Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.09.2004. In der Welt erzählt der Dirigent Christoph von Dohnanyi, wie er seinem Bruder Klaus mal einen kulturpolitischen Tipp gab. Die FR besucht das Salzburger Museum der Moderne. Die taz gibt "The Libertines" verloren. Die NZZ präsentiert einen konservativen Punk für Bush. Die FAZ schreibt lieber dreckig.

Welt, 03.09.2004

In der Welt unterhält sich Kai Luehrs-Kaiser mit dem Dirigenten Christoph von Dohnanyi, der nach langer Zeit in Cleveland nach Hamburg zurückkehrt.

Er gibt den Politikern einen Tipp: "Als mein Bruder in Hamburg Bürgermeister war, habe ich ihm gesagt: 'Nimm die Kultur als eine Katastrophe. Für Katastrophen ist immer Geld da.'"

TAZ, 03.09.2004

Harald Peters bespricht die allenthalben gefeierte neue Platte der für ihre Drogenexzesse bekannt gewordenen Band "The Libertines": "Es ist das letzte Lebenszeichen einer Band, die unausweichlich zerfällt und mit allen Mitteln gegen den Zerfall kämpft, obwohl sie ahnt, dass der Kampf längst verloren ist."

Weitere Artikel in einem sehr schmalen Feuilleton: Pamela Jahn bespricht eine Londoner Ausstellung (mehr hier) des Titeldesigners Saul Bass, der die Filmtitelei in den fünfziger Jahren zur Kunst machte. Cristina Nord hat in Venedig Nino Pagots Zeichentrickfilm "Die Gebrüder Dynamit" und Francois Ozons "5 x 2" gesehen. Auf der Meinungsseite will der Politologe Ernst-Otto Czempiel im Gespräch mit Eric Chauvistre die Kritik an Gerhard Schröders Tschetschenien-Äußerungen nicht teilen ("Diese Kritik, wie sie jetzt gegenüber Putin geäußert wird, hätte ich .. auch gerne einmal mit Bezug auf die Politik der Amerikaner im Irak und auf die Politik der Likud-Regierung in Israel gehört. Dort haben wir ja dasselbe Phänomen vor uns: Befreundete Regierungen betreiben eine Politik, die den Terror nährt.") Und in tazzwei bespricht Susanne Lang den neuen Ikea-Katalog.

Und hier Tom.

FR, 03.09.2004

Demnächst wird in Salzburg ein Museum der Moderne (mehr hier) eröffnet, berichtet Oliver Herwig. Die Münchner Klaus Friedrich, Stefan Hoff und Stefan Zwink sorgten mit ihrem Entwurf für Streit, gerade weil er so schlicht war. "Heute erscheint das Haus wie ein unerhofftes Geschenk, ein Ausbruch aus dem Zwang zur Größe, der Kulissenarchitektur. Das Museum gibt nichts vor, will nicht schmeicheln hinter seinen Steinfassaden oder mehr sein als ein gutes Ausstellungshaus, und genau das funktioniert."

Weitere Artikel: In Times mager kommentiert Hilal Sezgin die nicht enden wollende Flut der Terrorbilder ("Man meint, mehr Mitgefühl empfinden zu sollen, doch man fühlt sich steinern, und man will es nicht mehr sehen.") Andreas Eckert, Professor für die Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg, fürchtet, dass der "nassforsch-dirigistische Politikstil" mit dem an der Hamburger Uni die Geisteswissenschaften wegrationalisiert werden sollen, Schule machen könnte. Auf der Medienseite versucht Knut Pries, die Folgen des Caroline-Urteils zu ermessen.

Besprochen werden Mike Kelleys Austellung über "Das Unheimliche" in Wien, der Film "Silent Waters" der pakistanischen Regisseurin Sabiha Sumar, eine neue CD von Jonathan Richman und eine Berliner Ausstellung polnischer Plakate von 1939 bis 2004 (mehr hier).

NZZ, 03.09.2004

Auf der Medienseite stellt "snu" Nick Rizzuto vor, den Betreiber des Weblogs Conservative Punk: "Auf dem rechten Oberschenkel brannte er sich das Logo der New Yorker Punkband Bouncing Souls ein. Die schwarze Bomberjacke, der Ring im Ohrläppchen und nicht zuletzt Rizzutos bissiger Gesichtsausdruck scheinen das Bild des linksorientierten Rebellen zu vervollständigen. Doch beim Ablegen der kettenbehangenen Lederjacke wird sein Credo offenbart. Rizzutos Unterarme zeigen die mit schwarzem Filzstift aufgetragene Direktive: Fight Terrorism, Vote for Bush." Ulrich Saxer räsoniert über die "Systemüberforderung" der Medien. Besonders die überzogenen Anforderungen an die "Allwettertauglichkeit" des Medienpersonals erregen sein Mißfallen. "ras" begrüßt die Wiederbelebung des Medienjournalismus in Form des Hamburger Magazins "Cover".

Im Feuilleton sorgt sich Jürgen Tietz um die Prager Straße in Dresden, "ein Meisterwerk der sozialistischen Stadtbaukunst", das in argen Verfall geraten ist. Flora Veit-Wild besuchte die Buchmesse in Harare, die nicht nur durch "effiziente Organisation" glänzt, sondern sich auch gegen den "massiven Druck" des Mugabe-Regimes stemmt und unabhängigen Initiativen ein Podium bietet. Gemeldet wird, dass Gijs van Tuyl zum Direktor des Stedelijk Museums berufen wurde.

Besprochen werden Aufführungen von Werken des Komponisten Harrison Birtwistle beim Lucerne Festival, die Ausstellung "Gegen den Strich" in der Kunsthalle Baden-Baden sowie das Buch "Die Schönheit der Patina", ein Sammelband mit Architektur-Essays.

Auf der Film-Seite macht sich Matthias von Gunten, Präsident des Schweizer Filmverbands Regie, Gedanken über staatliche Film-Förderung in der Schweiz. Für seinen Geschmack kreist die Debatte zuviel um "Geld, Strukturen, Machenschaften", aber zuwenig um den Film: "Es ist, als ob mit dem wachsenden Erfolgsdruck und der daraus hervorgegangenen Verbannung des Autorenfilms sowie mit dem zunehmenden 'Konfektionsdruck' der Fernsehanstalten den Filmemachern der Zugang zu ihrer wichtigsten Inspirationsquelle, der eigenen Leidenschaft und Faszination, erschwert wird."

Film-Besprechungen widmen sich Nick Cassavetes Liebes-Film "The Notebook", Pepe Danquarts Sport-Doku "Höllentour", dem Film "Wenn der Richtige kommt" von Oliver Paulus und Stefan Hillebrand, M. Night Shyamalans Gruselfilm "The Village" und dem Film "Les choristes" von Christophe Barratier.

SZ, 03.09.2004

Auf der Medienseite kommentiert Hans Leyendecker das "Caroline"-Urteil: "Pressefreiheit wird in diesen Tagen auf vielerlei Weise bedroht: Anzeigenkunden versuchen, Druck auf Medien auszuüben, um eine freundliche Berichterstattung zu erreichen oder kritische Berichterstattung zu bestrafen. Journalisten, die Behördeninterna ans Tageslicht bringen, bekommen immer häufiger Besuch von Ermittlern, weil sie sich angeblich der Beihilfe oder gar der Anstiftung zum Verrat von Dienstgeheimnissen schuldig gemacht haben sollen. Das "Caroline-Urteil" aus Straßburg allerdings, das in diesen Tagen von einer großen Koalition der Verlage und Sender als Generalangriff auf die Pressefreiheit interpretiert wird, ist im Vergleich dazu ein Nichts: Recherchierende Journalisten berührt es nicht. Es ist ein Urteil gegen Paparazzi und trifft die Verlage, die Geld mit gelben Blättern machen oder sich im Boulevardjournalismus tummeln."

"Der Musikmarkt scheint nach einer endlosen Phase kommerzieller und technischer Umwälzungen für die nähere Zukunft wieder überschaubar", stellt Dirk Peitz in einem Ausblick auf künftige Entwicklungen der Branche fest, größere ästhetische Revolutionen werden ausbleiben. Schlimmerungen drohen höchstens von einer anderen Seite: "Ende des Monats startet im britischen Fernsehsender ITV die erste Ringtone-Chartssendung".

Der Wirtschaftswissenschaftler Gert G. Wagner erklärt, warum es Manager mit niedrigen Gehältern besser geht: "In gewisser Weise leiden Top-Verdiener unter ihrem Einkommen. Sie haben nämlich nicht genügend Zeit, um es auszugeben. Dies ist keine Stammtisch-Erkenntnis, sondern das Ergebnis einer methodisch seriösen und repräsentativen Untersuchung des amerikanischen Arbeitsökonomen Dan Hamermesh."

Regisseur Jacques Rivette erzählt Wilfried Reichart von seinem neuem Film "Marie und Julien": "Es geht ganz konkret um Revenanten - was der japanischen Vorstellungswelt sehr nahe ist: Wesen, die aus einem anderen Reich kommen, der Liebe durchaus fähig, daran gehindert, wieder zurückzukehren." Thomas Steinfeld beleuchtet die Gesetze des modernen Thrillers: "Die Geisterbahnen, durch die sie ihre Leser schickt, sind nicht auf den Schrecken angelegt, sondern auf Beruhigung." Stefan Koldehoff berichtet, dass die SPD in der Stadt Hagen das geplante Emil-Schumacher-Museum der hartzigen Stimmung im Land geopfert hat: 25 Millionen Euro für ein neues Museum seien "dem Wähler im Moment nicht vermittelbar". Dieter Borchmeyer gratuliert dem Schiller-Forscher Walter Hinderer zum siebzigsten Geburtstag.

Auf den Filmfestspielen Venedig hat sich Rainer Gansera Francois Ozons "5x2" ("ein Paukenschlag, ein Meisterwerk"!), Jonathan Demmes "The Manchurian Candidate" und Edgar Reitz" dritten Heimat-Zyklus angesehen. Harald Eggebrecht hat eine Menge sportlichen Ehrgeiz beim Casals-Cello-Wettbewerb in Kronberg und Frankfurt erlebt: "Auch abgesehen vom Wettbewerb wollen die meisten schnell, laut, sozusagen rekordverdächtig spielen."

Besprochen werden die Schau "The Age of Titian" in Edinburgh und Bücher, darunter eine neue Werkausgabe des Dichters Christian Wagner und Sophie Dannenbergs Roman "Das bleiche Herz der Revolution" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Weitere Medien, 03.09.2004

Die New York Times feiert 350 Jahre Juden in Amerika: "In a way, catching a ride is how it all began. Fleeing the threat of Portuguese violence, 23 Jewish refugees boarded the Sainte Catherine, a ship that was setting sail for New Amsterdam. They arrived in the Dutch colony almost exactly 350 years ago on Sept. 12, 1654. They were hardly welcomed with open arms, at least not by the governor, Peter Stuyvesant, who tried to expel these 'blasphemers of the name of Christ.' But enough of his superiors in the Dutch West India Company thought otherwise: the Jews were allowed to stay, becoming the founding members of what would grow into the North American Jewish community."
Stichwörter: Stuyvesant, Peter

FAZ, 03.09.2004

Karol Sauerland berichtet über die polnische Journalisten Anna Bikont, die drei Jahre lang recherchiert hat, wie die Einwohner von Jedwabne "mit dem 10. Juli 1941 umgehen, an dem so gut wie alle jüdischen Einwohner von ihren Nachbarn ermordet wurden". Das Ergebnis ihrer Recherchen hat Bikont jetzt in einem vierhundertseitigen Tagebuch veröffentlicht - Abgründe tun sich auf, meint Sauerland. "Im Grunde möchte Anna Bikont Menschen um sich sammeln, die bereit sind, durch offene Auseinandersetzung eine Atmosphäre zu schaffen, in der man einerseits seiner Trauer Ausdruck verleiht, dass es die jüdischen Nachbarn nicht mehr gibt, und andererseits jeden Antisemitismus verurteilt. Aber es gelingt ihr nicht."

Weitere Artikel: "Wir schreiben lieber dreckig", verkündet Patrick Bahners für die FAZ zum Caroline-Gerichtsurteil. Im Gegensatz zu Hans Leyendecker in der SZ will Bahners keinen Unterschied machen zwischen investigativen Journalisten und den Paparazzis der Boulevardpresse. Statt dessen schlägt er Prinzessin Caroline vor, einfach "kein Prinzessinnenleben" mehr zu führen: "Erschiene sie nicht mehr bei Hofe, wäre sie auch auf dem Markt Privatperson." Regina Mönch stellt den sächsischen PDS-Politiker Peter Porsch vor, der angekündigt hat, künftig jeden gerichtlich verfolgen zu lassen, der "gewisse Gerüchte" verbreitet, etwa dass Porsch in der DDR Freunde bei der Stasi denunziert habe. Andreas Kilb kürt am zweiten Tag der Filmfestspiele von Venedig schon seine Lieblingsschauspielerin: Valeria Bruni-Tedeschi, die in Francois Ozons Film "5 x 2" "auf fast magnetische Art bei sich ist". Frank Pergande denkt anlässlich einer Ausstellung Caspar David Friedrichs in Greifswald über den Wert einer veritablen Depression nach.

Auf der letzten Seite porträtiert Esther Kilchmann den Schriftsteller Peter Weber, der heute abend in Bergen-Enkheim als neuer Stadtschreiber einzieht. Niklas Maak schildert den Niedergang des Tempodroms, einer Institution der Westberliner Alternativszene. Und Oliver Tolmein meldet eine neue Runde im Fall Terri Schiavo.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Zimmeraquarellen aus Schlössern im Museum Schloss Fasanerie, eine Ausstellung von Carl-Heinz Kliemann im Berliner Ephraim-Palais, der pakistanische Film "Silent Waters" von Sabiha Sumar und Sachbücher (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).