Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.02.2004. Die SZ weiß, wann und wo man am besten Porsches kauft - bei Ebay. In der FR denkt Aleida Assmann über Leid und Schuld in der deutschen Erinnerung nach. Die NZZ schildert die größten Sorgen des irakischen Kulturministers Mufid al-Djazairi. Die FAZ plädiert gegen eine Umbenennung Preußens. Überall diskutiert man den Casus Kunkel.

SZ, 03.02.2004

In einem unterhaltsamen Artikel zeichnet Bernd Graff die Karriere des Internetauktionsforums eBay "von der Resterampe zum Luxusbasar" nach. "Porsches gehen immer dienstags am besten. So um die Mittagszeit. Schlafsofas und Biedermeierliches hingegen donnerstags, nicht vor 22.30 Uhr. 'Halten Sie sich an diese Zeit, und richten Sie Ihr Geschäft danach aus!', hat der Antiquitätenhändler Alex Schaffer geraten. Allerdings verwirren die neuen Verkaufs-Peaks erheblich. Ein vollbärtiger Herr im Trachtenjanker mault denn auch gleich: 'Dienstags, donnerstags - und dann noch unterschiedliche Zeiten. Gilt denn die goldene Regel: Verkäufe - immer sonntags, 19 bis 22 Uhr nicht mehr?'"

"Italien", stellt Henning Klüver fest, "scheint mehr und mehr von allen guten Geistern verlassen". Anlass für diesen neuerlichen Verdacht ist ein regelrechter Zweikampf um den Ausverkauf von Kulturgütern zwischen Kulturminister Urbani und seinem Finanzkollegen Tremonti, der am liebsten alles versilbern würde, was sich eben zu Geld machen lässt.

Weiteres: Hans Schifferle berichtet von Emigranten und Vigilanten auf dem Ophüls-Filmfest in Saarbrücken, Arno Orzessek resümiert auf einer Berliner Tagung über die Argumentationskraft von Bildern. Alexander Kissler stellt ein Projekt des Leipziger Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur vor, das sich mit dem lange vernachlässigten Thema der so genannten "Judenforschung" beschäftigte, die den Holocaust zu legitimieren geholfen habe. Nico Bleutge war in Tübingen dabei, als Andre Heller dort über Poetik dozierte - und "schlicht überrascht": "Heller entpuppt sich als unterhaltsamer Erzähler." Kristina Maidt-Zinke gratuliert dem Lyriker Johannes Kühn zum 70. Dass Dieter Bohlen jetzt auch lyrikfähig ist beweist ein Gedicht von Thomas Krüger. Und in der Zwischenzeit hadert Evelyn Roll mit ihrer Neigung zum Sozialdemokratenverteidigen.

G.K. beweint den Abriss des Remisengebäudes an der Alsterchaussee in Hamburg, in dem Dieter Roths "Schimmelmuseum" untergebracht war, skoh meldet Rückgabeforderungen der Malewitsch-Erben gegenüber dem Amsterdamer Stedelijk Museum. Und auf der Medienseite stellt Claudia Tieschky schließlich das neue, von Münchner Designern entworfene Outfit von Al-Dschasira vor.

Besprochen werden "Claus Peymanns triumphale Rückkehr nach Wien", der dort noch einmal seine Inszenierung des Bernhard-Stücks "Ritter, Dene, Voss" auf die Bühne brachte, die Jean-Genet-Vertonung "Les Negres" an der Oper Lyon, eine Ausstellung des amerikanischen Malers John Currin im Whitney Museum in New York, Rob Zombies Horrorfilm "Haus der 1000 Leichen", ein spektakulärer Unterwasserfilm der BBC, "Deep Blue", das "Lebenswerk" des Rotlicht-Rockers Achim Reichel, sein Album "100 Prozent Leben", und Bücher, darunter die Tagebücher von 1912 bis 1915 des jungen Carl Schmitt, ein Roman von Sabine Peters, eine Studie über Auslandsspionage der DDR, ein Standardwerk über den Krieg gegen die UdSSR und ein Hörbuch, auf dem Christian Brückner Ernest Hemingways "Fiesta" liest. (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr)

FR, 03.02.2004

In einem Essay denkt die Konstanzer Anglistin und Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann (mehr hier) anlässlich der Bücher und Sendungen über Vertreibung und Bombenkrieg über das nach ihrer Ansicht keineswegs durch eine prinzipielle Unvereinbarkeit gekennzeichnete Verhältnis von "Leid und Schuld in der deutschen Erinnerung" nach. So gebe es für "die Rückkehr von Erinnerungen, zumal für schmerzhafte, verstörende, beschämende, noch andere Rhythmen" als die eines auf Jahrestage fixierten Kalenders. "Traumatisierung und soziale Tabus hemmen über lange Strecken die Erinnerung und führen zu verspäteten Entladungen. Aber haben wir es hier mit einem Tabubruch zu tun? Ist die Schweigepflicht für eine Erfahrung, die über lange Zeit keine Chance hatte, zur Sprache zu kommen, endlich abgelaufen?"

"Gefühlte Literatur" nennt Ina Hartwig in ihrem Kommentar die Symptome der gegenwärtigen Verunsicherungen, mit denen sich das Verlagswesen herumschlägt. Zum vorläufigen Stopp für ein Buch bei Rowohlt schreibt sie: "Nur wenige kennen das Manuskript von Thor Kunkel, aber die Medien reagieren dennoch laut und gierig. Das Buch - als abwesendes - wird selber zu einem pornographischen Phantom. Denkbar, dass das Manuskript viel öder ist als das erregte Reden darüber. Vorerst aber gilt: Gefühlte Bücher sind eine - eine neue - Realität."

Weitere Artikel: Oliver Hoffman stellt das japanische Disaster Reduction Museum in Kobe vor, das (nicht nur) an das verheerende Erdbeben von 1995 erinnert. Dirk Fuhrig blickt auf die derzeit im Berliner Haus der Kulturen der Welt stattfindende Transmediale, Robert Kaltenbrunner versucht in einem längeren Artikel, die "neuerliche Hochhaus-Konjunktur" in Europa zu erklären (besonders interessieren ihn Entwürfe von Renzo Piano und Norman Foster in London), und in der Kolumne Times mager wundert sich Adam Olschewski über das lebhafte Wiener Kulturleben. Auf der Medienseite informiert Roman Arens über die Technik, mit der Italiens Staatssender RAI unter Berlusconi seine Nachrichten "bäckt": "Erst kommt dickes Brot: die Regierung, dann dünner Aufschnitt: die Opposition, danach wieder dickes Brot: die Regierungsmehrheit."

Besprochen werden die Ausstellung "Das große Fressen" in der Kunsthalle Bielfeld, eine Jubiläumsschau zu den Wiener Werkstätten im dortigen Museum für Angewandte Kunst, eine Inszenierung des neuen Stücks "Ariel" der irischen Dramatikerin Marina Carr an den Kammerspielen in Bonn-Bad Godesberg, und Richard Strauss' Oper "Salome" am Aalto-Theater in Essen.

NZZ, 03.02.2004

Mona Naggar berichtet vom Schauplatz Bagdad, wie irakische Künstler nach dem Sturz des Diktators neue Wege suchen. Das gilt auch für den Kulturminister Mufid al-Djazairi, der fürchtet, gerade sein Ressort könnte bei der Verteilung der Mittel zum Wiederaufbau des Irak übergangen werden: "Die Prioritäten sind angesichts der gegenwärtigen Lage im Land klar definiert: Sicherheit, Elektrizität, Gesundheit. Aber wie soll man ein demokratisches System ohne Kultur aufbauen? Zwei Generationen von Irakern sind praktisch Analphabeten. Wir müssen viel investieren, um das zu ändern", sagt al-Djazairi.

Weitere Artikel: Barbara von Reibnitz stellt das Kursbuch über "Die 30-Jährigen" vor. Michael Braun schreibt zum siebzigsten Geburtstag des Dichters Johannes Kühn. Besprochen werden die Doku-Tragödie "Capturing the Friedmans", eine Ausstellung der Fotografien von Bernd und Hilla Becher im K 21 und Bücher, darunter Soazig Aarons Tagebuch-Erzählung "Klaras NEIN" und Christoph Heins Roman "Landnahme" (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

TAZ, 03.02.2004

"Eine wird gewinnen", prophezeit Klaus Irler in seinem Artikel über sechzehn Städte, die sich an der Auswahl um die 2010 turnusmäßig wieder an Deutschland fallende Stelle als Kulturhauptstadt Europas beteiligen. Der "sportliche Ehrgeiz" dabei, zeigt Irler, schießt dabei gerne auch mal leicht "übers Ziel hinaus": "In Braunschweig beispielsweise wies das dortige Klinikum seine Mitarbeiter an, gegen späteren Freizeitausgleich Überstunden zu machen, um sich durch wiederholtes Anrufen an einer TED-Umfrage des NDR-Fernsehens zu beteiligen." So macht man also Kulturhauptstädte!

Eher gelassen kommentiert Gerrit Bartels den Stop von Thor Kunkels Roman "Endstufe" durch den Rowohlt-Verlag; "Ein 'Skandalbuch', das nun einen 'Skandal' auslöst, weil es nicht erscheint? Das darf bezweifelt werden. Dass sich Verlage und Autoren nicht einig sind und Bücher nicht erscheinen, gehört zum Geschäft, und auch, dass diese Bücher schon in Verlagsvorschauen auftauchen."

Weiteres: Ralf Niemczyk porträtiert das aufsteigende Popsternchen Yvonne Catterfeld (mehr hier), und Gunnar Lützow wundert sich ausführlich und bis zur Fassungslosigkeit über das angebliche Trendviertel Berlin-Friedrichshain. Durch Studien, argumentiert Mark Terkessidis auf der Meinungsseite, lasse sich ein in jüngster Zeit vermehrt diagnostizierter "grassierender islamischer Antisemitismus" nicht belegen. Stattdessen würden vielmehr "antisemitische Stereotype" auf Muslime übertragen. Und auf der Medienseite informiert Ralf Sotscheck über den Fortgang der BBC-Affäre um den zurückgetretenen Generaldirektor Greg Dyke. Besprochen wird der dritte Band der Schriften und Reden von Michel Foucault. (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Und hier Tom.

FAZ, 03.02.2004

Mit einem "Gefühl der Scham" kommentiert Frank Schirrmacher auf der ersten Seite den Vorschlag, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Stiftung Nationaler Kulturbesitz umzubenennen, Preußen also ein weiteres Mal untergehen zu lassen. "Es geht, was der Stiftungspräsident Lehmann wissen müsste, nicht um die Frage, was wir uns aussuchen und unter neuem Namen ausstellen können. Es geht einzig um die Frage, wie wir mit unserem Erbe umgehen, um die Frage also, ob wir Geschichte umlügen, weil die Haushaltskassen, die oft selber ganz und gar geschichtslosen Bundesländer und unsere Bequemlichkeit es uns so eingeben. Preußen hat das nicht verdient, unsere Nachkommen aber auch nicht. Sonst beginnt eines Tages deutsche Geschichte mit dem 'Wunder von Bern'."

Weitere Artikel: Der Jurist und Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis (mehr hier) bezweifelt, dass die Gesundheitsreform in Karlsruhe Bestand haben wird, seiner Ansicht nach diskriminiert sie die Homöopathie. Martin Kämpchen berichtet aus Kalkutta vom Dover Lane Musikfestival, bei dem sich alljährlich die Elite der indischen Sitar-, Tabla- und Fötenspieler zum drei Nächte langen Konzertmarathon trifft. Thomas Wagner beschreibt, wie Roger M. Buergel, frisch gekürter Leiter der Documenta 12, in Lüneburg die Veränderungen der Herrschaftsstrukturen untersuchen lässt. Ein abwechslungsreiches Theaterwochenende hat Mark Siemons im Berliner Hebbel am Ufer (HAU) verbracht. Mehr als hundert freie Theatergruppen sind dort aufgetreten, die allesamt keine Kunst, sondern Realität im Programm hatten. Jochen Hieber gratuliert dem Lyriker Johannes Kühn zum Siebzigsten, Hans-Dieter Seidel schickt Glückwünsche an Regisseur Otar Iosseliani (mehr hier), der ebenfalls siebzig wird.

Andrea Schuhmacher erzählt, wie die USA während des Zweiten Weltkriegs die deutschen Staatsbürger in Lateinamerika verfolgen ließ, darunter auch viele Flüchtlinge. Petra Kolonko zeichnet ein kurzes Porträt des chinesischen Theaterregisseurs Lin Zhaohua, der gerade in einer aufsehenerregenden Inszenierung das klassische, aber blutige Drama "Der Waise der Familie Zhao" in Peking auf die Bühne gebracht hat. Und Andreas Rossmann klärt uns über den Streit um den Kreuzaltar des Basken Eduardo Chilida in Köln auf.

Für die "Bücher und Themen"-Seite stellt Steffen Richter Bücher von Thomas Pynchon, Gerhard Seyfried, Uwe Timm, Stephan Wackwitz und anderen zum Mord an den Herero vor einhundert Jahren vor. Auf der Medienseite feiert Karl-Peter Schwarz die Rückkehr der Serie "Das Krankenhaus am Rande der Stadt" ins tschechische Fernsehen (das einst auf höhere Einschaltquoten als "Dallas" kam).

Besprochen werden Friederike Hellers Inszenierung von Victor Pelewins Roman "Generation P" für das Deutsche Theater in Berlin, der dänische Kinderfilm "Hodder rettet die Welt", Martin Gypkens Film "Wir", und Bücher, darunter M. Blechers "Aus der unmittelbaren Wirklichkeit" und Hjens Rehns Roman "Nichts in Sicht!" (siehe auch unsere Bücherschau ab 14 Uhr).