Vorgeblättert

Leseprobe zu Bernd Mattheus: Cioran. Teil 2

01.10.2007.
Cioran bedient sich hier der Rhetorik des Totalitarismus aller Zeiten, welcher die Unterwerfung des Individuums unter das kollektive Ziel der vermeintlich besseren neuen Ordnung fordert. Sicher konnte er nicht die Zeit der Kzs noch jene der sowjetischen GULags vorhersehen, aber die Terreur der Französischen Revolution mußte ihm geläufig sein. Wenn sich Denker politisch vereinnahmen lassen, geht es selten gut aus. Sartre, der fast zeitgleich mit Cioran in Berlin weilte, um sich in Husserl und Heidegger zu vertiefen, wird später die stalinistischen Schauprozesse rechtfertigen, weil sie der Utopie dienen - ganz zu schweigen vom Konformismus des Parteigenossen Martin Heidegger.

Im fortgeschrittenen Alter wird Cioran seine fehlende Luzidität als pathologisch bezeichnen: "Meine krankhafte Bewunderung für Deutschland hat mir mein ganzes Leben vergiftet. Es ist der schlimmste Irrsinn meiner Jugend. Wie konnte ich einer im Grunde so wenig interessanten Nation einen Kult widmen? Äußerst starrköpfige, mittelmäßige Menschen ohne die geringste geistige Unabhängigkeit. (?) Wenn ich von einer Krankheit geheilt bin, dann von dieser. Wenn ich sie eines Tages im Detail beschreiben würde, und wie ich sie gelebt habe, würde man mich in einer Irrenanstalt einsperren, man würde mich bestrafen, weil ich verrückt gewesen bin."

Der pseudoreligiöse Aspekt des Faschismus erschließt sich Cioran, wenn er im Selbstgespräch seiner Tagebücher 1966 notieren wird: "Um 1934 befand ich mich in München. Ich lebte dort in einer Anspannung, die mich sogar jetzt, wenn ich daran denke, zittern läßt. Es schien mir damals so, daß nicht viel fehlte und ich eine Religion gestiftet hätte, und diese Eventualität flößte mir den allergrößten Schrecken ein." Zur Entspannung liest er im Englischen Garten Proust.

Von München aus besucht er Bayreuth. Sein Eindruck besteht aus einer "Mischung aus Stupidität und Erhabenheit (sehr deutsch)" . Entscheidender werden die vier Wochen in Paris sein, eine Erfahrung, die er als "Liebe auf den ersten Blick" zusammenfassen wird. Von der Schmähung der Kolonisatoren Rumäniens zur frankophilen Begeisterung: solche Schwankungen bestimmen das Temperament des jungen Cioran, insbesondere aber das des Journalisten.

1935 finden wir Cioran wieder in Berlin, wo er sich, angeregt durch Eliades Vorträge in Bukarest, in Buddhismus-Lektüren vertieft, um sich "vom Hitlertum nicht vergiften oder anstekken zu lassen". Zunächst bedeutet dies nichts weiter, als daß er eine Anthologie rezipiert, während er sich gleichzeitig betrinkt.

In Vremea vom 17. Februar 9 polemisiert er abermals "Für ein anderes Rumänien". Er entflammt für Extremisten, mögen diese nun den Namen Hitler oder Lenin tragen, da diese imstande seien, Geschichte zu machen und die "Mystik einer allgemeinen Mobilmachung" zu verwirklichen. "Rumänien wird nur unter der Bedingung in der Geschichte weiterbestehen, daß diesem Land von Schlitzohren, Skeptikern und Resignierten ein spartanischer Geist eingehaucht wird." Selbst die Hitlerjugend begeistert ihn als eine Organisation, die den Deutschen ab dem Alter von fünf Jahren (!) Parteimitglied werden lasse.

Der politisierte Denker grenzt sich, weil er Gesetzgeber sein will, nun sogar von den Skeptikern ab. Seinem Bruder Aurel rät er von Berlin aus zu einer vita activa, als er erfährt, daß dieser Theologie studiert. In einem Brief vom 31. März 1935 warnt er ihn, in seine Fußstapfen zu treten, "denn es sind Spuren, die nicht verschwinden, sondern Dich verfolgen". Weiter heißt es: "Laß, wenn Du kannst, Dein Innenleben beiseite, denn wenn Du Dich maßvoll darin vertiefst, hat es keine Bedeutung, und wenn Du es bis zum Höhepunkt gebracht hast, wird das Innenleben Dich zerstören. (?) Die Tat als Selbstzweck stellt das einzige Mittel dar, sich ins Leben zu reintegrieren. (?) Die Politik, die große Politik ist der Wissenschaft weit überlegen. Die einzige Art und Weise, den Abgründen der Innerlichkeit zu entkommen, besteht darin, einen anderen Weg einzuschlagen, der sich wesentlich unterscheidet." Aurel Cioran wird dann der "Garde" Codreanus beitreten.

Im April 1935 weilt Cioran abermals in München und besucht seinen Freund Bucur Tincu, der dort als Stipendiat lebt. Dresden besucht er im Juni, auch weil hier Schopenhauers "Die Welt als Wille und Vorstellung" entstand.

Im August 1935 frequentiert Mircea Eliade die Berliner Staatsbibliothek, um dort die Bibliographie seiner Dissertation über den "Yoga" auf den neuesten Stand zu bringen. Wie um die political correctness avant la lettre vorwegzunehmen, mokiert er sich in seinen Memoiren über die Allgegenwart des Nazismus und erklärt originellerweise, sich dem Anblick von Braun- und Schwarzhemden sowie der Hakenkreuzfahne konsequent entzogen zu haben, indem er nur nachts ausgegangen sei! Nach der Lektüre der "Yoga"-Studie erklärt Cioran später dem Autor apodiktisch, dem "einfachsten Bolschewiken oder Hitleranhänger näher zu sein als der Meditationstechnik".

Nach Rumänien zurückgekehrt (Juli 1935) ist Cioran genötigt, Ende 1935 bis Anfang 1936 seinen Militärdienst abzuleisten.
Er veröffentlicht Politisches wie auch Philosophisches in Actiunea (Aktion), einem in Sibiu erscheinenden Blatt. Während dieser Zeit vollzieht er eine erste Distanzierung von der "Eisernen Garde", denn am 9. Dezember 1935 schreibt er aus Sibiu an Eliade: "Ich habe endgültig darauf verzichtet, mich aktiv politisch zu betätigen. Obwohl ich den Eindruck habe, die Politik recht gut zu verstehen, würde ich darunter leiden, mich mein Leben lang zu einem ganz äußerlichen Ruhm verurteilt zu wissen, und im übrigen findet kein politischer Wert meine letzte Zustimmung. (?) Der Unterschied zwischen mir und unseren Nationalisten ist so groß, daß meine Tätigkeit sie nur verwirren könnte. Mit den Nationalisten teile ich nur das Interesse an Rumänien. Kannst Du Dir vorstellen, daß man eine reaktionäre Mentalität reformieren könnte?" Er könne keine militanten Artikel mehr schreiben, aber auch kein Pazifist werden. Alles in allem verabscheue er die Welt: "Wenn es keine Religion und Musik gäbe, würde ich Bordellaufseher werden."

Am 12. April 1936, den 1. Osterfeiertag, besucht er in Begleitung von Jeni und Arsavir Acterian eine Bukarester Irrenanstalt.

Als im Dezember 1936 sein Pamphlet "Schimbarea la fata a Romaniei" im Verlag seiner Hauszeitschrift Vremea erscheint, wirkt Cioran als Studienrat für Philosophie am "Andrei Saguna"- Gymnasium von Brasov. Unterdessen schreitet die "Garde" zu öffentlichen Bücherverbrennungen, wenn sie nicht gerade marschiert, Angst und Schrecken verbreitet oder die eigenen Reihen von Verrätern säubert.

"Die Verklärung Rumäniens" - die deutsche Übersetzung des Titels schlug der Autor selbst vor - meint weniger Glorifizierung denn Appell zu einem Gesichtswandel des Landes, zum Aufstand der rumänischen Volksseele: "Die Fanatisierung Rumäniens ist die Verklärung Rumäniens. (?) Ich kann nur ein Rumänien lieben, das sich im Fieberwahn befindet. (?) Ich träume von einem Rumänien, das das Schicksal Frankreichs und die Bevölkerung Chinas hätte." Cioran imaginiert ein Rumänien, das selbst Maßstab, identisch mit unbezweifelbaren Werten wäre. Jene prophetische Nation, lautet seine megalomanische Utopie, soll einst zur Stellvertreterin der ganzen Menschheit werden. Ein Größenwahn, der im wesentlichen der Abwehr eines verinnerlichten Minderwertigkeitskomplexes dient, denn Jahrzehnte darauf wird er noch bekennen: "Ich haßte die Meinen, mein Land, die zeitlosen Bauern, die ihren Stumpfsinn über alles stellen, geradezu berstend vor Erstarrung, ich schämte mich, von ihnen abzustammen, verleugnete sie, ich verweigerte mich ihrer negativen Ewigkeit, ihrem versteinerten Lemurendenken, ihrem geologischen Halbschlaf. Vergebens suchte ich in ihren Zügen die flackernde Grimasse der Revolte: in ihnen, ach! Kaum eine Spur vom Affen."


Der die Mittel heiligende Zweck

"Die Verklärung Rumäniens" feiert deshalb denn auch den Arbeiter-Souverän. Analog zu Ernst Jünger hat man sich den Arbeiter als "akosmisches Wesen", einen neuen Menschentyp vorzustellen, wohingegen vom Bauern allenfalls der Eintritt in die Weltgeschichte durch die Hintertür erwartet wird. "Alle Mittel sind legitim, wenn sich ein Volk einen Weg in die Welt bahnt. Terror, Verbrechen, Bestialität und Perfidie sind nur in der Dekadenz niedrig und unmoralisch nur, wenn sie der Inhaltsleere zu Hilfe kommen; wenn sie dagegen dem Aufstieg eines Volkes helfen, verwandeln sie sich in Tugenden. Alle Siege sind moralisch."

Was Ciorans antisemitische Tiraden angeht, so greift er auf tradierte Klischees zurück. Der Jude steht für Materialismus, "Vampirismus", "ekelhafte Melancholie und abstoßende Ironien, die in der Dunkelheit des Gettos entstanden". Der Jude sei nicht unser "alter ego, unser Nächster", behauptet er: "Der Jude ist nicht wie wir unser Nachbar (?), wie vertraut wir mit ihm auch werden können, es ist, als stammten wir von einer anderen Affenart ab. (?) Wir können ihm nicht als Mensch begegnen, weil der Jude zuerst Jude ist und dann ein Mensch." Das sind fast wörtliche Klages-Zitate. Der Rassismus des 'Kosmikers' liegt wie Mehltau auf einem Werk, das sogar Walter Benjamin inspirierte.

Bei Cioran kommen die Ungarn, die größte Minderheit im Land, kaum besser weg. Spürbar ist die den Autor aufreibende Ambivalenz zwischen der Absicht zur Herabsetzung und der Angst vor - womöglich überschätzter - geistiger Überlegenheit, bestätigt er doch, daß die Juden das "intelligenteste, begabteste und hochmütigste Volk" der Welt seien. Schließlich erklärt er die Überfremdung zum Menetekel: "Ein gesunder nationaler Körper beweist seine Lebenskraft durch den Kampf gegen die Juden, vor allem, wenn diese durch ihre Anzahl und ihre Unverschämtheit ein Volk überfluten. (?) die Juden, die durch die Geschichte die Obskuritäten des Gettos mit sich schleppen und dessen ekelhafte Trauer und abstoßende Ironien in sich führen, was sie längst aus der Natur ausgestoßen hat, sie aber weiterhin abschreckend in der Geschichte bewahrt." Konkret ergeht an das Volk Israels der Vorwurf, "Verräter", "Todfeinde" des Nationalgedankens zu sein. Denn als Entwurzelten diene den Juden die Religion, entbehre sie auch der "Transzendenz", als Heimat- ersatz: "Ich kritisiere insbesondere das Judentum der Nachkriegszeit.
Hat es sich nicht allen Bemühungen widersetzt, unser Land zu erneuern? Die Juden haben aus ein paar Verrückten und Degenerierten, denen es gelang, eine bereits korrumpierte Demokratie in Mißkredit zu bringen, ihr Herrschaftsinstrument gemacht und so auf nicht wiedergutzumachende Weise das ganze Land geschmäht. (?) Wir müssen endgültig begreifen, daß die Juden kein Interesse daran haben, in einem starken und selbstbewußten Rumänien zu leben."

Daß Cioran die bewährte Sündenbock-Rhetorik nicht bruchlos übernimmt, entkräftet nicht die Vehemenz seiner rassistischen Sophismen, aber mehrmals hebt er hervor, daß die Juden "keineswegs für unser Elend, unser altes Elend verantwortlich" sind. "Der Antisemitismus ist weder imstande, die nationalen noch die sozialen Probleme eines Volkes zu lösen. Das sind nichts weiter als Fragen der Reinigung. Unsere angeborenen Laster bleiben seit allen Zeiten dieselben." "Das Problem Rumäniens wäre nicht weniger ernst, wenn wir alle Fremden beseitigen würden. Es würde nur erst beginnen. Es ist evident, daß die Fremden neutralisiert werden müssen; aber es kann nicht die hauptsächliche Mission unseres Nationalismus darstellen, denn wenn wir uns zu lange von dieser Aufgabe blenden ließen, würden wir unsere eigene Wirklichkeit und unser Elend nicht mehr sehen."

Marta Petreu weist nach, wie sehr Cioran von Eugen Lovinescus pro-westlicher Haltung beeinflußt war. Obwohl er den Essayisten persönlich kannte, zitiert ihn Cioran nicht, um die Originalität seiner eigenen Ausführungen nicht zu schmälern.

Ciorans Kampfschrift, von Vladimir Tismaneanu als eines der "wichtigsten Manifeste des europäischen Faschismus in seiner 'nationalbolschewistischen' Version" bezeichnet, enthält trotz seiner Kruditäten und tradierten Ressentiments gewissermaßen auch den Schlüssel zum Verständnis dieser verbalen Paroxysmen. Es ist der Minderwertigkeitskomplex kleiner Nationen, begleitet von Paranoia. Angelehnt an den vom jüdischen Philosophen Theodor Lessing konstatierten "jüdischen Selbsthaß", der sich bei Otto Weininger als Misogynie manifestierte, könnte man meinen, daß Cioran den rumänischen Selbsthaß geißelt, wenn er schreibt: "Wie könnte unser elendes Volk das unbändigste ethnische Phänomen der Geschichte verarbeiten? (?) Die jüdische Vitalität ist so aggressiv und seine Gier so beharrlich, daß unsere Toleranz hinsichtlich dieses fleißigen und ausbeuterischen Volkes uns mit Sicherheit in den Ruin führen würde. Was weiß denn das rumänische Volk im Vergleich zum jüdischen? Ich bin überzeugt, daß die Juden, ließen wir ihnen völlige Freiheit, in weniger als einem Jahr sogar den Namen unseres Landes ändern würden. Alles in allem müssen wir einsehen, wenn auch betrübt, daß der Antisemitismus immer nur die größte Ehrbezeugung gegenüber den Juden gewesen ist." Capitan Codreanu bedankt sich beim Autor persönlich für das Buch, gratuliert ihm und schließt sich dem Wunsch an, "daß dieses Volk seine Zwergentracht ablegt, um eine Weltreichstracht anzulegen". Der Brief ist gezeichnet mit der Floskel: "Ein Kämpfer für die Zukunft Rumäniens schüttelt Ihnen die Hand."

Teil 3

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