Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
21.06.2007. Die taz findet die hasserfüllten Reaktionen auf Salman Rushdie und Großbritannien unlogisch. In der Welt zeigt sich Irshad Manji angesichts der Drohungen gegen Rushdie beleidigt. In der SZ warnt der indische Schriftsteller Kiran Nagarkar davor, den pakistanischen Religionsminister nicht ernst zu nehmen. Die Zeit beobachtet die professionelle Jugendarbeit von Rechtsextremen. In der FAZ erklärt Sohrab Mahdavy, was man im Iran vom Westen lernt.

TAZ, 21.06.2007

"In der hasserfüllten Rhetorik" gegen Salman Rushdie ist "ein neuer Ton unüberhörbar", schreibt Bernhard Imhasly auf den Tagesthemenseiten. "Nicht nur Rushdie wird angeklagt, sondern auch Großbritannien. Die britische Königin, diese 'alte Ziege' (die iranische Tageszeitung Jamhuri Islami) kommt ebenso schlecht weg wie ihr neuer Vasall. Im indischen Lahore skandierten Protestierende am Dienstagabend 'Tod für Großbritannien! Tod für Rushdie!', Fotos der Queen gingen in Flammen auf. Ein pakistanisches Provinzparlament forderte die Regierung zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen auf, und der bereits zitierte Parlamentsvize in Teheran warf Großbritannien vor, 'in einer Traumwelt' zu leben, wenn es glaube, 'immer noch eine Supermacht wie im 19. Jahrhundert' zu sein. Alte antikoloniale Reflexe? Was bedeuten dann die Hitler-Porträts, die auf den pakistanischen Straßen auftauchen?"

Navid Kermani meint zu den Protesten: "Wenn jemand brüllt: 'Du bist unwichtig, und ich rege mich überhaupt nicht auf', zeigt dies natürlich das Gegenteil. Am besten sollte man den Vizepräsidenten des iranischen Parlaments antworten: Prima, wenn die Queen und der Ritterschlag so bedeutungslos sind, warum dann die Aufregung?"

Im Kulturteil spricht der Filmemacher Robert Van Ackeren, der Filme aus Heimvideo-Schnipseln montiert, über die letzten Tage von Super 8 und den Einfluss des Internets auf das Privatkino. "Hasserfüllte Schreierei gegen die Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock und den Regisseur Christoph Marthaler" hörte Frieder Reininghaus nach einer "Traviata"-Aufführung im Pariser Opernhaus. Ekkehard Knörer stellt die vierteilige DVD-Edition von Jean-Luc Godards "Histoire(s) du cinema" vor. Auf der Meinungsseite erklärt die linke Europa-Abgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann im Interview, warum die Fundamentalopposition gegen die Europäische Verfassung ein Fehler war.

Besprochen wird Chris Millers Animationssequel "Shrek der Dritte" .

Und Tom.

Berliner Zeitung, 21.06.2007

"Die Erneuerung der Todesdrohungen gegen Rushdie ist ohne Zweifel widerlich", schreibt Harald Jähner. Seltsam findet er allerdings, dass die britische Regierung sich über die Proteste wundert. "Die Imame haben für den fröhlichen Unsinn im Umgang mit der Tradition wenig Verständnis. Der Ritterschlag klingt in ihren Ohren noch so, wie er einst gedacht war: als ein kriegerisches Zeremoniell, das für Treue, Gefolgschaft und Wehrhaftigkeit steht. Dass der Ritterschlag einst tatsächlich als kräftiger Hieb ausgeführt wurde, sollte nicht nur bewirken, dass die Zeremonie für immer in Erinnerung blieb. Er sollte vor allem den letzten Schlag im Leben des Ausgezeichneten markieren, der unbeantwortet blieb. Der Ritterschlag schuf Krieger, nicht zuletzt in Gottes Diensten. Eigenartig, dass man dafür in Pakistan mehr Erinnerung besitzt als im Land der einstigen Kolonialherren."
Stichwörter: Imam, Pakistan

Welt, 21.06.2007

"Ich bin beleidigt", erklärt die kanadische Publizistin Irshad Manji auf der Forumsseite angesichts der Drohungen gegen Salman Rushdie. "Ich bin beleidigt, weil am Sonntag mindestens 35 Muslime von anderen Muslimen bei einem Bombenangriff in Kabul und 80 Muslime in Bagdad in Stücke gerissen wurden, ohne dass Pakistan seine Glaubensgenossen öffentlich betrauert hat. Ich bin beleidigt, weil bei diesem mörderischen Blutbad ein atheistischer Professor namens Salman Rushdie wichtiger ist als das Schicksal all der vielen Muslime. Ich bin auch beleidigt, weil so viele andere Muslime nicht beleidigt sind und gegen diese selbst ernannten Botschafter Gottes demonstrieren. Wir werden uns wundern, wenn der Islam eines Tages von Fundamentalisten erobert wird und wir immer noch mit der Möglichkeit hadern, uns selbst in der Masse gegen sie zur Wehr zu setzen. Wir sind einfach nur stumm."

Im Kulturteil plädiert Dankwart Guratzsch dafür, den Abriss ostdeutscher Altbauten nicht mehr zu fördern. Berthold Seewald sinniert über verdörrende Reisfelder, nicht blühende Mohnfelder, eingestürzte Türme und abgeräumte Fahrbahnmarkierungen auf der Documenta. Hanns-Georg Rodek freut sich, dass ein Deutscher/Schweizer - Mark Foster - den nächsten Bond inszeniert. Ulrich Weinzierl berichtet vom Musikfestival Grafenegg in Niederösterreich. Paul Badde schickt einen Brief aus Rom. Gerhard Midding erzählt von einem Machtwechsel in der Pariser Cinematheque: Präsident Claude Berri hat seinen Rückzug angekündigt, Nachfolger soll Konstantin Costa-Gavras werden. Manuel Brug war beim Festival TransAmerique in Montreal. DW. berichtet über eine Forderung internationaler Schriftsteller an die italienische Justiz, neue Ermittlungen zum Mord an Pasolini aufzunehmen.

Besprochen werden die Ausstellung "Ordnung. Eine unendliche Geschichte" im Deutschen Literaturarchiv Marbach, Zweigs "Jeremias" bei den Festspielen in Oberammergau, ein Krimi von Felicitas Mayall, Chris Millers Animationsfilm "Shrek der Dritte", Daniel Sanchez' Debütfilm "Dunkelblaufastschwarz" und Robert van Ackerens Film "Deutschland privat".

NZZ, 21.06.2007

Kersten Knipp fragt sich anlässlich der Diskussionen über Katalonien als Gastregion der Frankfurter Buchmesse: "Wenn ein Schriftsteller in Katalonien geboren wurde oder lebt, seine Werke aber auf Spanisch schreibt, zu welcher Literatur gehört er dann: zur spanischen oder zur katalanischen?"

Weiteres: Naomi Bubis widmet sich den israelischen Debatten über einen Umgang mit der Spaltung der Palästinenser. Dabei geht es vor allem um eine Lösung für die wachsende Zahl der Flüchtlinge aus Gaza. Lilo Weber beschreibt den Aufruhr unter Muslimen nach der britischen Ehrung für Salman Rushdie.

Besprochen werden eine Bonner Doppelaustellung mit Arbeiten zur Musik von John Baldessari, Sam Gabarskis Film "Irina Palm" mit Marianne Faithfull und Bücher, wie eine Monografie zum Werk des Architekten Othmar Barth, Bücher von Walter Grasskamp und Tilman Spreckelsen und Nezar AlSayyads Studie zum "Cinematic Urbanism"

FR, 21.06.2007

Christian Thomas schreibt über die Lutherstadt Eisleben und die gelungene Erweiterung des Ensembles des Luthergeburtshauses durch die Architekten Jörg und Klaus Springer (Berlin). Joachim Lange kommentiert das abrupte Aus für den Leipziger Opernintendanten Henri Maier. Frauke Hartmann berichtet über die Zuerkennung des Autorenpreises der Thalia-Freunde an die Dramatikerin Catherine Aigner. In Times mager denkt Christian Schlüter angesichts der 27,4 Millionen Euro für einen Monet über das Verhältnis von Kunst und Marketing nach.

Besprochen werden die Filmmontage "Deutschland privat. Teil 2" von Robert van Ackeren, der Film "Obaba" von Montxo Armendariz und der Band "1857 - Flaubert, Baudelaire, Stifter" des Literaturwissenschaftlers und Übersetzers Wolfgang Matz (siehe hierzu unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).
Stichwörter: Matz, Wolfgang

Zeit, 21.06.2007

In der Zeit war heute morgen mal wieder nichts online. Dafür darf man jetzt das Walser-Grass-Gespräch aus der letzten Ausgabe lesen. So stellt man sich in Deutschland einen aktuellen Internetauftritt vor!

Aus der heutigen Ausgabe: Mit den Jungen Nationaldemokraten betreiben Rechtsextreme professionelle Jugendarbeit und arbeiten sich in den kulturellen Mainstream vor, notiert Evelyn Finger besorgt. "Gute Nazis sagen Weltnetz statt Internet. Sie präsentieren sich an Infoständen beim Sachsen-Anhalt-Tag. Sie spendieren dem Kinderfest Kuchen und dem Sportverein Bälle. Sie organisieren Hausaufgabenhilfe und Ferienbetreuung oder fahren an die mitteldeutsche 'Hochwasserfront', um Säcke zu schleppen. Nur gelegentlich, der Verfassungsschutz schätzt ein paar Hundert Mal pro Jahr, schlagen sie über die Stränge. Dann misshandeln sie am Quedlinburger Bahnhof einen Obdachlosen, dass sein Blut zwei Meter weit spritzt."

Weitere Artikel: Claudia Müller unterhält sich mit Cindy Sherman (zur Zeit in Berlin zu sehen), die es "ganz schön verrückt" findet, was schon alles in ihrer Arbeit hineininterpretiert wurde. Volker Hagedorn porträtiert den Musikwissenschaftler Ludwig Finscher, Herausgeber der gerade mit dem 27. Band abgeschlossenen Neuflage der Enzyklopädie "Musik in Geschichte und Gegenwart". Frank Sawatzki stellt die britische Punkrockband Art Brut vor. Der Schweizer Schriftsteller Gerhard Meier wird neunzig, und Jochen Jung gratuliert.

Im Dossier registriert Roland Kirbach zunehmende Agressionen gegen Schwule. Laut Wilhelm Heitmeyers Langzeitstudie "Deutsche Zustände" ist der Anteil der Deutschen, die Homosexualität für unmoralisch halten, auf knapp 22 Prozent gestiegen.

Besprochen werden der Auftakt von Barbara Streisands Europatournee in Zürich, die Uraufführung von Simon Stephens' Stück "Pornografie" beim Festival Theaterformen in Hannover, Thomas Arslans Film "Ferien", der Actionfilm "Die Hard 4" mit Bruce Willis und Von Südenfelds Album "Tromatic Reflexxions".

Der Literaturteil macht mit Mondskizzen von Galileo Galilei auf, entnommen aus Horst Bredekamps Buch "Galilei der Künstler". Vorgestellt werden auch Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften" als 27-stündiges Hörbuch, Arnold Stadlers Roman "Komm, gehen wir" und Hubertus Knabes Abrechnung mit der gescheiterten Aufarbeitung der SED-Diktatur "Die Täter sind unter uns" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

SZ, 21.06.2007

Der indische Schriftsteller Kiran Nagarkar, selbst immer wieder Zielscheibe religiöser Fanatiker, erklärt in einem Interview zur Aussage des pakistanischen Religionsministers, der Ritterschlag für Salman Rushdie sei eine Rechtfertigung für Selbstmordattentäter: "Man kann diesen furchtbaren Mann gar nicht ernst genug nehmen. Wir werden noch alle staunen, wie die Mullahs diese neue Rushdie-Geschichte zu ihren Zwecken instrumentalisieren."

Durs Grünbein erinnert sich in einem teilweise sehr persönlichen Text an den 2005 verstorbenen Lyriker Thomas Kling. "Einmal zogen wir durch die Düsseldorfer Altstadt wie in alten Tagen. (...) Er zeigte mir den 'Ratinger Hof?, jenen Ort, an der er sein coming out gehabt hatte als stimmgewaltiger Vortragskünstler, mit einem Sprung auf den Klavierdeckel - 'Alle mal herhörn!', so die Legende, breitbeinig aufgepflanzt, direkt unter den Augen des ehrlich erstaunten Joseph Beuys."

Weitere Artikel: Gustav Seibt schreibt über den "atemberaubenden Untergang" der von Humboldt geprägten deutschen Universität. Andrian Kreye verabschiedet den legendären Vergnügungspark "Astroland" auf Coney Island, der schließt. Harald Eggebrecht besucht die "Arche Nebra", ein modernes Besucherzentrum des Schweizer Teams Holzer Kobler Architekturen, das dem Sensationsfund einer 3600 Jahre alten Himmelsscheibe dient. Helmut Schödel resümiert die diesjährigen Wiener Festwochen als Programm für Gourmands. Gemeldet wird, dass das Deutsche Nationaltheater Weimar Staatsbühne werden soll.

Auf der Filmseite geht es um "Deutschland privat. Teil 2" von Robert Van Ackeren, "Hostel 2" von Eli Roth und "Shrek der Dritte" von Chris Miller. Zu lesen ist ein Interview mit Justin Timberlake über seine Synchronrolle in "Shrek". Informiert wird über eine Reihe mit kanadischen Filmen, die in München zu sehen ist.

Besprochen werden außerdem Ulrich Rasches theatrale Installation "This Is Not A Love Song" im Jugendstiltheater Wien, ein Konzert von Genesis in Linz, und Bücher, darunter "Mein Wille geschehe", ein Buch über den assistierten Freitod, und der Debütroman "Kinsky" von Paul Divjak. (mehr dazu in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)

FAZ, 21.06.2007

Sohrab Mahdavy, Mitbegründer des Internetmagazins TehranAvenue.com, erklärt, was man im Iran vom Westen lernt: "Wir müssen uns an das Pantheon des Kunstestablishments halten, wenn wir wissen wollen, was wahre Kunst ist. Wir empfangen mit offenen Armen und voll Eifer den westlichen Kurator, der uns sagen wird, was wir tun sollen. Erst dann vermögen wir den Wert unserer Praxis zu entdecken. Diese Praxis muss exotisch sein, erfüllt von einem verborgenen Reiz, den nicht einmal wir selbst entdecken können. Exotik ist unser altes Geschenk an die Welt, das Elend unser modernes."

Weitere Artikel: Regina Mönch warnt, dass es sich bei der in Berlin geplanten Abschaffung der Hauptschule um einen bloßen "Etikettenschwindel" handelt, da sich an der Wertlosigkeit des Abschlusses, der erhalten bleibt, wenig ändern wird. In seiner Leitglosse berichtet Michael Gassmann von einem konzertierten Orgelaufstand in Paris. Tilmann Spreckelsen zeigt sich entzückt von einem etwa 35000 Jahre alten Elfenbeinmammut, das Archäologen auf der Schwäbischen Alb ausgegraben haben. Konstanze Crüwell freut sich über neue Werke des Skandalkünstlers Maurizio Cattelan, die in Frankfurt zu sehen sind. Norbert Krampf berichtet vom Sonar-Festival in Barcelona, Jordan Mejias vom Musikfestival im kalifornischen Ojai. Martin Lhotzky zieht eine Bilanz der diesjährigen Wiener Festwochen (Website). Vorgestellt wird der ab heute vorabgedruckte neue Roman von Büchner-Preisträger Martin Mosebach, der den Titel "Der Mond und das Mädchen" trägt.

Auf der letzten Seite porträtiert Joseph Croitoru den israelischen Israelkritiker Avraham Burg: "Mit seinem soeben in Israel erschienenem Buch 'Hitler besiegen' greift der deutschstämmige Burg ...den jüdischen Staat und dessen politische Kultur an. So fordert er die Abschaffung des Rückkehrrechts für Juden, weil dieses lediglich ein Spiegelbild der rassistischen Politik Hitlers gewesen und heute so wenig zeitgemäß sei wie der damit einhergehende 'katastrophisierende Zionismus'." Andreas Kilb stellt die diktatorenkritischen Aktionskünstler Pia Bertelsen und Jan Egesborg vor und Gerhard R. Koch porträtiert zwei Meisterinnen der Klarinette, Sabine Meyer und Sharon Kam.

Auf der Kino-Seite berichtet Hans-Jörg Rother mit erstaunlicher Verspätung vom Festival "Visions du reel" in Nyon - daran, dass das bereits im April stattfand, ändert nämlich auch die Unterzeile "Nyon, im Juni" sehr wenig. Paul Ingendaay kommentiert die von den Kinobetreibern mit Empörung und Streik aufgenommene geplante Kino-Quotenregelung, die vorsieht, dass fünfundzwanzig Prozent der gezeigten Filme europäischen Ursprungs sein müssen.

Besprochen werden eine Ausstellung im Marbacher Literaturmuseum, die sich mit den Ordnungssystemen der Autoren befasst, eine Paula-Wessely-Ausstellung in Wien und Bücher, nämlich Aharon Appelfelds Roman "Elternland" und John Cheevers Roman "Die Geschichte der Wapshots" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).