Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
01.08.2006. Wir bitte um Pardon für die Verspätung! Ein kaputtes Stromaggregat hat uns nägelkauend vor dem toten Redaktionssystem sitzen lassen. Jetzt aber: die Feuilletons von heute. In der Welt erklärt Marek Halter, warum er vor der iranischen Atombombe keine Angst hat. In der SZ erklärt Avi Primor, warum die Hassreden Ahmadinedschads gegen Israel eher die Araber nervös machen sollten. In der FR erklärt der Jurist Knut Ipsen die völkerrechtliche Situation im Libanon. In Spiegel online macht Zeruya Shalev die Hisbollah verantwortlich für die Toten von Kana. Die taz klagt über ein "gleichgeschaltetes" Salzburg. Die FAZ beobachtet, wie die katholische Vergebungslehre in die hohe Politik Italiens einzieht.

Welt, 01.08.2006

Der Holocaust-Überlebende und Schriftsteller Marek Halter, Befürworter von Friedensverhandlungen im Nahen Osten, erklärt, warum ihm im Moment so mulmig ist: "Andrei Sacharow hat zu mir gesagt, der Besitz der Atombombe sorgt dafür, dass die darüber Verfügenden mehr Verantwortung entwickeln. Die iranische Atombombe macht mir keine Angst. Vor nicht so langer Zeit wurden in Ruanda eine Million Menschen mit Macheten ermordet! In Darfur werden Hunderttausende mit Gewehren oder Stöcken getötet oder vertrieben. Angst habe ich aber vor dem erklärten Willen des Präsidenten der iranischen Republik, den Staat Israel zu zerstören. Ich gehöre einer Generation an, die schmerzlich erleben musste, was es heißt, den Äußerungen der Politiker zu glauben. Vor allem dann, wenn sie das Schlimmste ankündigen und die Massen ihnen zu folgen scheinen. Wenn also Mahmud Ahmadinedschad vor den Kameras der ganzen Welt die Israelis dazu auffordert, die Koffer zu packen, sonst würde man sie ausrotten, dann glaube ich ihm. Ich glaube ihm um so mehr, als er sich die Möglichkeit geschaffen hat, sein Ziel zu erreichen, vor allem dank seiner 'Fremdenlegion', die an der Nordgrenze von Israel Position bezogen hat, der Hisbollah."

Weiteres: Wieland Freund bläst die Fanfaren für die 21. Auflage des Brockhaus, die mit den Bänden 25 (SHER - STAK) bis 30 (WIET - ZZ Top) im September komplettiert wird. In Rindsledervlies mit Kopfgoldschnitt, inklusive DVD und online. Peter Claus bereitet uns auf das heute beginnende Filmfestival in Locarno vor. Als einen der bizarrsten, aber kühlsten Festivalorte empfiehlt Kai Luehrs-Kaiser das Bebersee-Festival, zwei Bahnstationen hinter Wandlitz, im ehemaligen Flughafen von Groß-Dölln. Sven Felix Kellerhoff hat die Ausstellung "Mythos Troja" in München besucht. Hendrik Werner meldet, dass sich Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad nun auch der Reinheit der persischen Sprache verschrieben hat. Und Peter Dittmar erinnert an Siegfried Genthe, der vor gut hundert Jahren als erster deutscher Journalist nach Korea reiste.

TAZ, 01.08.2006

Besonders glücklich ist Frieder Reininghaus in der ersten Woche der Salzburger Festspiele nicht geworden: Die Musiktheatergeschichte muss nicht umgeschrieben werden: Nicht einmal von Christoph Schlingensiefs Einlagen erhofft sich Reininghaus viel: "'Chickenballs. Der Hodenpark' bleibt die trostlose alternative Verheißung im ansonsten gleichgeschalteten Salzburg. Das müsste nicht unbedingt eine Zumutung sein. Aber es schickt sich in diesem Jahr an, eine zu werden. So oder so."

Im Interview mit Alfred Hackensberger erklärt der libanesische Schriftsteller Hassan Daoud den Hisbollah-Chef Hassan Nassrallah schon jetzt zum Sieger der kriegerischen Auseinandersetzungen: "Nasrallah ist jetzt schon ein Held. In der ganzen arabischen Welt gehen die Menschen für ihn und die Hisbollah auf die Straße. Er hat ein bisschen von dem, was den ägyptischen Präsidenten Abdel-Nasser in den 50er- und 60er-Jahren auszeichnete."

Weiteres: Isolde Charim stellt fest, dass nicht nur theokratische Herrschaft, sondern auch die rational begründete Demokratie vom Glauben zusammengehalten wird: "Ein Glaube, der sich selbst nicht als solcher weiß, aber dadurch wirkt, dass er den Institutionen der Demokratie jene Bedeutung verleiht, die die Individuen zu deren Anerkennung bringt." Katrin Bettina Müller versucht, der "verpatzten Saison" in Bayreuth etwas Positivies abzugewinnen: "Endlich ist Platz für die Sänger."

In der tazzwei spricht Farid Gardzi mit Steve Blame, dem früheren Nachrichtenmoderator von MTV (sic!), über den Absturz des Senders zum Spartenkanal für Trash und Klingeltöne. Karim El-Gawhary erkundet die spärlichen Überreste des Beiruter Nachtlebens. Auf der Medienseite berichtet Hannah Pilarczyk, dass Springer mit seinen beiden Blättern Fakt und Dziennik auf einen Marktanteil von 44 Prozent in Polen kommt.

Und noch Tom.

FR, 01.08.2006

Verstößt Israel mit der Bombardierung des Libanon gegen das Völkerrecht? Der Jurist Knut Ipsen, Mitglied des Ständigen Schiedsgerichtshofes in Den Haag, ist der Ansicht, dass Israel im Libanon "das unzweifelhaft anzuwendende Kriegsvölkerrecht nicht durchgehend in der gebotenen Weise beachtet. Wer Israels Völkerrechtsverstöße gegen den Libanon feststellt, muss allerdings auch zugleich festhalten, dass der Libanon mit der Hisbollah eine Organisation beherbergt, die sich ausdrücklich außerhalb des Völkerrechts stellt. Die Forderung nach Vernichtung eines anderen Staates mitsamt seiner Bevölkerung, Geiselnahmen mit Erpressung, flächenwirkende Raketenüberfälle auf zivile Wohnstätten: Dies alles sind Aktionen, die, würde ein Staat sie vornehmen, zu schwersten Völkerrechtsverletzungen zählen würden." Da der Libanon die Angriffe der Hisbollah nicht unterbinde, müsse er sich deren Gewaltanwendung als Angriffshandlung gegen Israel zurechnen lassen, so Ipsen.

Besprochen werden die große Cindy-Sherman-Retrospektive im Pariser Musee du Jeu de Paume, die Einzelausstellung des niederländischen Künstlers Marcel van Eeden im Kunstverein Hannover und die Aufführung von Roger Vitracs Stück "Victor oder die Kinder an der Macht" in Salzburg.

Spiegel Online, 31.07.2006

Bereits gestern brachte Spiegel Online ein Interview mit der israelischen Autorin Zeruya Shalev, die auch über die Toten von Kana spricht: "Was gestern in Kana passiert ist, ist eine große Tragödie und ich bin unglaublich traurig und schockiert - aber wiederum ist es passiert, weil die Hisbollah von Kana aus Hunderte Raketen auf Israel abgefeuert hat. Die israelische Armee wusste nicht, dass sich in dem Gebäude in Kana auch Zivilisten verstecken. Sie dachten, dass in dem Gebäude nur Hisbollah-Kämpfer sind. Es ist schrecklich, ein schrecklicher Fehler. Definitiv sind die Zivilisten im Libanon Opfer der Hisbollah, die sich dem libanesischen Volk gegenüber sehr unverantwortlich verhält."

SZ, 01.08.2006

Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter Deutschland und jetzt Direktor des Zentrums für Europäische Studien in Herzliya, erinnert an die enge Zusammenarbeit zwischen Israel und dem Iran zu Zeiten des Shahs und meint, dass sich die Interessen der beiden Ländern nicht unbedingt widerspechen. "Die Hassreden gegen Israel dienen als Mittel der Volksverhetzung in Iran selber wie auch in der islamischen Welt. Beherrschen will Iran jedoch seine unmittelbaren Nachbarn."

Tobias Kniebe berichtet vom Kampf um die Herrschaft über das künftige Milliardengeschäft im Home Entertainment - um die Nachfolge der DVD: "Zwei Nachfolger stehen bereit, die beide von sich behaupten, alles noch besser zu können: Viel schärferes Bild, viel klarerer Ton, viel mehr Speicherplatz auf jeder Scheibe. Die neuen Superfernseher, die dafür nötig sind, gibt es schon, die neuen Abspielgeräte kommen gerade auf den Markt, und jetzt muss sich der Kunde entscheiden: Vertraut er dem Blu-ray-System, das unter der Führung von Sony entwickelt wurde - oder glaubt er an das Konkurrenzprodukt HD-DVD, an die Gruppe um Toshiba und Microsoft? Alle Voraussagen laufen darauf hinaus, dass nur ein Format überleben kann - wer heute nicht auf den Sieger setzt, könnte morgen genauso blöd dastehen wie ein Betamax-Besitzer nach dem globalen Triumphzug der VHS."

Weiteres: Angela Köckritz schickt einen hintergründigen Text über die Umweltverschmutzung in China. Harald Eggebrecht spießt in der "Zwischenzeit"-Kolumne den neuen Drang "nördlicher Stämme" an die dalmatinische Adriaküste auf. Alexander Menden beklagt das Ende der BBC-Sendung "Top of the Pops". Egbert Tholl kündigt Joachim Schlömers dreiteiliges Mozart-Projekt "Irrfahrten" mit eigener Textfassung an. Volker Breidecker berichtet von der Tagung "Entlang der Drau - Literatur an den Grenzen" im Südtiroler Toblach. Wolfgang Schreiber gratuliert dem Bariton Theo Adam zum Achtzigsten.

Auf der Medienseite lässt Hans Hoff 25 Jahre MTV Revue passieren. Und Henrick Bork berichtet von der Drangsalierung westlicher Journalisten in China.

Besprochen werden Roger Vitracs surrealistisches Stück "Victor oder Die Kinder an der Macht" beim Young Directors Project in Salzburg, die beiden Mozart-Aufführungen "Der Schauspieldirektor" und "Bastien und Bastienne" ebenfalls in Salzburg, eine Ausstellung Stephan Balkenhols in der Kunsthalle Baden-Baden und Bücher, darunter Michal Vieweghs Roman "Völkerball", Judith Butlers Essays "Hass spricht" und Ulrich Raulffs Utopien "Vom Künstlerstaat" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FAZ, 01.08.2006

Italien ist mal wieder sehr mild mit sich, schreibt Dirk Schümer. Die Strafen für die Fußballkorruption wurden ja schon auf ein sehr humanes Maß gekürzt, jetzt wird eine Amnestie erlassen, von der besonders auch korrupte Politiker profitieren werden: "Nun ist Italien die einzige westliche Demokratie, die keinen reinrassigen Minister für Justiz, sondern ein Portefeuille für 'grazia e giustizia' (Gnade und Justiz) kennt. Damit ist die katholische Vergebungslehre in der hohen Politik verankert. Und wenn das Amt derzeit einen Inhaber mit dem Vornamen Clemente (der Milde) hat, dann ist das mehr als ein eigentlich ungehöriges Spiel mit Namen. Der frühere Christdemokrat Clemente Mastella forderte nämlich bereits im italienischen Fußballskandal, in deren unsauberen Telefonprotokollen er selber auftaucht, auffallende Milde für die manipulierenden Clubs. Und auch die aktuelle Amnestie stand auf seiner Agenda ganz vorne."

Weitere Artikel: G.P. annonciert in der Leitglosse neue Studien über das Sozialverhalten von Astronauten auf Langzeitmission. Der ehemalige Pariser Galerist Heinz Berggruen erzählt, wie nützlich ihm eine Sekretärin namens Helene Rothschild war, nur weil sie so hieß und obwohl sie gar nicht aus der berühmten Dynastie stammte. Robert von Lucius verfolgt den internationalen Leibniz-Kongress in Hannover. Felix Johannes Krömer berichtet über einen Streit um den Wieland-Nachlass in Biberach, der an die von Jan Philipp Reemtsma mitfinanzierte Wieland-Forschungsstelle in Oßmannstedt gegeben werden soll. Felicitas von Lovenberg gratuliert Yves Saint-Laurent zum Siebzigsten. Wolfgang Sandner gratuliert dem Bassbariton Theo Adam zum Achtzigsten. Jürg Altwegg schreibt zum Tod des Althistorikers und führenden Pariser Intellektuellen Pierre Vidal-Naquet.

Auf der Medienseite freut sich Tilmann Lahme über die neue Strenge der öffentlich-rechtlichen Sender in Fragen des Radsport-Dopings. In der Reihe "Weltempfänger" erinnert sich Sebastian Krüger an die Bedeutung des Westradios in jenen Gebieten der DDR, die kein Westfernsehen empfangen konnten.

Für die letzte Seite besucht Eckart Lohse die Kleinstadt Kleinmachnow südwestlich Berlins, in der heute Wessis und Ossis einträchtig zusammen leben. Heinrich Wefing betont, dass die Idee eines unterirdischen Zugangs zu den Museen der Museumsinsel trotz der Einwände des Bundesrechnungshofs keineswegs ad acta gelegt ist. Und Wolfgang Sandner porträtiert die neue Intendantin der Berliner Philharmoniker Pamela Rosenberg, die heute ihr Amt antritt.

Besprochen werden eine Installation der tschechischen Künstlerin Magdalena Jetelova in Regensburg und eine CD mit Purcell-Bearbeitungen von Benjamin Britten.

NZZ, 01.08.2006

In der Schweiz ist heute Nationalfeiertag, und den feiert auch die NZZ.