Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.01.2007. In der NZZ stellt Andrzej Stasiuk klar: "Rumänien ist so viel wert wie die Niederlande und Belgien zusammen." Die SZ erklärt, warum die Münchner Philharmoniker abgesehen von fünf anderen Orchestern das beste Orchester der Welt sind. Die Welt fragt, wie sich die Amerikaner einen Sieg im Irak eigentlich vorstellen.

NZZ, 08.01.2007

Das alte Europa ist so alt, dass niemand mehr etwas davon wissen will, behauptet Andrzej Stasiuk (homepage) im Interview. Interessanter sind die neuen Länder in der EU, Rumänien zum Beispiel. "Eines der schönsten Länder Europas. Ich habe immer gesagt: eine Art Polen, nur noch wunderbarer. Eine höchst komplizierte Identität: eine romanische Sprache, direkter Erbe des klassischen Lateins, eingepfercht zwischen barbarische slawische Dialekte und die wilde Steppensprache der Magyaren. Der östlichste romanische Stamm und zugleich der einzige orthodoxen Glaubens. Über Jahrhunderte eine Beute der Türkei, Ungarns oder Russlands. Wie Polen ein 'Vorposten des Christentums', das heißt: ständig Feuerschein und Pferdegetrappel. Zugleich eine wunderbare Landschaft und Architektur. Die Karpatendörfer in der Maramures sind wie eine Sagrada Familia aus Holz, und das Donaudelta ist ein Naturwunder, europäische Tropen: Welse, so groß wie Haifische, und Schwärme von Pelikanen, die Pterodaktylen gleich über einer absolut archaischen Landschaft schweben. Ach, Rumänien ist so viel wert wie die Niederlande und Belgien zusammen."

Weitere Artikel: Terezia Mora schickt einen Brief aus der italienischen Provinz. Hanspeter Künzler gratuliert David Bowie zum Sechzigsten. Marc Zitzmann berichtet von scharfer Kritik an den Expansionsplänen französischer Museen. Besprochen wird eine Ausstellung zum Schaffen des Comics-Künstlers Georges Remi alias Herge im Pariser Centre Pompidou.

FR, 08.01.2007

"Packend" findet Nikolaus Merck Karin Henkels Inszenierung von Franz Molnars "Liliom" am Schauspiel Stuttgart, auch weil Hauptdarsteller Felix Goeser routiniert wenig tut. "Goeser spielt Liliom als trocken gelegten Platonow. Statt Dauersuff, Kaffee aus Pappbechern, auch der lässt sich trefflich über Frauen-Hemdchen schütten. Wieder das Marlon- Brando-hafte Geschaue mit gleichsam vorgereckten Augenbrauen, die große Klappe, das Brüllen, die opernhaft ausgedehnte Sterbe-Arie. Der Mann, der viel Wind machte. Und, natürlich, Liliom hat, wie Platonow, ein großes Loch da, wo bei andern Männern der Antrieb sitzt, der Ehrgeiz, das Sehnen und Hoffen. Liliom will bloß seine Ruhe, deshalb legt er sich in die Mitte der Bühne und bettet seinen Kopf auf den Kleidersack. Auch eine Leistung: charismatische Präsenz im Liegen."

Weitere Artikel: Als eine der größten Bildungssünden überhaupt geißelt Tobias Lehmkuhl die hierzulande übliche Synchronisation ausländischer Filme. Elke Buhr meditiert in einer Times mager über den nun gewünschten natürlichen Look der Schönheitschirurgie. Tilmann P. Gangloff unterhält sich mit dem Regisseur Carlo Rola über das ZDF-Drama "Afrika, mon amour".

TAZ, 08.01.2007

Sebastian Moll porträtiert den ehemaligen Gouverneur von Massachusetts, Mitt Romney, der als Mormone Präsident der USA werden will. "Dass sich Romney für den Herrscher des 1.000-jährigen Reiches hält, erscheint weit hergeholt. Befürchtungen, er könne ein 'Manchurian Candidate' (mehr) sein - eine von den Kirchenoberen hypnotisierte und ferngesteuerte Marionette -, halten sich in den USA jedoch hartnäckig. So deckte der Boston Globe jüngst auf, dass es unter dem Namen 'Mutual Values and Priorities' (gemeinsame Werte und Prioritäten) ein nationales Netzwerk von Mormonen gibt, das den Wahlkampf von Romney finanziert und unterstützt. Obwohl dies amerikanischen Gesetzen zur Trennung von Kirche und Staat widerspräche und die LDS bei Bestätigung des Verdachts gar ihre Steuerbefreiung verlieren würde, hat Romney die Existenz des Netzwerks nicht eindeutig dementiert."

Weiteres: Harald Fricke empfiehlt die Kurzfilme, die Anna Faroqhi mit Filmstudenten in Beirut erstellt hat und die ab Februar in Beirut und vielleicht auf dieser vom Goethe-Institut eingerichteten Website für arabische Jugendliche zu sehen sein werden. Arno Frank vergleicht in der zweiten taz die seiner Meinung nach ins Sakrale tendierenden Museen und Manufakturen, die sich BMW, VW und Mercedes haben errichten lassen. Auf den Tagesthemenseiten berichtet Gabriele Lesser über die Geheimdienstaffäre um den Warschauer Bischof Stanislaw Wielgus.

Besprochen werden Karin Henkels Inszenierung von Franz Molnars "Liliom" am Stuttgarter Schauspiel und Kazuo Koikes Manga-Klassiker "Lady Snowblood" und "Lone Wolf and Cub" in deutscher Übersetzung.

Und Tom.

SZ, 08.01.2007

Die von den Münchner Philharmonikern und Christian Thielemann zum erstenmal in Angriff genommene zweite Fassung der achten Sinfonie von Anton Bruckner lässt Reinhard J. Brembeck den München-Fanschal schwenken. "Vor allem aber können sie mühelos einen irdisch dunklen, weit aufgespannten Ton produzieren, der Thielemanns bekenntnishaftes Musizieren erst ermöglicht. Das Blech, vielleicht am klangschönsten in den Hörnern, ist enorm flexibel. Die apokalyptischen Explosionen sind ihm genauso wenig fremd, wie die sich unter dem Deckmantel eines hemmungslos verströmenden Streicherklangs geradezu unhörbar vorbereitende Attacke. Ist es nur Lokalpatriotismus, wenn man dieses Orchester neben den beiden anderen Münchner Ensembles, den Wienern, Berlinern und Amsterdamern für das beste Orchester Europas und damit der Welt hält?"

Für Gustav Seibt muss man mit Helge Schneider schon ein wenig Erfahrung haben, um dessen Minimal-Humor in Dani Levys Hitler-Parodie "Mein Führer" genießen zu können. Aber dann umso mehr. "In Wahrheit ist Schneider unentbehrlich, jedenfalls in Deutschland und so lange es sein riesiges Fanpublikum gibt, das jedes Räuspern von ihm beglückt entgegennimmt. Dieses Räuspern klingt in 'Mein Führer' wie ein heiseres Röcheln: 'Heilen Se mich, Grünbaum!' Wer hier die Replik auf 'Ich heil mich selber!' aus Lubitschs 'Sein oder Nichtsein' hört, ist vermutlich schon viel zu gebildet. 'Heilen Se mich', das ist bester Spätstil Helge Schneider. Und ist nicht der nazibraune Trainingsanzug, in dem der Film-Hitler steckt, auch ein Nachfahre von Schneiders grellrosa Hemden aus den achtziger Jahren?"

Weiteres: In dieser Woche entscheidet sich, ob Nick Cassavetes' Film "Alpha Dog" über einen Entführer, der noch nicht rechtskräftig verurteilt ist und deshalb gegen den Film geklagt hat, gezeigt werden darf. Roland Gross besucht Helmut Middendorf (Bilder) und Bernd Zimmer (mehr), die vor gut zwanzig Jahren als "junge Wilde" der Kunst galten. Jonathan Fischer überreicht Shirley Bassey Glückwünsche zum Siebzigsten. Gemeldet wird, dass Matthew Barney den Goslaer Kaiserring 2007 erhält. Der ORF setzt auch weiterhin unvermindert auf Sonderwerbeformen, vulgo Schleichwerbung, wie Wolfgang Simonitsch auf der Medienseite informiert.

Besprochen werden Feridun Zaimoglus und Günther Senkels "verquälte" Aktualisierung von "Max und Moritz" im Mannheimer Nationaltheater, Marius von Mayenburgs Komödie "Der Hässliche" an der Berliner Schaubühne, Phil Joanous Film "Spiel auf Bewährung", Filme von Julio Medem, Charlie Chaplin und Kathryn Bigelow auf DVD, und Bücher, darunter Günter Kunerts Gedichtband "Der alte Mann spricht mit seiner Seele", der Abschluss von Antonia S. Byatts Roman-Tetralogie zur Emanzipation der Frau, "Frauen, die pfeifen", sowie eine Neuauflage von Klaus Wagenbachs Biografie des jungen Frank Kafka (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Welt, 08.01.2007

Vielleicht würde es im Irakkrieg für Amerika besser laufen, wenn die Regierung endlich mal sagen könnte, wie ein Sieg dort eigentlich aussehen würde, meint Shelby Steele von der Hoover Institution in Stanford auf der Forumsseite. Dies würde voraussetzen, dass Amerika zu seiner Verantwortung als Supermacht steht. "Es ist diese Angst vor der Verantwortung, die uns der Idee des Sieges so zwiespältig gegenüberstehen lässt. Indem 'Sieg' Hegemonie bedeutet, imitiert er den Kolonialismus. Ein Sieg Amerikas im Irak würde diesen - zumindest zeitweise - ganz der Hoheit Amerikas unterstellen. Wir würden diese Gesellschaft als Kolonie 'besitzen'. Im moralischen Klima der Gegenwart würde das sowohl die Legitimität unserer Kriegsanstrengung unterminieren als auch weitere Opfer fordern." Das aber wäre immer noch besser, findet Steele, als sich einfach aus dem Irak zurückzuziehen und "die Herrschaft den Kräften der Bedrohung überlassen - dem sunnitischen Aufstand, den schiitischen Milizen, den islamischen Extremisten und dem wölfischen Ehrgeiz des Iran".

Im Feuilleton gibt Dani Levy ein freundliches Interview zu seinem Film "Mein Führer", und Ken Loach gibt ein Interview zu seinem Film "The Wind That Shakes The Barley". Stefan Kirschner wundert sich, mit welchen Begründungen in Berlin Operninszenierungen nach wenigen Aufführungen abgesetzt werden. Josef Engels gratuliert Shirley Bassey zum Siebzigsten. Abgedruckt ist ein Auszug aus David Bowies Buch "The Life and Times of Ziggy Stardust".

Besprochen werden die Uraufführung von Marius von Mayenburgs "Der Hässliche" an der Berliner Schaubühne, die Ausstellung "Gärten. Ordnung, Inspiration, Glück" im Frankfurter Städel, eine "Cinderella" mit dem Bolschoi-Ballett in Baden-Baden und Karin Henkels Inszenierung von Molnars "Liliom" in Stuttgart.

FAZ, 08.01.2007

Im Aufmacher schreibt Günter Paul über die Ambitionen Jeff Bezos' und anderer Internetmilliardäre zur Eroberung des Weltraums. Lorenz Jäger kommentiert in der Leitglosse Gerüchte, wonach Griechenland in den Kriegen des zerfallenden Jugoslawien heimlich die bosnischen Serben unterstützt hätte. David Bowie wird sechzig und hat somit Anspruch auf den ersten FAZ-Nachruf, der von Dietmar Dath geliefert wird. Dieter Bartetzko gratuliert Shirley Bassey zum Siebzigsten. (Auch die Sonntags-FAZ mochte auf Geburtstagsartikel für die beiden übrigens nicht verzichten.) Edo Reents stellt den jüngsten Roman von Wilhelm Genazino, "Mittelmäßiges Heimweh", vor, der ab heute als Feuilletonroman der FAZ abgedruckt wird. Ingeborg Harms liest deutsche Zeitschriften wie Texte zur Kunst (Inhaltsverzeichnis) und Theaterheute (Inhalt), die sich mit dem womöglich emanzipatorischen Potenzial von Pornografie befassen.

Auf der Medienseite erklärt Jürgen Richter, wie die Murnau-Stiftung deutsche Filme rettet. Franziska Bossy berichtet, dass die Köchin Sarah Wiener nun auch den letzten noch verbliebenen Sender Arte erobert, wo sie in einer Serie gegen französische Köche kochen wird.

Auf der letzten Seite erzählt Christian Schwägerl, wie man in Berlin künftig schon die Schulkinder für Naturwissenschaften begeistern will, um dem Nachwuchsmangel abzuhelfen. Dieter Bartetzko analysiert die nicht ganz eindeutigen Ergebnisse einer Potsdamer Bürgerbefragung zum Wiederaufbau des Stadtschlosses. Und Hansgeorg Hermann porträtiert den ebenso sanftmütigen wie mutigen Direktor der albanischen Nationalgalerie Genc Mulliqi.

Besprochen werden die Rekonstruktion einer Konstruktivisten-Ausstellung von 1921 in der Moskauer Tretjakow-Galerie, neue Biografien über Stefan Zweig, die Uraufführung von Marius von Mayenburgs neuem Stück "Der Hässliche" an der Schaubühne in Berlin (welche Art von "Kraut und Rüben" dem Regisseur Benedict Andrews durch den Kopf gegangen ist, versucht Irene Bazinger vergeblich zu ermitteln), ein Auftritt Helge Schneiders in Berlin ("so komisch bis zum Anschlag, dabei so zart melancholisch und unböse" ist nur einer, meint Klaus Ungerer) und Sachbücher, darunter die Erwägungen des Philosophen Gustav Falke über Mozart.

Zur Ermunterung verweisen wir noch auf das Interview mit Carla Bruni über ihre neue CD aus der Sonntags-FAZ mit ausführlicher Bildergalerie. Lesenswert auch, wie Claudius Seidl den großen Abdruck der Saddam-Hussein-Hinrichtungsfotos in der letzten Sonntags-FAZ rechtfertigt, der zu empörten Leserreaktionen geführt hat.