Heute in den Feuilletons

Futterkugeln

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.11.2011. Die FAZ möchte nach Lech Majewskis Bruegel-Film "Die Mühle und das Kreuz" nur noch nach Wien und "weiterschauen, suchen, bewundern, erleben". In der SZ schildert Doug Saunders die Dialektik der Mega-Cities, wo es passieren kann, dass es steil bergauf geht, obwohl es aussieht, als ginge es steil bergab.  Die FR hat den Garten Eden gefunden. Die NZZ wird kostenpflichtig, meldet persoenlich.com. Wo bleibt die große Demonstration?, fragt Jakob Augstein auf Spiegel Online.

NZZ, 25.11.2011

Skeptisch bewertet Joachim Güntner den medialen Umgang mit den Morden des Zwickauer Terrortrios: "Die nun in Deutschland hochschießende Rede vom Rechtsterrorismus suggeriert, wir hätten es mit einer neuen Qualität neonazistischer Gewalt zu tun. Als sei diese schlimmer geworden. Eine solche Bewertung aber verdeckt, dass der Übergang von der Militanz zur Menschenjagd im rechtsradikalen Milieu von jeher leichtfällt."

Weiteres: Der Autor Robert Schopflocher zeichnet die langen Schatten nach, die der Peronismus noch immer auf die argentinische Politik wirft, sieht aber Anzeichen dafür, dass er bald durch einen Kirchnerismus abgelöst werden könnte. Besprochen werden Barbara Freys Inszenierung von Elfriede Jelineks Wilde-Bearbeitung "Der ideale Mann" in Wien sowie neue Editionen der klassischen Alben von Pink Floyd und den Beach Boys.

Aus den Blogs, 25.11.2011

(Via Spiegel Online) Die NZZ wird im Netz kostenpflichtig, und die Redaktion wird neu organisiert, berichtet Christine Schnyder auf persoenlich.com: "Wieviel die Leser für die unterschiedlichen Angebote bezahlen müssen und ab welchem Datum genau die Bezahlpflicht eingeführt wird, ist noch offen. Auch beschlossen wurde, dass die Inhalte für alle drei Kanäle von ein und derselben Redaktion hergestellt werden. Es gibt keine Trennung mehr zwischen Print- und Onlinejournalisten der NZZ. Sie werden in verschiedenen thematischen Redaktionen zusammengeführt und dabei Inhalte für alle Kanäle produzieren, also sowohl für die Print-, iPad- und auch für die Onlineausgabe."

Diese Meldung aus dem Heddesheimblog hatten wir noch nicht: "Anfang August war der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele mit seiner Frau Juliana Ströbele-Gregor im Weinheimer Waidsee schwimmen. Dort, wo schwimmen eigentlich nicht erlaubt ist. Jugendmitglieder eines Anglervereins schossen 'Futterkugeln' ins Wasser - eine davon traf Frau Ströbele-Gregor am Kopf." Der Junge wurde wegen "gefährlicher Körperverletzung mittels einer Waffe" angezeigt. Die Ermittlungen wurden aber eingestellt, weil 13-Jährige noch nicht strafmündig sind und ein Vorsatz nicht nachweisbar war.

FR/Berliner, 25.11.2011

Das türkische Göbekli Tepe, der Nabelberg, wird gern als Abrahams Geburtstort dargestellt, gut möglich, dass hier auch der Garten Eden lag, meint Ingeborg Flagge, die von den dortigen archäologischen Arbeiten berichtet: "Diese faszinierende Grabung, wo man die ältesten Bauwerke der Menschheit von 10.000 vor Christus zu Tage fördert, wirft bisherige wissenschaftliche Lehrmeinungen über den Haufen. Denn nach herrschender Ansicht waren Jäger und Sammler zu dieser Zeit noch gar nicht in der Lage, Tempel oder frühe Städte zu errichten. Dies wird erst einer sesshaften Bevölkerung ab zirka 7000 v. Chr. zugebilligt."

Weiteres: Ingeborg Ruthe berichtet, dass die im Frankfurter Exil lebenden Künstlerin Parastou Forouhar bei ihrer Reise nach Teheran, wo sie jedes Jahr ihrer ermordeten Eltern gedenkt, diesmal ungewohnt milde behandelt wurde. Im Interview mit Sebastian Preuss zeigt der neue Direktor des Deutschen Historischen Musums, Alexander Koch, was er kann, zum Beispiel Sprechen wie ein Roboter: "Ich denke, ich bin kollegial, ein Teamplayer, dabei entscheidungsfreudig, schnell und auch direkt." Besprochen werden das Stephane-Hessel-Porträt "Der Diplomat" und Konzerte sowjetischer Komponisten in Frankfurts Alter Oper.

Spiegel Online, 25.11.2011

Jakob Augstein spricht in seiner Kolumne auf Spiegel Online die merkwürdige Taubheit der öffentlichen Reaktion auf die Mordtaten der Zwickauer Nazis an: "Dem Entsetzen der Politik angesichts der Taten der thüringischen Nazis steht kein ebenmäßiges Entsetzen in der Öffentlichkeit gegenüber."

TAZ, 25.11.2011

Christian Werthschulte berichtet von Problemen des Musikdiensts Spotify, mit dem Industrie und Musiker immer weniger zusammenarbeiten wollen, weil er den Verkauf kannibalisiere: "Der Elektronikmusiker Jon Hopkins kommentierte den Vorfall mit "Fuck Spotify". Für 90.000 Streams habe er 9 Euro erhalten. Und Gold Panda, der gerade eine Ausgabe der DJ-Kicks-Reihe kuratiert hat, bekannte, mit dem Streaming seiner Musik im letzten Jahr 22 Cent verdient zu haben."

Für einen Höhepunkt des Amsterdamer Dokumentarfilmfestivals hält Cristina Nord Werner Herzogs Doku "Into the Abyss" über den 28 Jahre alten Michael Perry, "der wegen eines Dreifachmordes zum Tode verurteilt wurde und im Todestrakt im texanischen Huntsville auf seine Hinrichtung wartet". Julian Weber schreibt über die Kölner Krautrockband Can, deren Album "Tago Mago" vor vierzig Jahre erschien.

Und Tom.

Welt, 25.11.2011

In der Leitglosse erzählt Ekkehard Kern, wie der österreichische Kanzler Werner Faymann von der SPÖ auf Facebook und Twitter von einem Avatar namens Failmann (von "to fail") karikiert wird. Jörg Taszmann stellt den Hollywoodproduzenten Andrew Vajna vor, der jetzt die ungarische Filmförderung übernimmt. Michael Pilz berichtet vom neuesten Mod-Revival in London. Alan Posener wendet sich in seiner Kolumne "J"accuse" gegen den Begriff des "US-Amerikanischen".

Besprochen werden eine Douglas Gordon-Ausstellung in Frankfurt Elfriede Jelineks "Idealer Mann" nach Oscar Wilde am Wiener Akademitheater und die bisher nur auf englisch erschienenen Tagebücher des amerikanischen Literaturkritikers Alfred Kazin.

FAZ, 25.11.2011

Lech Majewskis Film "Die Mühle und das Kreuz" über Brueghels Bild "Kreuztragung Christi" hält Swantje Karch für einen "einzigartige(n) Film, der sich so vorsichtig wie brillant einem wunderbaren Gemälde nähert. Am Schluss will man nur noch nach Wien und weiterschauen, suchen, bewundern, erleben."

Weitere Artikel: In ihrer Kolumne "Aus dem Maschinenraum" berichtet Constanze Kurz, dass das BKA weiterhin höchst undurchsichtige Strategien bei der Überwachung von Computer verfolgt. Kerstin Holm porträtiert den russischen Programmierer Jewgeni Kaspersky, der hinter dem Schutzsoftware-Imperium Kaspersky steht. Regina Mönch informiert über die Hintergründe einer möglichen Rückgabe zweier Bilder von Karl Schmidt-Rottluff an die hinterbliebenen Erben des im "Dritten Reich" zwangsenteigneten Kunstsammlers Robert Graetz. Andreas Kilb berichtet von der Tagung "Ins Netz gegangen - Neue Wege zum kulturellen Erbe", die sich mit Herausforderungen der flächendeckenden Digitalisierung von Kulturgütern befasst hat. Jan Brachmann betrauert im Nachruf die Sängerin Montserrat Figueras - hier eine schöne Liveaufnahme von 1991:


Besprochen werden Elfriede Jelineks Adaption von Oscar Wildes "Idealer Mann" am Wiener Akademietheater und Bücher, darunter Deon Meyers neuer Thriller "Rote Spur" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 25.11.2011

Das 21. Jahrhundert wird als Jahrhundert der Mega-Cities in die Geschichte eingehen, prognostiziert der Journalist Doug Saunders in seinem Buch "Arrival City", in dem er sich mit den explosionsartig wachsenden Metropolen der Welt befasst. Im ganzseitigen Gespräch mit Jan Füchtjohann erklärt er unter anderem, warum er gerade in den ärmsten Stadtvierteln die Zukunft der Städte aufkeimen sieht und die Armutsquote kein sinnvolles Messinstrument sei: So gebe es "einen paradoxen Effekt: Gerade wenn ein Viertel als Ankunftsstadt besonders gut funktioniert, nimmt die Armut zu. Das liegt daran, dass solche Orte Sprungbretter sind: Wenn es läuft, gehen die Kinder weg zur Uni, die Erwachsenen ziehen in eine bessere Gegend und vermieten ihre Häuser an ärmere Leute, die aus dem Dorf nachziehen. Deshalb denkt die Stadtverwaltung, es ginge steil bergab, während es eigentlich steil bergauf geht."

Weitere Artikel: Cathrin Kahlweit wirft einen Blick nach Österreich, wo derzeit zahlreiche Korruptionsskandale dem politischen Kabarett- und Theaterbetrieb Konjunkturhilfe leisten. Jonathan Fischer gratuliert dem Soulsänger Percy Sledge zum 70. Geburtstag, betrauert werden die verstorbenen Musiker Kristian Schultze und, an dieser Stelle, Ludwig Hirsch.

Besprochen werden die Johannes-Grützke-Retrospektive im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und Bücher, darunter eine Studie über die Kritik der spätantiken Philosophie am frühen Christentum (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).