Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.07.2001.

SZ, 25.07.2001

Fritz Göttler feiert die Filme "Männerzirkus" von Tony Goldwyn, "Stadt, Land, Kuss", "The Mexican" und "Ran an die Braut", mit denen das amerikanische Kino zur Komödie zurückkehre ? und zum Körper. "Es ist ein animalisches Kino, die Filme haben eine unglaubliche Materialität ? es geht um Körperflüssigkeiten, Blut, Schweiß und Tränen. Bewusst sperrig sind die Filme, und man könnte den Begriff der termite art noch einmal ins Spiel bringen, den Manny Farber Anfang der Sechziger in die Diskussion einführte ? in einem außergewöhnlichen Aufsatz, mit dem der Maler und Filmkritiker fürs direkte, erdverbundene Kino kämpfte, gegen artifiziellen Schwachsinn und Prätention."

Sonja Zekri berichtet, dass Amazon vor der Pleite steht: "Schon heute dürfte Amazon in die Netz-Geschichte als eines der am stärksten überschätzten Unternehmen eingehen, ein Riesenbluff, der im Vertrauen auf den steigenden Aktienkurs wirtschaftete und die Aktionäre nicht mit Bilanzen versöhnte, sondern mit den Anekdoten und dem ansteckenden Lachen des Firmengründers Jeff Bezos." Ähem, nur eine ganz winzige Anmerkung: Allein in Deutschland macht Amazon nach kurzer Zeit einen Umsatz von 200 Millionen Mark und dürfte damit zu den zehn größten Buchhandlungen des Landes zählen. Bol.de hat es trotz riesiger Kampagnen und der Milliarden des Bertelsmann-Konzerns gerade mal auf 36 Millionen Mark Umsatz gebracht. Nicht nur, dass Bertelsmann die Idee nicht hatte - sie haben es nicht mal geschafft, sie zu kopieren!

Wolfgang Schreiber hat sich mit Christian Thielemann unterhalten, der in fünf Jahren den Ring in Bayreuth aufführen soll und schließt seinen Artikel mit einem kurzen Porträt: " Thielemann liebt die kräftig gewürzte Rede. Da sitzt einem ein Heißsporn gegenüber, weiß Gott kein Selbstschoner im Fabulieren und Formulieren, einer, der sich allerdings mit zunehmendem Erfolg Besonnenheit verordnet hat. Vollblutmusiker, so nannte man das einmal, einer, der übrigens gern Orchester- und Gesangsstellen Wagners zitiert, heftig in die Luft dirigiert, singt. Ein Berliner außerdem: direkt, schnoddrig, ehrlich. Wer weiß, wie das noch wird mit ihm in Bayreuth... " (Unter dem Artikel wird mit Links auf weitere Artikel zum Thema verwiesen)
Außerdem erzählt Jürgen Flimm über seine Arbeit am "Ring des Nibelungen", Adam Fischer erzählt über seine Rolle als Dirigent des "Rings". Und Karena Niehoff erklärt, warum "die Reise nach Bayreuth immer auch eine Reise in die Zeit ist".

Weitere Artikel: Thomas Steinfeld schreibt zum Tod der Schriftstellerin Eudora Welty, weiter wird der Tod des ungarischen Schriftstellers Miklos Meszöly gemeldet. Abgedruckt ist die gekürzte Fassung eines Textes von Frank Böckelmann und Herbert Nagel, der im im Herbst als Nachwort zu der Neuauflage der Anthologie "Subversive Aktion" erscheinen wird. Die Autoren denken darüber nach, was die Subversive Aktion wirklich war, und was es heute heißt, subversiv zu sein. Und schließlich berichtet Bernd Graff über den Fall des Rabattgesetzes (am Ende ebenfalls mit Links zu weiteren Artikeln).

Besprochen werden das Schleswig-Holstein-Musikfestival, das die Komponisten Finnlands feiert, Leos Janaceks "Jenufa" bei den Salzburger Festspielen und John R. Searles Buch "Geist, Sprache und Gesellschaft" (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 25.07.2001

Michael Kasperowitsch schickt eine Reportage über den ehemaligen und den heutigen Antisemtismus in Litauen. Die Litauer haben unter den Nazis einen großen Teil der Juden selbst umgebracht. Öffentlich diskutiert wird diese Vergangenheit kaum: "Zur Rechtfertigung der Taten dient die sogenannte 'Theorie des doppelten Genozids'. Sie besagt: Die Juden waren als Mitglieder des sowjetischen Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten der UdSSR (NKWD) an der tausendfachen Deportation von Litauern beteiligt, ihr späteres Schicksal ist dafür so etwas wie eine gerechte Strafe. Zahlen stützen diesen Rechtfertigungsversuch nicht... Das starke Wurzelwerk, aus dem 'jüdisch-bolschewistische' Verschwörungstheorien heute noch ihre Blüten treiben, reicht tief. Es lässt sich nicht leicht kappen."

Weitere Artikel:Wolfgang Sandner berichtet sehr angetan von Janaceks Oper "Jenufa" unter John Eliot Gardiner und Bob Swaim, mit der die Salzburger Festspiele eröffnet wurden : "So fein, so die melodiöse Struktur klangschön nachzeichnend, hat man Janaceks Meisterwerk selten einmal gehört, wobei Gardiner den Komponisten durchaus nicht zum undifferenzierten Belcantisten nivellierte." Andreas Rossmann schreibt über die drohende Verhunzung des Winzerdorfs Erpel am Rhein ? die Uferstraße am Rhein soll wegen zwei oder drei Tagen Hochwasser im Jahr erhöht werden und alle Ausblicke beschädigen. Martin Lhotzky stellt eine Internetadresse des Deutschen Filminstituts vor, in der die Filmzensur unter den Nazis dokumentiert wird. Werner Bloch porträtiert den koreanischen Künstler Ik-Joong Kang, der sich mit der Teilung seines Landes befasst und darum auch schon mal Ärger mit den Geheimdiensten bekommt. Christian Welzbacher beschreibt ein von den Architekten Petra und Paul Kahlfeldt vorbildlich erneuertes Bewag-Abspannwerks in Berlin. Lorenz Jäger schreibt zum Achtzigsten von Paul Watzlawick und Renate Schostack zum Tod der amerikanischen Schriftstellerin Eudora Welty.

Besprochen werden eine Retrospektive des Fotografen Alfred Ehrhardt in der Kunsthalle Bremen, Sibelius-Konzerte unter Esa Pekka Salonen beim Schleswig-Holstein-Festival, eine Ausstellung mit Arbeiten von George Grosz fürs Theater im Berliner Stadtmuseum und ein Petersburger Festival für Neue Musik.

Auf der Stilseite setzt sich Jürgen Dollase mit dem Düsseldorfer Dreisternekoch Jean-Claude Bourgueil auseinander, dessen Küche als "üppig und filigran" zugleich zu gelten hat.

FR, 25.07.2001

Der Historiker Erik K. Franzen schreibt über neue Bücher zur Vertreibung der Deutschen aus dem Sudetenland und Polen. Hier habe sich einiges getan: "Kein Geheimnis ist .. der Nachholbedarf in Sachen wissenschaftlicher Beschäftigung mit diesem Thema. Lange Zeit existierte nämlich außerhalb von Vertriebenenkreisen kaum eine entsprechende Nachfrage, was demzufolge zu einer Flut von zumeist schöngefärbter Erinnerungsliteratur und nicht wissenschaftlichen Standards genügender Abhandlungen geführt hat. Aber der Markt ist in Bewegung geraten, spätestens die Öffnung der Archive in Osteuropa und die Erkenntnis, dass die Erlebnisgeneration nicht mehr lange Auskunft geben kann, haben für eine kräftige Belebung auf der Angebotsseite gesorgt."

Simone Leinkauf erzählt die Geschichte von Jen Lissitzky, eines Enkels des Malers, der nach dem Mauerfall aus Russland ausreiste und die Kunstsammlung seiner Mutter mit Hilfe des Kölner Kunstfahnders Clemens Toussaint zusammensuchte ? die Mutter hatte die Sammlung einst als Leihgabe in Deutschland zurückgelassen: Die "erste Begegnung muss seltsam gewesen sein, denn Toussaint hielt Lissitzky zunächst für leicht verwirrt: 'Das war einfach absurd', erinnert sich der 40-Jährige, 'da stand ein mittelloser bärtiger Mann vor der Tür und hatte eine Liste von Bildern in der Hand, die jedes Museum für moderne Kunst gern sein eigen nennen würde. Und er behauptete, dass diese Bilder ihm gehören würden.' Doch Toussaint ließ sich überzeugen und die ersten Recherchen brachten schnell Erfolg: Ein Paul Klee von der Liste findet sich in München im Lenbachhaus, ein zweiter Klee in einem japanischen Privatmuseum, der Marcoussins im Museum Ludwig in Köln und der Kandinsky in der Privatsammlung von Ernst Beyeler in Basel." Jetzt liegt Lissitzky im Streit mit der Fondation Beyeler (nicht Beyerler!) um einen Kandinsky.

Weitere Artikel: Manfred Schneider fragt sich, was Nato-Generäle und Politiker wohl unter einem "robusten peace-keeping" verstehen. Ulrich Speck hat sich die überarbeitete Daueraustellung im Bonner Haus der Geschichte angesehen. Rüdiger Suchsland resümiert eine Tagung über Judentum und Kosmopolitismus im Schloss Elmau. Besprochen werden eine Ausstellung über den Architekten J. J. P. Oud in Rotterdam, Jim Jarmuschs (nicht Jarmush!) Film "Year of the Horse" über Neil Young und die "Jenufa" in Salzburg.

NZZ, 25.07.2001

Peter Nadas schreibt zum Tod von Miklos Meszöly, der als Mentor des Autors aber auch einer ganzen Generation von Schriftstellern wie Peter Esterhazy, György Konrad, Laszlo Krasznahorkai galt: "Durch seinen Tod ist keineswegs eine Epoche beendet. Als junger Mensch hatte er selbst eine Epoche eröffnet, wie das jeder bedeutende Künstler tut. Hinterlassen hat er ein riesiges Werk, mit dessen Elementen wir noch lange weiterarbeiten können. Seinen Tod wird er überleben."

Weitere Artikel: Gert Walden schreibt über den Umbau der Gasometer von Wien-Simmering durch Architekten wie Jean Nouvel, Coop Himmelblau, Manfred Wehdorn und Wilhelm Holzbauer. Hartwig Isernhagen schreibt zum Tod von Eudora Welty. Besprochen werden ein neues Solostück von Robert Lepage in London, "Jenufa" in Salzburg, die Sommerausstellung der Royal Academy of Arts in London und einige Bücher, darunter Aufsätze und Briefe des Historikers Marc Bloch. (Siehe unsere Bücherschau ab 14 Uhr.)

TAZ, 25.07.2001

Robert Misik denkt noch mal über die Proteste in Genua nach und findet, dass die "Straßengewalt nicht mehr Ideen von der 'Propaganda der Tat' anhängt, auch nicht autonomen Fantasien der Schaffung befreiter Zonen durch Straßenmilitanz, heutzutage wird die brennende Barrikade an ihrem PR-Wert gemessen, und darum sollte Gewalt, ginge es nach großen Teilen der Bewegung, bitte schön nur in Dosen verabreicht werden. Kräftig genug, um zur Schlagzeile zu taugen, mehr nicht. Das ist es, was von den Gewaltdebatten der Siebzigerjahre übrig blieb."


Weitere Artikel: Franka Potente spielt in dem Film "Blow" an der Seite von Johnny Depp - und Manfred Hermes findet, dass ihr " die Befreiung aus der Tykwer-Zange" gut tut. Besprochen werden außerdem die Ausstellung "Ich bin mein Auto" in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden und ein Buch von Eric Hobsbawm über Jazz.

Schließlich Tom.