Heute in den Feuilletons

Eine Maus aus Fleisch und Blut

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
23.07.2013. Die taz staunt über die kulturelle Blüte im Ural. Auch Heise Online will ein Bezahlmodell entwickeln, meldet Meedia. Fünf große alte Männer der Zeit gehen ab sofort unter die Onlinejournalisten und erklären morgens ab 8 Uhr die Welt. Der New Yorker guckt Ramadan-Soap Operas mit Muslimbrüdern, die Geigen zerschmettern. Die SZ kritisiert in scharfen Worten die maximalste Intransparenz der amerikanischen Geheimgerichte. Wir verlinken auf die zehn teuersten Fotos der Welt. Das Royal Baby ist nicht dabei.

TAZ, 23.07.2013

Regine Müller beschreibt am Beispiel der Philharmonie von Jekaterinburg, wie Zarennostalgie und unabhängige Kulturarbeit dem Ural zur kulturellen Blüte verhelfen: "Das Gebäude aus den Dreißigern liegt an der Karl-Liebknecht-Straße, unweit der Kathedrale auf dem Blut, die erst vor wenigen Jahren dort errichtet wurde, wo 1918 die Zarenfamilie ermordet wurde. Neben der Philharmonie ist auf der loggiaartigen Terrasse eine Shisha-Bar, in der die Jugend mit Laptops abhängt, links davon Jekaterinburgs bestes Restaurant 'Crepe de Chine', in dem die gut Betuchten sterneverdächtige Crossover-Küche genießen."

Ulrich Gutmair findet Bushidos Pöbeleien und Drohungen zwar schwer erträglich, möchte aber festhalten, dass er damit nicht der einzige im Musikgeschäft ist: "Zugleich scheint diese Form Gangstarap, die aufs Geschichtenerzählen ganz verzichtet und nur noch Drohungen aneinanderreiht, aber auch die künstlerische Form zu sein, die adäquat den Zustand der Musikindustrie spiegelt. Bushidos Label Ersguterjunge verfolgt unnachgiebig Teenager per Abmahnung, die sich Titel von Bushido oder Fler aus dem Netz gezogen haben."

Weiteres: Uli Hannemann muss leider Gerüchte dementieren, wonach Thomas Middelhoff mit seinem anvisierten Internationalen Medienunternehmen die Fix-und-Foxi-Hefte neu herausgeben wird. Jenni Zylka trifft den früheren Bassisten der Teenieband Duran Duran, John Taylor. Renate Klett berichtet vom Internationalen Straßentheater-Festival im italienischen Santarcangelo.

Und Tom.

Welt, 23.07.2013

Die niederländische Autorin Maartje Wortel überlegt in einer kurzen Erzählung, was ein europäischer Kanon sein könnte. Filmproduzent Nico Hofmann erklärt im Interview, wie er als Intendant in Worms die Stadt kulturell voranbringen will. Antonia Kleikamp berichtet über den Fund einer Sphinx im Norden Israels. In der Glosse ruft Manuel Brug Katharina Wagner zu: "Schenk uns endlich ein Kind!"

Besprochen werden die Ausstellung "Leben mit Pop - Eine Reproduktion des Kapitalistischen Realismus" in der Kunsthalle Düsseldorf, die einer Kunstaktion von Gerhard Richter und Konrad Lueg aus dem Jahr 1963 gewidmet ist, und Ryan Cooglers auf einem realen rassistischen Vorfall basierender Film "Fruitvale Station".

Aus den Blogs, 23.07.2013

Gizmodo präsentiert die zehn teuersten Fotos aller Zeiten. Platz 10 hält dieses Foto von Billy the Kid aus dem Jahr 1880, das für 2,3 Millionen Dollar verkauft wurde.

Auch Heise Online will ein Bezahlmodell einführen, kündigt Geschäftsführer Alfons Schräder bei Meedia an, eine "Trafficbremse" wolle man aber vermeiden: "Darum soll das bisherige Angebot, das frei im Netz verfügbar ist, auch nicht reduziert werden. Bezahlt werden sollen, so sieht es zumindest die erste Planung vor, Heftinhalte sowie zusätzliche, eigens produzierte Beiträge, die kostenpflichtig sind."


Zeit, 23.07.2013

Fünf große alte Männer der Zeit gehen unter die Onlinejournalisten (ob sie auch deren Gehaltsniveau akzeptieren?) und erklären ab jetzt morgens um acht die Weltlage. Helmut Schmidt ist zum Glück nicht dabei. Heute schreibt Theo Sommer, 83, über Prism: "Aufklärung allein reicht nicht. Was nottut, ist eine klare Zusage, dass die amerikanischen Geheimdienste ihre Schnüffelei einstellen, wo sie nicht eindeutig der Terrorbekämpfung dient."

NZZ, 23.07.2013

Marc Zitzmann berichtet, dass Frankreich das Wort "Rasse" aus Verfassung und Gesetzen streichen möchte, selbst aus den Passagen, die explizit die Diskriminierung verbieten: "Rein biologisch betrachtet, gibt es nach dem heutigen Stand des Wissens keine 'Menschenrassen', sondern nur die eine Art des Homo sapiens."

Außerdem: Marion Löhndorf erzählt, wie Joanne K. Rowlings Tarnung als Robert Galbraith auffliegen konnte. Auf der Medienseite wenden sich Philippe Weber und Andreas Pfister gegen eine pädagogisch gutmeinende Medienkritik: "Außer vielleicht eine fernsehende Katze erkennt niemand in der 'Sendung mit der Maus' eine Maus aus Fleisch und Blut. Ganz so naiv, wie Jugendliche hie und da dargestellt werden, können sie gar nicht sein."

Besprochen werden eine neue Choreografie von Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz beim Festival Impulstanz Wien, eine Ausstellung zum achtzigsten Geburtstag des Architekten Richard Rogers in der Royal Academy of Arts in London, Peter Stamms Roman "Nacht ist der Tag" und María Sonia Cristoffs Roman "Unter Einfluss" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Weitere Medien, 23.07.2013

Es ist Ramadan, und Leslie T. Chang guckt für den New Yorker die Soap Operas, mit denen sich die Ägypter die durchwachten Nächte vertreiben, zum Beispiel "The Preacher" über einen erfolgreichen TV-Prediger und Muslimbruder, der über Halal und Haram entscheidet: "At a family dinner, Yusef lashes out at his younger sister Marwa for bringing home a birthday cake (Muslims should celebrate only religious holidays, he tells her). In episode three, Yusef rejects the young man Marwa wants to marry because he's an actor (haram); in episode five, he discovers that another younger sister is secretly playing the violin (haram, again), and smashes the instrument to pieces."

Ekkehard Knörer schreibt im Freitag zur ARD-Dokufiktion über Heinrich qua Götz George: "Die Verteidigungslinie ist klar: Heinrich George hat ein paar bedrohten Leuten geholfen und war unpolitisch, er wollte nur spielen. Aber bitte auf deutschen Bühnen und in deutschen Filmen, nicht in Hollywood, wie er es hätte tun können und wie es andere taten; nein, das wollte er nicht, weil ihm die Vereinigten Staaten zu oberflächlich waren, zu amerikanisch. Denn als Deutscher im besten Sinn des Wortes ist man ja Künstler."

SZ, 23.07.2013

Für Andreas Zielcke kann der Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC), der die Aktionen der NSA juristisch legitimieren soll, kein Recht sprechen: "Ein Gericht, das geheim tagt und geheim 'Recht spricht', spricht kein Recht. Es spricht auch kein Unrecht. Es ist lediglich eine Blackbox, die Nicht-Recht produziert, ein normatives Nichts."

Weitere Artikel: Thomas Urban stellt das unter anderem vom Goethe-Institut angeschobene Projekt participar.de vor, bei dem sich deutsche und spanische Künstler mit den Ursachen der spanischen Krise befassen. Burkhard Müller führt durch die diversen Ausstellungen in Thüringen und Sachsen anlässlich von Henry van de Veldes 150. Geburtstag. Lothar Müller gratuliert der Schriftstellerin Irina Liebmann zum 70. Geburtstag.

Besprochen werden die Ausstellung "Walker Evans American Photographs" im MoMA, ein Konzert von Elvis Costello und Bücher, darunter Jürgen Goldsteins "Entdeckung der Natur" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 23.07.2013

Auf der Medienseite unterhält sich Ingo Petz mit der weißrussischen Journalistin Iryna Chalip, die nach Gefängnis und Hausarrest nun wieder frei ist und Politiker der EU, die auf einen Dialog aus sind, warnt, solche Freilassungen als einen Fortschritt zu betrachten: "Es ist eine Kalkulation, die davon ausgeht, dass die Entscheidungen in der Europäischen Union von Idioten getroffen werden, die man mit billigen Ködern locken kann. Und noch viel absurder ist es, dass die EU diesen Köder auch noch frisst."

Auf der Aufmacherseite werden sieben heutige Dirigenten, die in Salzburg und Bayreuth auftreten, den großen Vorbildern von Toscanini bis Karajan gegenübergestellt. Dirk Schümer schreibt zum Tod des italienischen Autors Ugo Ricarelli. Der Kunsthistoriker Jürgen Müller betrachtet in der Serie über vermeintliche Nebenwerke in der von Schleifung bedrohten Berliner Gemäldegalerie eine Bordellszene Jan van Amstels. Theo Stemmler berichtet über den Sprachwitz frühester amerikanischer Comics. Harald Welzer erzählt eine weitere seiner Geschichten aus der "wünschenswerten Zukunft".

Besprochen werden eine an Richard Tauber erinnernde Recital-CD des Tenors Piotr Beczala, Veranstaltungen des Literaturfests "Wege durchs Land" und eine aktuelle Ausstellung im Berliner Kunstraum Tanas mit Kunst aus der Türkei und Brasilien.