Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.01.2003. In der NZZ erklärt argentinische Schriftsteller Ricardo Piglia, wie die Ökonomie an die Stelle der Götter treten konnte. In der FAZ erklärt Doug Bandow, wie sich Deutschland und Frankreich gegen die USA schlagen können. Stephen Eric Bronner hat für die FR diee "US Academicians Against War" nach Bagdad begleitet. Die taz kritisiert die Kritiker der Friedensbewegung. Und die SZ stellt fest: Es ging ein Rums durch Europa.

NZZ, 25.01.2003

In der Wochenendbeilage "Literatur und Kunst" erklärt der argentinische Schriftsteller Ricardo Piglia (mehr hier) im Interview, wie die Ökonomie an die Stelle der Götter treten konnte: "Das Komplott ersetzt heute den Begriff des Schicksals, der für die Tragödie bezeichnend war: Wenn früher die Götter verschlüsselte Botschaften aussandten, die das Individuum nicht verstehen konnte und die es, das Individuum, unweigerlich in den Untergang trieben, so ist es jetzt die Ökonomie mit ihrer esoterischen Sprache, ihrem multiplen Netz geheimer Informationen, widersprüchlicher Versionen und manipulierender Nachrichten, die das Auf und Ab des Markts definieren, die Geldströme und abstrakten Kapitalbewegungen - die Ökonomie ist an die Stelle der Götter getreten, um das Unerklärliche zu erklären, und dementsprechend haben sich die Orakel und Weissagungen geändert, die die Zukunft der einzelnen Menschen bestimmen." Seinen Studenten in Princeton empfiehlt Piglia deshalb, "sie sollen lieber William Burroughs lesen als die Financial Times, wenn sie die gegenwärtige Wirklichkeit verstehen wollen."

Weitere Artikel: Zwei späte Vorlesungen Roland Barthes am College de France wurde wieder aufgelegt - Grund für Stefan Zweifel, Barthes Werk neu zu lesen. Gernot Böhme untersucht Aspekte von Ethik und Ästhetik in der Baukunst. Roman Hollenstein beschreibt zeitgenössische Architektur zwischen Banalität und Sensation am Beispiel der Entwürfe für Ground Zero.

Besprochen werden eine Ausstellung zu Roland Barthes im Pariser Centre Pompidou und Bücher, darunter Ricardo Piglias Epochenroman "Künstliche Atmung" und Mario Vargas Llosas journalistische Arbeiten in "Die Sprache der Leidenschaft".

Im Feuilleton stellt Roman Bucheli Klaus Brieglebs Demontage der Gruppe 47 in seiner Streitschrift "Missachtung und Tabu" neben W.G. Sebalds Buch "Literatur und Luftkrieg". Während Briegleb nachzuweisen suche, wie antisemitisch die Gruppe 47 war, und ihr "Angst vor einer wirklichen Begegnung mit Juden und Judentum nach der Shoah" unterstelle, hatte Sebald den deutschen Nachkriegsautoren vorgeworfen, sie hätten mit ihrem Schweigen die Erinnerung an die Opfer unter der deutschen Zivilbevölkerung" ausgelöscht. Bucheli findet diese Vorwürfe nicht gerechtfertigt: "Das Fatale bei Briegleb und Sebald ist nicht so sehr der Tunnelblick, der um einer pointierten These willen zu vieles ausser acht lässt. Bedenklich stimmt vielmehr, dass beide Autoren erst konstruieren, was sie danach zu analysieren vorgeben, und auf diesem Weg die Legende von einer bis heute andauernden Kollektivschuld der Schriftsteller an der angeblichen Selbstvergessenheit der Nation in die Welt setzen."

Weitere Artikel: "Her." berichtet über die Aktivitäten der Schweiz als Gastland bei der Kunstmesse ARCO in Madrid. Besprochen werden Eugene O'Neills Drama "Trauer muss Elektra tragen" in der Inszenierung von Frank Castorf in Zürich, die Ausstellung "science + fiction" im Sprengel-Museum Hannover, ein Brahms-Konzert mit David Zinman und dem Tonhalle-Orchester Zürich und Bücher, darunter "La nuit blanche", ein bisher nur auf Französisch erschienener Band der Historikerin Arlette Farges und Aharon Appelfelds Roman "Zeit der Wunder" (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

FAZ, 25.01.2003

Im kühlen Ton des Strategen, der die Pläne des Gegners analysiert, erläutert Doug Bandow, Senior Fellow am Cato-Institute, wie Frankreich und Deutschland sich mit ihrer Ablehnung des Irakkriegs doch noch Achtung verdienen können. "Zunächst muss Frankreich mehr tun als sich bloß aufzuplustern. Nur ein Veto im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann Bushs Angriffspläne aufhalten. Nur wenn Frankreich sich auf ein Nein festlegt und tatsächlich bei dieser Ablehnung bleibt, wird Paris in der Lage sein, auch China und Russland auf seine Seite zu ziehen. Ein Veto von zwei oder drei der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, begleitet von den Nein-Stimmen Deutschlands und anderer Staaten, würde vor aller Welt einen schockierenden Mangel an internationaler Unterstützung für die amerikanische Politik demonstrieren." Der Kanzler wiederum muss, wenn er es ernst meint, "im Sicherheitsrat gegen eine Kriegsresolution stimmen lassen, jeden Einsatz deutscher Truppen unterbinden und Washington den Zugang zum deutschen Luftraum und zu den Stützpunkten in Deutschland verwehren". Falls die beiden "am Ende allerdings doch klein beigeben, nachdem sie so unüberhörbar ihre Ablehnung des Krieges herausposaunt haben, werden sie nur die Verachtung bestärken, die ihnen in Washington ohnehin seit langem begegnet".

Weitere Artikel: Gina Thomas hat dem "geistreichen Austausch " zwischen Hans Magnus Enzensberger und Eric Hobsbawm im Londoner Institute of Contemporary Arts über Europa zugehört. Was das Verhältnis Frankreich - Deutschland angeht, vernimmt Joseph Hanimann bei den Feierlichkeiten zum Elysee-Vertrag in Paris zwar einen gemeinsamen Ton, jedoch noch keine "Debatte mit dem klaren Thema eines drohenden Krieges". Niklas Maak war bei der Eröffnung der neuen, von Christian de Portzamparc gebauten französischen Botschaft in Berlin. Andreas Rossmann berichtet von einem Prozess, bei dem der Sprachforscher Klaus Siewert, der sich vom Krimiautor Jürgen Kehrer in dessen neuem Buch "Wilsberg und der tote Professor" "verleumderisch gespiegelt" sieht, unterlag. Der Historiker Klaus Gobel meldet den Fund zweier bisher unbekannter Briefe Thomas Manns, die im Nachlass von Rudolf Alexander Schröder gefunden wurden. In beiden bedankt sich der Schriftsteller für Lob beziehungsweise die Aufnahme in den Orden Pour le Merite. Hartmut von Hentig gratuliert der Schriftstellerin Eva Zeller zum Achtzigsten. Auf der Medienseite gratuliert Jochen Hieber Tagesschausprecherin Dagmar Berghoff zum Sechzigsten. Und auf der Gegenwartsseite liefert der Historiker Klaus Schwabe eine Archäologie des Antiamerikanismus in der Weimarer Republik.

In den Ruinen von Bilder und Zeiten bespricht Niklas Maak eine Ausstellung mit Francis Picabias Frauenporträts in der Frankfurter Schirn. Und der Historiker Karl Schlögel beschreibt Vergangenheit und Gegenwart des berühmten "Hauses an der Moskwa", das Stalin einst für die Parteielite errichten ließ. Moskau, schreibt Schlögel, "hat Ernst gemacht mit dem Slogan 'Learning from Las Vegas' ... Die Stalinschen Hochhäuser werden angestrahlt. In Kaskaden fällt das weiße, rosa, violette, grünliche Licht die Fassaden herab und verwandelt sie in irgend etwas anderes: in amerikanische Art-deco-Türme, in Zikkurate oder von gewaltigen Sockeln aufsteigende Bergmassive aus Licht."

Besprochen werden Frank Castorfs Inszenierung des O'Neill-Stücks "Trauer muss Elektra tragen" in Zürich, Christoph Schlingensiefs "Atta Atta - die Kunst ist ausgebrochen" in der Berliner Volksbühne, die Ausstellung Valie Export in der Berliner Akademie der Künste, ein Konzert von "Surrogat" in Köln, Hans van Manens Choreografie "Monologue, Dialogue" in Den Haag und Bücher, darunter der Band "Thomas Bernhard und seine Lebensmenschen" (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Auf der Schallplatten- und Phono-Seite werden CDs besprochen von Ludwig Hirsch, Bob Dylan, dem Pianisten Franz Vorraber (Schumann), eine Liveaufnahme von Janaceks "Jenufa" mit einer überwältigenden Anja Silja als Küsterin, Bellinis Opern für Klaviertrio und Klagelieder von Emilio Cavalieri.

In der Frankfurter Anthologie stellt Peter von Matt ein Gedicht von Günter Eich vor: "Latrine".

"Über stinkendem Graben,
Papier voll Blut und Urin,
Umschwirrt von funkelnden Fliegen,
hocke ich in den Knien, ..."

FR, 25.01.2003

Wenn dreißig amerikanische Hochschullehrer sich zu den "US Academicians Against War" zusammenschließen, dann fahren sie nicht irgendwo hin, sondern natürlich nach Bagdad. Der Politikwissenschaftler Stephen Eric Bronner (mehr hier) berichtet von der einwöchigen Tour mit gemischten Gefühlen. "Gleich von dem Augenblick an, an dem die Motorradeskorte unseren Bus zu dem eleganten Hotel begleitet hatte, in dem wir herrliche Mahlzeiten aufgetischt bekamen und uns mehr als angemessen untergebracht fühlten, war sonnenklar, dass man uns benutzte. Unwillkürlich musste ich an Aristoteles denken, der Alexander den Großen zu erziehen versuchte, aber auch an Lloyd George und Charles Lindbergh, die Hitler rühmten, ebenso an Ernst Bloch und Lion Feuchtwanger, die sich beide mitten in der Zeit des großen Terrors bei Stalin anbiederten. An jeder zweiten Straßenecke hing ein Plakat des großen Führers angeschlagen: Saddam mit mildem Lächeln im Gesicht; Saddam mit Bowlerhut und ganz auf Respektsperson getrimmt; Saddam beim Lesen im Koran; Saddam mit hoch in die Luft gerecktem Gewehr; Saddam mit zum Faschistengruß vorgestrecktem Arm. Es war also wichtig, dass man sich nicht zum Trottel machen ließ."

Weiteres: Konfliktscheu ist er nicht, weiß Ulrich Speck vom neuen Buchmessenchef Volker Neumann, der die Staaten der Arabischen Liga gerade zum Gastland des Jahres 2004 bestimmt hat. Renee Zucker haben die deutsch-französischen Stelldicheins der vergangenen Tage gut gefallen und schlägt deshalb vor, dass doch jedes Parlament öfter mal ein anderes besuchen sollte. Gemeldet wird noch, dass Russland weitere Beutekunst zurückgeben will.

In Zeit und Bild erzählt Navid Kermani aus Vierzig Leben Nr. 27, nämlich von Georg, der seinen Freund Theodor W. Adorno nie zum Whiskey trinken überreden konnte, nicht mal den neunzehnjährigen Port Ellen aus Islay. Ernst Piper dagegen macht sich Gedanken zum Holocaust-Gedenktag und der Hochkonjunktur der Erinnerung.

Auf der Medienseite erinnert Katrin Wilkens an die Geburtstagssendungen für Roy Black (mehr), den zu früh Verstorbenen, in dessen Kinngrübchen Affen schaukeln könnten.

Besprochen werden die Premiere von Christoph Schlingensiefs "Atta Atta" an der Berliner Volksbühne, wo man zum Theater auch gleich noch einen Film dazu bekommt, die Grazer Ausstellung "M_ARS" über den Zusammenhang von Kunst und Krieg, Sandra Gugliottas Spielfilmdebüt "Ein Glückstag" und Bücher, darunter Bernd Mathejas deutsche Amateur- und Presse-Bildgeschichte des Beat "Thank You For The Days" und Peter Gays "Zeitalter des Arthur Schnitzler" (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Für das Magazin haben sich Karl-Heinz Karisch und Thomas Wolff mit der Affenforscherin Jane Goodall (ihr Institut) über Fremdenhass unter Schimpansen unterhalten. "Der 'Vier-Jahres-Krieg' war damals eine schockierende Erfahrung für mich. Am Ende war eine der beiden Gruppen völlig ausgelöscht - und dabei hatten beide ursprünglich mal eine Gemeinschaft gebildet. Wir hatten zwar schon früher Berichte über Grenzkontrollen und Angriffe auf fremde, nicht zur Horde gehörende Schimpansen gehört, aber nichts von dieser Intensität. Ich wusste, wie sehr sie Menschen ähnelten, und dies ließ sie noch mehr wie Menschen wirken. Allein dieses unbändige Verlangen der jungen Affenmänner, die Gefahr herauszufordern. Sie waren wirklich die idealen Rekruten für diesen Krieg. Das fing zunächst mit Geplänkel entlang der Reviergrenzen an. Dann wurde ein junger Schimpanse verletzt, wodurch sich die übrigen Männer der Gruppe herausgefordert fühlten, denn sie mussten ja ihre eigene Gruppe, ihre Ressourcen und Frauen verteidigen. Schimpansen sind von Gefahr und Gewalt förmlich fasziniert."

Außerdem: Marian Blasberg hatte die große Ehre, die FR bei der Luftgitarren-WM im finnischen Oulu zu vertreten, allerdings ohne den lila Samtanzug, wie die professionelle Konkurrenz ihn vorweisen konnte. Rainer Schauer überblickt den Markt der Billigfluglinien, während Barbara Schaefer sich während der Alpinen Ski-Weltmeisterschaft in St. Moritz herumgetrieben hat. Der Schriftsteller Martin Suter warnt uns schließlich vor dem Kauf eines Audi A6 2.5 TDI, multitronic, ebonyschwarz, Perleffekt. Denn dieser Wagen macht arbeitslos.

TAZ, 25.01.2003

Christian Semler bricht eine Lanze für die Kriegsgegner und wirft den Kritikern der Friedensbewegung unlauteren Wettbewerb vor: "Schon bei der Kritik der ökologischen Bewegung trat an die Stelle einer Debatte über reale Gefährdungen oft eine rhetorische Figur, die das gemütvolle Verhältnis der Deutschen zu ihrem Wald, ihren angeblichen Naturmystizismus an den Pranger stellte. Diesmal wird die Kritik an der drohenden Irakinvasion durch die USA in Zusammenhang mit einem angeblich unaufgearbeiteten und daher schwelenden deutschen Psychosyndrom in Verbindung gebracht: dem englisch-amerikanischen Bombenkrieg gegen Nazideutschland." Semlers Missfallen erregt haben insbesondere dieser Artikel im Tagesspiegel und dieser in der SZ.

Harald Fricke hat sich mit dem Bund der Steuerzahler in den Bus gesetzt, um gegen die Finanzpolitik von Schröder, Eichel & Co zu demonstrieren. Jörg Sundermeier fragt bang, ob angesichts der Krise bei Eichborn nun der gute Ruf des Verlags schnöden Geschäftsinteressen geopfert wird.

Besprechungen widmen sich "Atta Atta", Christoph Schlingensiefs theatralischer Betrachtung von Terrorismus und Ästhetik an der Berliner Volksbühne und Frank Castorfs Inszenierung von Eugene O'Neills "Trauer muss Elektra tragen" als Horrorstück über die USA am Schauspielhaus Zürich.

Auf der Medienseite lesen wir Jan Feddersens Würdigung des Schmusekönigs Roy Black. Auf den Tagesthemenseiten finden wir ein Who's Who der Feinde Amerikas von Josef Stalin bis Osama bin Laden. Auf der Meinungsseite erklärt Claudia Lenssen, wer Atom Egoyan ist, der in diesem Jahr der Berlinale-Jury vorsitzt.

Das tazmag zieht es in die Ferne. Und weil es die taz ist, geht es nicht ums gewöhnliche Reisen, sondern um die alternative Variante. Christel Burghoff und Edith Kresta machen den Anfang und erzählen in kurzweiliger Manier von den Anfängen der deutschen Reise-Hippies und Traveller-Backpacker in den glorreichen Siebzigern. Und von Bommi Baumann. "Bommi Baumann war Teil des 'großen Aufbruchs'. Aus dem RAF-Umfeld und selbst Reisender auf der Flucht vor dem Bundeskriminalamt, weilt er 1972 in Afghanistan, in Kabul:

SZ, 25.01.2003

Viel dabei, dieses Wochenende: Der Leiter des italienischen Kulturinstituts in Berlin, Ugo Perone, schreibt zum Tod von Gianni Agnelli, dem Fiat-Patriarchen. "L'avvocato" begrüßte seine Gäste persönlich, "aß mit ihnen zu Abend, erzählte davon, dass er gerade von einem Treffen mit, sagen wir, Kofi Annan zurückgekehrt sei. Er bewirkte so, dass man sich bei ihm bedeutend vorkam. Und man erinnerte sich danach an seinen besonderen Stil - der gewisse exzentrische Details nicht ausschloss, die Schule machten, wie etwa jene Angewohnheit, die Uhr über und nicht unter der Manschette zu tragen." Und der RAI-Journalist Enzo Biagi zitiert in seinem Artikel Federico Fellini: Agnelli "hat eine Ausstrahlung wie ein Schauspieler, er wurde vom Schicksal auserwählt, er ist einfach ein Siegertyp. Gebt ihm einen Helm und setzt ihn auf ein Pferd, er hat das Gesicht eines Königs."

Ulrich Raulff würdigt Donald Rumsfeld als großen Europäer. "Seit Menschengedenken hat niemand in so kurzer Zeit so viel für Europa getan wie der amerikanische Verteidigungsminister. Was allen europäischen Großdenkern mit ihren Visionen verwehrt blieb, was allen Politikern mit ihren Ruck-Reden nicht gelang, das schaffte er mit wenigen, launig hingeworfenen Worten: Es ging ein Rums durch Europa. Die Alte Welt stand auf, fast wie ein Mann. Rumsfeld wollte den Europäern heimleuchten. Das Erbe des größten Karolingers antreten. Den alten, zerstrittenen Kontinent einen. Und dafür gebührt ihm der Karlspreis."

Weitere Artikel: Lethargie allerorten, kurz vor dem Irak-Krieg in Israel. Auch in der linken Kulturszene überwiegt die Resignation, berichtet Jürgen Berger. Der vierte der Briefe aus dem 20. Jahrhundert wurde 1963 von Siegfried Kracauer an Theodor W. Adorno geschickt: Inka Mülder-Bach kommentiert ihn. Fritz Göttler huldigt den Hollywood-Größen Steven Spielberg und Martin Scorsese, die bewiesen hätten, wieviel Starpotenzial auch im gemeinen Regisseur stecken kann. "Egge" ist fasziniert von den Sauberkeitsmethoden der Japaner - ein heiliger Torii Bogen an der Hauswand, und schon traut sich niemand mehr, sich dort vorschriftswidrig zu erleichtern. Susan Vahabzadeh beklagt den übergroßen Medienrummel beim Sundance Festival, das eigentlich dem kleinen Independent Film gewidmet ist. Henning Klüver informiert uns über den "Garten der Gerechten" in Mailand, erbaut nach dem Vorbild der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. "Imue" gratuliert der Schriftstellerin Eva Zeller zum Achtzigsten. Jochen Wagner schließlich findet es ein Zeichen der Zeit, dass nicht nur Aufklärungsdrohnen, sondern auch Fussballschuhe "Predator" heißen.

Auf der Medienseite porträtiert Peter Littger Frank Ossenbrink (seine Seite), der mit viel Gespür für die politische Inszenierung zum Fotografen der Berliner Republik aufgestiegen ist.

Besprochen werden die schöpferische Pause Christoph Schlingensiefs mit "Atta Atta" an der Volksbühne Berlin, ein Schostakowitsch-Konzertabend mit Paavo Berglund und den hervorragend auflegten br-Symphonikern in München, Frank Castorfs Version von Eugene O?Neills Trilogie "Trauer muss Elektra tragen" am Züricher Schauspielhaus, "Der Dämon" Anton Rubinsteins im Pariser Theatre Chatelet, Alejandro Agrestis Filmgedicht vom "Letzten Kino der Welt" und Bücher, darunter Herman Melvilles Schicksals-, Katastrophen- und Familienroman "Pierre" in einer neuen deutschen Übersetzung sowie zwei Hörspiele mit Klaus Kinski (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

In der SZ am Wochenende würdigt Achim Zons den größten Kleinen, Louis de Funes (hier mehr). "Es war schon ein tolles Leben: Für den Ersten Weltkrieg zu jung. Für den Zweiten Weltkrieg zu klein. Für Intellektuelle zu komisch. Für Gebildete zu albern. Für Männer zu machtlos. Für Frauen zu herrschsüchtig. Weshalb er für alle richtig war und vor allem alles richtig machte. Er war als junger Mann Buchhändler in einer Papierfabrik, als man kein Papier mehr herstellte (1939). Er war Karosseriezeichner in einer Autofirma, als in Paris keine Autos mehr fuhren (1940). Er war Gemischtwarenhändler, als es nichts mehr zu verkaufen gab (1941). Als er endlich bei Rene Simon Schauspielunterricht nahm, da bescheinigte der dem Schüler Louis de Funes die totale Talentlosigkeit."

Außerdem: Lutz Seiler (mehr hier) hat sich in Thüringen umgesehen und beschreibt die Welt hinter Korbußen, Bethenhausen, Brahmenau, Hirschfeld, Pölzig, Reichsstädt und Schwaara. Thomas Steinfeld zeichnet den langen Weg des Melodrams nach, dass von der Literatur zur Oper zum Film zur Popmusik und nun wieder zurück zur Literatur gewandert sei. Michael Gleich stellt uns die kleinste Friedensbewegung des Nahen Ostens vor, die umtriebigen Benediktinermönche von Hagia Maria Sion in Jerusalem. Und Marion Meier hat sich mit der immer noch recht rebellischen 62-jährigen Vivienne Westwood (Homepage) unterhalten, über Senioren und über die Frage, ob man jenseits der 60 auch gut angezogen sein kann.