Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.01.2004. In der FAZ prangert Hans-Christoph Buch einen Skandal an, der so schlimm ist wie die Apartheid: und schuld ist die südafrikanische Regierung. Die NZZ blickt auf die Literaturlandschaft in Polen. Die taz bemerkt: Rauchen in Filmen ist populär wie (und es tötet auch nicht!) Die SZ sinniert über die "eingeborene Endlichkeit" von Kunst am Bau.

FAZ, 05.01.2004

Hans-Christoph Buch prangert in einem Offenen Brief an den südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki einen "Skandal" an, "der an die finstersten Zeiten der Apartheid erinnert": Mbeki war als einziger Staatspräsident zu den Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag der haitianischen Revolution erschienen und stützte damit das desavouierte Regime Jean-Bertrand Aristides. Und "seit Wochen kreuzte die südafrikanische Fregatte Drakensberg in der Bucht von Port-au-Prince, mit 124 Mann Besatzung und einer unbekannten Zahl von Anti-Terror-Experten an Bord, die Haitis Polizei bei der Niederschlagung regierungsfeindlicher Demonstrationen halfen, wobei es jedesmal Tote gab; das dabei eingesetzte Tränengas war made in South Africa." (Hier eine Seite des Echo d'Haiti über die Revolutionsfeierlichkeiten.)

Heinrich Wefing porträtiert die USA im Jahr der Wahlen als gespaltene Nation, die sich in zwei unversöhnliche Lager - das demokratische und das republikanische - teilen. Einen Beleg für diese Spaltung findet er in der Bestsellerliste der New York Times: "Seit Monaten stehen dort Bücher an der Spitze, für die das Wort Polemik eher milde gewählt ist. Es sind Werke von konservativen Einpeitschern wie Bill O'Reilly und Ann Coulter auf der einen und linken Giftspritzern wie Al Franken oder Michael Moore auf der anderen Seite, in denen Pöbeleien die Gedanken ersetzen... Das Pamphlet von Ann Coulter etwa trägt den Titel 'Hochverrat'...(Leseprobe) und unterstellt 'den Linken' pauschal mangelnden Patriotismus, kollektive Drogenabhängigkeit und 'instinktive Idiotie'. Der Gegenschlag (Leseprobe) des Komödianten Al Franken gibt sich ähnlich differenziert. Das Buch heißt 'Lügen und die lügenden Lügner, die sie erzählen. Ein fairer und ausgewogener Blick auf die Rechte'."

Weitere Artikel: In der Leitglosse rät Dirk Schümer allen Künstlern, sich ein Beispiel an dem bisher nur in Rotterdam bekannten Maler Dolf Henkes zu nehmen, der sein Privatvermögen in eine Stiftung steckte, die sich nun Jahre nach seinem Tod rührend um seinen Nachruhm kümmert. Joachim Kalka schildert einen Auftritt des iranischen Exilautors Kader Abdolah und seiner Landsfrau Marjani Satrapi im Literaturhaus Stuttgart (Satrapi hatte mit einem Comic über die Lage im Iran in Frankreich großen Erfolg siehe auch hier, auch Abdolahs Roman "Die geheiome Schrift" hat international Aufsehen erregt). In einer Meldung erfahren wir von Gina Thomas, dass unter anderem Tim Berners-Lee, der Erfinder des Internets, von der Queen zum Ritter geschlagen wird. Reinhard Lauer schreibt zum Tod des kroatischen Literaturwissenschaftlers Ivo Franges.

Auf der Medienseite bespricht Michael Hanfeld ein großes Helmut-Kohl-Porträt, das heute und am nächsten Montag im Ersten läuft.

Auf der letzten Seite meditiert Wolfgang Sandner ohne erkennbaren Anlass über "Beethovens Mondschein-Sonate und ihre romantische Verklärung". Dirk Schümer freut sich, dass Cees Nooteboom den wichtigen P.-C. Hooft-Preis erhält und damit auch in den den heimischen Niederlanden wahrgenommen wird. Und Robert von Lucius porträtiert Jan Zettberg, der sich als Leiter des Stockholmer "Dansen Hus" große Verdienste um das moderne Ballet erwarb.

Besprochen werden eine Ausstellung über "Fluxus und Freunde" in Bonn, eine Arthur-Köpcke-Ausstellung im Düsseldorfer Kunstverein, eine Ausstellung der Malerin der Neuen Sachlichkeit Lotte Laserstein im Berliner Ephraim-Palais und Sachbücher, darunter ein von Alfred Haverkamp erstellter historischer Atlas über die Geschichte der europäischen Juden im Mittelalter.

Wir verweisen noch auf Niklas Maaks schönen (aber viel zu kurzen) Artikel über das "Jahr der Hochhäuser" in der Sonntags-FAZ.

NZZ, 05.01.2004

Marta Kijowska blickt auf die polnische Literaturlandschaft, in der die alten Patriarchen wie Jaroslaw Marek Rymkiewicz (mehr hier), Jozef Hen und Ryszard Kapuscinski (mehr hier) gerade große Triumphe feiern. "Jeder der drei genannten 'Patriarchen' steht für eine Tendenz, die allgemein für die heutige polnische Literaturszene gilt. Die Auszeichnung Rymkiewicz' beweist erneut (wie die kommerzmüden Kritiker mit Genugtuung registrierten), dass die Lyrik in diesem Land nach wie vor einen höheren Stellenwert hat als die Prosa; der Erfolg von Hen, dem man nach der Wende das Absinken in die Bedeutungslosigkeit prophezeite, zeigt, dass eine Neuetablierung auf dem Büchermarkt durchaus möglich ist. Und Kapuscinski schließlich, dessen Bücher über viele Jahre im Warschauer Verlag Czytelnik erschienen, dessen 'Selbstporträt' jedoch der Krakauer Znak-Verlag herausbrachte, ist eines der vielen Beispiele für eine langsame Dezentralisierung der polnischen Literaturlandschaft."

Weitere Artikel: Peter Bollag bemerkt neue Selbstbewusstsein der jüdischen Gemeinde in Konstanz. Hans-Jörg Neuschäfer besucht das Museo Iconografico in Guanajuato, das 'Nuestro Senor Don Quijote' gewidmet ist. Gabriele Detterer schließlich freut sich über die Wiederbelebung des einstigen Mailänder Arbeiterviertels Lambrate. Besprochen wird Ydessa Hendeles exzentrische Sammlung im Münchner Haus der Kunst.

FR, 05.01.2004

Reinhart Wustlich zeigt sich recht angetan vom frivolen New York Epicenter der Luxusmarke Prada (einen Rundgang gibt's hier), wo Rem Koolhaas in den früheren Hallen des Guggenheim SoHo nun einen eleganten Rahmen für den Konsum geschaffen hat. Elke Buhr grübelt in Times mager über van Goghs Testosteronspiegel, japanische Kampfkreisel und die Mannwerdung des Nachwuchses. Gemeldet wird, dass die Deutschen am Theaterbesuch sparen und dass Spiegel-Erbe Jakob Augstein den Verlag Rogner & Bernhard gekauft hat.

Auf der Medienseite wundert sich Jenny Niederstadt anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums von Wiso, warum Wirtschaftsmagazine in den Zeiten von Flaute und Reformen mehr Zuschauer haben als je zuvor.

Besprechungen widmen sich Michael Hanekes schwarzem Endzeitfilm "Wolfszeit", Olafur Eliassons überwältigendem Szenario in der Londoner Tate Modern und als einzigem Buch dem von Ulrike Weckel und Edgar Wolfrum herausgegebenen Sammelband "Bestien und Befehlsempfänger", der sich den nationalsozialistischen Verbrechen aus Geschlechterperspektive nähert (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).

TAZ, 05.01.2004

Rauchen in Filmen ist populär wie nie, glaubt Andreas Busche aus Amerika gehört zu haben. Dort zumindest ringen Hollywood und Initiativen wie Smoke Free Movies um jeden Glimmstengel. Der Anwalt der Anti-Raucher-Lobby "wirft der MPAA finanzielles Kalkül vor, wenn die sich seit Jahren vehement weigert, Tabakkonsum (neben Sex, Gewalt, Drogen und verbalen Unflätigkeiten) in die Kriterien für ein 'R'-Rating aufzunehmen. Den Studios gehe der Profit schlicht über das Wohlergehen seiner Kunden."

Weiteres: Tobias Rapp kolportiert das Gerücht, wonach Michael Jackson sich mit den separatistischen Black Muslims der Nation of Islam eingelassen hätte, um seinen Prozess durchzustehen. In der zweiten taz porträtiert Mareke Aden den Genlobbyisten Jens Katzek, der Sachsen-Anhalt mit Genmais beglücken will (mehr), pikanterweise aber vorher beim BUND Naturschutz war. Michael Streck kommentiert auf den Meinungsseiten die ersten Verbote von Mobiltelefonen mit eingebauter Kamera in den USA. Peter Unfried präsentiert das Themen-Barometer 2004. Auf der Tagesthemenseite lesen wir eine Reportage von Inga Rogg, die sich im einigen Wochen von US-Streitkräften abgeriegelten irakischen Dorf Albu Hishmet in der Nähe von Samarra umgesehen hat, und Kirsten Küppers Porträt von Peter Behrens. Der ehemalige Schlagzeuger von Trio (mehr) und derzeitiger Barhocker sieht 2004 etwas auf sich zukommen.

Margarethe Schreinemakers
kommt zurück auf den Bildschirm, und Jan Freitag befragt sie diesbezüglich auf der Medienseite. Freitag: "Alter Wein in neuen Schläuchen?" Schreinemakers: "Das ist Fernsehen immer. Man kann es ums Verrecken nicht mehr neu erfinden."

Vor das Scheibengericht treten Hans Joachim Irmlers "Lifelike", zwei Alben von Embryo, Milton Babbitts "Occasional Variations", Jibaro Hasta el Huesos "Montain Music of Puerto Rico by Ecos de Borinquen", "Passion Du Tango" des Sexteto Mayor sowie Projekte von John Potter und Maya Homburger.

Und dann noch Tom.

SZ, 05.01.2004

Harald Hordych sinniert am Beispiel des Bildhauers Max Kratz (zwei Stücke) über Kunst am Bau und ihre eingeborene Endlichkeit. "Viel mehr als heute verstand man in den fünfziger und sechziger Jahren den Raum, seine Bestimmung und das sich auf beide beziehende Kunstwerk als untrennbare Einheit: vom Bau zum Überbau. Neuer Eigentümer, neuer Zweck - neues Haus. Was übrig bleibt, ist Kunst, die zwar für das verschwundene Haus wie geschaffen war, die nach dem Abriss aber keiner mehr haben will."

Zum Abschluss der Serie Briefe aus dem 20. Jahrhundert - heute mit einem Schreiben von Friedrich Gundolf an Elisabeth Salomon - verfassen Andreas Bernhard und Ulrich Raulff ein melancholisches Geleitwort für ein Medium, das einmal alles war: "Hilfeschreie und dramatische Abschiede, exemplarische Verirrungen und Reflexionen der Zerrissenheit, moralische Kasuistik, Lüge, Verrat, Resignation und Zeugnisse alles überwindender Liebe - alles drang damals mit unerhörter Wucht in den Brief und drohte seine Form zu sprengen."

Gerhard Matzig echauffiert sich im Aufmacher über den Schnäppchenjäger. "Es ist der Irrtum, in welchem er sich als Jäger fühlen darf - obwohl er nur die Beute ist." Jens Bisky lästert über die anvisierten Elite-Universitäten von Müntefering & Co. Fritz Göttler glaubt, dass gerade in Kriegszeiten das amerikanische Kino die Idylle und Utopie bevorzugt. Tom Cruise bekräftigt im Gespräch mit Patrick Roth wieder einmal, wie wichtig ihm als Last Samurai Ehre, Mut und Mitgefühl sind.

Auf der Medienseite kündigt Thomas Kirchner die erste Sonntagszeitung für Kinder an, die in der Schweiz erscheinen soll. Und Willi Winkler vermutet, dass die ARD zeitgeistkompatibel den Sandalenfilm wieder entdeckt.

Besprochen werden eine bewegende Schau der Werke von Lotte Laserstein, einer vergessenen Meisterin der gegenständlichen modernen Malerei, im Berliner Ephraim-Palais, Harald Rumpfs authentischer Streifen "HipHop", und Bücher, darunter Karl Christs umfangreiche Biografie des karthagischen Feldherrn Hannibal, Marcus Brauns schöner Klamauk "Hochzeitsvorbereitungen", Otto de Kats liebevoll-diskreter Vaterroman "Mann in der Ferne" sowie Bartholomäus Grills gut recherchierte Ode an den verlorenen Kontinent "Ach, Afrika" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).