Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.08.2001.

NZZ, 28.08.2001

Thomas Hürlimann äußert sich im Interview zur Debatte um seine Novelle "Fräulein Stark" und sieht die umstrittene Verknüpfung jüdischer und sexueller Motive als zwei Stränge, die sich im "Doppelsinn des Wortes Geschlecht" treffen: "Der Knabe erkundet seine Sexualität und sein Herkommen. Und die Umgebung ist es, die ihm suggeriert, es bestehe ein ihm nicht bekannter Zusammenhang zwischen den beiden Komplexen. Was das sein könnte, versucht er mühsam zu erforschen." Und außerdem liefert Hürlimann ein Plädoyer für die Zweideutigkeit: "Hätte ich das Fräulein Stark als stramme Antisemitin dargestellt, dann wäre die Diskussion doch gar nicht entstanden, dann hätte ich in politisch korrekter Weise eine zeitgenössische Schulaufgabe abgeliefert." Weitere Informationen zum Thema entnehmen Sie unserem Link des Tages.

Weitere Artikel: Ulrich M. Schmid berichtet über ein russisches Buch, das neue Dokumente zur Affäre um Pasternaks "Doktor Schiwago" präsentiert. Werner Weber geht Anekdoten und Quellen zu Goethes Divan-Gedicht "Hans Adam war ein Erdenklos" nach.

Besprechungen widmen sich dem 21. Erlanger Poetenfest (mehr hier), Haydns "Schöpfung" und einem Symposion zum Thema Schöpfung in Luzern und Michel Serres' und Nayla Faroukis "Thesaurus der exakten Wissenschaften" (siehe unsere Bücherschau ab 14 Uhr).

TAZ, 28.08.2001

Abgedruckt ist eine in ihrem aufrichtigen Pathos herzerwärmende Rede von Tim Robbins bei der Verleihung des Upton Sinclair Awards für seine politische Arbeit. Robbins verteidigt darin sein Engagement für den linken Präsidentschaftskandidaten Ralph Nader. Während des Wahlkampfs hatten ihm ehemalige Mitstreiter vorgeworfen, dass er damit letztlich nur George W. Bush helfen werde. Doch für Robbins haben die Demokraten genausoviel Angst vor der Demokratie wie die Republikaner. Sein Respekt gelte daher heute Jugendlichen, die vor "The Gap" Flugblätter über Sweatshops verteilen. "Ich bin nicht bereit, ihren Idealismus, ihre Passion und Vision dem Erfolg einer Demokratischen Partei preiszugeben, die ins politische Zentrum strebt, die die Todesstrafe unterstützt, die den Sozialstaat auseinander nimmt und gleichzeitig ihre Fürsorge für die Unternehmen verstärkt; die half, dasjenige Wirtschaftssystem zu kreieren, das das Herz der Arbeiterbewegung zerfleischt." Die Originalversion stand in "The Nation".

Weitere Artikel: Katja Nicodemus schreibt über die Grazie des Flusspferdes. Und Brigitte Werneburg stellt "Spruce*", die neue Modezeitschrift von Tyler Brule ("Wallpaper*") vor, die übermorgen erstmals erscheinen wird. "Es geht um Kleidermode und sonst nichts; für Männer und Frauen gleichermaßen, eine Geschlechtertrennung gibt es nicht. Zweimal im Jahr, jeweils zu Saisonbeginn im Frühjahr und im Herbst, kommt das Heft in Buchstärke heraus. Es ist einer gesellschaftlichen Wirklichkeit auf der Spur, die seine Macher als eine schon globale verstehen. Die weltweiten Modenachrichten stammen daher nicht nur aus Europa, Amerika oder Asien. Die Zeitschrift kennt auch 'Africa/Middle East News'."

Besprochen werden Bücher, darunter zwei afrikanische Romane von Henning Mankell (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

SZ, 28.08.2001

Thomas Steinfeld besichtigt die Trümmer, die eine miserable Kulturpolitik in Weimar hinterlassen hat. "Gewiss, Stadt und Park sind restauriert worden, in den intellektuellen Bestand aber hat niemand investieren wollen ? und allein von ihm könnten diese Stadt, ihre Museen, Archive und Bibliotheken wirklich leben. Damit aber in Weimar ein intellektuelles Leben entstehen kann, müssen die Direktoren der großen Institutionen wie des Nationalmuseums, der Anna-Amalia-Bibliothek oder des Goethe-Schiller-Archivs über Forschungs- und Ausstellungsprojekte selbst entscheiden dürfen. Der Zentralismus der Stiftung, deren Strukturen aus den Fünfzigern stammen, erlaubt so viel Freiheit nicht ? beherrscht wird der Stiftungsrat durch das Wissenschaftsministerium in Erfurt und den Staatsminister für Kultur."

Willi Winkler polemisiert gegen die Einsammelaktion albanischer Waffen, an der sich auch deutsche Soldaten beteiligen sollen, weil sie zu teuer ist: "Jede freiwillig abgelieferte Waffe, gleich ob Maschinengewehr oder die kleine Mauser, kostet die Bundesrepublik demnach soviel wie ein VW Golf." Noch schlimmer findet er, dass die SPD Vorschläge aus der Opposition "interessant" findet, den Auslandseinsatz deutscher Soldaten auch ohne Zustimmung des Parlaments zu gestatten. Dazu fällt ihm die Bewilligung der Kriegskredite von 1914 ein, mit der die SPD schon einmal ihren guten Namen aufs Spiel gesetzt habe.

Jens Bisky hat sich die Neuauflage von Daniela Dahns "Prenzlauer Berg-Tour" angesehen, "die verschweigt, dass es sich um eine nach der Wende korrigierte Fassung handelt." Gegen Änderungen hat Bisky nichts einzuwenden, er ist aber enttäuscht, dass Dahn beispielsweise nicht erwähnt, wie sie während der Recherchen von der SED-Bezirksleitung schikaniert wurde. "Stattdessen wird (der Leser) im Nachwort mit Impressionen aus dem Prenzlauer Berg der neunziger Jahre abgespeist. Nein, es ist auch heute nicht alles gut, lautet das Fazit in schwer zu überbietender Schlichtheit."

Weitere Artikel: Andrian Kreye hat sich mit Tim Roth über seine Rolle als General Thade in dem Film "Planet der Affen" unterhalten. Oliver Fuchs berichtet über das Pop- Festival in Reading. Fritz Göttler schreibt den Nachruf auf die Schauspielerin Jane Greer. Und Ulrich Raulff schreibt in der Reihe zum 50. Geburtstag der Minima Moralia.

Besprochen werden "Was geht", der Dokumentarfilm über die "Fantastischen Vier", die Ausstellung "Aspekte der Malerei im 20. Jahrhundert" in Schloss Gottorf und zwei CDs von Alfred Hause mit finnischem Tango.

FAZ, 28.08.2001

Na, das war ja klar: Houellebecqs neuer Roman "Plateforme", in dem es bekanntlich um Sextourismus geht, ist ein Skandal! Jürg Altwegg zitiert die Worte einer Aktivistin: "Eine absolute Verachtung der Frauen, ein großer Hass auf die Kinder, eine total zynische Sicht der Dritten Welt, ein nachhaltiger Geruch von Rassismus." Altwegg merkt allerdings dazu an: "Dass es sich bei diesem Thema um eine traurige Realität handelt, stellt niemand in Abrede. Michel Houellebecqs gerissener Verleger prägte dafür den Begriff des 'pornografischen Kolonialismus'. Die ganze Debatte dreht sich eigentlich einzig darum, ob der Autor diesen kritisiert oder verherrlicht. Das aber ist letztlich eine Frage der Ästhetik. Bevor sie beantwortet wird, kann man sich zumindest die Bemerkung nicht verkneifen, dass Michel Houellebecqs mehr oder weniger distanzlose, vielleicht allzu genüssliche Darstellung doch mehr zu bewirken scheint als das ewige Anklagen und Aufklären."

Die Inder machen sich Sorgen um ihren Basmati-Reis, seit die Firma Rice Tec eine Sorte patentieren ließ, berichtet Martin Kämpchen. Zwar hat die indische Regierung mit Erfolg dagegen geklagt. "Doch damit ist die Basmati-Krise nicht ausgestanden. Die indische Regierung hat es nämlich bisher versäumt, Basmati-Reis als eine Pflanze anzumelden, die eindeutig einem bestimmten geografischen Gebiet Indiens zuzuordnen ist. Dasselbe gilt für Hunderte von anderen indischen Pflanzen. Die sogenannte geografische Indikation würde verhindern, dass Basmati als bloße generische Bezeichnung ausgelegt wird und die Herkunft vom indischen Subkontinent ungenannt bleibt. Das kann dazu führen, dass Basmati etwa als 'amerikanischer Basmati' vermarktet wird, was indische Exporteure aus dem Geschäft drängt."

Weitere Artikel: In der Reihe "System Builders" porträtiert Ben Goertzel den Biotechniker Stephen Fodor, der mit seiner Firma Affymetrix eine neue Technologie zum Sammeln von Genomdaten entwickelte. Zhou Derong zeichnet chinesische Debatten um den Untergang der sowjetischen Kommunismus ab, der sowohl die rechten als auch die linken Parteifunktionäre des Landes aus verständlichen Gründen ängstigt. Dieter Bartetzko stellt neue Bauten der Architekten Schneider + Schumacher in Düsseldorf vor. Irmela Spielsberg resümiert Debatten um die Restaurierung des Lutherhauses in Wittenberg. Leo Wieland blickt auf die erste Saison Richard Gaddes' als Intendant der Oper von Santa Fe zurück.

Besprochen werden das Erlanger Poetenfest , eine "Walküre" bei den Festspielen von Edinburgh, das Stück "Creeps" im Kölner Kindertheater "Ömmes & Oimel", eine Ausstellung über die Kleingartenkultur im Filmmuseum Potsdam, eine von den Künstlern Clegg & Guttmann geschaffene "Offene Bibliothek" in Augsburg, eine Ausstellung über den japanischen Architekten Shigeru Ban in der Berliner Galerie Aedes, Barockopern bei den Innsbrucker Festspielen, die Videokunstausstellung "Looking at you" in Kassel, eine Ausstellung über Herrmann Broch im Berliner Literaturhaus und ein Auftritt der kanadischen Tanztruppe "Par B.L.Eux" in Berlin.

Auf der Medienseite stellt Frank Heike die beiden alternativen Fußballzeitungen Viertelnachfünf und 11 Freunde vor. Ferner geht's um die Sommerferien des Verteidigungsministers und eine Ausstellung über den Rundfunk der vierziger Jahre in Göttingen.

FR, 28.08.2001

Beachtliche Besprechungen erhält Tom Lamperts Erzählungsband "Ein einziges Leben". Neulich schrieb Anita Kugler in der taz, heute feiert Peter Michalzik das Buch in der FR. Lampert präsentiert in dem Buch bekanntlich acht Erzählungen über den Holocaust, die sich sehr eng an historische Quellen halten. "Dabei geschieht etwas Wunderbares: Es ist, wie wenn Menschen aus den Akten emporsteigen, lebendig gemacht vom Geist der Erzählens, vielleicht sogar des Märchens."

Elke Buhr bespricht die neue Platte von Björk und hält ein für alle Mal fest: "Wenn man Björk mit Madonna vergleicht, dann bitte nur in Form einer Negation: Madonna ist Perfektion, Kontrolle, Pop als Maschine. Björk aber ist eine Elfe. Ein veritables Fabelwesen, das sich - wahrscheinlich aus einer der berühmten albernen Elfenlaunen heraus - entschlossen hat, Mensch zu werden. Wenn man das einmal akzeptiert hat, erklärt sich alles."

Weitere Artikel: Andrea Gotzes (die auch ein Buch zum Thema verfasst hat), erinnert daran, dass heute vor sechzig Jahren für die Russlanddeutschen in der Sowjetunion die Geschichte ihrer Verfolgung begann. Roman Luckscheiter fasst französische Reaktionen auf Houellebecqs neuen Roman zusammen. Eva Schweitzer berichtet, wie New Yorks Architekturszene versucht, Eero Saarinens TWA-Terminal auf dem John-F.-Kennedy-Flughafen zu retten.

Besprochen werden der Dokumentarfilm "Der Traum ist aus" über die Band Ton, Steine, Scherben, das Erlanger Poetenfest, eine CD des Duos Rechenzentrum und das Musical "Swinging St. Pauli" in Schmidts Tivoli in Hamburg.