Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.04.2007. In der Berliner Zeitung attackiert Feridun Zaimoglu die "rechten Feministinnen" Necla Kelek und Seyran Ates. In der FAZ kritisiert Necla Kelek den Islam: "Er kennt keine Individualität, sein Menschenbild ist nicht gerüstet für die Moderne." Die Welt fragt, warum das "Zentrum Erinnerung und Zukunft" in Breslau über die Zeit vor 1945 schweigt. In der SZ bekennt Peter Rühmkorf seinen bis heute andauernden physischen Ekel vor Andreas Baader. In der FR kommentiert Wolfgang Kraushaar eine Ironie der Geschichte: nun stehen nicht mehr nur die RAF-Täter, sondern auch der Staat unter Druck - beide scheinen über die zentrale Frage der Täterschaft zu schweigen. Und alle staunen über das dunkle Kino des David Lynch.

Berliner Zeitung, 25.04.2007

Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu ist einer der Vertreter bei der in der nächsten Woche ein zweites Mal zusammentretenden Islam-Konferenz. Im Interview kritisiert er die einseitigen Positionen von Islamkritikerinnen wie Necla Kelek und Seyran Ates scharf: "Das größte Bollwerk gegen den Fundamentalismus sind die Volksfrommen in den Moscheeverbänden. Wenn man diese Menschen wegen ihrer Frömmigkeit und ihres Glaubens angreift, und wenn man sich nicht entblödet, sie immer und immer wieder aufzurufen, sich zu den Reformkräften zu schlagen, dann will man gar nicht sachlich argumentieren; man will Krawall schlagen. Es ist ja so, dass sich Feminismus und eine rechte Gesinnung nicht ausschließen, und es kann doch nicht sein, dass sich gewendete 68er, konservative Rechtspopulisten und rechte Feministinnen Hand in Hand zu Verteidigern, zu Fußsoldaten der abendländischen Zivilisation stilisieren."

FAZ, 25.04.2007

Aus Anlass der anstehenden zweiten Islamkonferenz über Fragen der Integration der Muslime formuliert die Publizistin und Soziologin Necla Kelek noch einmal ihre islamkritische Position: "Der Islam selbst hat in den 1400 Jahren seiner Geschichte in Europa so gut wie keine Wurzeln schlagen können. Er kennt keine Individualität, sein Menschenbild ist nicht gerüstet für die Moderne, die den selbstverantwortlichen Einzelnen braucht... Der Islam hat nicht nur den Anspruch, ein Glaube zu sein, sondern er steht als Religion für die Einheit von Leben, Glauben, Gesetzen und Politik. Das widerspricht der Säkularisierung."

Weitere Artikel: Für die Beibehaltung des bisherigen, auf ausdrücklicher Zustimmung beruhenden Organspenderechts plädiert Joachim Müller-Jung. Vor allem Sprechblasen hat Regina Mönch bei Klaus Wowereits demographischer Grundsatzrede gehört. Peter Urban-Halle informiert über einen dänischen Streit um vermeintlich oder tatsächlich grassierenden Deutschenhass. Heinrich Wefing war dabei, als sich bei einer Tagung in Potsdam die "Restitutions-Community" zur Diskussion von Rückgabefragen traf. Andreas Rossmann hat sich ein vom Architekten Oswald Mathias Ungers entworfenes minimalistisches Gästehaus in Köln angesehen. Andreas Platthaus gratuliert dem Comiczeichner Albert Uderzo ("Asterix") zum Achtzigsten.

Auf der letzten Seite berichtet Rainer Hermann von Abu Dhabis teuer bezahlten Bemühungen, zu einem Kulturzentrum zu werden. Gina Thomas porträtiert den britischen Verleger George Weidenfeld, dem in der vergangenen Woche der Preis der Londoner Buchmesse verliehen wurde. Im "Update" beschreibt Jürg Altwegg den mit der französischen Präsidentschaftswahl vollzogenen Generationenwechsel.

Besprochen werden David Lynchs neuer Film "Inland Empire" (mit "Applaus für David Lynch" schließt Andreas Kilb seine Rezension), das Berliner Konzert der "Chk Chk Chk" auszusprechenden Band "!!!", eine Ausstellung mit Zeichnungen von Max Peiffer Watenphul in München, die Uraufführung von Andre Werners Oper "Lavinia" in Osnabrück und Bücher, Penelope Livelys Roman "Das Photo" und Horst Bredekamps unter dem Titel "Bilder bewegen" gesammelte Aufsätze und Reden zur Kunst (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

TAZ, 25.04.2007

Heute vor allem Besprechungen. "Gezielt zerzaust" kommt Diedrich Diederichsen David Lynchs neuer, auf DVD gedrehter Film "Inland Empire" vor. "Die Laune hebt sich zumindest in der ersten Stunde bei jedem Selbstzitat und erst recht bei jedem Lynchismus, da es scheint, als würde der Künstler mit den ruppigen, nie fertigen, oberkörnigen Bildern sagen wollen: ,Hallo, ich bin's, ich kann halt nicht anders, nehmt's nicht so ernst. Ich muss halt immer diese komischen Zimmer einrichten, bei denen irgendwas hinter der Wand ist.' Ja, schon gut, amüsier dich nur weiter mit deiner neuen DV-Kamera und deiner alten Freundin Laura Dern!"

Hortense Pisano führt durch die Ausstellung "Das Kapital. Blue Chips & Masterpieces? im Frankfurter Museum für Moderne Kunst mit Arbeiten aus der neu angekauften Sammlung Ricke und eigenen Beständen des Hauses. Überraschend weniger "räudig, als man es von einer Formation in diesem Alter gemeinhin gewohnt ist", findet Christian Rösinger das Comeback der Gruppe Fehlfarben mit ihrem Album "Handbuch für die Welt". Judith Luig beklagt den Rückzug des British Council aus seinem Kulturangebot für Berlin.

Auf der Meinungsseite gibt Kerstin Decker Tipps zur richtigen Hegel-Lektüre, nämlich anders als Kants Kritiken: "Nicht jedes Wort einzeln, sondern im Tempo bleiben!"

Und hier Tom.

NZZ, 25.04.2007

Patricia Benecke hat sich im Londoner Tricycle Theatre das auf Zeugenaussagen und Untersuchungsberichten basierende Theaterstück "Called to Account" über Tony Blair und den Irak-Krieg angesehen und fühlt sich nun bestens informiert. Christian Schlösser betrachtet den Stand des Bologna-Prozesses in den Niederlanden. Ein anregendes Programm hat Alfred Zimmerlin bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik erlebt.

Besprochen werden Todd Fields Film über die Vorhölle von Suburbia "Little Children" und Bücher, darunter Cormac McCarthys Roman "Die Straße" und Jon Kalman Stefanssons "verträumtes" Reykjavik-Buch "Das Knistern in den Sternen" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Welt, 25.04.2007

Gerhard Gnauck berichtet über die Gründung eines "Zentrums Erinnerung und Zukunft" in Breslau, das die Besiedlung der ehemals deutschen Gebiete in Polen nach 1945 museal würdigen soll: "Doch was ist mit der Zeit davor? Droht hier nicht in spiegelbildlicher Verkehrung ein Fehler, wie ihn die deutschen Vertriebenenverbände gemacht haben, indem sie die Geschichte ihrer Gebiete 1945 enden ließen?"

Rainer Haubrich begrüßt den Beschluss, das Berliner Stadtschloss wieder aufzubauen und dort ein Humboldt-Forum der Weltkulturen einzurichten, als ein "Zeichen der Gelassenheit, mit der das Land heute auf die Höhen und Tiefen seiner Geschichte zurückschaut und unideologisch die künstlerischen Leistungen der Vorfahren wie der anderer Kulturen zu würdigen weiß. In diesem Projekt scheinen die besten Traditionen des Bürgertums auf: Respekt vor der Überlieferung und ein wacher Sinn für das notwendig Neue, Bildungsdrang und Kunstsinn."

Weitere Artikel: Eckhard Fuhr glossiert die Entscheidung der Chemnitzer Bürgermeisterin, den monumentalen Marxkopf, das eher unfreiwillige Wahrzeichen der ehemaligen Karl-Marx-Stadt, nicht in irgendwelche Ausstellungen an anderen Orten reisen zu lassen. Sven Felix Kellerhoff unterhält sich mit Hartmut Weber vom Bundesarchiv über das Archivieren im digitalen Zeitalter - diesen Fragen ist in dieser Woche ein Kongress in Berlin gewidmet. Holger Kreitling gratuliert dem Asterix-Zeichner Albert Uderzo zum Achtzigsten. Peter Dittmar berichtet über den Fund eines Tonmodells, das Benedetto de Maianos berühmter Büste des Pietro Mellini als Vorbild diente. Johann Schmeller unterhält sich mit Francesco Clemente, dem in Berlin eine Ausstellung gewidmet ist. Und Alexander Cammann berichtet über eine Podiumsdiskussion zwischen Richard von Weizsäcker und Hartmut von Hentig.

Besprochen werden David Lynchs neuer Film "Inland Empire" und die Ausstellung "Bunte Götter", die zur Zeit in Hamburg gastiert.

FR, 25.04.2007

Der Historiker Wolfgang Kraushaar fasst zusammen, kommentiert den paradoxen Verlauf der Diskussionen um die RAF in diesem Frühjahr, das er als ein Verdienst Michael Bubacks sieht. Er habe durch sein Beharren auf der Frage, wer seinen Vater erschossen hat, die Dinge ins Rollen gebracht, vor allem durch Peter-Jürgen Boocks Verweis auf den bisher zumindest offiziell nicht verdächtigten Stefan Wisniewski: "Nun stehen auf einmal gleich zwei staatliche Behörden unter Erklärungszwang. Der Druck, der wochenlang auf die RAF-Täter ausgeübt worden ist, erfasst mit einem Mal auch die Seite des Staates. Und jene zumeist konservativen Kräfte, die die ganze Zeit über eine ebenso lücken- wie schonungslose Aufklärung der RAF-Verbrechen gefordert haben, müssen plötzlich unter Beweis stellen, dass sie es mit der Aufklärung in Bezug auf die Vergangenheit der bundesdeutschen Geheimdienste nicht weniger ernst meinen."

Joachim F. Tornau hat sich die neue documenta-Architektur vor der Orangerie in der Kasseler Karlsaue angesehen, die der künstlerische Leiter Roger M. Buergel nun vorgestellt hat: "Von Ferne sieht es aus, als sollten künftig Tomaten gezüchtet werden." Tilmann P. Gangloff resümiert die Programm-Messe Mip-TV, auf der deutsche Produkte gut wegkamen. Und in Times mager diagnostiziert Arno Widmann den ersten Heuschnupfenanfall nach über zehn Jahren.

Besprochen werden Bücher, darunter Lilian Faschingers Roman "Stadt der Verlierer" und das Debüt "Die alltägliche Physik des Unglücks" von Marisha Pessl. (mehr dazu in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)

SZ, 25.04.2007

In einem ganzseitigen Interview mit Franziska Augstein spricht Peter Rühmkorf über Klaus Rainer Röhl und Ulrike Meinhof, Tagebuchschreiben, seine Gedichte und warum er nie einen Roman geschrieben hat. Über Andreas Baader sagt er: "Baader hatte diese Ludenart, mit seinen Mädchen zu verkehren. Dass alle diese Mädchen, die aus ganz netten, braven Verhältnissen kamen, in den Bann von diesem mir auf Anhieb ludenhaft erscheinenden, auch physiognomisch unangenehmen Kerl mit seinem widerwärtigen Fotzenjargon gerieten: Das habe ich nicht verstanden. Ich kann es nur eine Massenparanoia nennen."

Weiteres: Sonia Zekri schreibt über das "teure Vermächtnis" von Boris Jelzin: die neue Klasse der Superreichen. Jonathan Fischer porträtiert den Schriftsteller, Regisseur, Produzenten Lyriker und Black-Panther-Aktivisten Jamal Joseph und sein Theaterprojekt für Jugendliche. Axel Rühle gratuliert dem "Berufsgallier" Albert Uderzo zum 80. Geburtstag. Zu lesen sind außerdem kurze Nachrufe auf den Kunstsammler Walter Bareiss und die Dramatikerin und Schauspielerin Bettina Fless.

Besprochen werden David Lynchs Film "Inland Empire", ergänzt um ein Interview mit dem Regisseur, eine Dramatisierung von Peter Hoegs Roman "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" im Hamburger Thalia Theater, ein Münchner Konzert des Pianisten Bruno Leonardo Gelber, Bücher, darunter der "Lyrik Baukasten" von Alexander Nitzberg und der Roman "Mein Melaten" von Hermann Kinder (sie hierzu unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)

Nur online gemeldet wird, dass Hermann Parzinger, zur Zeit Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts ab 2008 neuer Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin werden. soll.