Vorgeblättert

Leseprobe zu Eva Züchner: Der verschwundene Journalist. Teil 4

25.02.2010.
(S.170 ff)

"Auf der Höhe der Kriegsführung"

Rassepolitik und U-Boot-Krieg. Propaganda im freien Fall

 Im Juli 1942 marschieren deutsche Truppen in den Kaukasus ein, und am 21. August hissen Alpinisten der Gebirgsjäger-Divisionen "Edelweiß" und "Enzian" auf dem Elbrus, dem höchsten kaukasischen Gipfel, triumphierend die Reichskriegsflagge. Es ist also an der Zeit, den deutschen Leser über den fremden Landstrich zu informieren. Im Auftrag des Büros Schwarz van Berk publiziert G. W. am 27. August 1942 einen umfangreichen Hintergrundbericht im Angriff: "Kaukasus. Schwelle zwischen zwei Meeren". Kein Wort fällt über die lukrativen Schwarzmeerhäfen und Ölfelder, stattdessen gibt sich G. W. als Naturfreund und Völkerkundler. Nach ausführlicher Beschreibung der urwüchsigen Schönheit der Gebirgsketten, der undurchdringlichen Urwälder und abwechslungsreichen Tierwelt kommt er zur Sache: "Ebenso vielfältig und eigenartig aber ist die Bevölkerung. So sehr die Sowjets sich mühten, auch ihre Untertanen hier im Süden gleichzumachen und zu typisieren, so sehr heben sich durch Aussehen und Brauchtum, durch ihre ganze Lebensweise und Rassemerkmale der verschiedensten Art Grusier und Osseten, Armenier und Tscherkessen voneinander ab [?]. Auf der Scheide zwischen Europa und Asien werden deutsche Landser jetzt Gelegenheit erhalten, diese Menschen und ihre Sitten an Ort und Stelle mit offenen Augen zu studieren und sich noch einmal drastisch davon überzeugen zu lassen, welche Vielzahl von Rassen, Völkern und Stämmen die Sowjets in ihr Joch zwangen." Der Artikel lässt wohlweislich offen, ob Wehrmacht und SS als Retter oder als Sklavenhalter und Mörder angetreten sind.
     Die Fortsetzung "Der Nordkaukasus und seine Völker" im Angriff vom 20. November bemüht sich, die exotische Fremdheit des fast eroberten Kaukasus ins Vertraute, ja Verwandte zu wenden. Die von sowjetischen Forschern behauptete unübersehbare Vielzahl der Stämme und Sprachen habe lediglich dem politischen Zweck gedient, ungestört "nach dem alten Grundsatz ?Teile und herrsche? regieren zu können", wobei G. W. sich darüber im Klaren sein müsste, dass auch sein Führer nach ebendiesem Prinzip Politik betreibt. Für seine Wiedergabe der pseudowissenschaftlichen Thesen zur Abstammung der Kaukasusvölker - "Kopfmessungen an Daghestanern [Lesghiern] und Albaniern führten zu der überraschenden Feststellung, daß man Lesghier und Albanier nicht unterscheiden kann" - ist der Autor nicht etwa als Kriegsberichter im Kaukasus gewesen, sondern hat zu Hause recherchiert, möglicherweise Interviews mit Experten der Rassenhygienischen und Bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt geführt oder seine alten Kontakte von 1935 zum Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik aufgefrischt.

Schwarz van Berk betreibt derweil die Aufstockung seines Büros, und Weise bekommt einen neuen Kollegen, den er seit Angriff-Zeiten kennt. Für das Arbeitsgebiet "Heer und allgemeine Information" wird Wolf Schirrmacher eingestellt, den Schwarz van Berk womöglich 1939 als Reichspresseschüler des zwölften Lehrgangs kennengelernt hat und den er außerordentlich schätzt. Im November 1942 nimmt der Oberleutnant, nunmehr zum SS-Obersturmführer aufgerückt, im Büro Schwarz van Berk seinen Dienst auf, und zwar zu denselben Konditionen wie Weise, also mit einem monatlichen Honorar von 1000 Reichsmark. Schirrmacher kommt direkt vom "Lehrstab 3 Infanterie-Schule Döberitz, Elsgrund" nach Berlin. Zuvor ist er an der Ostfront viermal verwundet und hoch dekoriert worden. Da nimmt es nicht wunder, dass niemand im Ministerium die fehlende Parteimitgliedschaft bemängelt, zumal Schirrmacher in seinem Personalfragebogen angibt, dass sein 1939 in London beantragter Eintritt durch den Wehrdienst aufgehalten worden sei. Seine Tätigkeit für das Arbeitsgebiet "Heer und allgemeine Information" bleibt im Dunkeln. Einen Artikel hat er für Das Reich geschrieben: "Bei den germanischen Junkern", veröffentlicht am 23. Mai 1943. Schirrmacher schildert darin seinen Besuch in der Kriegsschule der Waffen-SS in Bad Tölz, wo "germanische Freiwillige" - Esten, Norweger, Schweden, Holländer, Flamen, Schweizer - ausgebildet werden: "Die Freiwilligen, die für den Ausgang dieses erbarmungslosen Krieges ihr Leben in die Schanze schlagen, sehen über den schwebenden Fragen der Tagespolitik als Fernziel das germanische Reich. Das Nahziel aber ist die Mobilisierung aller Kräfte." Im Goebbels-Tagebuch taucht Schirrmacher kein einziges Mal auf, auch nicht Otto Kühbacher, von dessen Arbeit im Büro Schwarz van Berk ich überhaupt keine Spuren gefunden habe.

Mitte Dezember 1942 wird der "Soldat" Weise überraschend noch einmal nach Potsdam, diesmal zur Propaganda-Einsatz-Abteilung, einberufen. Er wird der Kriegsberichter-Kompanie für "Höhere Berichter" zugeteilt; hinter dieser Bezeichnung verbergen sich vom Propagandaministerium handverlesene Jour­nalisten, die für Sonderreportagen eingesetzt werden. Er ist trotzdem im Büro Schwarz van Berk tätig, was nicht nur bei mir, sondern auch im Ministerium für Verwirrung sorgt: In einer handschrift­lichen Notiz der Personalabteilung wird um Klärung gebeten, "in welcher Weise und ob Weise tatsächlich weiterhin im Büro SchvB [?] mitarbeitet". Da Weise sich erwiesenermaßen an seinem Schreibtisch im Büro auf den U-Boot-Krieg konzentriert, kann er dem Potsdamer Berichterzug nicht allzu viel Zeit gewidmet haben.
     "Der U-Boot-Krieg ist unser großes As", schreibt Goebbels am 13. Dezember 1942 ins Tagebuch. "Schwarz van Berk und Weise waren bei Dönitz und haben sich in meinem Auftrag dort nach dem Stand der Dinge erkundigt. Dönitz hat ihnen über alles bereitwilligst Aufklärung gegeben. Wir haben im U-Boot-Krieg noch eine ganze Menge von Reserven zur Verfügung. Dönitz ist ein überlegener höherer Führer, der seine Waffe für Glanz und Phantasie einsetzt. Er hat eine ganze Reihe von Wünschen für die Propaganda für die U-Boot-Waffe, die restlos erfüllt werden können. Dönitz ist überhaupt der Propaganda gegenüber sehr aufgeschlossen". Am 30. Dezember bekommt Goebbels laut Tagebuch "einen Bericht von Weise über seine Unterredungen mit Dönitz. [?] Die Frontoffiziere der U-Boot-Waffe üben, wie mir berichtet wird, eine sehr weitgehende Kritik an unserer Nachrichtenpolitik, nehmen dabei allerdings meine Artikel als löbliche Ausnahmen aus. Die Nachrichtenpolitik ist auch im Augenblick nicht sehr glücklich gerichtet. Das kommt vor allem dadurch, daß unsere OKW-Berichte so zurückhaltend sind. [?] Dönitz allerdings verteidigt unsere Nachrichtenpolitik, nachdem Weise ihm die nötigen Aufklärungen gegeben hat, sehr energisch seinen Offizieren gegenüber. Wir bereiten eine neue Propaganda für unsere U-Boot-Waffe vor, bei der wir vor allem auch eine Reihe von Tarnversuchen starten werden. Dönitz ist für eine solche Arbeit durchaus aufgeschlossen und gibt uns die nötigen Unterlagen dazu."
     Ist Weise an den propagandistischen "Tarnversuchen" maßgeblich beteiligt? Fallen seine Falschmeldungen zur Tarnung operativer Maßnahmen der U-Boot-Waffe so zufriedenstellend aus, dass ihm deshalb im März 1943 das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse ohne Schwerter verliehen wird? "Ohne Schwerter" bedeutet, dass "besondere Verdienste bei Durchführung von sonstigen Kriegsaufgaben, bei denen ein Einsatz unter feindlicher Waffenwirkung nicht vorlag", belohnt werden. Die Vergabe muss inflationär gewesen sein. Im Nachrichtenblatt des Propagandaministeriums habe ich "Weise, Gerhart, Schriftltr., Büro Schwarz v. Berk" nur deshalb in der Flut von Gefolgschaftsmitgliedern entdeckt, weil eine namenlose Schreibkraft ihre Namen, die insgesamt zwanzig kleingedruckte Spalten auf zehn Seiten füllen, nach Art der Auszeichnung sortiert und alphabetisch geordnet hat.

Am 3. Januar 1943 erscheint im Reich der fünfte und letzte Artikel Gerhart Weises, mit dem er einmal mehr die Ohnmacht des englischen Geheimdienstes verspottet. Auf derselben Seite 3 ist Schwarz van Berks Jahresrückblick "Auf der Höhe der Kriegsführung" abgedruckt. Bei dieser siegesgewissen Formulierung kann es sich Anfang Januar 1943 nur noch um propagandistische Irreführung handeln: Durch die Landung der Alliierten in Nordafrika ist die deutsch-italienische Offensive bei El-Alamein gescheitert; das von Rommel befehligte Afrika-Korps ist im November zum endgültigen Rückzug gezwungen worden. Ebenfalls im November wird die 6. Armee in Stalingrad eingeschlossen, die von Göring verantwortete Luftversorgung mit Nachschubgütern ist miserabel, Hitler untersagt im Dezember den Ausbruch und überlässt die eingekesselte Armee sich selbst. Zudem muss sich die Heeresgruppe A aus dem Kaukasus zurückziehen. Schwarz van Berks Artikel tritt an mit dem Vorsatz, sich "von aller Propaganda freizumachen", um sodann desto propagandistischer Bilanz zu ziehen: Die Engländer seien "berauscht von den Kilometergewinnen in Nordafrika" und feierten "bereits die Wende des Krieges, weil die deutschen Panzer im Nordteil des Kaukasus verharrten, die Sowjets ihre Wintertruppen [?] abermals angreifen ließen, [?] weil Rommel sich zurückzog, weil Marokko und Algier eine schnelle Beute wurden". Von einer Wende des Krieges könne jedoch keine Rede sein: "In Wirklichkeit ist das Jahr 1942 für uns ein Jahr der stummen Erwiderung gewesen, der stillschweigenden Vorbereitungen auf eine neue Phase, eine jener berühmten Phasen, die Hitler zwischen seine Feldzüge zu legen gewohnt ist." Der Autor interpretiert den militärischen Erfolg des Feindes im Jahr 1942 als "gewaltigen Aufwand" der gegnerischen Propaganda, insbesondere der amerikanischen "jüdischen Warenhauspropaganda", denn dieser "Erfolg" sei nichts weiter als "ein windiges Zeltlager neben einem Wolkenkratzer von Versprechungen". Die Metapher beschreibt treffsicher, wenn auch ungewollt, das Verhältnis von militärischem Erfolg und Propaganda im eigenen Land.

Gerhart Weise schreibt einen antiamerikanischen Test für den Rundfunk. Aus den "Meldungen aus dem Reich" des Sicherheitsdienstes der SS vom 24. Februar 1943 geht hervor, dass "die Aufnahme der Ausführungen von Gerhart Weise über "Machenschaften der Wallstreet" nicht ganz einheitlich gewesen sei. "Sie hätten zwar interessiert, seien aber ohne neue Gedankengänge gewesen. Vor allem habe man erläuternde Beispiele vermißt." Ich kann die Volksmeinung nicht überprüfen, da sich weder das Manuskript noch die Aufnahme erhalten haben - und ich hatte schon gehofft, endlich einmal die unbekannte Stimme meines Vaters zu hören. Er hat viel zu tun. Irgendjemand, wahrscheinlich Fräulein Speer, erinnert ihn daran, dass er in der Personalabteilung endlich meine Geburt anmelden muss, die inzwischen ein halbes Jahr zurückliegt. Vielleicht tippt sie auch den etwas schwerfällig geratenen Zweiteiler: "Hierdurch bitte ich, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich eine Tochter habe, die geboren ist am 18. Juni 1942. Heil Hitler!"


Mit freundlicher Genehmigung des Berlin Verlags

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