Heute in den Feuilletons

Zu klein für achtzig Kilo

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.01.2008. In der Berliner Zeitung meint Götz Aly: Die 68er sind der Nazizeit ausgewichen, statt sich mit ihr auseinanderzusetzen. In der taz porträtiert Gabriele Goettle eine Bodybuilderin, die gern 15 Kilo zunehmen möchte. In der Welt kritisiert Tom-Cruise-Biograf Andrew Morton den FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Die FAZ lobt Mortons Cruise-Biografie. Die FR ist ergriffen von Dea Lohers Stück "Das letzte Feuer".

Welt, 28.01.2008

Im Gespräch mit Welt Online kritisiert Tom-Cruise-Biograf Andrew Morton den FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher: "Er scheint ein Journalist zu sein, der seine Objektivität verloren hat, wenn er als Apologet von Scientology agiert. Er wurde halt geblendet wie viele. Das ist Teil des Plans, um Ablehnung abzubauen. Ich würde ihm wirklich vorschlagen, das Thema Scientology etwas profunder zu recherchieren und mit Leuten zu sprechen, deren Leben von Scientology zerstört wurde, bevor er einen solchen Preis vergibt."

In der Print-Welt wird Dieter Kosslick zu den mondänen Höhepunkten der Berlinale (Rolling Stones und Knut auf rotem Teppich) interviewt. Der Rechtsanwalt Gunnar Schnabel schreibt über ein neues Ausfuhrverbot, das die Abwanderung von Kunstschätzen verhindern soll. Dankwart Guratzsch erinnert an den Architekten Robert Pfaud, dem die Stadt Augsburg ihr einigermaßen intaktes Bild verdankt. Auf der DVD-Seite geht's unter anderem um eine John-Ford-Kassette.

Besprochen wird Dea Lohers Stück "Das letzte Feuer" am Hamburger Thalia-Theater.

TAZ, 28.01.2008

Gabriele Goettle trifft eine Bodybuilderin, 1,65 Meter groß, 60 bis 65 Kilo schwer. "'Es würd mich schon interessieren, wie ich ausschau mit achtzig Kilo. Mich würds sehr interessieren, muss ich ehrlich sagen. Stimmt schon, ich bin eigentlich zu klein für achtzig Kilo.' Auf die Frage, wo denn noch was wachsen könnte, sagt sie freudig: 'Rücken, Oberschenkel.' Sie steht auf und macht eine kleine Pantomime, sagt: 'So geh ich dann - und hol mir einen Wolf. Aber trotzdem! Ich möchte einmal, für eine Woche nur, achtzig Kilo wiegen. Mal sehen. Allerdings, wer kauft mir dann die Klamotten? Ich habe ja jetzt schon Probleme, alles was ich habe, besitze ich in dreifacher Ausführung, für die verschiedenen Phasen bis zum Wettkampf dann.'"

Weitere Artikel: Dorothea Marcus sieht Jörg Menke Peitzmeyers Stück "Abstiegskampf", im Theater Bonn gespielt von Häftlingen der JVA Siegburg. Daniel Bax war bei einer Diskussion von "Gesinnungsethikern", nämlich "israelsolidarischen Linken" in Berlin.

Und Tom.

NZZ, 28.01.2008

Christoph Egger resümiert die Solothurner Filmtage. Joachim Güntner meldet, dass der Suhrkamp Verlag Florian Havemanns Buch "Havemann" in einer bereinigten Fassung als kostenpflichtiges Download ins Netz zu stellen beabsichtigt. Jörg Isert beschreibt, wie die kalifornische Firma Lola VFX Filmschauspieler per Digital Cosmetic Enhancement verschönert.

Besprochen werden die beiden Aufführungen von Yasmina Rezas "Der Gott des Gemetzels" in Paris und München, ein Gedenkkonzert für Herbert von Karajan mit den Berliner Philharmonikern in Luzern und Calixto Bieitos Inszenierung des "Fliegenden Holländers" in Stuttgart (die Marianne Zelger-Vogt als "erschreckende, düstere Parabel unserer Leistungs- und Konsumgesellschaft" erlebt hat).

Berliner Zeitung, 28.01.2008

Götz Aly, der selbst in ein paar Wochen ein Buch zu 1968 ("Unser Kampf") vorlegt, bespricht einige Bücher über das Jahr und lässt die 68er dabei nicht besonders gut aussehen: "Sie waren der Konfrontation um die NS-Verbrechen ihrer Eltern ausgewichen, suchten stattdessen die Völkermörder in Washington und skandierten in völliger Besinnungslosigkeit 'USA-SA-SS'. Statt die familiäre Auseinandersetzung zu führen, stellten sie lieber das 'System' in Frage. Statt sich mit dem allgegenwärtigen familiären Spuren des Nationalsozialismus zu beschäftigen, erklärten sie die liberal-demokratische Bundesrepublik für 'faschistisch'."
Stichwörter: Aly, Götz, Washington

FR, 28.01.2008

Verstört saß Peter Michalzik bei der Uraufführung von Dea Lohers Stück "Das letzte Feuer" im Hamburger Thalia Theater. Acht Personen müssen mit dem Unfalltod eines Jungen zurechtkommen. Und Michalzik mit der Wucht der Geschichte. "Es ist eine Eigenart von Lohers Stück, wie es im Sozialen herumbohrt, wie es hartnäckig, gnadenlos, unersättlich die Frage stellt, was es ist, das zwischen diesen - oder den - Menschen eine Verbindung herstellt. Was macht Gefühle, Verständnis, Vertrauen? Lange wurde diese Frage nicht mehr so intensiv gestellt."

Weitere Artikel: Corina Kolbe besucht die Proben für die Inszenierung von Heiner Goebbels' "Surrogate Cities" mit 120 Laiendarstellern in Berlin. Daland Segler witzelt in der Times mager über Raucher als Outdoor-Pioniere. Tilman P. Gangloff erklärt, was RTL zur schnellen Absetzung der Serie "Anwälte" getrieben hat.

Eine Besprechung widmet sich Inszenierungen von Wagners "Fliegendem Holländer" in Stuttgart und Baden-Baden.

FAZ, 28.01.2008

Rainer Hermann kennt weitere Hintergründe zu türkischen Attentats- und gar Umsturzplänen einiger pensionierter Offiziere: "Den türkisch-kurdischen Konflikt wollten sie anheizen und das Land durch die Ermordung Prominenter destabilisieren. Im vergangenen Juni hatte die Polizei Pläne eines Attentats auf Ministerpräsident Erdogan rechtzeitig aufgedeckt. Auf der Todesliste stand auch Nobelpreisträger Orhan Pamuk."

Christian Geyer bespricht Andrew Mortons Tom-Cruise-Biografie und bescheinigt ihr, "anhand von Indizien ein insgesamt stimmiges Bild über die Rolle von Tom Cruise im wahlweise sanft oder brachial agierenden System Scientology zu zeichnen".

Weitere Artikel: In der Glosse von Mark Siemons geht es um die für China bedeutsame Übersetzungsdifferenz, ob "reich sein" nun "glorreich" ist oder nur "keine Sünde". Werner Jacob hat das neue Museum der Sammlung Würth im elsässischen Erstein besichtigt. Swantje Kirch kommentiert die politisch motivierten Inhaftierungen des iranischen Intellektuellen Amin Ghazaei und des burmesischen Dichters Saw Wai. Alexandra Kemmerer erinnert an Rene Cassin, Friedensnobelpreisträger und Vordenker der europäischen Menschenrechtskonvention. Dem Tänzer Mikhail Baryshnikow gratuliert Wiebke Hüster zum Sechzigsten. Karen Krüger schildert das Schicksal von Catalina Giermann, deren Eltern von Argentinien aus Hitler bewunderten und die seit 1963 in Deutschland lebt. Auf der Medienseite informiert "kps" über die Einschränkung der Pressefreiheit in der Slowakei.

Eine Meldung fehlt allerdings auf der Medienseite - nämlich dass die FAZ nun in trauter Eintracht mit der SZ nach zwei verlorenen Prozessen in Sachen Perlentaucher vor den Bundesgerichtshof zieht (mehr dazu hier).

Besprochen werden die Uraufführung von Peter Weiss' "Inferno" in Karlsruhe, gleich zwei Aufführungen von Yasmina Rezas Stück "Der Gott des Gemetzels" - in München hat Dieter Dorn inszeniert, in Paris die Autorin selbst -, die jetzt eröffnete "Aus Russland"-Schau an der Royal Academy in London, ein Iron & Wine-Konzert in Köln, die Düsseldorfer Uraufführung von Bob Goodys und Giorgio Battistellis Mode-Oper "Fashion" und Bücher, darunter Hermar Grimsens Arno-Schmidt-nahes Fußnotenbuch "Hinter Büchern" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 28.01.2008

Der Autor und Osteuropa-Kenner Richard Swartz sieht Serbien in der tiefsten Krise seit seiner Gründung im 19. Jahrhundert. "Europa hat davon wenig begriffen. Serbien wird zwar als Störfaktor betrachtet, aber auch als ein Posten im Rechnungsbuch, wo man nur ein wenig zu radieren braucht, damit alles wieder seine Ordnung hat. Die Wirklichkeit will man nicht sehen: eine Gesellschaft, die der übrigen Welt die Schuld für ihr ganzes Unglück gibt, die unfähig zur Selbstkritik und Introspektion ist, ein Staat, in dem extreme Nationalisten die Mehrheit im Parlament stellen, in dessen Rhetorik es von Begriffen wie 'Ehre' oder 'Blut' wimmelt und dessen ehemaliger Führer als Kriegsverbrecher in Den Haag einsitzt."

Weitere Artikel: Auf der Suche nach alter Größe werden in China ziemlich unterschiedslos mächtige Männer verehrt, ob sie nun Mao oder Hitler heißen, schreibt Franziska Brüning. Die Kuratoren von vier kalifornischen Museen werden verdächtigt, systematisch Raubkunst aus Asien und amerikanischen Nationalparks gekauft zu haben, wie Stefan Koldehoff informiert. Leon Becker besichtigt die gerade eröffnete zehnte Filiale der Sammlung Würth, diesmal im elsässischen Erstein. Thomas Hahn fragt, warum sich Yasmina Reza keine größeren Herausforderungen sucht als die Inszenierung ihrer Gesellschaftssatire "Der Gott des Gemetzels" in Paris.

Besprochen werden Calixto Bieitos Inszenierung von Wagners "Der fliegende Holländer" in der ersten Fassung von 1841 ("Ausgiebig wütende Buhs in lange anhaltendem Beifall garnierten diese vermeintliche Wagner-Schändung", schreibt Reinhard J. Brembeck, der mit der kapitalismuskritischen Inszenierung im Banker-Milieu außerordentlich zufrieden war), Dieter Dorns "veredelte" Variante von Yasmina Rezas "Der Gott des Gemetzels" am Münchner Residenztheater, Jon Turteltaubs Film "Das Vermächtnis des geheimen Buches", DVD-Neuerscheinungen wie Nicholas Hytners "The History Boys" und Bücher, darunter Sinan Gudzevics "Römische Epigramme" sowie Jacob Rosenthals "anrührende" Erinnerung an "Die Ehre des jüdischen Soldaten" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).