Heute in den Feuilletons

Unverfroren, aber diskret

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.12.2013. Während Alan Rusbridger den britischen Parlamentariern gestern erklärte, was Pressefreiheit ist, berichtet Reuters, dass gegen den Guardian wegen Unterstützung des Terrorismus ermittelt wird. Sascha Lobo beschreibt in Spiegel Online die drei Tricks der Überwachungslobby. In der Welt schildern die Gebrüder Coen den Einfluss John Goodmans auf ihre Künstlerfiguren. Die SZ fragt: Hat Alice Schwarzer einen frauenfeindlichen Begriff von Sexualität? Die FAZ begeht den 120. Mao-Geburtstag.

Weitere Medien, 04.12.2013

Während Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger gestern den britischen Parlamentarieren erklärte, was genau unter Pressefreiheit zu verstehen ist, berichtet Reuters, dass der Guardian womöglich mit einer Anklage wegen Unterstützung von Terrorismus zu rechnen habe: "Assistant Commissioner Cressida Dick, who heads London's Specialist Operations unit, told lawmakers the police were looking to see whether any offences had been committed, following the brief detention in August of a man carrying data on behalf of a Guardian journalist."

Hier das Video der Anhörung:



Der Guardian bietet ein vollständiges Protokoll der gestrigen Befragung Alan Rusbridgers durch britische Parlamentarier. Eine Frage lautete glatt: "Do you love this country?" Rubridgers Antwort: "I'm slightly surprised to be asked the question but yes, we are patriots and one of the things we are patriotic about is the nature of democracy, the nature of a free press and the fact that one can in this country discuss and report these things."


Spiegel Online, 04.12.2013

Sascha Lobo hält wacker am Überwachungsthema fest und beschreibt heute die "drei Tricks der Überwachungslobby", zusammengefasst: "1) Die Überwachungslobby arbeitet gezielt mit der Konstruktion von Kausalitäten, wo keine nachweisbaren Zusammenhänge bestehen. 2) Die Überwachungslobby arbeitet an der nachträglichen, gesetzlichen Legitimierung von längst angewendeten Praktiken. 3) Die Überwachungslobby hat einen fatalen Begründungsteufelskreis erschaffen."
Stichwörter: Lobo, Sascha, Trickster, Wacken

NZZ, 04.12.2013

Ziemlich beeindruckt berichtet Barbara Villiger Heilig von einem Festival in Göteborg zu Kunst und Kriegsführung untersuchte. Dabei hat sie auch die Performance "Schütze" der Dänin Cecilie Ullerup Schmidt erlebt: "Wir bekommen den sogenannten Taliban-Tanz vorgeführt, dessen Geschmeidigkeit fern ist von linearer Ordnung und punktgenauer Disziplin westlichen Drills. Weiter geht's in die Wüste von Nevada zu den Drohnenpiloten. Dazu, deren Neun-bis-fünf-Uhr-Job im ferngesteuerten Krieg mit dem heimischen Familienleben zu harmonisieren, diene Yoga-Meditation: 'Du bist in einer weißen Landschaft. Gut und Böse existieren nicht. Einatmen, ausatmen.'"

Weiteres: "Unverfroren, aber diskret" findet Marion Löhndorf die Umgestaltung der Tate Britain durch das Architektenteam Caruso St John. Samuel Herzog nimmt uns mit auf einen Rundgang durch die aktuellen Ausstellungen der Wiener Museen.

Besprochen werden die beiden Bücher zur Geschichte des Beck Verlags von Stefan Rebenich und Uwe Wesel sowie Kinderbücher (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Welt, 04.12.2013

Die Brüder Joel und Ethan Coen teilen im Interview über ihren neuen Film "Inside Llewyn Davis" die Erkenntnis: "Immer wenn wir einen Film über einen Künstler machen, hetzen wir John Goodman auf ihn! Da scheint etwas tief Freudianisches drinzustecken, etwas Angstmachendes! Freue dich nicht deines Künstlertums, denn hier kommt John Goodman!"

Weitere Artikel: Dankwart Guratzsch berichtet über einen Vortrag der amerikanischen Stadtplanerin Ellen Dunham-Jones, die spezialisiert ist auf die "Umnutzung der Vorstädte", seit immer mehr Menschen zurück in die Innenstädte ziehen. Der Solotänzer Pawel Dmitritschenko wurde wegen des Säureattentats auf den künstlerischen Leiter des Bolschoi, Sergej Filin, zu sechs Jahren Straflager verurteilt, berichtet Julia Smirnova. Alan Posener mag keine Kinderbücher, die Moral predigen. Tilman Krause empfiehlt deutschen Schriftstellern, die sich in Frankreich ignoriert fühlen, sich nicht so anzustellen und bessere Manieren zu lernen.

Besprochen werden Milo Manaras neu herausgegebener erotischer Comic-Klassiker "Click! - Außer Kontrolle" ("Onaniervorlage von gestern", befindet Matthias Heine) und die Ausstellung "Kindheit. Eine Erfindung des 19. Jahrhunderts" im Museum für Kunst und Technik in Baden-Baden.

TAZ, 04.12.2013

Interessanter als die französische Künstlerin Laure Prouvost findet Marion Douglas, dass ihr der Turner Prize in Derry verliehen wurde. Die Stadt scheint sich vom Bürgerkrieg zu erholen: "Das ehemalige Militärhospital wird demnächst ein Meereskundemuseum sein. Eine neue, überdimensionale Brücke über den Fluss Foyle verbindet die Viertel, die Katholiken von Protestanten trennte. Sie heißt 'Peace Bridge'. Der heute wieder pittoresk wirkende Ort zieht neben Touristen nun auch die Kunstwelt an."

Weiteres: Dominik Kamalzadeh durfte die Coen-Brüder bei einem kurzen Interview zu ihrem Film "Inside Llewyn Davis" befragen. Christoph Dorner berichtet von der letzten Ausgabe des englischen Popfestivals All Tomorrow's Parties.

Der Historiker Klaus-Dietmar Henke spricht auf den vorderen Seiten im Interview mit Stefan Reinecke über die Aufarbeitung der BND-Geschichte, die unter dem Nazi Reinhard Gehlen bekanntlich einen recht fragwürdigen Anfang nahm: "Gehlen hat zum Beispiel seinem CIA-Aufpasser gesagt, dass, falls es zu einer Regierungsbeteiligung der SPD und missliebiger Unionspolitiker in einer Großen Koalition kommen sollte, er einen illegalen Apparat gründen wird."

Und Tom.

SZ, 04.12.2013

Meredith Haaf wundert sich nach Alice Schwarzers Essay in der Zeit, in dem sie Prostitution mit Pädophilie gleichsetzt (online nur eine Zusammenfassung), über den Sexualitätsbegriff der Feministin: Dieser zeige sich "als im Kern nicht nur anachronistisch, sondern geradezu frauenfeindlich." Haaf stört nicht nur, dass Schwarzer Gewalt gegen Kinder mit Sex gegen Geld unter Erwachsenen gleichsetzt, sondern auch, dass Schwarzer mit dieser Reduktion des Frauenkörpers auf seine Sexualität einen zentralen feministischen Kern verabschiedet: "Das Wort 'Frauenkauf', das von Schwarzer und ihren Mitstreitern oft verwendet wird, ist besonders deutlicher Ausdruck eines Essentialismus, laut dem eine Frau dasselbe ist wie ihr Sex. In dieser Idee verschmilzt die weibliche Person mit ihrer Geschlechtlichkeit so stark, dass ihr - anders als dem Mann - keine sexuelle Autonomie möglich ist. Es sei denn, man hilft ihr. Dieses Denken motiviert Mullahs in Saudi-Arabien, Frauen nicht ohne Niqab auf die Straße zu lassen."

Weitere Artikel: Henning Klüver stattet in Rom der "Casa di Goethe" unter der neuen Direktorin Maria Gazzetti einen Besuch ab die sich dort mit einer Reihe von Veranstaltungen gezielt darum bemüht, den deutsch-italienischen Austausch zu befördern. Alexander Menden lobt die "intime, aber auch jenseitige, privatmythologische Qualität" von Laure Prouvosts Arbeit "Wantee", für die die Künstlerin gerade überraschend mit dem Turner-Preis ausgezeichnet wurde. Joachim Hentschel stellt den glücklosen Folksänger Dave Van Ronk vor, dessen Geschichte den Coens als Inspiration für ihren neuen, von Tobias Kniebe besprochenen Film "Inside Llewyn Davis" diente. Stephan Speicher sichtet erste Ergebnisse der Unabhängigen Historikerkommission, die Nazi-Kontinuitäten im BND erforscht.

Besprochen werden die Calder-Ausstellung in Düsseldorf und John le Carrés neuer Thriller "Empfindliche Wahrheit" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).

FAZ, 04.12.2013

Mark Siemons schildert die Vorbereitungen für den 120. Mao-Geburtstag in China: "Für die Kommunistische Partei ist das Jubiläum ein ambivalentes Ereignis, was der Parteichef Xi Jinping in die Formel kleidete, der Tag solle 'feierlich, einfach und pragmatisch' begangen werden." Im Netz aber, so Siemons, wird über den offiziellen Mao erbittert diskutiert, und ein Blogger nennt ihn einen "Kriminellen, der den Tod von Zigmillionen verursachte - wenn seine Verehrer das nicht wissen, ist das Ignoranz; aber wenn sie es wissen und diese Person und seine Gang trotzdem über die menschliche Würde stellen, nennt man das Faschismus".

Weitere Artikel: Jürg Altwegg berichtet, das das Zürcher Literaturmuseum Strauhof geschlossen werden soll. Andreas Platthaus glossiert einen Streit im Hause Uderzo um Rechte an "Asterix". Katharina Teutsch besucht das Ehepaar Klocke/Wohlrath, das unter dem Pseudonym Iny Lorentz die sagenhaft erfolgreiche "Wanderhuren"-Serie und weitere Kolportage-Romane verfasst. Harald Welzer schimpft in seiner Nachhaltigkeitskolumne auf das kapitalistische Weihnachtsfest und empfiehlt die Website zeitstattzeug.de, die für eine CO2-neutrale Zwischenmenschlichkeit eintritt. Thilo Wydra erinnert an Horst Buchholz, der morgen achtzig Jahre alt geworden wäre und dem das Filmmuseum München eine "Verführer und Rebell" betitelte Retrospektive widmet. Gina Thomas stellt die französische Videokünstlerin Laure Prouvost vor, deren letzte Arbeit sich mit Kurt Schwitters im britischen Exil befasste, und die jetzt im nordirischen Londonderry den Turner-Preis bekommen hat. Um einen Eindruck zu bekommen, hier ihre Installation "Swallow":



Auf der Medienseite stellt Stefan Schulz den Online-Karten-Dienst Mapbox vor, der zugleich für Enthusiasten offen und durch Großkunden solvent ist ("Allein Foursquare, Pinterest und VK.com bedeuten mehr als hundert Millionen Kartennutzer, die ihrerseits plötzlich feststellen, dass der optische Einheitsbrei von Google Maps nicht alternativlos ist"). Und Michael Hanfeld berichtet, dass die Rundfunkgebühr sinken könnte, da durch den Zwangseinzug erheblich mehr reinkommt, als die Sender sich erhofften.

Besprochen werden eine Ausstellung des Naturmaler August Lucas in Darmstadt, eine Ausstellung über "Claude Simon in Deutschland" in der Bibliotheca Reiner Speck in Köln und Bücher, darunter David Abulafias "Biografie" des Mittelmeers (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

Michael Kumpfmüllers gestriger Verzweiflungsartikel über Frankreich steht jetzt online und wird fleißig diskutiert.