Heute in den Feuilletons

Das Internet-Kulturklatschmagazin meldet:

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
09.07.2008. In der taz hat Ilija Trojanow herausgefunden, dass sich schon das Mittelalter im interkulturellen Dialog befand. Die SZ berichtet über einen nicht unpikanten Rechtsstreit zwischen Springer und FAZ. NZZ und FR feiern die Wiedergeburt von Fritz Langs "Metropolis".

SZ, 09.07.2008

Auf der Medienseite berichtet Hans-Jürgen Jakobs über einen Rechtsstreit zwischen dem Springer Verlag und der FAZ: Im Wirtschaftsteil der FAZ war am 12. Juni ein Interview erschienen, in dem Jürgen Richter, der Vorvorgänger von Springer-Chef Mathias Döpfner, "die Investitionen des Verlags in den inzwischen insolventen Postdienstleister Pin sowie 'überteuerte Akquisitionen von über einer Milliarde Euro' im Jahr 2007 monierte - und sie im engen Zusammenhang mit 'den damals anstehenden' Aktien-Verkäufen der Aktionäre Döpfner sowie der Finanzfirma Hellman & Friedman sah. 'Pin war Teil der bewusst betriebenen Börsen-Story. Das hat schließlich funktioniert . . .', befand Richter, 66, der heute als Professor an der Hamburger Musikhochschule wirkt." Richter und FAZ gaben eine Unterlassungserklärung ab. Außerdem durfte Mathias Döpfner seinerseits in einem Interview mit der FAZ am 4. Juli Richters Vorwürfe "in aller Form zurückweisen". In dem Streit ging es auch um die Frage, ob eine Zeitung für jeden Satz eines Interviews verantwortlich ist.

(Jetzt verstehen wir auch, warum Olaf Sundermeyer gestern auf der Medienseite der FAZ den "alltäglichen Autorisierungswahn" bei Interviews kritisiert hat. Dass die FAZ betroffen war, hatte er nicht erwähnt.)

Im Kulturteil bedauert Thomas Steinfeld die Ankündigung von Bertelsmann, seine Buchclubs verkaufen zu wollen. Alexander Menden berichtet vom Versuch des Goethe-Instituts, zusammen mit dem FC Arsenal britische Schüler zum Deutsch lernen zu bewegen. Italien erklärt das immer mehr verfallende antike Pompeji zum Notstandsgebiet, meldet G.K. Christoph Schröder war auf einer Marbacher Tagung über den Surrealismus in der deutschsprachigen Literatur. Gerhard Matzig würdigt die Entscheidung der Unesco, sechs zwischen 1913 und 1934 erbaute Berliner Wohnsiedlungen zum "Weltkulturerbe" zu erklären. Joachim Kaiser schreibt zum 80. Geburtstag des früheren SZ-Kulturkorrespondenten Werner Burkhardt, Holi. schreibt zum Tod von Bruce Conner.

Besprochen werden die Ausstellung "Sebastiano del Piombo" in der Berliner Gemäldegalerie, eine beeindruckende Aufführung des "Spartacus" in der Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel (mehr hier), Aufführungen beim Festival "Romanischer Sommer" in Köln, einige CDs und Bücher, darunter ein Band über die Geschichte der literarischen Zensur in der DDR (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Netzeitung, 09.07.2008

Auch das "Altpapier" der Netzeitung berichtet über die hochseriösen Einlassungen der FAZ in punkto Autorisierungen von Interviews: "In der FAZ hat Olaf Sundermeyer, der Mann, man könnte schon sagen, der für das Feuilleton überall dahingeht, wo es weh tut, also wahlweise zur NPD oder dem Perlentaucher", den Autorisierungswahn in Interviews beklagt.

NZZ, 09.07.2008

Jürgen Kasten feiert den Fund von verloren geglaubten Teilen des Filmklassikers "Metropolis" in Buenos Aires: "Was die Cutter von MGM 1927 herausgeschnitten hatten, waren allerdings vor allem Nebenhandlungsstränge. Der Sekretär des jugendlichen Helden bekommt nun mehr Profil; ebenso ein Arbeiter, der als Doppelgänger des Milliardärssohnes fungiert und der von einem Agenten des futuristischen Stadtpatriarchen überwacht wird. Das war bisher zwar aus dem Drehbuch bekannt, aber im Film nur rudimentär zu sehen. Es zeigt Langs Verliebtheit in bis zur Unübersichtlichkeit und Paranoia sich verzweigende Nebenhandlungen. Wichtiger sind zwei andere Teile des aufgefundenen Materials. Zum einen werden die Vorgeschichte und damit Neurosen und der Narzissmus des Milliardärs und seines Nebenbuhlers, des Erfinders Rotwang, nachvollziehbar, die einst beide dieselbe Frau liebten."

Weiteres: Urs Schoettli macht uns mit der japanischen Theatertruppe Port B bekannt, die die Straßen Tokios zu ihrer Bühne macht. Besprochen werden die Uraufführung von Pascal Dusapins Oper "Passion" beim Festival von Aix-en-Provence und Bücher, nämlich ein Handbuch der "völkischen Wissenschaften", der Briefwechsel zwischen Peter Handke und Alfred Kolleritsch "Schönheit ist die erste Bürgerpflicht", Pia Reinachers Essayband "Liebe, Lüge, Libertinage" und Rene Girards bisher nur auf Französisch erschienenes Buch "Achever Clausewitz" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages)

Welt, 09.07.2008

Im Feuilletonaufmacher bekundet Peter Zander seine Enttäuschung über Francis Ford Coppolas metaphysische Räuberpistole "Jugend ohne Jugend" (nach Mircea Eliade). Peter Beddies unterhält sich mit Bruno Ganz, der auch in dem Film mitspielt und nebenbei bekannt gibt: "Das deutsche Theater ist in einem Zustand, dem ich mich, mit wenigen Ausnahmen, nicht nähern mag." Jenni Roth begutachtet den "Masterplan 2017", mit dem die Stiftung Weimarer Klassik aus ihrem Dornröschenschlaf gerissen werden soll. Michael Pilz nimmt humoristisch Stellung zu Gerüchten über einen wider Erwarten doch noch am Leben befindlichen Jim Morrison. Hannes Stein erklärt, was es mit der Kabbalah auf sich hat und warum sie rein gar nichts mit den Lehren des Philip Berg (Website) zu tun hat, denen sich Madonna zugewandt hat ("Das Genie von Philip Berg besteht im Wesentlichen darin, dass er die jüdische Geheimlehre zu einer Variante des New-Age-Glaubens plattgewalzt hat"). Dankwart Guratzsch erzählt die Geschichte der Berliner Mustersiedlungen, die sich nun in ihrem Welterbestatus sonnen dürfen. Der Historiker und Weltkolumnist Michael Stürmer erzählt anlässlich aktueller Krisen und Gipfel eine kleine Kulturgeschichte der Nahrungsknappheit. Und Manfred Quiring porträtiert die georgische Übersetzerin Naira Gelaschwili, die ihrem Land Klassiker wir Hölderlin und Rilke nahebringt.

Besprochen wird Thomas Ostermeiers "Hamlet-"Inszenierung, die zunächst einmal auf einem Festival in Athen herausgebracht wurde (und Manuel Brug kühl und sachlich erschien wie ein "penibel aufgeräumter sprachlicher Musterkoffer").

Die Forumsseite bringt ein grundsätzliches Gespräch mit dem Parteienforscher Franz Walter über die traurige Lage der SPD. Und aus dem New Republic übernimmt man einen Artikel über Friktionen in der Islamistenszene.

FR, 09.07.2008

"Es ist die berühmteste Ruine der Filmgeschichte, den größten Kathedralen in einem Punkte ebenbürtig: Ewig wird daran herum gebaut", spöttelt Daniel Kothenschulte über Fritz Langs Klassiker "Metropolis", der aber auch nach den neuen Funden in Buenos Aires unvollständig bleiben wird: "Das neu aufgetauchte Material ist kein historisches Original, sondern eine denkbar schlechte, verkleinerte Umkopierung auf 16mm-Film. Die einkopierten Kratzer werden ihn Ridley Scotts berühmter Hommage in 'Blade Runner' wohl noch etwas ähnlicher machen: Auch im Lang-Film wird es nun gewaltig regnen. Bei aller Freude über den Fund erweckt der Zustand also auch eine gehörige Portion Wehmut."

Weiteres: Im Interview mit Hannah Glaser schwärmt der amerikanische Bariton Thomas Hampson von der Tradition des Kunstlieds und solch schöner deutscher Wörter wie Gotteslob, Wehmut, Kerker und Gruft. Tom Mustroph liefert Eindrücke vom "Hamlet"-Gastspiel der Schaubühne in Athen. In Times mager widmet sich Christian Thomas den ins Weltkulturerbe aufgenommenen Berliner Wohnsiedlungen. Sandra Danicke besucht die Tobias-Rehberger-Ausstellung im Kölner Museum Ludwig.

TAZ, 09.07.2008

Auf der Meinungsseite sinniert Ilija Trojanow nach Lektüre von Wolfram von Eschenbachs Versroman "Parzival" über das Fremde, das schon im Mittelalter unabdingbar für die eigene Identität war: "Mit einigen wenigen Sätzen hat Wolfram von Eschenbach, so scheint es mir, ein faszinierendes Ideal der Kulturbegegnung formuliert, getragen von der Erkenntnis, dass das Trennende nur eine momentane Differenz ist, eine Flüchtigkeit der Geschichte. Anders gesagt: Das Gemeinsame lauert in jeder Lichtung."

Auf den Kulturseiten berichtet Christiane Kühl über das von Soziologen und Künstlern gemeinsam betriebene Forschungsprojekt "Über Leben im Umbruch", das in der brandenburgischen Stadt Wittenberge über drei Jahre die Folgen von Schrumpfungs- und Exklusionsprozessen untersuchen will; im Fokus steht dabei die Frage, wie Menschen mit derartigen Transformationen fertig werden. Hannah Pilarczyk porträtiert die britische Band My Bloody Valentine, die derzeit ein fulminantes Comeback erlebt. Besprochen wird der Film "Der unglaubliche Hulk".

Schließlich Tom.

FAZ, 09.07.2008

Alles schien problemlos zu laufen in Köln bei der Planung eines Jüdischen Museums in der archäologisch interessanten Zone auf dem Rathausvorplatz. Es gab einen Wettbewerb, einen zunächst alle überzeugenden Siegerentwurf. Jetzt aber ruft Oberbürgermeister Fritz Schramma im Verbund mit dem Kölner Stadt-Anzeiger unvermutet und plötzlich "Stopp". So typisch für Köln wie auch fatal, findet Andreas Rossmann: "Verfahren, wie die Situation ist, läuft die Stadt Gefahr, sich um mehr als 'nur' um ein für die Geschichte und die Identität der alten Colonia bedeutendes Museumsprojekt zu bringen: Eine große städtebauliche und kulturpolitische Chance würde verpasst. Wieder einmal stellt sich die Frage, was die Stadt möchte und wer sie regiert. Wieder einmal fehlt es in Köln an Transparenz und Verfahrenssicherheit. Selten war der Preis dafür so hoch."

Weitere Artikel: In der Glosse geht es um Martin Kippenbergers gekreuzigten Frosch, der gerade, sehr zum Ärger ansässiger Katholiken, in Südtirol rumhängt. Als Schritt in die richtige Richtung begreift der katholische Pfarrer Werner Henze die neue, aber aus rechtlichen Gründen nicht sonderlich attraktive Möglichkeit, sich jetzt ohne Segen des Standesamts nur kirchlich trauen zu lassen. Jan Grossarth porträtiert den Kölner Alltagssorgenvertoner Wilfried Kaets. Kerstin Holm erzählt von einer Frau - man wird nur den Eindruck nicht los, sie könnte auch "ich" sagen -, der in Irkutsk Wertgegenstände gestohlen werden, worauf eine Odyssee folgt und ein glimpflicher Ausgang. Beim Blick in osteuropäische Zeitschriften stößt Joseph Croitoru auf andere Formen von Umweltbewusstsein. Regina Mönch begrüßt die Berliner Baumoderne im Kreis der Weltkulturerbestätten, aus dem im nächsten Jahr Dresden, um eine Brücke immerhin reicher, wohl scheidet.

Patrick Bahners macht öffentlich, dass Jochen Hörisch wieder E-Mails verschickt, wieder in Sachen Burkhard Müller, und kommt nicht umhin, das "Internet-Kulturklatschmagazin" Perlentaucher zu erwähnen, wo der Streit zunächst ausgetragen wurde. (Zur Vorgeschichte mehr hier, hier und hier.)

Auf der Medienseite unterhält sich Henning Hoff mit Ahmed Rashid, dem berühmtesten Journalisten Pakistans, der gerade ein Buch über die Geschicke des Landes seit dem Sturz der Taliban geschrieben hat - der wenig Gutes verheißende Titel: "Descent into Chaos" ("Absturz ins Chaos"). Gemeldet wird, dass ein russischer Blogger zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt wurde, weil er festhielt, "Polizisten müssten von Zeit zu Zeit 'in Brand gesteckt' werden - 'wie in Auschwitz'".

Auf der DVD-Seite werden unter anderem Editionen des Hongkong-Polizeithrillers "Infernal Affairs 3", von Vincente Minellis Melodram "Verdammt sind sie alle" und von Barbets Schroeders Filmen "La Vallee" und "More" empfohlen.

Besprochen werden David Cronenbergs und Howard Shores Opern-Version des Mutationshorrorfilms "Die Fliege" (für Gerhard Rohde ist Shores Musik entschieden unter Niveau), Francis Ford Coppolas Eliade-Verfilmung "Jugend ohne Jugend" und Bücher, darunter Josh Emmons' Debütroman "Leon Meed beschließt zu gehen" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).