Heute in den Feuilletons

Wir suchen die Auseinandersetzung

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
23.10.2013. Die taz hält fest: Wer im Museum der bildenden Künste Leipzig Tiernamen ruft, kriegt sein Tiananmen. Die gesamte Presse kommentiert die neueste Peripetie im Suhrkamp-Drama als entscheidenen Etappensieg Ulla Unseld-Berkéwicz'. In der Welt spricht der Historiker Krisztián Ungváry über die Ursachen des ungarischen Antisemitismus. Die NZZ ist nicht zufrieden mit der Theophil Hansen-Schau in Wien. Die SZ bewundert die in Frankreich grassierende rebellische Ungeduld.

TAZ, 23.10.2013

Dirk Knipphals - als Journalist und Gläubiger bei der Gläubigerversammlung von Suhrkamp im Saal 120 des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg - notiert, dass die Erklärungen der Autorenvertreter juristisch keine Rolle spielten. Dennoch wurde am Ende entschieden: "Aus Suhrkamp wird eine Aktiengesellschaft - so sieht es der Insolvenzplan vor. Und weil das bei Aktiengesellschaften so ist, werden Anteilseigner und Geschäftsführung nun klar voneinander getrennt sein. Die Hoffnung ist, dass damit der Streit unter den Gesellschaftern, von Unseld-Berkéwicz und Hans Barlach also, nicht mehr auf das laufende Geschäft des Verlages durchschlägt. Hans Barlach, dessen Anteile wie die von Unseld-Berkéwicz in Aktien umgewandelt werden, verliert damit die Vetorechte, die er bislang als Gesellschafter hatte."

Christian Rath erklärt in einem zweiten Artikel, warum Minderheitengesellschafter Hans Barlach schon mal vorsorglich Verfassungsbeschwerde eingelegt hat.

Im Kulturteil berichtet Torben Irbs von Protesten gegen die Ausstellung "Die Schöne und das Biest" im Museum der bildenden Künste Leipzig. Bei der Eröffnung hatten die Guerrilla Girls mit einem Plakat und "Tiernamen rufend" gegen den kalifornischen Maler Mel Ramos demonstriert, der gern Pin Ups in erotischer Umarmung von Tieren zeigt (links sein "Giant Panda"). Daraufhin wurden sie gewaltsam von Wachleuten nach draußen expediert, gefilmt und eine Frau, die dagegen protestierte, mit der Faust geschlagen. "Diagnose: Schädel-Hirn-Trauma. Dazu äußert sich das Museum nicht. ... Museumsdirektor Schmidt gibt sich aufgeschlossen: 'Wir suchen die Auseinandersetzung.'" Mit der Faust?

Weiteres: Sophie Jung berichtet über das Unsound-Festival in Krakau. Carmela Thiele stellt die Datenbank alfredflechtheim.com vor.

Und Tom.

Welt, 23.10.2013

Boris Kalnoky unterhält sich mit dem ungarischen Historiker Krisztián Ungváry, der die Ursachen des ungarischen Antisemitismus erforscht: Seiner These nach nährte er sich aus der Tatsache, dass in Ungarn noch mehr als anderswo, die Juden (aber auch die Deutschen) Träger der Modernisierung und Urbanisierung waren und von Bauern als Ausbeuter und Enteigner wahrgenommen wurden: "Wie Ernst Nolte 1963 argumentierte: Die Juden wurden deshalb zur absoluten Zielgruppe, weil sie als Träger einer als schädlich empfundenen Entwicklung identifiziert werden konnten. Damit war der Kapitalismus gemeint, der von vielen Menschen Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts als schädlich empfunden wurde."

Wieland Feund hat bei all den allerneuesten Suhrkamp-Volten so langsam das Gefühl, in einer Zeitschleife festzusitzen. Manuel Brug verzeichnet erste Regungen der Wiener Opernsaison. Alan Posener mag in seiner Kolumne den Heimatbegriff Alain Finkielkrauts nicht teilen. Josef Engels porträtiert den Jazzposaunisten Nils Wogram, der offenbar endlich mal keine Retro-Loungemusik macht.

Hier mit einem recht rauen "External Wind".

Spiegel Online, 23.10.2013

In Frankreich, Brasilien und Mexiko wurden nach Bekanntwerden der NSA-Spionage immerhin die amerikanischen Botschafter einbestellt, in Deutschland passiert gar nichts, schnaubt Sascha Lobo in seiner Spon-Kolumne. Und das werde sich auch nicht ändern: "Was den Spähskandal angeht, dürfte sich durch die große Koalition nichts verbessern. Auch hier hilft das wunderbare Mittel des Vergleichs weiter. Vor der Wahl beschuldigte die SPD Merkel, ihren Amtseid gebrochen zu haben, weil sie auf die auf massive Verletzung der Grundrechte der Bürger nicht reagiere. Nach der Wahl schreibt die SPD die zehn wichtigsten Punkte ihrer Politik auf und nicht einmal die allerkleinste Nebensatzandeutung weist auf irgendwas mit Grundrechtsbrüchen hin."

Aus den Blogs, 23.10.2013

(Via Carta) Richard Gutjahr interviewt in seinem Blog den Bundesdatenschützer Peter Schaar, der nach zehn Jahren aus dem Amt scheidet. Auf die Frage, ober er den Eindruck teilen könne, dass "die zuständigen Minister mehr ihre Polizeibehörden vertreten als das Volk", antwortet er: "Ich will das jetzt nicht pauschal bejahen - aber richtig ist, dass sich jedenfalls die Innenminister in den letzten Jahren sehr stark als Sicherheitsminister dargestellt haben."

NZZ, 23.10.2013

Roman Hollenstein ärgert sich über die Werkschau des dänisch-österreichischen Architekten Theophil Hansen in der Wiener Akademie der bildenden Künste, die dem Meister nicht gerecht werde. "Immer ging das malerische Komponieren unterschiedlicher Baukörper bei ihm einher mit einer auf Jean-Nicolas Durands modularer Systematik basierenden Entwurfsstrategie und einem fundamentalen städtebaulichen Verständnis. Deswegen leben die Bauten von Hansen, einem der grossen Baukünstler des 19. Jahrhunderts, stets von einer harmonischen Balance zwischen Gefühl und Vernunft." Größter Kritikpunkt an der Ausstellung: Hansens "überaus wichtiges Schaffen in Griechenland, das ihn von seinen beruflichen Anfängen bis zum Tod begleitete", wird gänzlich ausgeklammert.

Peter Hagmann bedauert die Entscheidung des SWR, das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg aufzulösen: "Nicht nur wird durch diese sogenannte Fusion ein Orchester ausgelöscht, wie es in seiner Art kein anderes gibt - was weit über die Grenzen Deutschlands hinaus Proteste auslöst. Es wird auch eine ganze Region eines Stücks kultureller Substanz beraubt."

Weitere Artikel: Martin Zähringer schwärmt von Elliot Perlmans weitgreifenden und "bestens recherchierten" Roman "Tonspuren" über das Leid von Afroamerikern und Juden: "Dabei ist es ein gewagtes Unternehmen, die Verfolgung der Juden und der Schwarzen parallel zu erzählen, und es geht nur, indem Perlmans Roman sich den gängigen Opfer-Täter-Diskursen mit ihren festgefügten Rollenzuweisungen und mentalen Besitzansprüchen entzieht." Der Theologe Jan-Heiner Tück schlägt in der Limburg-Debatte vor, "dem Bischof wirksamere Kontrollorgane an die Seite zu stellen".

Besprochen werden die Donaueschinger Musiktage 2013 und eine Neuedition der 1783 erschienenen "Briefe eines reisenden Franzosen" von Johann Kaspar Riesbeck, dem ersten Redakteur der Zürcher Zeitung (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 23.10.2013

In nicht öffentlicher Sitzung im Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg wurde vorerst grünes Licht für die von Ulla Unseld-Berkéwicz gewünschte Umwandlung des Suhrkamp-Verlags in eine Aktiengesellschaft gegeben, die die Einflussmöglichkeiten des Mitgesellschafters Hans Barlach entscheidend schwächen würde. Sandra Kegel ist sich sicher: "Für Hans Barlach bleibt nicht mehr viel Handlungsspielraum. Sollte die Aktiengesellschaft kommen, was der Sachwalter des Verfahrens, Rolf Rattunde, erwartet, bliebe ihm nur die Wahl zwischen dem Status eines Minderheitsaktionärs oder dem Verkauf seines Anteils."

Weitere Artikel: Markus Huber sieht Amazon auf Druck des Kartellamts zurückweichen - neuerdings dürfen Händler auf Amazons Marktplatz ihre Preise frei gestalten. Für die Medienseite berichtet Detlef Borchers von der Berliner Premiere des Films "Inside Wikileaks" und lobt den Hauptdarsteller Benedikt Cumberbatch, der dem etwas episodenreichen Film Konsistenz verleihe. Und Michael Hanfeld weiß Interna aus der taz, wo nach einem SZ-Interview der Chefredakteurin Ines Pohl (wir berichteten) Unmut bei der Redaktion herrscht, die sich in einer Betriebsversammlung artikulierte.

Besprochen werden eine Gerhard Richter-Ausstellung im Münchner Lenbachhaus und Peter Tschaikowskys "Eugen Onegin" in Köln.

Die vorderen Seiten des Feuilletons sind ganz dem Thema Nachhaltigkeit gewidmet. Feuilletonchef Nils Minkmar verspricht im Editorial, dabei keinen "emotionalen Stress" auslösen zu wollen. Meinhard Miegel (der schwarze Welzer) problematisiert den Begriff der Nachhaltigkeit, stellt aber auch fest: "Der Bewusstseinswandel ist unübersehbar." Es werden verschiedene Initiativen und Unternehmen vorgestellt, die im Sinne des Ideals wirken. Und Rapper Thomas D von den Fanta 4 macht im Leben nicht so lustige Sprüche wie in der Kunst: "Ich bin natürlich Teil der Ersten Welt und lebe auf Kosten der Zweiten und Dritten Welt. Meine Entschuldigung für mich ist: 'Gut, ich gebe auch etwas zurück.'"

SZ, 23.10.2013

Joseph Hanimann wirft einen Blick ins literarische Frankreich, wo derzeit an allen Ecken und Enden die Revolte eingeübt wird: "Extreme Wortgewandtheit und extreme Sprachverweigerung sind die beiden Stränge einer rebellischen Ungeduld, die unter französischen Literaten und Intellektuellen umgeht. Es ist, als wollte die wilde Kraft des Drauflosschlagens, mit der Michel Piccoli 1973 im Film 'Themroc' als Arbeiter die Fassade seiner Wohnung weghämmerte und der ganzen Stadt seine Wut entgegenbrüllte, zugleich in den komplizierten Worten eines Alain Badiou sprechen."

Weiteres: Aufatmen bei Andreas Zielcke: Nachdem die Suhrkamp-Gläubiger einer Umwandlung der Kommandit- in eine Aktiengesellschaft zugestimmt haben, sieht er den Verlag zwar noch nicht gerettet, aber in "sicheren Gewässern". Michael Stallknecht lässt sich Countertenor Franco Fagioli dessen Gesangsstil erklären. Jens Bisky ärgert sich darüber, dass das Land Sachsen-Anhalt Philipp Oswalt, den Direktor des Bauhaus Dessau, absägt. Renate Meinhof bringt Hintergründe zum Rotterdamer Kunstraub, der dieser Tage vor Gericht verhandelt wird.

Besprochen werden Caroline Links neuer Film "Exit Marrakech", eine Reihe von Installationen von Sasha Waltz im ZKM Karlsruhe, eine große Ausstellung australischer Kunst in der Royal Academy of Arts in London und Bücher, darunter Monika Marons Roman "Zwischenspiel" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).