er aber auch von gelingenden Erpressungsversuchen zu berichten.

Claudia Pinl fragt nach dem neuesten Stand der Dinge in Sachen Frauen in traditionellen Männerberufen und klagt, dass sich wenig geändert hat. Und dann komme immer das Argument mit dem Damenklo, das extra einzurichten man sich nicht leisten könne... Jan Feddersen, sehr fleißig heute, porträtiert die lettische Band Brainstorm, die auch in Deutschland berühmt werden will, aber, glaubt Feddersen, nicht werden wird. Ein wenig bessere Aussichten hat, davon weiß Reinhard Krause zu berichten, das neue französische Chanson.

Und auch zum Wochenende Tom.

FR, 13.09.2003

Peter Michalzik war unterwegs in Deutschland mit Christoph Schlingensief und seiner Church of Fear (Website), die diese nicht sehr frohe Botschaft unters Volk brachte: "Wir fliehen nicht vor der Angst, wir ziehen nicht gegen die Angst, wir gehen mit der Angst. Volle Angst voraus! Angst ist Macht! Angst ist Sprengstoff! Werden Sie Herrscher über Ihre Angst! Errichten Sie Ihr eigenes Imperium der Angst und metzeln Sie alles und jeden nieder, der sich Ihre Ängste zunutze machen will! Sie haben das Recht, Sie haben die Kraft! Es gibt ein Grundrecht auf persönlichen Terror!" Das, zum Beispiel, in Bad Ems, wo die beflissene Fremdenführerin keine Berührungsängste kennt. Michalzik wird unterdessen zum Priester in Schlingensiefs Kirche und findet Antwort auf letzte Fragen: "Was also ist Schlingensief? Ein Egomane? Geschenkt. Ein Nomade? Wahrscheinlich. Vor allem eben doch: ein Energieströme lenkender Schamane."

Was im Nahen Osten gerade kollabiert, meint Natan Sznaider in einem Artikel, der an das Oslo-Abkommen vor zehn Jahren erinnert und sein Scheitern konstatiert, ist das Weltbild des Liberalismus. Eine höchst ominöse Uschi M. unternimmt den Versuch, über die Sache mit Fritz J. "Fritze" Raddatz und Theo Sommmer und der ZEIT und Goethes Bahnhof so zu schreiben, dass allen klar wird, dass man darüber eigentlich gar nichts schreiben müsste. (siehe dazu den ZEIT-Artikel vom Donnerstag und eventuell auch das Stichwort Feuilleton in der heutigen SZ.). In ihrer Kolumne "Zimt" räsoniert Renee Zucker über Tröstungen im allgemeinen und über eine spezielle, die ihr in der Berliner Gemäldegalerie widerfuhr. Stephan Hilpold berichtet von der Ars Electronica in Linz (Website), auf der viel über Code geredet wurde. Den Nachruf auf Johnny Cash hat Elke Buhr geschrieben.

Für Zeit & Bild hat Marcia Pally einen Essay zum Thema "Kunst in Zeiten der Globalisierung" verfasst. Ihre Botschaft: Fürchtet Euch nicht! Der Eigensinn der Kunst wird sich durchsetzen und schon Goethe wusste, dass McDonalds nicht siegen muss: "Im Jahr 1808 hielt Goethe den Volksgeist-Verzweiflern entgegen: Man könne regionale Kulturen bewahren und sie gleichzeitig mit den Angehörigen anderer regionaler Kulturen teilen." Und westliche Technologie ist gut für die kulturelle Vielfalt: "Der Musik der Pygmäenstämme bin ich nur deshalb begegnet, weil ein französischer Ethnologe sie in Afrika aufgenommen und seine Funde per Radio und CD in der Ersten Welt verbreitet hat." Als Ideal der Jetztzeit empfiehlt die Tänzerin Pally darüber hinaus das "tanzende Selbst".

Außerdem stellt uns Navid Kermani in Folge 38 seiner aufs Ende zugehenden Vierzig Leben den Philosophieprofessor Ioannis Rigas vor. Besprochen werden unter anderem neue Reden und Aufsätze von Durs Grünbein, die Neuübersetzung von Salingers "Der Fänger im Roggen" und eine Studie über die Genese bürgerlicher Privatheit. (Mehr dazu in der Bücherschau des Tages.)

Im Magazin porträtiert Sandra Schulz eine weithin unbesungene Heldin des deutschen Sports, die Welt- und Europameisterin im Sumo-Ringen Sandra Köppen: "Der Bauch ist ihre weichste Stelle. Unten, am Nabel. Oben, in der Höhe des Magens, ist es schon härter, und überall sonst ist es hart, steinhart: Die Wade, der Oberschenkel, der Po. 'Mal anfassen?' hat sie gefragt, die Blicke gewohnt. Sandra hat einen schweren Körper. 130 Kilo Kampfgewicht. Ihr Körper ist ihr Kapital. Die Männer, die ihr schreiben, sagen, dass sie schön kämpfe. Sie sagen, dass es ästhetisch aussehe. Manche malen kleine Herzchen an den Briefrand." Außerdem protokolliert Sandra Schulz, was eine Fahrradkurierin über ihren Beruf zu sagen hat.

Der Schriftsteller Marcus Orths weiß zu berichten, was seine aberwitzig schnell reden Großmutter vom Scholl-Opa zu erzählen hatte und der Komiker John Cleese erzählt im Interview, dass er nur noch übers wirkliche Leben lacht, und nicht mehr über Komödien: "Es gibt nur eine bestimmte Zahl von Gags, und 99 Prozent davon kenne ich bereits. Es gibt kaum noch etwas im Kino, auf der Bühne oder im Fernsehen, das ich noch nicht gesehen habe."

FAZ, 13.09.2003

Fußball ist alles, alles ist Fußball, behauptet der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann (mehr) in seiner auf der auf der ersten Seite abgedruckten Rede zur Eröffnung des Fußball-Globus (mehr) in Berlin. Die Erleuchtung kam dem Fuball-Philosophen Hürlimann an einem Sonntagnachmittag in den fünfziger Jahren. "Die frisch gewaschenen Opels und unser Ford Taunus 17 M glänzten in der menschenleeren Straße. Kein Windhauch. Nirgendwo ein Spielkamerad. Über dem Platz zitterte die Hitze. Die Zeit stand still. An eine Teppichstange gelehnt, glaubte ich vor Langeweile zu sterben, und da, auf einmal, sprach von fern eine Stimme, eine Stimme aus den Radios, wurde lauter und erregter, erzählte, jubelte, schrie: Young Boys Bern kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Grasshoppers aus Zürich." Außerdem erfahren wir, warum es auf seinem Spielerpass in der Rubrik 'vormaliger Verein' steht: "FC Reichstag, Berlin, Deutschland".

Weitere Artikel: Patrick Bahners hält nicht viel von Egon Bahrs gestern vorgestellter Schröder-Doktrin, ein "Büchlein" (mehr), in dem Bahr die SPD-Politik als "selbstverständlich und normal" preist. Musik macht nicht schlauer, stellt "G.R.K." ein für allemal fest. Man denke an die musikalische Verstocktheit von Benjamin und Lukacs. Edo Reents verabschiedet Johnny Cash, nicht ohne die Anekdote von Cash, der Queen und dem Dornbaum im Wirbelwind zu erzählen. Stripperinnen kommen wieder in Mode, weiß Jordan Mejias nach der Lektüre amerikanischer Zeitschriften. Zudem hat er erfahren, dass Amerikaner im Durchschnitt erst ab 29853 gefallenen Soldaten unruhig werden.

Andreas Rossmann informiert uns über die Bochumer Theaterszene: das Schauspielhaus ist jetzt eine Anstalt öffentlichen Rechts, Intendant Matthias Hartmann geht nach Zürich. Anlässlich des Tags des offenen Denkmals bricht Dieter Bartetzko eine Lanze für den Denkmalschutz. Thomas Rietzschel gratuliert dem rumäniendeutschen Erzähler Eginald Schlattner (mehr) zum Siebzigsten. Und "P.I." meldet, dass das spanische Kulturinstitut auf Kuba nun wie angedroht geschlossen wurde.

Auf den beiden Seiten, die von Bilder und Zeiten noch übrig sind, stellt uns Wolfgang Sandner in einfühlsamer Weise Matthias Pintscher vor, der Komponist, dessen Partituren zu uns sprechen, dank Anweisungen wie "Geräuschhaft - wie ein Zittern aus der Ferne..., wie ein Schweben im Raum". Außerdem lesen wir einen Auszug aus der demnächst erscheinenden kommentierten Anthologie (hier) der deutschen Literatur der vergangenen sechzig Jahre von Norbert Niemann und Eberhard Rathgeb. Die beiden bilanzieren einen grundlegenden Wandel: "Statt Avantgarde gestern - Aufstieg heute. Die Realität ist schneller als die Kunst gewesen. Sie ist in Ereignisse, Geschichten und Sachverhalte zerfallen."

Auf der Medienseite beklagt Jürgen Richter den Fall einer der letzten Männerbastionen. Die Mainzelmännchen bekommen nicht nur einen "Ganzhaarirrwisch" von Hund, sondern auch weibliche Pendants zur Seite gestellt - bauchnabelfrei! (hier ein paar alte frauenfreie Clips). Michael Ludwig verurteilt die Attacken gegen deutschfreundliche Autoren im polnischen Wochenmagazin "Wprost": "McCarthy lässt grüßen!"

Besprochen werden Jean Dubuffets malerische Kampfansage an die erschlaffte Hochkultur im Salzburger Rupertinum, eine Ausstellung zur Erotik des sechzehnten Jahrhunderts im Braunschweiger Herzog-Anton-Ulrich-Museum ("Das Erstaunlichste aber sind die unter leicht gehobenen Brauen aufblitzenden Pupillen der Göttin, die so tiefschwarz im Gemälde leuchten wie ein Tropfen Tinte auf einem Porzellanteller") und Ron Sheltons Film unkonzentrierter Film Hollywood Cops, außerdem gibt es neue Platten, etwa das zweite Album von "Zoot Woman" oder die wiederhergestellte Originalfassung von Jacques Offenbachs erster ernster Oper "Les Fees du Rhin", und natürlich Bücher, darunter Cornelia Funkes singulärer Kinderschmöker "Tintenherz", Uwe Timms Erkundungsfahrt in die deutsche Kriegsvergangenheit "Am Beispiel meines Bruders" sowie Peter Glasers Wiedereintritt in die deutsche Literaturatmosphäre mit der "Geschichte von Nichts" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

In der Frankfurter Anthologie beschäftigt sich Kerstin Hensel zum Wochenende mit Karl Mickels 1967 in der DDR entstandenem Gedicht "Der Abend". Wir zitieren den Anfang:
"Die starke Sonne schwächt die Helligkeit /
Mit feuchter Schwere teilt sie ihre Glut."