Heute in den Feuilletons

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Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
07.10.2011. Um es knapp und klar zu sagen: Alle sind happy mit Tranströmer. In der taz würdigt ihn Daniela Seel als "heimlichen Schutzpatron der jungen wilden Dichtung und Szene". Laut NZZ sind seine Verse "muskulös und sehnig, sie federn. Und doch steuern sie auf etwas Schwarzes zu". Steve Jobs beschäftigt die Medien ebenfalls: ReadWriteWeb beleuchtet seine dunkle Seite. Pitchfork sieht ihn als musikalischen Revolutionär. Und wie tickt die Piratenpartei politisch?

Welt, 07.10.2011

Rundum zufrieden ist Dorothea Törne mit der Verleihung des Literaturnobelpreises an den schwedischen Dichter Tomas Tranströmer. "Ein würdiger Nobelpreisträger. Schweden jubelt - und mit ihm freuen sich die Lyrikfreunde. Vor allem diejenigen, die statt abstrakter Philosophie oder politischer Bekenntnisse die klare, konzentrierte und musikalische Sprache bevorzugen."

Tilman Krause dagegen mault: "Die Stockholmer haben einen der Ihren ausgezeichnet, einen Fall für Spezialisten, Lyrik-Fexe. Das mag ja noch angehen. Aber muss es unbedingt ein Vertreter jener klassischen Moderne sein, die seit mindestens einem halben Jahrhundert durchgesetzt ist, von der nichts Neues mehr ausgeht und die keinen geistig produktiven Menschen heute noch beflügeln würde?

Weitere Artikel: Das Gastspiel der Bayerischen Oper in Japan ist ein voller Erfolg, berichtet Manuel Brug, und auch eigens mitgeführte Geigerzähler schlugen nicht aus. Auf der Forumsseite erklärt Wolf Lepenies, warum die Franzosen rechts wie links für eine "Demondialisation" sind und mit leichter Verbitterung auf "la vertueuse Allemagne" - das tugendhafte Deutschland - sehen.

Besprochen wird Stefan Puchers Inszenierung von Becketts "Endspiel" in Zürich ("zu geleckt, zu glatt", findet Klara Obermüller).

Aus den Blogs, 07.10.2011

Steve Jobs ist tot, die Welt würdigt seine Verdienste. Alica Eler findet im ReadWriteWeb ein Haar in der Suppe: "The other side of his legacy is one of hyper-control: Apple's proprietary software, the iPhone's closed-off ecology, App Store censorship and the company's labor law violations."

Das Erscheinungsdatum der jetzt noch viel stärker erwarteteten Steve-Jobs-Biografie von Walter Isaacson wurde auf den 24. Oktober vorverlegt, melden die Macnews.

Iconic Photos stellt das Photo von Steve Jobs in seinem "minimalistischen Büro" von 1982 vor. Wire bringt im Blog eine Galerie mit Artwork zum Gedenken an Jobs, sowie ein Tributvideo.

In ctrl+verlust denkt mspr0 (Blog/@/+) über das politische Denken der Piratenpartei nach. Ob Bildung, ÖPNV oder Netzneutralität: "Die Piraten verstehen die öffentlichen Institutionen als Plattformen, die Teilhabe ermöglichen. Und auf jede dieser Plattformen fordern sie diskriminierungsfreien Zugang für alle, weil sie im Internet erfahren haben, dass sich nur so Wissen und Ideen - und damit auch Menschen - frei entfalten können. Die Plattformneutralität steckt als abstraktes Konzept hinter allen Forderungen der Piraten..."

FR/Berliner, 07.10.2011

Als "eine mutige, weise, unbedingt begrüßenswerte Entscheidung" würdigt Dirk Pilz die Vergabe des Literaturnobelpreis an Tomas Tranströmer und verfällt beim Lob dieser Kühnheit glatt ins negative Aufzählen: "Einem Lyriker den Nobelpreis verleihen? Diesem Lyriker, der keine literarischen Kompromisse eingeht? Der keinen einzigen gefallsüchtigen Vers geschrieben hat, auch keinen selbstverliebten, keinen verschwiemelten, schmerzschumrigen, plump romantisierenden? Lyrik hat kaum eine Lobby und steht noch imer unter dem dümmlichen Verdacht des eitel Weltfremden, falsch Entrückten, billig Romantischen."

Weiteres: "Sehr großartig und sehr deutsch": Ganz entzückt ist Peter Michalzik von der Max-Beckmann-Ausstellung im Städel-Museum in Frankfurt, die das im New Yorker Exil (wo es sehr nach Fett roch, wie Beckmanns Tagebuch verrät) entstandene Spätwerk des Malers vorstellt. Im Medienteil stellt Peter Münder die Arbeit junger afghanischer Journalisten vor, die trotz Morddrohungen für Demokratie und liberale Werte kämpfen. Besprochen wird Roberto Bolanos aus dem Nachlass veröffentlichter Roman "Das Dritte Reich" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Freitag, 07.10.2011

"Eine neue Generation beginnt zu sprechen", ruft Jana Hensel und stellt vier knapp 30-jährige Autoren vor, die sie zu ihren interessantesten Vertretern rechnen: Leif Randt, Nina Pauer, Antonia Baum und Andrea Hanna Hünniger. "Beschreiben diese Autoren womöglich alle denselben Zustand und nennen ihn nur anders? In den vergangenen, ungefähr 15 Jahren ist doch folgendes passiert: Durch die Globalisierung, viel mehr aber durch Medialisierung und Digitalisierung hat sich die industrialisierte Welt ihrem Wesen nach komplett verändert. Äußerlich jedoch ist sie ziemlich gleich geblieben. Nun passen beide Teile, das Innere und die äußere Hülle, nicht mehr richtig zueinander."

Außerdem: Oliver Stone unterhält sich mit Tariq Ali über den Zeitpunkt des Falls des amerikanischen Imperiums. Alexander Schimmelbusch wendet sich nach dem Durchblättern von Lillian Birnbaums Bildband "Peter Handke. Portrait des Dichters in seiner Abwesenheit" angeekelt ab: "Nüchtern betrachtet hingegen scheint klar, dass Handke einfach schon seit Jahren nicht mehr zum Scheuerlappen gegriffen hat. Nirgends im Haus ist ein Abfalleimer zu sehen, das Haus selbst ist der Abfalleimer."

TAZ, 07.10.2011

Mit gleich vier Artikeln bedenkt die taz den neuen Literaturnobelpreisträger Tomas Tranströmer. Reinhard Wolff porträtiert den schon lange als Favorit gehandelten schwedischen Lyriker, der sich ab Mitte der sechziger Jahre seine Arbeitszeit zwischen seinem Beruf als Psychologe und dem Schreiben teilte. Außerdem berichtet er über den Skandal bei der letzten Vergabe des Preises an Schweden, die Schriftsteller Harry Martinson und Eyvind Johnson 1974: Damals war die "Würdigkeit der Preisträger in Frage gestellt" und "offen die nationalen Scheuklappen angeprangert" worden.

Einen "heimlichen Schutzpatron der jungen wilden Dichtung und Szene, die es im deutschsprachigen Raum, vor allem in Berlin, mittlerweile gibt" nennt ihn die Lyrikerin, Übersetzerin und Lektorin Daniela Seel in einer persönlichen Würdigung.

Dirk Knipphals befürchtet in seinem Kommentar indes, dass die Vergabe wenig daran ändern werde, dass Lyrik hierzulande über Events und Insiderforen hinaus in der Öffentlichkeit kaum von Bedeutung sei. "Sosehr man sich mit dem schwedischen Autor freut und mit seinen Landsleuten, die jetzt jubeln: Letztlich hat die Wahl doch etwas Strukturkonservatives."

Weitere Artikel: Als "unglaublich" und Ausdruck einer "zutiefst problematischen Sehnsucht nach Hygiene im öffentlichen Raum" wertet Cristina Nord die Vorladung von Regisseur Lars von Trier wegen seiner Nazi-Äußerungen in Cannes; das Verhör bei der dänischen Polizei fand auf Wunsch der französischen Staatsanwaltschaft statt. Arno Frank würdigt im Nachruf den verstorbenen Apple-Gründer Steve Jobs als Perfektionisten, der keine Kunden, sondern Jünger generiert und "das alte Hippie-Ethos der Gegenkultur auch auf Unternehmenskulturen anwendbar gemacht" habe. Elise Graton feiert das multimedial erweiterte Konzeptalbum "Biophilia" der isländischen Sängerin Björk.

Und Tom.

Weitere Medien, 07.10.2011

Die erste musikalische Revolution geht auf Thomas Edison zurück, die zweite auf Steve Jobs, schreibt Eric Harvey in einem langen Text auf Pitchfork darüber, wie Steve Jobs die Art und Weise geändert hat, wie wir über Musik denken: "iTunes ermunterte die Musikerhörer dazu, genau die Art kategorisierender und sortierender Bibliothekare zu werden, die Musikgeeks schon seit Jahrzehnten waren. Mit dem iPod war es fortan ein Leichtes, ganze Monate, und nicht nur 70 Minuten, an Liedern mit auf eine Weltreise zu nehmen und schnell gewöhnten wir uns an die Idee, dass Musik instantan verfügbar sein sollte." (Und ein Schlawiner war Jobs obendrein: "Wer könnte es sich schon leisten, etwa ein 40GB-Gerät - also die Größenordnung von etwa 7000 Songs - legal zu einem Preis von 99 Cent pro Track zu bestücken? Ein Großteil von Jobs' Erbe besteht darin, uns beizubringen, bei Musik in Begriffen von Großlagern und Zugänglichkeit zu denken, statt bloß an Kosten.")

Die New York Times interviewte schon am 2. Oktober den One-Man-Theatermacher Mike Daisey, einen Geschichtenerzähler, der auch schon ein kritisches Spektakel über Amazon vorgetragen hat. "He brings his latest piece, "The Agony and the Ecstasy of Steve Jobs,? to the Public Theater from Oct. 11 through Nov. 13."

Jungle World, 07.10.2011

Richtig sympathisch scheinen die Piraten den Antideutschen von der Jungle World nicht zu sein. So leitet die Zeitung ein Dossier über die Partei ein: "Sie verwechseln Demokratie mit Transparenz und glauben, Politik ließe sich als App herunterladen. Sie stellen keine Gender-Fragen, weil ihr Avatar ja auch kein Geschlecht hat. Sie nennen sich postideologisch, weil das besser klingt als technokratisch. Die Welt, in der die Piraten leben und in der ihre Partei gedeiht, sieht aus wie Second Life und droht, für alle zur Realität zu werden."
Stichwörter: Antideutsche, Gender

NZZ, 07.10.2011

Hans Jürgen Balmes zeichnet ein sehr schönes Porträt des neuen Literaturnobelpreisträgers Tomas Tranströmer. Die schwedische Akademie hätte kaum einen Würdigeren finden können, meint er. "In seinem berühmtesten Gedicht, den episch ausholenden, weiträumigen 'Ostseen' (1974), die Runmarö und seinen Großeltern gewidmet sind, sind Tranströmers freie Verse muskulös und sehnig, sie federn. Und doch steuern sie auf etwas Schwarzes zu: 'Etwas will gesagt werden, aber die Worte lassen sich nicht darauf ein. / Etwas, das nicht gesagt werden kann, / Aphasie, / Worte gibt es nicht, aber vielleicht einen Stil ...'"

Weitere Artikel: Suzanne Kappeler berichtet über die Wiedereröffnung der erweiterten Abegg-Stiftung in Riggisberg, die Textilien und Kunstgegenstände aus Europa, dem Vorderen Orient und den Ländern entlang der Seidenstraße beherbergt. Christian Saehrendt berichtet über ein Kunstprojekt, das sich der "Innerschweizer Innerlichkeit" widmet und vor allem Außenseiter des Betriebs versammelt.

SZ, 07.10.2011

Thomas Steinfeld würdigt den Nobelpreisträger Tomas Tranströmer: "Man trage seine früheren Gesichter immer in sich, erklärt Tomas Tranströmer, wie ein Baum seine Jahresringe. Die anderen Menschen sehen nur das gegenwärtige Gesicht, während man selbst alle früheren kenne. Von dieser Art sind die meisten Reflexionen Tomas Tranströmers. Sie bilden, in einem dauernden Wechselspiel zwischen dem Klapprig-Trivialen und dem Federnd-Sublimen, den Kern seiner Lyrik." Dazu gibt es Stimmen zur Auszeichnung und einen Stimmungsbericht aus Schweden.

Gleich "drei präzis aufeinander abgestimmten Ausstellungen" in Frankfurt (ab heute), Leipzig (seit 17. September) und Basel (seit einem Monat) zum Schaffen des Malers Max Beckmann stellt Gottfried Knapp mit einiger Begeisterung vor und gerät angesichts einer Stadtansicht San Franciscos aus dem Spätwerk in frohe Ekstase: "Die Hafengebäude, die von der brutal in den Stadtleib gefrästen Verkehrsschneise umschlossen sind, fangen an zu rotieren; die Hochhäuser im Hintergrund taumeln haltlos hin und her; und die Kurven der stählernen Hängebrücke am jenseitigen Ende der Bucht verschmelzen mit den kaum weniger harten Kurven der darüber hängenden Wolkensäcke zu einem dynamischen Gebilde, das wie eine Drohung über der Stadt hängt."

Besprochen werden zwei Ibsen-Aufführungen am Theater Dortmund, eine neue Bach-Aufnahme auf CD, Verdis "Maskenball" an der Semperoper und Bücher, darunter John Grishams neuer Thriller "Das Geständnis" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 07.10.2011

Heinrich Detering würdigt die allenthalb gepriesene Karg- und Klarheit von Tomas Tranströmers Lyrik: "Eines dieser Gedichte berichtet von einem Mann, der nach einem kurzen Schläfchen auf dem Autorastplatz für einen Augenblick seinen Namen und seine Identität vergessen hat. Es ist eine beklemmende Szene. Aber ob es auf eine Katastrophe hinausläuft oder eine Befreiung vom Ich, darüber schweigt der Text." Durs Grünbein würdigt Tranströmer mit einem Gedicht.

Weitere Artikel: Edo Reents muss verkraften, dass Bob Dylan den Literaturnobelpreis nicht bekommen hat. Jordan Mejias schreibt zum Tod von Steve Jobs. Regina Mönch besucht die erste weißrussische - und natürlich lückenhafte - Ausstellung über den Holocaust, die jetzt im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst gezeigt wird. Auf der Medienseite berichtet Karen Krüger über Angriffe des türkischen Premierministers Erdogan auf deutsche Stiftungen, die angeblich mit der PKK paktieren - und darüber, dass ihm die türkische Presse nicht auf den Leim geht.

Besprochen werden eine Ellsworth-Kelly-Ausstellung im Münchner Haus der Kunst und eine Ausstellung über Paris-Fotografien in in Hamburg.