Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
07.05.2007. In der Berliner Zeitung fragt sich Elfriede Jelinek, warum sie Ulrich Matthes so gerne sprechen hört. Liegt es am engen Augenstand? Die FR bewundert einen lüsternen Zwerg von Daniel Richter, der noch nach Farbe riecht. Die NZZ informiert über die Musiktradition Hawaiis. Der FAZ ist die chinesische Harmonie unheimlich. Für die taz besucht Gabriele Goettle eine Tätowiererin, die einem Kunden auch den Schwanz verzierte. Zu seiner Zufriedenheit: "Er guckte seinen Schwanz völlig verliebt an und sein Schwanz guckte ihn an. Ich hätte ein Gesicht drauf machen sollen!"

TAZ, 07.05.2007

Unter dem schönen Titel "Zeichen der Zeit" besucht Gabriele Goettle die Tätowiererin Berit Uhlhorn. "Einmal hatte ich einen jungen Mann, der wollte unbedingt die Eichel tätowiert haben. Ich habe eine einfache schwarze Spirale vorgeschlagen - ich kann ja da nicht ein Marienporträt draufmachen. So eine Spirale, die das Geschlecht irgendwie magisch auflädt, ist doch sehr elegant, zeitlos. Und was die Schmerzen angeht, wenn der das will, dann muss er sie aushalten. Es hat gut geklappt, er hat nicht piep und nicht papp gesagt. Das Niedliche war, als es gerade fertig war, kriegte er einen Harten. Er guckte seinen Schwanz völlig verliebt an und sein Schwanz guckte ihn an. Ich hätte ein Gesicht drauf machen sollen!"

In der zweiten taz fasst Edith Kresta eine von Instituto Cervantes Berlin und dem Goethe Institut in Madrid veranstaltete Dikussion über kulturelle Identität angesichts zunehmender Migration zusammen. Jan Feddersen hat im Gegensatz zur Emma nichts dagegen, das schwul-lesbische Kulturfestival "Sommerblut" im Kölner Bordell "Pascha" zu eröffnen. Cristina Nord kommentiert unzufrieden die Verleihung der Deutschen Filmpreise am Freitagabend. Susanne Lang amüsiert sich über die "Anleitung zum Männlichsein" der Lebert-Brüder. Auf der Medienseite berichtet Martin Langeder über die inhaltlichen und finanziellen Probleme der Netzeitung.

Und Tom.

FR, 07.05.2007

Elke Buhr stört es wenig, dass es in der Hamburger Retrospektive zu Daniel Richter penetrant nach Farbe riecht. Denn so sieht man auch die neuesten Werke wie "E.R.". "Die Eile hat ihm offensichtlich nicht geschadet. Denn in dem Gnom ist Richter eine fantastische Figur gelungen: Eine treffende Karikatur der hippen Wireless-Typen, die die Cafes der Großstädte verstopfen, und gleichzeitig eine Reprise all der lüsternen Zwerge, die durch die Malereigeschichte gekrochen sind. Auch die Komposition des Bildes lässt an Spannung nichts zu wünschen übrig, mit der Frauenfigur daneben, die mit ihren weißen, zarten Zügen aussieht, als sei sie einem Jugendstil-Gemälde entsprungen, und mit der harten Straßenszene im Hintergrund, die immer wieder abtaucht in grobe Farbschichten, in reine Malerei."

Debbie Melnyks und Rick Caines Dokumentarfilm "Manufacturing Dissent" über die manipulativen Machenschaften des Kollegen Michael Moore findet Daniel Kothenschulte nicht überzeugend. Von Braunschweiger Unstimmigkeiten zwischen Kultur und Kommerz berichtet Christian Thomas in einer Times mager. Christine Pries preist Suhrkamps neue Studienbibliothek, die mit Walter Benjamins "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit und weitere Dokumente" aufmacht.

NZZ, 07.05.2007

Lukas Egli beschreibt in einem sehr schönen Artikel die Musiktradition Hawaiis, die eng mit der Landschaft verbunden ist. "Wie aus purer Zerstörung ein Wunderwerk werden kann, lässt sich auf Hawaii an vielen Orten erleben, zum Beispiel an der Kalapana Coast. Sie galt einst als eine der schönsten Küsten Hawaiis. Bis 1990 die Lava des Kiluaea den in vielen Chants besungenen Küstenstreifen überrollte. Heute geht von dem Strand ein unheimlicher Zauber aus. Er ist rabenschwarz, hart, nackt. Kaum jemand traut sich hier noch ins Wasser; kein Schwimmer, kein Taucher, kein Surfer. Zu heftig und zu nah ist die Brandung des offenen Pazifiks, der hier ungehindert auf die Insel eindrischt und die erstarrte Lava in feinen Sand verwandelt. Es ist ein Ort zwischen Himmel, Erde und Hölle. 'That's another spot', sagen die Einheimischen, ein ganz besonderer Ort. Es ist ein Ort, den man besingen muss. Von hier stammt Puna, der jüngste Sohn von Robert Keliihoomalu und der verstorbenen Sängerin G-Girl ..."

Weitere Artikel: Manfred Schneider liest Auguste Villiers de l'Isle-Adams "Eva der Zukunft" neu. Sieglinde Geisel wirft einen Blick ins neue Kursbuch "Vorabsprachen, Absprachen und Verabredungen".

Besprochen werden Marc Ravenhills "pool (no water)" im Schiffbau ("Eine satirische Koketterie; sie schmerzt niemanden", urteilt Barbara Villiger Heilig über Matthias Hartmanns Inszenierung), eine neue Oper von Jose Maria Sanchez-Verdu in Madrid, Ruedi Häusermanns Inszenierung von Elfriede Jelineks "Über Tiere" in Wien und die Uraufführung von John Wolf Brennans Oper "Night.Shift" in St. Gallen.

Welt, 07.05.2007

"Je weniger Kinder es hierzulande gibt, desto maßloser scheint die Verklärung des öffentlichen Bildes von Kindern und Kindheit fortzuschreiten", konstatiert Uwe Wittstock, der die Ausstellung "Entdeckung der Kindheit" im Frankfurter Städel mit Gemälden aus dem 17. und 18. Jahrhundert daher als wohltuendes Korrektiv betrachtet. Berthold Seewald kommentiert in der Randglosse das Aufbegehren des Direktors der zweiten Preußenstiftung für Schlösser und Gärten, Hartmut Dorgerloh, der um seine Häuser bangt. Hanns-Georg Rodek kann von bester Stimmung bei der Vergabe der Deutschen Filmpreise berichten (Hier sämtliche Gewinner). Brigitte Preissler attestiert Klaus Staeck, zufrieden auf sein erstes Amtsjahr als Präsident der Akademie der Künste zurückblicken zu können. Hendrik Werner schreibt über die Wiederentdeckung des Naturlyrikers Wilhelm Lehmann. Manuel Brug hat sich in Valencia Teile des "Rings" mit Zubin Mehta und La Fura dels Baus angesehen.

Auf der DVD-Seite spricht Mario Adorf mit Rüdiger Sturm über seine Erinnerungen an den Nationalsozialismus.

Berliner Zeitung, 07.05.2007

Elfriede Jelinek fragt sich, warum sie den Schauspieler (und diesjährigen Preisträger des Theaterpreises Berlin) Ulrich Matthes so gerne sprechen hört, obwohl sie wegen der Intimität des Sprechaktes sonst niemand gerne sprechen höre: "Ist es die Schönheit dieses Schauspielers, die mich fasziniert? Sicher ja, auch, das Vogelartige dieses Gesichts mit seinen eng und etwas unregelmäßig stehenden Augen, scheint mich aus meiner extremen Menschenscheu vorübergehend zu erlösen, vielleicht weil auch meine Augen ähnlich eng stehen."

SZ, 07.05.2007

Voll "wunder Trauer" ist Elfriede Jelineks Stück "Über Tiere", das jetzt im Wiener Burgtheater uraufgeführt wurde, schwärmt Christopher Schmidt. "Durch einen Artikel in der Wiener Stadtzeitung Falter ist Elfriede Jelinek auf die Callgirl-Affäre aufmerksam geworden. Die ihr zugespielten Telefonprotokolle der Agentur hat sie zu einem durch Repetitionen und semantische Verschiebungen rhythmisierten Text amalgamiert, dessen Erkenntniswert weniger in der kaum überraschenden Entlarvung männlicher Objektsprache besteht, als vielmehr in der genau dokumentierten Verschränkung von Business-Deutsch und Babysprache, von Infantilismus und Perversion."

In München steht die von dem japanische Architekt Kazunari Sakamoto geplante Werkbundsiedlung Wiesenfeld vor dem Aus. Zu teuer, heißt es. Gerhard Matzig rechnet erbost mit Münchens unrühmlicher Baupolitik ab. "München ist eine selbstzufriedene Boom-Town, in der man noch jeden schäbigen Tiefgaragenstellplatz für einige zehntausend Euro verkaufen kann - weshalb hier die anderswo längst als Herausforderung erkannte 'Renaissance der Stadt' konsequent verschlafen wird. Auf die Rückkehr der Familien und Senioren in zentrale Wohngegenden muss man in der Single-Hauptstadt, die sich dieser Zuschreibung nicht schämt, noch lange warten. Gerade deshalb wäre die Werkbundsiedlung eine enorme Chance. Es ist unbegreiflich, weshalb die Probleme, die mit einem herausfordernden Konzept nun mal einhergehen, nicht gemeinsam gelöst werden."

Weiteres: Großer Aufbruch, alles neu bei der Verleihung der Deutschen Filmpreise? Fritz Göttler und "jau" winken ab: "Es war aber so, dass einem am Ende dieses Abends die Alten im Gedächtnis blieben. Vielleicht, weil sie, als sie dort oben auf der Bühne standen, mehr Leuten zu danken hatten, als nur sich selbst." Alexander Menden meldet, dass das britische Arts Council einige seiner Bilder an den Rennstall McLaren ausleiht, wo sie für die Allgemeinheit praktisch unzugänglich bleiben. Bernd Graff resümiert das in Stuttgart abgehaltene Treffen der Animationsdesigner "fmx". Gottfried Knapp hätte sich beim wieder errichteten Braunschweiger Stadtschloss nicht unbedingt einen Starbucks in der Pförtnerloge, sondern etwas mehr Augenmerk auf die kulturellen Untermieter gewünscht. Zu lesen ist auch ein Gespräch zwischen Björk und ihrem Kollegen und Freund Gunar "Dr. Gunni" Hjalmarsson über ihr neues Album "Volta", ihre Politikverdrossenheit und natürlich Island. Jens Malte Fischer gratuliert der Sopranistin Elisabeth Söderström zum 80. Geburtstag. Dass Shi-Yeon Sung den 2. Gustav-Mahler-Dirigierwettbewerb in Bamberg gewonnen hat, geht für Martin Köhl in Ordnung.

Besprochen werden ein Konzert des "hinreißend reflektierten" Pianisten Alfred Brendel im Münchner Herkulessaal, William Forsythes "unfertige" Choreografie "Angoloscuro/Camerascura" im Bockenheimer Depot, Christian Volckmans "Renaissance" und David Mamets "Spartan" auf DVD, und Bücher, darunter Christian Schüles "Türkeireise" und Christoph Heins irritierender Roman "Frau Paula Trousseau" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

FAZ, 07.05.2007

Mark Siemons untersucht die von der chinesischen KP ausgerufene "Harmonie"-Parole, die anders als frühere ideologische Leitbegriffe ohne marxistisch-leninistisches Rüstzeug auskommt: "Das Unheimliche an der Leitidee Harmonie ist nicht, dass sie etwas verschweigt - es ist, dass sie alles Denken aufsaugt und neutralisiert. Zwar gibt es unter ihrem großen Schirm so viel Pluralismus wie lange nicht in China - aber nur unter der Bedingung, dass keine einzelne Idee oder Äußerung ihr widerspricht, dass also die einzelnen Ideen sich so weit im Gleichgewicht halten, dass sie sich, was die Politik betrifft, gegenseitig aufheben." Sonst gibt's Saures: "Es versteht sich von selbst, dass die einzelnen Maßnahmen zur Erhaltung der Harmonie durchaus unharmonisch und brutal sein können."

Weitere Artikel: Verena Lueken berichtet von der Verleihung der deutschen Filmpreise. Dieter Bartetzko schildert städtebauliche Probleme in der Shrinking City Eisenach. Martin Kämpchen resümiert indische Diskussionen über den Aufstand indischer Soldaten gegen die Kolonialherren im Jahr 1857.

Auf der Medienseite kritisiert Michael Hanfeld die ARD, die schon wieder eine recht üppige Gebührenerhöhung will. Und Nina Rehfeld berichtet über Personalkürzungen bei der Los Angeles Times und der Chicago Tribune. Für die letzte Serite besucht Matthias Hannemann den der Vollendung entgegen eilenden Neubau einer Osloer Oper (Bilder), das größte Kulturprojekt Norwegens - Architekt ist Tarald Lundevall. Andreas Kilb berichtet über neue Diskussionen zur Restititution von Kirchners "Berliner Straßenszene" und annonciert, dass der Streit noch längst nicht ausgestanden sei. Und Martin Thoemmes porträtiert den streitbaren katholischen Theologen Stephan Pfürtner, der von der Gedenkstätte von Yad Vashem als "Gerechter unter den Völkern" ausgezeichnet wurde, weil er in der Nazizeit Juden half.

Besprochen werden die Uraufführung von Jose Maria Sanchez-Verdus Oper "Die Reise zu Simorgh" in Madrid, die Dramatisierung eines Elfriede-Jelinek-Essays "Über Tiere" in Wien, ein Konzert der Sängerin Cat Power in Heidelberg und ein Leseabend der Dichterfamilie um Adolf Endler in Berlin.