Heute in den Feuilletons

Unabhängige Narrative, Journalismus und Aktion

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.07.2013. In der FAZ bemerkt Gerd Antes, dass die Politiker immer nur von vereitelten Anschlägen sprechen, aber nicht von all den Fällen, in denen die Geheimdienste Schäden anrichten, die sich bei mehr Daten ebenfalls vermehren werden. Roberto Saviano beschreibt in La Repubblica die mexikanische Drogenmafia als eine der effizientesten Militär- und Wirtschaftsmaschinerien der Welt. Die Welt durchleuchtet die brasilianische Protestbewegung, die sich gegen die etablierten Kräfte von links und rechts stellt. Wir bringen den Trailer zu einem Film über Julian Assange mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle.

Weitere Medien, 17.07.2013

Roberto Saviano kommentiert in La Repubblica die Festnahme des mexikanischen Dogenbosses Miguel Treviño Morales: "Wenn Sie Diskussionen über die Zeit hören, in der wir leben, darüber, wer heute die herrschenden Kräfte sind, dann werden sie selten genannt. Und doch sind Los Zetas eines der einflussreichsten modernen Unternehmen, eine der grausamsten und effizientesten Wirtschafts- und Kriegsmaschinerien. Sie landen selten auf den Seiten 1 der italienischen Zeitungen, und auch die Nachrichtensendungen in Europa berichten nicht oft über sie, aber sie sind, zusammen mit anderen mexikanischen Kartellen, für einen regelrechten Bürgerkrieg verantwortlich, mit 70.000 Toten, achtzig ermordeten und 17 verschwundenen Journalisten."

Normalerweise zeigen wir keine Filmtrailer, aber wenn die Aktualität es fordert... Ausgerechnet Benedict Cumberbatch (bekannt aus der Sherlock-Holmes-Serie der BBC) spielt in "The Fifth Estate" Julian Assange. Und Daniel Brühl gibt den Daniel Domscheit-Berg. Kyle Buchanan interviewt den Regisseur Bill Condon im NYMag zum Film.



Auf Spon ist Sascha Lobo sehr unzufrieden mit den Schutz deutscher Bürgerrechte durch Innenminister Friedrich. Aber auch Angela Merkel scheint das nicht zu interessieren, wie ihr ARD-Interview gezeigt habe. "Die Formulierung 'auf deutschem Boden deutsches Recht' ist zum Schutz persönlicher Daten im Internet so wirksam wie ein Lattenzaun gegen Zugvögel. Aber vielleicht möchte sich Angela Merkel ja für den Datenschutz-Bambi bewerben."

TAZ, 17.07.2013

Klaus-Helge Donath stellt das neue Jüdische Museum in Moskau vor, das nicht nur eine Geschichte der Unterdrückung erzählen will, sondern auch des Zusammenlebens und des Austauschs. Nach den Worten des Gründers Baruch Gorin wird das Museum sehr positiv von der Bevölkerung aufgenommen: "Ein wenig verwundert das schon. Zwar ist Antisemitismus als fester Bestandteil russischer Politik nach dem Kommunismus verschwunden, latente Vorbehalte haben in der kollektiven Psyche indes überlebt. Daran änderte auch der massenhafte Exodus der jüdischen Bevölkerung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nichts. Und davon zeugt nach wie vor die Schwemme antisemitischer Literatur in den Buchläden. Inzwischen hätten aber Moslems aus dem Nordkaukasus und zentralasiatische Gastarbeiter die klassische Rolle des jüdischen Sündenbocks übernommen, sagt Gorin."

Weiteres: In der Medienkolumne fragt Silke Burmester, wann Wolfgang Büchner endlich den Spiegel rettet. Besprochen werden eine Ausstellung der Video-Künstlerin Fiona Tan in Siegen und Guillermo del Toros SciFi-Spektakel "Pacific Rim".

Und Tom.

NZZ, 17.07.2013

Ueli Bernays berichtet vom Montreux Jazz Festival, wo ihn mehr noch als das Konzert des gesanglich etwas schwächelnden Prince der Auftritt von Valerie June überzeugt hat: "Ihr neues Repertoire speist sich aus uraltem Gospel, Blues und Soul. Und je archaischer und rudimentärer die Begleitung, desto eindrücklicher der gesangliche Aus- und Nachdruck."

Hier zum Mittwochmorgen Valerie Junes "Working Woman Blues":



Weiteres: Marco Frei verabschiedet den feinsinnigen Kent Nagano, der die Münchner Staatsoper des "Machtmenschen" Nikolaus Bachler verlässt. Besprochen werden Mischa Gabowitschs Blick auf Russland "Russland kaputt!?", Jan Rohls' Ideengeschichte des Christentums sowie Stephen Landrigans und Qais Akbar Omars Bericht "Shakespeare in Kabul" (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Welt, 17.07.2013

In Brasilien wachsen sich die Proteste zu einer Krise der politischen Repräsentation aus, meint Dawid Danilo Bartelt. "Von einem 'gepanzerten politischen System' spricht [der Philosophieprofessor] Marcos Nobre, der bereits ein Buch über die Proteste veröffentlicht hat. Alle Parteien befänden sich auf der Innenseite dieses Systems, nicht nur die 14 offiziellen der Regierungskoalition. Eine funktionale Opposition finde nicht statt. Safatle und Nobre nehmen analytisch auf, was junge Vertreter der Protestbewegung mit Verve den Grauhaarigen entgegenschleudern: Eure Zeit ist abgelaufen, als Mittler seid ihr pensioniert. Gemeint sind Parteipolitiker, aber auch traditionelle soziale Bewegungen wie Gewerkschaften und NGOs. Und, ganz wichtig, die Medien. 'Ninja' - die Abkürzung steht für 'Unabhängige Narrative, Journalismus und Aktion' - ist eine der viel diskutierten neuen Initiativen."

Weiteres: Gerhard Gnauck berichtet von einem Kirchenkampf in Polen, wo "rebellische Priester" mehr Dialog von den erzreaktionären Hierarchien der Kirche fordern. Alan Posener findet die Reaktionen auf Bushido so hysterisch wie die auf die Bespitzelungen der NSA. Besprochen wird eine Ausstellung in Marbach zu den Drogenexperimenten Ernst Jüngers.

FAZ, 17.07.2013

Der Methodenwissenschaftler Gerd Antes vergleicht die Pauschalüberwachung der Bevölkerung mit Massenscreenings im Gesundheitswesen: Diese produzieren immer auch "falsch positive" und "falsch negative" Diagnosen und richten damit womöglich mehr Schaden als Nutzen an. Den Argumenten der Politiker, die sagen, es seien Anschläge verhindert worden, glaubt er jedenfalls nicht: "Genannt wird nur die Anzahl verhinderter Anschläge, also die richtig Positiven, und natürlich ohne Begründung. Alle weiteren Angaben fehlen. Stattdessen wird betont, dass die Verantwortlichen nicht wissen, wann welche Ader von welchem Kabel angezapft wird. Darum geht es jedoch nicht, sondern um den unvermeidbaren Schaden, gemessen durch falsch Positive und falsch Negative."

Weitere Artikel: Dirk Schümer ist im Urlaub nach Montalcino gereist und singt ein ausführliches Hohelied auf den Brunello, der anders als der Bordeaux und ähnlich wie der Burgunder ein sortenreiner (in diesem Fall aus der Sangiovese-Traube) Wein ist. Lena Bopp unterhält sich mit der Autorin Mansoura Ez Eldin über die neue Phase der Revolution, die der abgesetzte Präsident Mohammed Mursi für sie selbst provozierte, als er sich per Dekret im letzten November neue Machtbefugnisse zuschanzte. Andreas Rossmann folgte eine Bonner Tagung über Engagement in der Literatur (mehr hier). Aus einem Bildband wird ein Text der FAZ-Redakteurin Julia Voss über den Äpfel- und Birnen-Maler Korbinian Aigner übernommen. Auf der Medienseite stellt Tomasz Kurianowicz die hippe Berlin-Zeitschrift Flaneur vor. Und Fridtjof Küchemann besucht die Website eines Verbands der großen Internetkonzerne, die sich dort mit dem Netz verwechseln: "We are the unified voice of the Internet economy".

Besprochen werden die französische Filmkomödie "Paulette", eine Ausstellung über den Architekten Theophil Hansen (der das monströse Parlamentsgebäude in Wien zu verantworten hat) in Wien, Ereignisse des Opern-Festivals Cotswolds, und Bücher, darunter ein Essay Jochen Hörischs über die "Theologie der Märkte" (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

SZ, 17.07.2013

Alexandra Borchardt erfährt bei der DLD-Konferenz in München, dass als weiblich konnotierte Qualitäten wie etwa Flexibilität und horizontales Netzwerken in der Arbeitswelt auf dem Vormarsch sind. Das gestatte zwar einen Zugewinn an Freiheit, doch könne diese auch "zur goldenen Fessel werden. Denn auch das ewige Optimieren, der Versuch, noch ein bisschen besser, schlauer und schöner zu werden, noch ein wenig mehr in den Arbeitstag, ja, ins Leben hereinzupressen, ist ein weibliches Prinzip, dem Männer zunehmend verfallen. ... Diese Unterwerfung des Menschen unter die Effizienz, ein ökonomisches Prinzip, durchzieht mittlerweile sämtliche Lebensbereiche."

Weitere Artikel: Baris Uygur von der türkischen Satirezeitschrift Uykusuz lobt im Gespräch mit Jonathan Fischer vor allem die neue, mit popkulturellen Referenzen gespickte Sprache, die die jungen Demonstranten von Istanbul bei ihren Protesten hervorgebracht haben: "Sie wechseln auf eine Sprachebene, auf der die Politiker machtlos wirken. Oder zumindest lächerlich." Dorion Weickmann stellt die zweite Schaffensphase von William Forsythe vor, die das Berliner Festival Foreign Affairs derzeit auf die Bühne bringt. Thorsten Glotzmann meldet, dass Autor Michel Houellebecq einen Film über die Woche im September 2011 plant, in der er unauffindbar untergetaucht war.

Besprochen werden die Wols-Retrospektive in der Kunsthalle Bremen ("Bei diesem Deutschen kracht immer die Kleinheit der Existenz auf die Größe des Wollens und Drängens", schreibt Kia Vahland), neue Popalben, Nicolas Winding Refns neuer Film "Only God Forgives", der sechste, in Berlin aufgeführte Teil der Performance-Serie "Life and Times" des Nature Theater of Oklahoma und Bücher, darunter Jürgen Habermas' Sammlung politischer Schriften "Im Sog der Technokratie" (mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr).