Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.03.2003. Die SZ stellt die Frage nach dem internationalen Profil des deutschen Kinos. Die FR setzt die Debatte um Sinn und Unsinn einer Invasion im Irak fort. Die taz meditiert über die Neigung der Intellektuellen zum Manifest.

SZ, 04.03.2003

Mit dem internationalen Profil des deutschen Kinos, genauer mit der Frage, ob es wieder eins bekommt, beschäftigt sich Fritz Göttler. Der derzeitige Kinofrühling (darunter auch die Oscar-Nominierung von Caroline Links "Nirgendwo in Afrika") veranlassten durchaus zu einem "heiteren optimistischen Gesamteindruck". Doch mit den ersten "vorsichtigen Expansionen im Produktions- und Verleihbereich" dürfe es nicht einfach "um die Eroberung des amerikanischen Marktes" gehen. "Es geht um die Frage der Qualität und der Innovation im deutschen Kino - und wie diese zum Begriff gemacht werden können international. Die Krise der deutschen Filmproduktion war immer ein kleines Trauerspiel um Identität und Profilierung, und als solches fremdbestimmt - was darf das Ausland vom deutschen Produkt erwarten?" Vorsicht, so Göttler, sei geboten, sonst drohe eine neue Fremdbestimmung: "Das deutsche Kino vereinheitlicht sich nach den Standards und wird dafür mit Internationalität belohnt."

Weiteres: Joachim Käppner beschreibt, wie die Gemeinden - nach dem bereits von Alexander Mitscherlich 1965 konstatierten Charakterverlust per "Unwirtlichkeit" - durch die Finanzkrise erneut politisch entmündigt werden und nur noch als eine "Karikatur der Heimat" gelten können. Von einem wahren Exodus von Pakistanis aus den USA nach Kanada berichtet Jürgen Heizmann: Hunderte, die illegal oder mit abgelaufenem Visum in den USA lebten, versuchen so, den seit dem 11. September verstärkten Kontrollen zu entgehen. Lothar Müller informiert über die bevorstehende Versteigerung von achtunddreißig bisher nur in Auszügen bekannten Briefe Franz Kafkas in Wien; der Preis für das Konvolut ist viel zu hoch für das Marbacher Archiv. Oliver Fuchs besuchte im norwegischen Trondheim die (Pop)Musikmesse By:Larm, und Ralf Berhorst resümiert eine Tagung des Hamburger Instituts für Sozialforschung, die die Folgen der Aufrüstung untersuchte.

"akis" staunt über eine Initiative des Rabbiners Boruch Leff, der unter Berufung auf die Bibel zum Krieg aufruft. Jochen Wagner handelt den Fasching als "Lebenslüge" ab, und in der Kolumne Zwischenzeit würdigt Joachim Kaiser Loriots Leistung für den deutschen Humor. Reinhard J. Brembeck schreibt einen Nachruf auf den römischen Komponisten Goffredo Petrassi.

Ausführlich widmet sich Tilmann Buddensieg zwei Ausstellungen in Parma (mehr hier), mit denen die Stadt den 500. Geburtstag des Malers Parmigiano feiert. Besprochen werden außerdem Robyn Orlins "performatives Tanztheater "We Must Eat our Suckers with the Wrappers on" im Frankfurter Theater am Turm, die Premiere von Paul Burkhards Musikomödie "Das Feuerwerk" am Wiener Burgtheater, die Dramatisierung von Jenny Erpenbecks Debütroman "Geschichte vom alten Kind" am Staatstheater Kassel und Bücher, darunter zwei Biografien von Katja Mann und das vor der "zerstörerischen Symbiose" warnende Tagebuch der Philosophen-Gattin Erna Seeberger-Sturzenegger (siehe auch unsere Bücherschau ab 14 Uhr).

FR, 04.03.2003

In der Debatte um Sinn oder Unsinn einer Militärinvasion im Irak melden sich heute Bernd W. Kubbig ("Brandherd Irak", Textauszug hier) und Mirko Jacubowski zu Wort (mehr zum Arbeitsfeld der Autoren hier). Zuvor hatte der ehemalige Clinton-Berater Ronald D. Asmus für eine solche Maßnahme plädiert, der amerikanische Philosoph Richard Rorty in seiner Antwort aber mehr Zurückhaltung angemahnt. Kubbig und Jacubowski unterziehen die Thesen von Asmus in vier Punkten einer grundsätzlichen Kritik. So bemängeln sie unter anderem: "Ihrem Konzept haftet trotz allen Problembewusstseins das Odium des social engineering von Transformationsansätzen aus der OECD-Welt an: Überspitzt formuliert halten Sie jene Region für ein überholungsbedürftiges Auto. Uns erscheint sie viel eher als ein sensibles Gewebe: Wie gehen wir produktiv mit dem Gefühl des Sich-gedemütigt-Fühlens in den islamischen Ländern um? Und wie vermeiden wir, dass die Demokratisierung als Variante eines Neokolonialismus wahrgenommen wird?"

Mit einem (viel zu kurzen! Mensch, Frankfurt!) Porträt gratuliert Lutz Hagestedt dem wunderbaren Zeichner und Dichter und Mitbegründer der Neuen Frankfurter Schule, F.W. Bernstein alias Fritz Weigle (mehr hier), zum 65. Geburtstag. "Heute gilt F. W. Bernstein als derjenige, der den anarchischen Witz der Neuen Frankfurter Schule am reinsten bewahrt hat und überdies am besten zeichnen kann. Es gibt vermutlich kein kulturelles Programm für Individualität - man erwirbt sie sich, indem man den eigenen Präferenzen folgt." Wie wahr.

Weitere Artikel: Ulla Hanselmann informiert über den Wettbewerb zur Umwandlung des Hamburger Elbufers, an dem viele bekannte Architekturbüros teilnahmen. In der Kolumne Times mager räsoniert "U.Sp" über den Reichstagsbrand als "Dauerbrenner in Sachen Historikerstreit". Und "H.K.J." würdigt den verstorbenen Komponisten Gottfredo Petrassi.

Besprochen werden die Ausstellung "Painting Pictures" im Kunstmuseum Wolfsburg und eine Schau mit Fotografien von Walter Niedermayr in der Kunsthalle Wien, eine "hingebungsvoll versiebte" "Hedda Gabler" am Bochumer Theater, eine "intelligent aktualisierte" Inszenierung der Straus-Operette "Ein Walzertraum" an der Oper Frankfurt, die CD von Wladimir Kaminers "Russendisko" und schließlich die Essays von Dubravka Ugresic über Marktliteratur und Exil.

TAZ, 04.03.2003

Oliver Ruf beschäftigt sich mit der Neigung von Intellektuellen zur gemeinsamen Wortmeldung per Appell oder Manifest. Er verfolgt diese Form bis an den Beginn der literarischen Moderne zurück und erinnert an ein unrühmliches Beispiel: das "Manifest der 93", das im September 1914 die deutsche Schuld am Ersten Weltkrieg zurückwies und zu einem "Bekenntnis zu Krieg und Rassismus" geriet - und nach Kriegsende eilig widerrufen wurde. "Auch heute, knapp 90 Jahre nach dem Erscheinen des 'Manifestes der 93' und seiner überraschenden Revision, organisiert sich der gemeinschaftliche Protest der kulturellen Elite noch immer nach dem gleichen Muster: Aus dem stetig dichter werdenden medialen Stimmengewirr tritt man dann am deutlichsten hervor, wenn man sich zu einem offenen Brief oder einem gemeinsamen Appell entschließt."

Weiteres: Jan Brandt hat sich an dem kalifornischen Politikstudenten Ibrahim al-Marashi ein Beispiel genommen. Dessen Aufsatz über den irakischen Geheimdienst war kürzlich vom britischen Geheimdienst als eigene Information ausgegeben (mehr hier) und in Folge von US-Außenminister Powell vor dem UN-Sicherheitsrat sehr gelobt worden. Brandt hat nun seinen Computer nach brauchbaren Studienarbeiten für den BND durchforstet und wurde auch fündig: "Der Mappe (...) legte ich noch Rezensionen über Marcel Beyers 'Spione' und Stephan Maus 'Alles Mafia' und einen alten Schulaufsatz über Friedrich Dürrenmatts Novelle 'Der Auftrag oder Vom Beobachten des Beobachters der Beobachter' bei und wies (...) auch auf die Homepage www.hausarbeiten.de hin. Dort ist von Thesenpapieren bis zu Magisterarbeiten alles zu haben."

Auf der Tagesthemenseite finden wir ein Interview mit dem Menschenrechtsexperten Kenneth Roth von Human Rights Watch, der sich gegen einen einfachen Gang Saddam Husseins ins Exil ausspricht: "Erstens weil natürlich die Opfer Saddams Gerechtigkeit sehen wollen, und zweitens weil es nicht richtig sein kann, das Signal auszusenden, dass es möglich ist, so grausame Verbrechen zu begehen, wie Saddam es getan hat, und sich dann erpresserisch den Weg zur Straffreiheit zu erkämpfen

Ansonsten wieder viele Besprechungen, so von der "etwas salbungsvoll geratenen" Uraufführung des neuen Stücks von Tim Staffel "Von Cowboys und Elfen" am Stadttheater Konstanz. Ansonsten Bücher: Der Aufmacher von Gerrit Bartels ist Nick Hornbys Essayband "31 Songs" gewidmet, rezensiert werden außerdem die "Minutennovellen" des ungarischen Schriftstellers Istvan Örkeny, eine "Tischrede" von Oswald Wiener: "Bouvard und Pecuchet im Reich der Sinne", eine Biografie über Rudolf Bahro und die Studie "Terrorismus. Ein Handbuch über Täter und Opfer" (siehe auch unsere Bücherschau ab 14 Uhr).

Und hier TOM.

FAZ, 04.03.2003

Jordan Mejias unternimmt einen Streifzug durch die New Yorker Off-Theaterlandschaft, wo ein Tag mit THAW, Theatre against war, vorbereitet wird. In der Leitglosse kommentiert Joseph Hanimann den Besuch Jacques Chiracs in Algerien, das er noch aus seiner Zeit als Leutnant der französischen Armee kennt. Jürg Altwegg meldet, dass es dem französischen Buchmarkt so la la geht - am besten verkauft sich noch Titeuf. Dietmar Polaczek schreibt zum Tod des italienischen Komponisten Goffredo Petrassi. Ingeborg Harms blickt in deutsche Zeitschriften. Timo John begutachtet einen neuen Archivbau der Erzdiözese Freiburg.

Auf der Bücher-und-Themen-Seite liest Milos Vec vom Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte einige Bücher, die die Frage stellen, ob und wann Folter gerechtfertigt sein kann. Für die letzte Seite hat Ernst Horst eine Reportage aus München geschickt, das sich mit dem Leichenplastifikator Gunther von Hagens schwer tut. Heinrich Wefing schildert den fortdauernden Rechtsstreit um den amerikanischen Fahneneid, der morgens in den Schulen geleistet wird und von einem liberalen Gericht wegen der darin enthaltenen Anrufung Gottes untersagt wurde. Und Julia Spinola schreibt ein kleines Porträt des Geigers Walter Levin, ehemals LaSalle-Quartett, der heute den Frankfurter Musikpreis erhält. Auf der Medienseite fragt sich Jobst Plog, Intendant des Norddeutschen Rundfunks, wie er mit unseren Gebühren die "Show-Schwäche der ARD" beheben kann. Und Michael Jeismann bespricht eine Dokumentation über Stalin, deren erster Teil heute im ZDF läuft.

Besprochen werden eine Ausstellung über Oscar Niemeyer im Deutschen Architekturmuseum, die Operette "Ein Walzertraum" in Frankfurt, Wagners "Götterdämmerung" unter David Alden und Zubin Mehta in München und Ernst Stölzners Inszenierung von Ibsens "Hedda Gabler" in Bochum.

NZZ, 04.03.2003

Joachim Güntner resümiert eine Tagung über den Kalten Krieg, die vom Hamburger Institut für Sozialforschung abgehalten wurde. Besprochen werden zwei Choreografien von Heinz Spoerli in Zürich, Smetanas "Verkaufte Braut" in Stuttgart, die Operette "Das Feuerwerk" von Paul Burkhard in Wien und einige Bücher, darunter Martin Z. Schröders Romanerstling "Allgemeine Geschäftsbedingungen" (mehr hier) und Andrew Vachss' Erzählband "Born Bad" (mehr hier).