Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.07.2001.

TAZ, 24.07.2001

Über einen Schuhdesignwettbewerb des Museo Salvatore Ferragamo berichtet Nike Breyer: "Man ermittelte folgende Gewinner: Der erste Preis ging an Youthachai Watanapanich aus Bangkok, der zweite an Jelena Djukic, Studentin am Centro die Formazione Professionale di San Colombano in Florenz, der dritte an Ken Chun Li aus Taipei. Die Prämierungen sind mit Geldpreisen in Höhe von 12.400, 5.200 und 2.600 Euro verbunden. Die exquisite Sandale von Watanapanich, die den ersten Preis gewann, wird in einer limitierten Auflage von tausend Exemplaren unter dem Label Salvatore Ferragamo produziert." Werden wir uns kaum leisten können.

Weitere Artikel: Jochen Becker stellt zwei amerikanische Bücher des Künstlers Nils Norman vor, die sich mit "städtischer Kontrollarchitektur" befassen. Besprochen werden ein Kinderbuch von Gertrude Stein in neuer Ausgabe und ein Polizeiroman von Gary Disher. Und außerdem erzählt Jochen Schmidt ohne näheren Anlass, wie er einmal bei der französischen Handelsvertretung in Berlin arbeitete.

Schließlich Tom.

SZ, 24.07.2001

Sehr differenziert geht der einstige Clinton-Berater Robert Malley noch einmal auf das Treffen Ehud Baraks und Yassir Arafats vor einem Jahr in Camp David ein, nach dem die neue Intifada begann. Beide Seiten, nicht nur die Israelis, so Malley, hätten damals unerhörte Zugeständnisse gemacht, und beide hätten versagt. "Die Fakten weisen ... nicht auf einen Mangel an Weitsicht oder Vision auf Seiten Ehud Baraks hin. Barak bewies zudem ungewöhnlichen politischen Mut. Aber der Maßstab für Israels Zugeständnisse darf nicht sein, wie weit es sich vom eigenen Ausgangspunkt fortbewegt hat; der Maßstab muss sein, wie weit es sich einer gerechten Lösung angenähert hat. Auch die Palästinenser wurden auf dem Gipfel ihrer historischen Verantwortung nicht gerecht. Ich vermute, dass sie es noch lange bedauern werden, auf Präsident Clinton ? in Camp David und später ? nicht aufgeschlossener und weitsichtiger eingegangen zu sein."

Thomas Thieringer porträtiert den katalanischen Regisseur Calixto Bieito und sein körperliches, manchmal provokatives Theater. In Salzburg inszeniert er jetzt "Macbeth" und beteuert, dass er Provokationen gar nicht möge: "Er kalkuliere sie auch nicht ein. Was ein wenig widersprüchlich klingt, wenn er im nächsten Moment einen Vergleich zwischen Stierkampf und Theater zieht: Beide führten Emotionen auf höchsten Touren vor. 'Ich will "Macbeth" so emotional gefährlich zeigen', sagt er, 'wie einen Stierkampf. Das 20. Jahrhundert war beherrscht von Killern. Es war gewiss das grausamste Jahrhundert, überall Mörder ? solche Images habe ich im Kopf.'"

Weitere Artikel: Petra Steinberger schildert die Atmo in Bradford nach den Race Riots. Die Berliner Kultursenatorin Adrienne Goehler erzählt, was sie zuletzt zum besseren Menschen machte ("der Mann an meiner Seite"). Und in einer Meldung erfährt man vom Streit zwischen der Leitung des neuen Wiener Museumsquartiers und der Public Netbase, die den Museumskomplex mit Multimediakunst in Verbindung bringen sollte.

Besprochen werden die Ausstellung über Preußentum und Pietismus in den Franckeschen Stiftungen in Halle, ein Musical über Friedrich Jahn im Theaterhaus Stuttgart, Gustav Kuhns Inszenierung der "Walküre" in Erl, der Film "Honolulu", eine neue CD von Jairzinho Oliveira und "ein herrlich uriges Spektakel mit trotzigen Rittern und scheuen Burgfräuleins, dicken Mönchen und schmachtenden Minnesängern, mit Chören und Kanonen, Pferden, Ziegen und dem Dackel Adelheid", nämlich "Des Roten Schlosses Untergang" in der Felsenbühne Waldstein.

FAZ, 24.07.2001

Fürs "Wolken machen" gegen das Ozonloch plädiert der Physiker und Science-Fiction Autor Gregory Benford in einem ganzseitigen, von der Redaktion etwas säuerlich angekündigten Essay: "Der Glaube, technische Interventionen könnten die Folgen technischer Eingriffe beheben, prägt Benfords Beitrag." Sein Vorschlag klingt allerdings tatsächlich ein wenig abenteuerlich: Große Industrien auf kleinen Pazifikinseln ansiedeln "und stark schwefelhaltige Kohle dorthin liefern. Die Abgase würden vom Wind aufs Meer getrieben und für eine Abkühlung des Ozeans in diesen Regionen sorgen. Dank der produzierten Güter erlebten die Staaten Ozeaniens einen wirtschaftlichen Aufschwung, der gleichsam der Lohn für ihre Dienste am weltweiten Klima wäre." Ob sich das bei den deutschen Grünen durchsetzen lässt?

Andreas Platthaus erzählt uns die Geschichte des Disney-Films "Schneewittchen..." und der "Hobbits" von Tolkien, die beide 1937 entstanden ? und nun wird Tolkiens "Herr der Ringe" von Disney verfilmt. Seinerzeit war die Individualität der Zwerge vom Märchenforscher Bruno Bettelheim kritisiert worden. "Aber niemand hörte auf Bettelheim. Angesichts des scheinbar unaufhaltsamen Siegeszugs der totalitären Systeme, die jede Individualität auszulöschen trachteten, feierten Kinogänger und Leser des Jahres 1937 die Renaissance des Individuums - zumindest im Märchen." Am Ende seiner Artikels kündigt Platthaus bis zum Filmstart des "Herrn der Ringe" im Dezember weitere Artikel an, um die "Genese eines Stoffes (zu) beleuchten, der zu den Zentraltexten des 20. Jahrhunderts zählt".

Weitere Artikel: Gerhard Stadelmaier nimmt ein Interview des Schaubühnen-Regisseurs Thomas Ostermeier in Le Monde aufs Korn, der darin behauptet, die ältere Theatergeneration habe die jüngere durch Förderung und nachfolgende üble Nachrede "töten" wollen. Dietmar Polaczek schreibt zum Tod Indro Montanellis. Werner Bloch stellt das neue australische Nationalmuseum in Canberra vor (Architekt Howard Raggatt zitiert hier europäische Bauten, und Daniel Libeskind wirft ihm ein Plagiat seines Jüdischen Museums vor). Auf der Medienseite erzählt Katja Gelinsky die Geschichte des amerikanischen Kongressabgeordneten Gary Condit ? seine wunderhübsche Praktikantin Chandra Levy ist seit Monaten verschwunden, der Abgeordnete hat inzwischen zugegeben, eine Affäre mit ihr gehabt zu haben. Zwar meint die Polizei, Condit hätte mit dem Verschwinden Levys nichts zu tun ? aber die Medien haben ein gefundenes Fressen. Michael Hanfeld schreibt über das Intendantenkarrussell beim Bayerischen Rundfunk. Jürgen Kesting gratuliert Giuseppe di Stefano zum Achtzigsten. Caroline Neubaur resümiert eine Münchner Psychoanalyse-Tagung.

Besprochen werden die Wiedereröffnung des Museo Vela in Ligornetto, wo die Skulpturen Vicenzo Velas in neues Licht gerückt werden, Johann Simon Mayrs einaktige Farce "Verter" beim Festival "Rossini in Wildbad", ein Vortrag des Dokumentarfilmers Georg Stefan Troller bei der Mainzer Sommerakademie "Film, Fernsehen, Medienpraxis", die Internationale Foto-Triennale in Esslingen und die Vergabe des Prix Dom Perignon an junge Choreographen beim gleichnamigen Festival.

NZZ, 24.07.2001

Im Müll spielt Douglas Couplands neuer Roman "Miss Wyoming". Er äußert sich dazu in einem E-Mail-Interview, das Frank Schäfer mit ihm geführt hat: "Müll erscheint mir in diesem Buch emblematisch für eine in undifferenzierten Fakten und nicht vermittelten Informationen erstickende Welt, wo die Identität jedes Menschen angegriffen und beeinflusst wird. Ich finde es heuchlerisch, dass die Gesellschaft so genau unterscheidet zwischen Artefakten und Dokumenten, die sie der 'offiziellen' Geschichte zuschlagen will, während sie zur gleichen Zeit unglaubliche Mengen von, nun ja, Müll generiert. Ich las im Economist - die Information dürfte also sachlich korrekt sein -, dass die vier Bezirke von Los Angeles im Jahr genauso viel Müll produzieren wie der gesamte indische Subkontinent. Das ergibt also eine Menge von Beweisstücken und Zeugnissen, die man da zurücklässt." Zum Interview gehört auch eine Rezension des neuen Coupland-Romans.

"Im Herzen von Seoul wird eine nationale Schmach getilgt", berichtet Hoo Nam Seelman in einem "Schauplatz Südkorea". In Seoul baut man den alten Königspalast wieder auf, der von den Japanern zum Teil abgerissen und vom Sitz ihrer Kolonialregierung ersetzt worden war. "Nach der 1910 erfolgten Übernahme der Macht über Korea suchte Japan einen geeigneten Platz für den Generalgouverneurssitz. 1912 fiel die Wahl dann auf den Kyongbok-Palast. Zwangsrekrutierte Koreaner arbeiteten mehr als zehn Jahre an dem Bau, der 1926 vollendet werden konnte. Fast 90 Prozent des alten Palastkomplexes wurden dabei zerstört... Die Wiedererrichtung der alten Palastanlage gibt Korea ein Stück verlorener Würde und historischer Identität zurück, auf deren Basis allein ein neues Zusammenleben mit dem alten Erzfeind Japan gedeihen kann."

Weitere Artikel: Birgit Sonna porträtiert den in München lebenden Schweizer Künstler Urs Lüthi, der die Schweiz bei der Biennale in Venedig vertritt. Besprochen werden Verdis "Otello" beim Glyndebourne Festival, Konzerte von George Clinton und Keith Jarrett, mit denen das Montreux Jazz Festival endete und einige Bücher, darunter Christopher Brownings neue Studie "Judenmord". (Siehe unsere Bücherschau ab 14 Uhr).

FR, 24.07.2001

Nachdem nicht nur in Genua, sondern auch nach einem Musikschultreffen im brandenburgischen Perleberg Randale ausbrach, kommt Christian Schlüter zu folgender Reflexion: "Gewalt, so scheint es, geschieht ortsunabhängig. Überall kann sie ausbrechen, plötzlich, ohne Vorwarnung. Dabei eignet ihr etwas Beliebiges. Sie trifft immer auch die, denen sie gar nicht gilt." Pardieu!

Eine interessante Frage stellt Klaus Walter. In Deutschland sind die Medien voll mit homosexuellem Bekenntnissen, schreibt er anlässlich einer CD von Rufus Wainwright. "Und Kinseys Amerika? Auf dem weltgrößten Pop-Markt gibt es keinen schwulen Popstar. Melissa Etheridge und die große K. D. Lang haben bekannt, aber weit und breit kein Mann. Ist mit dem schmalzlockigen Fernseh-Pianisten Liberace, der in den Fünfzigern die Massen betörte, der letzte gestorben? Hat die von den USA mitverursachte Erwärmung der Erdatmosphäre ebendort einen Rückgang der Homosexualität zur Folge?" Rufus Wainwright ist einer der wenigen, die sich trauen, aber wer kennt ihn? Dabei macht er nach Walter Songs "als hätten sich George Gershwin und Giuseppe Verdi zusammengetan, um Roland Barthes 'Fragmente einer Sprache der Liebe' zu vertonen".

Weitere Artikel: Wilhelm Macke schreibt zum Tod des italienischen Journalisten Indro Montanelli. Karin Ceballos Betancur liefert die letzte Folge ihrer Impressionen von den Genuesischen Protesten. Besprochen werden eine Ausstellung über die fünfziger Jahre im Schwulen Museum Berlin und die Salzburger "Sommerszene".