Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.01.2002. Die Zeitungen sind angetan, denn Jutta Limbach wird neue Präsidentin des Goethe-Instituts. In der SZ geht die Debatte um die Hochschulreform weiter. FR und NZZ fragen: Ist Deutschland im Sprachnotstand?

TAZ, 18.01.2002

Hilmar Hoffmann geht, Jutta Limbach kommt - an die Spitze des Goethe-Instituts. Und während Brigitte Werneburg dem scheidenden Hoffmann in einem Beitrag noch die Lorbeeren hinterherträgt ("ein Glücksfall für das Goethe-Institut"), rollt Christian Rath der Neuen schon mal den Teppich aus, den roten: Diplomatisch sei sie, meint er, vertrauenerweckend und zugleich bestimmt. "Für ihre neue Aufgabe beim Goethe-Institut kommt ihr zugute, dass sie bereits am Bundesverfassungsgericht mit Haushalts- und Strukturfragen befasst war ... Auch die internationale Perspektive liegt ihr nicht fern. Denn viele Länder in Osteuropa und in der Dritten Welt haben sich ein Verfassungsgericht nach deutschem Vorbild geschaffen und wollen nun von den Karlsruher Erfahrungen profitieren. Jutta Limbach wurde in diesem Dialog längt zur Expertin für Menschenrechtsfragen in jungen Demokratien. Beim Goethe-Institut hat man die Wahl von Limbach denn auch als 'inhaltlich-politisches' Signal bezeichnet."

Ferner: Rene Martens staunt über die Protestwelle gegen die Abwicklung von Viva Zwo und avisiert die inoffizielle Trauerfeier in der Berliner Volksbühne, Tobias Rapp stellt neue Hip-Hop-Alben von Busta Rhymes ("Genesis") und Wu Tang-Clan ("Iron Flag") vor.

Und ein Spezial widmet sich dem heißen Thema Bildung. Mit Beiträgen über Ehemaligen-Programme an Berliner Unis (hier), über das Bildungsdebakel an den Schulen aus Sicht der Unternehmensverbände Berlin Brandenburg (hier) sowie mit einem Interview mit Michael Leinhoß, dem Veranstalter der 29. Berliner Bildungsmesse.

Schließlich Tom.

FR, 18.01.2002

Deutschland im Sprachnotstand? Mitnichten, beruhigt Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, ein Mann, der es wissen muss, und kontert damit die von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgegebene Feststellung einer Debatte über die Anglisierung des Deutschen: "Die Sprache ist ein lebendiges Gebilde, das sich ständig ändert und Einflüsse aufnimmt, so dass man Fremdwörter nach einer Weile oft gar nicht mehr als solche bemerkt ... Andere sind eine Zeit lang gebräuchlich und verschwinden dann wieder. Die Politik sollte sich da mit Reglementierungen sehr zurückhalten." "Dass sich die eigene Behörde einer grammatikalisch korrekten, allgemein verständlichen, klaren Sprache bedient", findet Nida-Rümelin immerhin erstrebenswert.

Harry Nutt nimmt den Wechsel an der Spitze des Goethe Instituts zum Anlass, darüber nachzudenken, welche Kernaufgabe der Auswärtigen Kulturpolitik nach dem Verschwinden eines "stabilen politischen Großmaßstabs" zukommt. Eine Frage, findet er, die bislang "leichtfertig zwischen zweckrationalen Bestimmungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland und aktuellen geopolitischen Aspekten zerrieben worden (ist)" und die er mit der Idee des Kulturkontakts beantwortet. "Eine Politik des Kulturkontakts lebt von den Überraschungen, die einem die anderen bereiten und die die eigene Kultur als eigene kenntlich machen. Dem Goethe Institut Inter Nationes steht nicht nur ein Personalwechsel, sondern auch ein radikaler Strukturwechsel bevor."

Außerdem: Morten Kansteiner erblickt in Thomas Meinecke den idealen Gast der Essener Gesprächsreihe "Korrespondenzen", die Kunst und Wissenschaft zusammenbringen soll, Matthias Heybrock stellt Gary Fleders Kinostreifen "Sag kein Wort" mit Michael Douglas vor, Rüdiger Suchsland prüft Peter L. Galisons Dokumentarfilm "Ultimate Weapon. The H-Bomb-Dilemma" und die Möglichkeiten und Grenzen des "Filming Science". Und Heinrich von Berenberg liefert den Nachruf auf den spanischen Literaturnobelpreisträger Camilo Jose Cela ("Der Bienenkorb").

SZ, 18.01.2002

Die SZ führt die Debatte um das neue Hochschulrahmengesetz fort. Die Wissenschaft braucht ein Förderprogramm statt vieler Juniorprofessuren, behauptet dazu der Vorsitzende des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, Manfred Hildermeier. Dem Nachwuchs mit den Juniorprofessuren früher eine feste Perspektive zu eröffnen, findet er prinzipiell zwar eine prima Idee. "Ein Unding ist es aber, in den Vereinigten Staaten einkaufen zu gehen, wie das bei den Juniorprofessoren als der deutschen Version der 'Assistant Professors' der Fall ist, und sich das Gewünschte herauszupicken, ohne das gesamte System zu übernehmen" (etwa die Lebensanstellungen bietenden Colleges). Ein neues "Fiebigerprogramm" für den wissenschaftlichen Nachwuchs, das Förderprofessuren ins Leben ruft, hält Hildermeier für sehr viel effektiver.

Das Stoiber-Wunder ? worin es besteht (alle wollen ihn streicheln) und, vor allem, warum es schnell vergehen könnte, verrät uns Heribert Prantl in einem Beitrag: "Es gibt keine Wechselstimmung im Land. Der Herausforderer muss gegen einem Kanzler antreten, der telegener ist und der viel witziger sein kann als er. Und er muss gegen ein Argument anrennen, das ansonsten das der Konservativen ist: Keine Experimente. Die Deutschen haben ihren Schröder und sie wissen, im Guten und Schlechten, was sie an ihm haben. Neugier auf einen Neuen schafft gute Umfragewerte, aber noch keinen Wahlsieg."

Weitere Artikel: Michael Bitala zeichnet das desaströse Somalia-Engagement der USA nach und befürchtet eine baldige Fortsetzung. Holger Liebs zeigt sich empört über die Taktlosigkeit von Bayerns Kunstminister, der Christoph Vitali, Direktor am Münchner Haus der Kunst, fallen lässt. Hans Schifferle besucht das erste Frankfurter Filmfest. Kerstin Klein meldet einen Präzendenzfall für kommende Rechtsstreitigkeiten zwischen Musikern und ihren Labels. Ijoma Mangold registriert neue Rangeleien zwischen den Verlagen und der Justizministerin um die Reform des Urheberrechts. Jens Bisky war auf einer Zusammenkunft der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die BSE-Alarm gibt: Das sogenannte Basic Simple English, so fürchtet man, verdränge das Deutsche als Wissenschaftssprache. Ulrich Raulff berichtet von den Umtrieben des Literaturarchivs Marbach und des Vittorio Klostermann Verlags in Sachen Philosophen-Nachruhm. C. Bernd Sucher gratuliert der Münchner Schauspielerin Christa Berndl zum Siebzigsten. Kristina Maidt-Zinke schreibt zum Tod des spanischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Camilo Jose Cela.

Und auf der Berlin-Seite protestiert Jens Reich energisch dagegen, dass der rot-rote Senat die Medizinische Fakultät der FU Berlin "schlachten" will.

Besprechungen widmen sich Inga Äbeles "Die dunklen Hirsche" am Stuttgarter Staatstheater, den "Maulhelden" auf dem "1. Internationalen Festival der Wortkunst" im Berliner Tempodrom, einem revolutionären Bratschen-Wochenende in Köln, einem "kleinen, feinen" Buch über Russland sowie einem Band mit erbaulichen Psalmenübersetzungen von einem gewissen Fridolin Stier (siehe auch unsere Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 18.01.2002

Im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes hat Carl Zuckmayer im Exil kleine Porträts von deutschen Schriftstellern und Kunstschaffenden geschrieben, die zuhause geblieben waren - damals interessierten sich die Geheimdienste noch für Kultur. Die FAZ veröffentlicht diese Berichte als Serie. Als erster ist Heinz Rühmann dran, den Zuckmayer in den wärmsten Worten verteidigt. Die jüdische Frau, von der sich Rühmann später scheiden ließ, sei eine "Landplage" gewesen, "und R. war grade im Begriff sich von ihr zu trennen, wozu es offenbar höchste Zeit war, - als plötzlich Hitler zur Macht kam und jeder Schuft sich von seiner nichtarischen Frau scheiden ließ. Dieser Umstand zwang R. aus Gründen der Selbstachtung und der Zivilcourage, vor allem wohl der Anständigkeit gegen die Frau, jahrelang eine an sich überlebte und sinnlos gewordene Ehe weiterzuführen."

Tilman Spreckelsen erläutert zur Serie: "Der Quellenwert von Zuckmayers Texten besteht auch darin, dass sie zeigen, wie die in Deutschland gebliebenen Künstler von ihren emigrierten Kollegen eingestuft wurden und welche Informationen über die Daheimgebliebenen in Emigrantenkreisen kursierten." Und Gunther Nickel vom Deutschen Literaturarchiv Marbach erläutert, was Zuckmayer bei seinen Berichten motivierte: " Ein bestimmendes Motiv für dieses Engagement war seine entschiedene Ablehnung der Kollektivschuldthese, die unter anderem von Thomas Mann und seiner Tochter Erika vertreten wurde."

Und sonst herrscht Routine: Gerd Roellecke würdigt Jutta Limbachs Tätigkeit als Präsidentin des Verfassungsgerichts - Limbach ist jetzt zur Präsidentin des Goethe-Instituts gewählt worden. "Sie war schlauer als die Schlauesten, härter als die Härtesten, und sie ist eine ehrliche Frau dabei geblieben", kommentiert "apl" diese Ernennung. Joseph Hanimann resümiert französische Parlamentsdebatten zur Bioethik ("Die Entwicklungsrichtung ist klar: etwas mehr Ding, etwas weniger Mensch.") Hans Markus Heimann vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Uni München denkt über die Sinnkrise der Bundeswehr nach und befürwortet eine Freiwilligenarmee. Verena Lueken schreibt zum 20. Jubiläum des Sundance Film Festivals, das gerade wieder beginnt, und schildert seine Verdienste um den unabhängigen Film. Walter Haubrich schreibt zum Tod des spanischen Literaturnobelpreisträgers Camilo Jose Cela. Herbert Molderings gedenkt des Berliner Fotografen Umbo (Bilder), der heute 100 Jahre alt geworden wäre.

Ferner gratuliert Gerhard Stadelmaier der Schauspielerin Christa Berndl zum Siebzigsten. Matthias Grünzig meldet neues Leben in der Altstadt von Stralsund. Auf der Medienseite erzählt Heike Hupertz, wie die amerikanischen Sender CNN und Fox News mit Zähnen und Klauen um die Marktführerschaft kämpfen. Und Michael Hanfeld erinnert an die Intendantenwahl beim ZDF vor 25 Jahren, bei der es auch nicht besser zugegangen zu sein scheint als heutzutage.

Auf der Schallplatten-und-Phono-Seite geht's um die neue CD der HipHop-Gruppe De la Soul, um eine Aufnahme der Chorwerke Luigis Nonos mit den Chören des WDR und des SWR, um eine CD-Box mit den gesammelten Werken von Creedence Clearwater Revival und um eine CD mit der Musik zur Krönung des britischen Königs Georg II.

Auf der letzten Seite flaniert Andreas Rossmann über die Kölner Möbelmesse. Paul Ingendaay schreibt ein kleines Profil über den spanischen Philologen Francisco Rico, der die berühmte kritische Cervantes-Ausgabe betreute und unter eigenem Namen in einem Roman von Javier Marias auftritt. Und Peter Körte kommentiert die Tatsache, dass MGM zum wiederholten Male zumVerkauf steht: "All das erinnert einen an die Überlegung des Philosophen David Hume, ob ein Schiff, bei dem man über die Jahre alle Teile austauscht, noch dasselbe Schiff sei.

Besprochen werden die Ausstellung "Nolde und die Südsee" im Wiener Kunstforum, Kim Ki-Duks Film "The Isle", Jan Schüttes Kurzfilm "Old Love" und Paul Cox' "Innocence" (die im Gespann ins Kino kommen) und eine Jacob-Lawrence-Ausstellung in New York.

Hingewiesen sei im übrigen auf ein Interview mit Peter Sloterdijk im faz.net. Er verteidigt sich schon im Vorhinein für seine Talkmasterei im Philosphischen Quartett, die wir am Sonntag zum ersten Mal genießen dürfen: "Das Fernsehen ist für Intellektuelle vielfach und erwiesenermaßen ein gegenweltliches, Schall und Intelligenz schluckendes Medium. Man kann nicht mit Naivität und ungebrochenem Optimismus darauf setzen, dass es auf einmal etwas leistet, was bisher in ihm nicht möglich war."

NZZ, 18.01.2002

Joachim Güntner berichtet über die Stellungnahme der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zum Einfluss des Englischen auf die deutsche Sprache. Die Übernahme englischer und amerikanischer Wörter nimmt die Akademie gelassen. Sorgen macht ihr, dass das Englische Deutsch als Wissenschaftssprache verdrängt. Das Problem sei ein politisches und reiche weit über die Anglizismen-Frage hinaus, schreibt Güntner. Denn "wie lassen sich gesellschaftlich relevante Entwicklungen, wie sie von Wissenschaft und Wirtschaft angestoßen werden, öffentlich diskutieren und beurteilen, wenn die wissenschaftlichen Phänomene nur im Fachidiom, in einer fremden Zunge und hermetischen Terminologie, artikuliert werden? Es geht nicht um Sprachnationalismus, es geht um demokratische Transparenz."

Weitere Artikel: Albrecht Buschmann schreibt zum Tod des spanischen Schriftstellers Camilo Jose Cela. Und in der Serie "Kleines Glossar des Verschwindens" schreibt Moritz Rinke über den letzten Schuhputzer von Berlin.

Besprochen wird eine Ausstellung neuer japanische Landschaftsarchitektur im Royal Institute of British Architects in London, ein Konzert mit Vokalmusik von Janacek und Bruckner in der Tonhalle Zürich, David Mouchtar-Samorais Inszenierung von Max Frischs "Graf Öderland" in Bern, die Satire auf das Privatfernsehen "Deine Chance" am Stadttheater Solothurn und eine Ausstellung des Malers Christian Rohlfs im Stadtmuseum Jena.