Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
22.09.2004. Die FAZ fällt nach einem ersten Rundgang durch die Ausstellung der Flick-Sammlung ein strenges Urteil über den Sammler. Auch die anderen Zeitungen finden die Sammlung zugleich beeindruckend und irgendwie profillos.Die NZZ fragt: Was lernen wir in einem Film über das Ende eines blutigen Vegetarier? In der SZ sieht der Politologe Franz Walter die Erfoge der Rechtsradikalen als Quittung für Hartz IV.

FAZ, 22.09.2004

Am Ende eines ersten Rundgangs durch die gerade eröffnete Ausstellung der Flick-Sammlung in Berlin fällt Thomas Wagner ein strenges Urteil über den Sammler: "Bezieht man die in der 'Collection' vereinte Kunst dann deutlicher, als man das gewöhnlich tun würde, auf den Sammler, so fällt doch auf, dass Friedrich Christian Flick zwar viele raumgreifende und bedeutende Werke angekauft hat, dass er selbst als exemplarischer Betrachter freilich nirgends fassbar wird. Er operiert lediglich mit einer abstrakten Form von Bedeutsamkeit - mit großen Werken großer Künstler in großer Zahl. Flick hält sich an die symbolische Ordnung der Kunst, auf deren Freiheit er mit Recht pocht. Doch er versteht sich nur wenig auf Gesten, die ihn als Person näher an die Schrecken der Vergangenheit heranführen würden, deren Widerschein in der Kunst zu suchen er vorgibt." Heinrich Wefing porträtiert in einem dazugehörigen Artikel die ehemalige Flick-Zwangsarbeiterin Eva Fahidi-Pusztai, die leider nicht zur Eröffnung der Ausstellung eingeladen wurde.

Weitere Artikel: Jürg Altwegg erzählt in der Leitglosse die traurige Geschichte des französischen Regisseurs Claude Lelouch, der die Negative seiner alten Filme verpfänden musste, um seinen neuen Film "Les parisiens" zu drehen, welcher sich nun leider Gottes als totaler Flop herausstellt. Hussain Al-Mozany berichtet im Vorfeld der Buchmesse über Zensur durch islamische Kräfte in Ägypten und durch katholische Würdenträger im Libanon. Wiebke Huester gratuliert der Tänzerin Birgit Keil zum Sechzigsten. Andreas Obst schreibt ein begeistertes kleines Porträt der venezolanischen Pianistin Gabriela Montero, die ein Chopin-Nocturne "zart wie ein Spitzennachthemd" spielt und dann noch darüber improvisiert. Sara Hakemi hat einem Symposion des Hamburger Instituts für Sozialforschung über die RAF zugehört

Auf der Medienseite wendet sich Dorothee Bölke, ehemalige Justitiarin des Spiegels gegen das Caroline-Urteil. Jordan Mejias berichtet, dass sich der Sender CBS bei George W. Bush wegen Fehlinformationen über sein Vorleben entschuldigen muss. Und Michael Hanfeld hat das Kleingedruckte im jüngsten Gebührenentschluss gelesen und entdeckt, das man ab 2007 für Computer mit Internetanschluss Rundfunkgebühren zahlen soll - und das zum Beispiel auch am Arbeitsplatz. Auf der letzten Seite werden einige Titel von in Weimar verbrannten Büchern genannt.

Besprochen werden Michael Manns Film "Collateral" (mehr hier) mit Tom Cruise, ein Konzert Robin Gibbs in Frankfurt, eine Festival mit dem Titel "Experiment Geschwindigkeit" in Göttingen, eine Ausstellung des Jugendstilzeichners Alastairs in der Moritzburg in Halle und Armin Petras' Stück "Alkestis" in Leipzig.

TAZ, 22.09.2004

Die Tagesthemenseiten sind heute fast ausschließlich der Flick-Sammlung gewidmet. Brgitte Werneburg ist nach einem ersten Rundgang zwiespältig: Einerseits führt die Ausstellung "nun den Hamburger Bahnhof in Berlin tatsächlich einen gewaltigen Schritt näher an jene Gegenwartskunst heran, die das Museum in seinem Titel trägt. Das ist die gute Nachricht.... Die schlechte Nachricht lautet: von einer sicheren Ausstellung in die andere. Kaum endete das MoMA mit seinem Kuratieren nach Postkarten, wie Michael Kimmelman von der New York Times in seiner Kritik Warhols Malen nach Zahlen variierte, findet man sich schon in der nächsten Ausstellung einwandfreie Kunst wieder. Nach dem Kanon der Moderne nun also der der Gegenwart. Nichts scheint hier zu fehlen, was gut, teuer und weitgehend durchgesetzt ist - nur eben die paar Risikokandidaten, die Leben in das wohlsortierte Haus brächten. Doch die sind nicht zu sehen. Bislang jedenfalls."

Der Historiker Harald Welzer stellt im Gespräch fest, dass Flick auch "auch Unvernünftigeres hätte tun können, als Kunst zu kaufen". Philipp Gessler porträtiert zwei Zwangsarbeiterinnen, die die schweren Grundsteine für Flicks Vermögen zu schleppen hatten.

Mit einem "architektonischen Paukenschlag" ist, wie Michael Streck berichtet, in Washington soeben das National Museum of the American Indian (Website) eröffnet worden: "Zwischen dem Sitz des Parlaments im Kapitol und den neoklassizistischen Gebäuden auf der Museumsmeile ragt plötzlich ein riesiger Fels hervor. Die geschwungene und gefurchte Fassade aus hellbraunem Kalkstein erinnert an einen massiven, durch Wind und Wasser erodierten Gesteinsblock in der Wüste Arizonas. Architekt Douglas Cardinal, ein Indianer aus Kanada, nennt den Bau einen 'spirituellen Berg'. Um ihn herum fließt ein künstlicher Fluss. Er bildet die Barriere zu einer nachgebildeten Landschaft der Hauptstadtregion, wie sie zur Zeit der ersten Besiedlung im 17. Jahrhundert ausgesehen haben muss - eine Mischung aus Sumpf und Wald. Die Kritiker sind begeistert. Der Bau sei 'erfrischend schockierend', schreibt die Washington Post."

Weitere Artikel: Gisa Funck denkt über all die überflüssigen Autobiografien Prominenter nach. Kathrin Bettina Müller war in Sachen Theater im Osten unterwegs: Armin Petras' Leipziger "Alkestis"-Version hat sie überzeugt, Anna Badoras Dresdener Inszenierung von Christoph Heins "Landnahme" dagegen nicht.

Die Tagesthemenseiten sind heute fast ausschließlich Flick gewidmet:

Schließlich Tom.

FR, 22.09.2004

Christian Thomas kommentiert noch einmal die Entlassung des Buchmessen-Chefs Volker Neumann und stellt sie in einen größeren Zusammenhang: "Die ökonomische Eingemeindung der Buchmesse ist Teil einer Ökonomisierung der (regionalen, nationalen und internationalen) Städtekonkurrenz, in der die Kommunen zuletzt verstärkt die Rolle des klassischen Unternehmers übernommen haben. Der Generalnenner des heutigen Städtewettbewerbs bemisst sich am Grad der Aufmerksamkeit für seine Event-Installationen, angefangen von den temporären Highlights einer Europäischen Kulturhauptstadt bis hin zu den ständig wiederkehrenden Verpflichtungen, mit Messe, Filmbiennale oder der Candlelightnight in Downtown zur Sommersonnenwende."

Weitere Artikel: Von der Eröffnung der Flick-Collection berichtet Thomas Medicus. Vor allem eine Rede hat ihm gefallen: "Um die Veränderungen dieser Landschaft zu registrieren, bedarf es einer unideologischen, sensiblen Wahrnehmung. Kulturstaatsministerin Christina Weiss setzte mit ihrem Redebeitrag in dieser Hinsicht Maßstäbe. Endlich war da einmal jemand, der im aufgeregten Pro und Contra, im manichäischen Schwarz und Weiß der vergangenen Wochen Zwischentöne fand und leise mahnend über Hand nehmender Selbstgerechtigkeit Einhalt gebot." In Times mager informiert Stephan Hilpold um den in Österreich tobenden Streit um den Literaturkanon mit dem leicht missverständlichen Namen "Austrokoffer". Besprochen werden fünf neue Schiller-Biografien (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

NZZ, 22.09.2004

Was lernt man aus dem Film "Der Untergang"? Nichts, findet Martin Meyer: "Das kapitale Missverhältnis zwischen der Welt aus Blut und Tod, die Hitler hinterließ, und dem Urheber der Hinterlassenschaft, der im Kammerspiel den Vegetarier gibt, macht ein solcher Spielfilm gerade nicht transparent."

Weiteres: Ein kurzer Text resümiert den Schaden, der beim Brand in der Anna-Amalia-Bibliothek entstanden ist. Und Michael Braun hat"eine aufschlussreiche Konfrontation der lyrischen Extreme" beim Internationalen Lyrikfestival in Basel beobachtet.

Besprochen werden die Ausstellung der Flick-Sammlung in Berlin, Verdis "Otello" in St. Gallen und in Genf und Bücher, darunter Rafael Chirbes Roman "Alte Freunde" und ein Lexikon zur Geschichte Südosteuropas (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

SZ, 22.09.2004

In Berlin hat der Bundeskanzler gestern die Flick-Collection eröffnet: Holger Liebs hat "Kunstwerke von weltweit erstklassigem Rang" gesehen und stellt fest: "... für den Hamburger Bahnhof wäre diese Sammlung ein Segen. Wenn sie denn da bliebe. Eine Seele, ein monomanisches Sammler-Profil besitzt sie nicht. Berlin würde sie dennoch bereichern."

Der Politikwissenschaftler Franz Walter sieht die Erklärung für die politischen Erfolge der Extremen ganz einfach darin, dass die im Bundestag vertretenen Parteien eine Grundregel der Demokratie vergessen haben, nämlich den Widerspruch: "Weit über die Hälfte der Deutschen hat, wie wir laufend aus unzähligen Befragungen erfahren, Einwände gegen eine rein markt- und rentabilitätsorientierte Revision der überlieferten sozialen Sicherungssysteme. Das mag konservativ begründet sein, sozialsentimental, linksprogressiv, christlich-nächstenliebend oder einfach nur dumpf sicherheitsorientiert. Es ist jedenfalls eine legitime Grundmentalität, die in einigen Ländern dieser Welt nicht ohne Erfolg zu eher etatistischen, transferorientierten Lösungen wohlfahrtlicher Aufgaben geführt hat. Aber in Deutschland hat diese Mentalität im Bundestag keine Repräsentanz mehr."

Weitere Artikel: Burkhard Müller berichtet von der gestrigen Montagsdemonstration in Chemnitz, die ihn etwas ratlos gelassen hat: "Woran das Publikum tief in seinem Herzen glaubte, ließ es sich nicht anmerken." Eine Schadensbilanz in Sachen Anna-Amalia-Bibliothek zieht Lothar Müller. Auf der Literaturseite äußert sich Rainer Brandt zu Dieter Henrichs von der SZ bereits besprochener "epochaler" Studie "Grundlegung aus dem Ich". Rezensiert wird zudem die erste deutsche Übersetzung von Gedichten des mexikanischen Lyrikers Carlos Pellicer (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

Zu Michael Manns Film "Collateral" gibt es eine Besprechung und ein Interview mit dem Regisseur. Auf der Schallplattenseite berichtet Ingo Petz von HipHop aus NeuseelandPhil Manzanera wird zu seiner neuen CD befragt, die an alte Soloprojekte anknüpft. Besprochen wird unter anderem Neues von Nick CaveR.L. Burnside und den Go-Betweens.